Entgeltliche Personalgestellungen sind keine im sozialen Bereich erbrachten Gemeinwohldienstleistungen i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL.
BFH Urteil vom 14.01.2016 – V R 56 /14 BFH/NV 2016, 792
Sachverhalt:
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein eingetragener und als gemeinnützig anerkannter Verein, der in den Streitjahren (2008 bis 2010) Mitglied eines anerkannten Verbands der freien Wohlfahrtspflege war. Satzungsmäßiger Zweck des Klägers war, „Drogengefährdeten und -abhängigen bei der Bewältigung ihrer Probleme zu helfen”.
Aufgrund eines Ende 2007 mit einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (Entleiher) geschlossenen Personalabordnungsvertrags verpflichtete sich der Kläger, dem Entleiher eine seiner Arbeitnehmerinnen zur inhaltlichen und fachlichen Koordinierung eines vom Entleiher initiierten Sozialfürsorgeprojekts (selektive Suchtprävention) für den Streitzeitraum zu überlassen. Dabei blieb das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Arbeitnehmerin –ungeachtet der Überlassung an den Entleiher– bestehen. Der Entleiher war aber berechtigt, der Arbeitnehmerin fachliche Weisungen zu erteilen und deren Arbeitsausführung zu überwachen. Ihr Arbeitslohn wurde weiterhin vom Kläger bezahlt; dieser hatte jedoch für die Personalüberlassung gegenüber dem Entleiher einen vertraglichen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten.
Das vom Entleiher initiierte Sozialfürsorgeprojekt zielte darauf ab, Jugendlichen, die erstmals mit Suchtmitteln in Berührung gerieten, Maßnahmen der Frühintervention anzubieten. Dabei sollte die entliehene Arbeitnehmerin als Projektleiterin das Projekt des Entleihers umsetzen, weiterentwickeln und interessierten Organisationen vorstellen. Die Arbeitnehmerin hatte vor der Personalüberlassungsmaßnahme bei dem Kläger besondere Kenntnisse zum inhaltlichen Bereich dieses Projekts gesammelt, dieses insbesondere mitentwickelt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) setzte für die entgeltliche Personalgestellung Umsatzsteuer für die Streitjahre fest. Eine Steuerbefreiung komme nicht in Betracht.
Begründung:
Die Revision ist begründet. Das Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Zu Unrecht hat das FG entschieden, dass die entgeltliche Personalgestellung des Klägers nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei ist.
Die Personalgestellung gegen Aufwendungsersatz ist ein steuerbarer Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes –UStG–Zu Recht geht das FG davon aus, dass die Personalgestellungsleistung nicht nach § 4 Nr. 18 Satz 1 UStG steuerfrei ist.
Steuerfrei sind danach die Leistungen der amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften […], die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind, wenn […] die Leistungen unmittelbar dem nach der Satzung […] begünstigten Personenkreis zugutekommen […]. Ungeachtet dessen, dass der Kläger als Mitglied in einem nach § 23 Nr. 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung amtlich anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege zum begünstigten Personenkreis gehört, hat er durch die Personalgestellung keine Leistungen erbracht, die unmittelbar dem nach seiner Satzung begünstigten Personenkreis zugutegekommen sind (§ 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. b UStG).
Das Merkmal der Unmittelbarkeit ist leistungsbezogen, d.h. die Leistung selbst muss dem nach der Satzung begünstigten Personenkreis unmittelbar zugutekommen. Nicht ausreichend ist, dass die Leistung lediglich als Vorleistung in eine vom Leistungsempfänger –hier Entleiher– an den begünstigten Personenkreis erst noch zu erbringende Leistung eingeht. Mit der Personalgestellung unterstützte der Kläger nicht unmittelbar die nach der Satzung des Klägers begünstigten Personen (drogengefährdete Jugendliche). Vielmehr erbrachte er im Streitzeitraum sonstige Leistungen an den Entleiher, die den begünstigten Personen allenfalls mittelbar zugutegekommen sind.
Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL (und der wortlautidentischen Vorgängerbestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG) befreien die Mitgliedstaaten folgende Umsätze von der Steuer: „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden”.
Entgeltliche Personalgestellungen stellen als solche keine im sozialen Bereich erbrachten Gemeinwohldienstleistungen dar und sind somit keine „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Umsätze” i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL (EuGH-Urteil Go fair-Zeitarbeit, EU:C:2015:164, Rz 28). Dies gilt auch dann, wenn die aufgrund der Gestellung auszuführende Tätigkeit als Leistung der Sozialfürsorge zu charakterisieren ist und die Gestellung an eine Einrichtung mit sozialem Charakter oder eine Einrichtung des öffentlichen Rechts erbracht wird (EuGH-Urteil Go fair-Zeitarbeit, EU:C:2015:164, Rz 28). Für den erkennenden Senat bestehen insoweit keine Zweifel an der zutreffenden Auslegung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL.
Das FG-Urteil geht von anderen Grundsätzen aus und ist daher aufzuheben. Nachdem Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL auf Personalgestellungsleistungen nicht anzuwenden ist, lässt sich eine Steuerbefreiung auch nicht aus der früheren EuGH-Rechtsprechung zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i und g der Richtlinie 77/388/EWG herleiten.