Umsatzsteuer bei innergemeinschaftlichen Lieferungen im Binnenmarkt

Innergemeinschaftliche Lieferungen sind entgegen § 6a UStG umsatzsteuerpflichtig, wenn der Unternehmer die Identität seines Abnehmers verschleiert, um diesem die Hinterziehung der geschuldeten Umsatzsteuer zu ermöglichen (Anschluss an das EuGH-Urteil vom 7. Dezember 2010 C-285/09, R).

BFH Urteil vom 17.2.2011, V R 30/10

Begründung (BFH):

Mit zwei zeitgleich veröffentlichten Urteilen vom 17. Februar 2011 V R 28/10 und V R 30/10 hat der Bundesfinanzhof (BFH) eine Reihe von Zweifelsfragen bei sog. innergemeinschaftlichen Lieferungen an Unternehmer in andere Mitgliedstaaten geklärt, insbesondere Fragen zur betrügerischen Ausnutzung der Umsatzsteuerbefreiung von Liefergeschäften innerhalb der Europäischen Union (EU).

Die innergemeinschaftliche Lieferung ist ähnlich einer Ausfuhrlieferung umsatzsteuerfrei. Korrespondierend zu dieser Steuerfreiheit ist im Bestimmungsmitgliedstaat ein sog. innergemeinschaftlicher Erwerb zu versteuern. Steuerfreiheit und Erwerbsbesteuerung dienen dazu, die Besteuerungskompetenz vom Liefer- auf den Bestimmungsmitgliedstaat zu verlagern. Dieses Besteuerungssystem ist betrugsanfällig, da der Warenverkehr mit den Mitgliedstaaten der EU anders als der Warenverkehr mit Drittstaaten keiner zollrechtlichen Grenzkontrolle unterliegt, sondern maßgeblich auf den Angaben des Lieferers zur Identität des Abnehmers beruht.

Keine Versagung der Steuerfreiheit aufgrund "Karussellgeschäft"

Im Verfahren V R 30/10 ging es um Mobiltelefone, die Gegenstand eines inländischen "Umsatzsteuer-Karussells" waren und vom inländischen Unternehmer in andere Mitgliedstaaten der EU geliefert wurden. Das Finanzgericht (FG) versagte die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung allein mit der Begründung, es liege ein "Karussellgeschäft" vor. Dem trat der BFH entgegen. Werden in einer Kette von Umsatzgeschäften tatsächlich Lieferungen ausgeführt, kann diesen im Regelfall erst aufgrund einer Täuschung über die Identität des Abnehmers die Steuerfreiheit versagt werden. Der BFH hob das Urteil des FG dementsprechend auf und verwies die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.

Rechtschutz bei Umsatzsteuerbetrug (Karusselgeschäft)

Ein Unternehmer, der alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug –sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug– einbezogen sind, kann auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren .

Der Umstand, dass eine Lieferung an einen Steuerpflichtigen vorgenommen wird, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einen vom Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war, steht dem Vorsteuerabzug nicht entgegen .

Ob ein Steuerpflichtiger wissen konnte oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, ist im Wesentlichen tatsächliche Würdigung, die dem FG obliegt. Nach den maßgebenden Beweisregeln trägt der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die Feststellungslast für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen. Das gilt grundsätzlich auch für das Wissen oder Wissen können vom Tatplan eines Vor- oder Nachlieferanten .

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 19.4.2007, V R 48/04

Mit Urteil vom 19. April 2007 V R 48/04 hat der Bundesfinanzhof (BFH) zu Lieferungen in einem sog. Umsatzsteuerkarussell entschieden. Gegenstand der Lieferungen waren Mobiltelefone.

Bei einem Umsatzsteuerkarussell wird – vereinfachend dargestellt – Handelsware nach einem Gesamtplan unter Einbeziehung von mehreren Firmen – z.T. in anderen Mitgliedstaaten der EU – in einer Lieferkette verkauft, wobei planmäßig ein Unternehmer in der Kette zwar die ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend macht, seine Umsätze aber nicht anmeldet und verschwindet, bevor diese festgesetzt wird. Die Beteiligten profitieren bei jedem Warendurchlauf durch einen EU-Mitgliedstaat von der Hinterziehung der dortigen Umsatzsteuer. Zweifelhaft war, ob auch einem Unternehmer, der unwissentlich in eine Lieferkette einbezogen worden ist, der Vorsteuerabzug aus den betrugsbehafteten Lieferungen versagt werden darf.

Im Anschluss an zwei Urteile des EuGH hat der BFH nun entschieden, dass Wirtschaftsteilnehmer, die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht in einen Betrug – sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug – einbezogen sind, auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen können, ohne Gefahr zu laufen, ihr Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren.

Im Streitfall hatte der betroffene Unternehmer nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) zwar nicht (positiv) gewusst, dass er in einen Umsatzsteuerbetrug durch seine Lieferanten und Abnehmer eingebunden war. Das FG hatte aber nicht die nach der inzwischen ergangenen EuGH-Rechtsprechung entscheidende Frage geprüft, ob er von der Betrugsgestaltung wissen konnte (wofür einiges sprach). Die Sache wurde deshalb durch den BFH dem FG zur entsprechenden Prüfung zurückgegeben.