Im Rahmen der Bestimmung der kürzesten Straßenverbindung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG ist auch eine Fährverbindung einzubeziehen.
Besonderheiten einer Fährverbindung wie Wartezeiten, technische Schwierigkeiten oder Auswirkungen der Witterungsbedingungen auf den Fährbetrieb können dazu führen, dass eine andere Straßenverbindung als "offensichtlich verkehrsgünstiger" anzusehen ist als die kürzeste Straßenverbindung.
BFH Urteil vom 19.4.2012, VI R 53/11
Begründung:
Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) können Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abgezogen werden. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer in Höhe von 0,30 EUR anzusetzen. Für die Bestimmung der Entfernung ist die kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte maßgebend; eine andere als die kürzeste Straßenverbindung kann zugrunde gelegt werden, wenn diese offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzt wird (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG).
Verkehrsgünstiger als die kürzeste Straßenverbindung kann eine andere Route dann sein, wenn eine Zeitersparnis erzielt wird. Konkrete zeitliche Vorgaben müssen insoweit nicht erfüllt sein. Insbesondere kann nicht in jedem Fall eine Zeitersparnis von 20 Minuten gefordert werden. Die Frage, ob eine Straßenverbindung als "offensichtlich verkehrsgünstiger" als die kürzeste Route angesehen werden kann, ist vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen. Da das Merkmal der Verkehrsgünstigkeit auch andere Umstände als eine Zeitersparnis beinhaltet, kann eine Straßenverbindung auch dann "offensichtlich verkehrsgünstiger" sein als die kürzeste Verbindung, wenn sich dies aus Besonderheiten einer im Rahmen der kürzesten Straßenverbindung zu nutzenden Fährverbindung wie langen Wartezeiten, häufig auftretenden technischen Schwierigkeiten oder Auswirkungen der Witterungsbedingungen auf den Fährbetrieb ergibt. Führen solche Umstände dazu, dass sich der Steuerpflichtige auf den Fährbetrieb im Rahmen der Planung von Arbeitszeiten und Terminen nicht hinreichend verlassen kann, so ist dies im Rahmen der Beurteilung der Verkehrsgünstigkeit einer Straßenverbindung zu berücksichtigen.
Erweist sich eine vom Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzte Straßenverbindung nicht als "offensichtlich verkehrsgünstiger" als die kürzeste Verbindung, so können Kosten für die Fähre nicht als Werbungskosten angesetzt werden, wenn der Steuerpflichtige die Fährverbindung tatsächlich nicht genutzt hat. Die unterschiedliche Behandlung eines Steuerpflichtigen, der die vom Gesetzgeber zum Abzug zugelassenen Aufwendungen für die kürzeste Straßenverbindung einschließlich tatsächlich angefallener Fährkosten geltend macht, gegenüber einem Steuerpflichtigen, der eine andere nicht "offensichtlich verkehrsgünstigere" Verbindung gewählt hat, folgt unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung, die der Berechnung der als Werbungskosten abziehbaren Aufwendungen die kürzeste Verbindung zugrunde legt.