Arbeitsplatz beim Kunden stellt keine Betriebsstätte dar

Ein beim Kunden zur Verfügung gestellter Arbeitsplatz stellt keine Betriebsstätte des Arbeitgebers noch des selbständigen Freiberuflers dar.

FG Münster Urteil vom 10.07.2013 (Aktenzeichen 10 K 1769/11 E)

Begründung:

Bei den dem Kläger im Streitjahr für seinen Pkw entstandenen Aufwendungen handelt es sich um Betriebsausgaben i. S. von § 4 Abs. 4 EStG, weil dieses Fahrzeug weit überwiegend betrieblich genutzt wurde und deshalb zum notwendigen Betriebsvermögen des Klägers gehörte. Die Fahrten nach S sind auch betrieblich veranlasst. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Zu Unrecht geht der Beklagte jedoch davon aus, dass diese Aufwendungen teilweise einem Abzugsverbot gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Sätze 1 und 2 EStG unterliegen. Nach dieser Regelung dürfen Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Wege zwischen Wohnung und Betriebsstätte den Gewinn nur in dem durch § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG bestimmten Umfang mindern. Danach sind Fahrten eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte mit der Entfernungspauschale von € 0,30 für jeden vollen Entfernungskilometer, höchstens € 4.500,- im Kalenderjahr, abgegolten; ein höherer Betrag als € 4.500,- ist anzusetzen, soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zu Nutzung überlassenen Kraftwagen benutzt.

Diese Vorschrift ist im Streitfall nicht anzuwenden, weil der Kläger bei der aus Gründen der Gleichbehandlung gebotenen Anwendung der neueren BFH-Rechtsprechung zur regelmäßigen Arbeitsstätte von Arbeitnehmern auch auf die übrigen Steuerpflichtigen im Streitjahr 2009 am Sitz der Steuerberaterpraxis keine Betriebsstätte im Sinne des§ 12 AO oder des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG unterhielt und damit auch keine Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte vorlagen.

 Eine Betriebsstätte im Sinne von § 12 S. 1 AO liegt nicht vor. Diese erfordert, dass der Unternehmer eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht über die von ihm genutzte Geschäftseinrichtung oder Anlage hat. Das bloße Tätigwerden in den Räumlichkeiten des Vertragspartners genügt für sich genommen selbst dann nicht zur Begründung der erforderlichen Verfügungsmacht, wenn die Tätigkeit über mehrere Jahre hinweg erbracht wird. Im Streitfall war dem Kläger die Nutzung seines Arbeitsplatzes in S nur im Rahmen seiner Tätigkeit für die Steuerberaterpraxis eingeräumt. Ein eigenständiges Nutzungsrecht bestand nicht. Insbesondere konnte ihm die Nutzungsmöglichkeit jederzeit entzogen werden.

 Der Senat verkennt nicht, dass die bisherige BFH-Rechtsprechung den Begriff der Betriebsstätte im Sinne des § 6 Abs. 5 Nr. 6 Satz 1 EStG abweichend von § 12 AO definiert und unter „Betriebsstätte“ jede (von der Wohnung getrennte) Beschäftigungsstätte des Steuerpflichtigen versteht. Als regelmäßige Betriebstätte war danach der Ort zu verstehen, an dem der Unternehmer die geschuldete Leistung mit einer gewissen Nachhaltigkeit zu erbringen hatte; anders als in § 12 AO war eine abgrenzbare Fläche oder Räumlichkeit und eine hierauf bezogene Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen nicht erforderlich.

Demgegenüber konnten im eigenen Wohnhaus belegene oder in die private Sphäre eingebundene Räumlichkeiten nicht als Betriebsstätte im Sinne von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG qualifiziert. Damit wurden entsprechend dem Regelungszweck des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG, Unternehmer und Arbeitnehmer hinsichtlich der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Betriebsstätte gleich behandelt und die tatbestandlichen Voraussetzungen für Arbeitsstätte und Betriebsstätte gleich interpretiert.

 Nach dieser bisherigen Rechtsprechung ist das Bürogebäude eines Auftraggebers, das ein Selbständiger im Rahmen seiner Tätigkeit praktisch jeden Arbeitstag regelmäßig aufsuchte, als Betriebsstätte anzusehen, da der Selbstständige einem Arbeitnehmer vergleichbar war, der täglich zu seiner Arbeitsstätte fährt. Sein häusliches Arbeitszimmer ist keine Betriebsstätte. Bei Anwendung dieser bisherigen Rechtsprechung unterlägen die 181 Fahrten des Kläger dem begrenzten Betriebskostenabzug, da er –wie ein Arbeitnehmer seine regelmäßige Arbeitsstelle- seine Beschäftigungsstelle in S praktisch jeden Arbeitstag von seiner Wohnung aus aufgesucht hat.

Der BFH hat allerdings seine die regelmäßige Arbeitsstätte von Arbeitnehmern betreffende Rechtsprechung inzwischen aufgegeben bzw. modifiziert. Regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist nach der neueren BFH-Rechtsprechung nur noch jede ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, das heißt fortdauernd und immer wieder aufsucht; dies ist regelmäßig der Betrieb des Arbeitgebers oder ein Zweigbetrieb. Dagegen ist die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Die Vorschrift kommt demnach auch dann nicht zur Anwendung, wenn ein Arbeitnehmer bei einem Kunden des Arbeitgebers längerfristig eingesetzt ist.

Zur Begründung führt der BFH an, dass gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG alle beruflich veranlassten Aufwendungen, zu denen grundsätzlich auch Fahrt- bzw. Mobilitätskosten gehören, regelmäßig in tatsächlicher Höhe abziehbar seien. Dieser Grundsatz erfahre zwar durch § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG insoweit eine Einschränkung, als die Fahrtkosten zwischen Wohnung und (regelmäßiger) Arbeitsstätte nicht im tatsächlichen Umfang steuerlich abziehbar seien, sondern nur nach Maßgabe einer Entfernungspauschale. Diese Durchbrechung des Prinzips des Begrenzung sei im Grundsatz sachlich gerechtfertigt, da sich ein Arbeitnehmer bei einer auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegten (regelmäßigen) Arbeitsstätte in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken könne.

Dies könne etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und ggf. durch eine entsprechende Wohnsitznahme geschehen. Für diesen Fall erweise sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip. Dagegen sei die Durchbrechung der vollen Abziehbarkeit beruflich veranlasster Mobilitätskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sachlich nicht gerechtfertigt, wenn keine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte vorliege, auf die sich der Arbeitnehmer typischerweise in der aufgezeigten Weise einstellen könne. Dies sei insbesondere bei Auswärtstätigkeiten der Fall. Ein auswärts tätiger Arbeitnehmer habe typischerweise nicht die vorgezeichneten Möglichkeiten, seine Wegekosten gering zu halten, insbesondere scheide ein Familienumzug an die Tätigkeitsstätte aus. Entsprechendes treffe auch auf einen Arbeitnehmer zu, der vorübergehend ausschließlich am Betriebssitz eines Kunden für seinen Arbeitgeber tätig ist.

Dementsprechend ist der BFH in seinem Urteil vom 10.7.2008 VI R 21/07, BStBl II 2009, 818 auch bei einem Arbeitnehmer, der vorübergehend ausschließlich am Betriebssitz eines Kunden für seinen Arbeitgeber tätig ist, davon ausgegangen, dass dieser typischerweise nicht die Möglichkeit hat, sich auf diese Tätigkeitsstätte einzustellen. Hieraus hat der BFH geschlossen, dass die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist, und insoweit ausgeführt, dass diese Vorschrift auch dann nicht zur Anwendung kommt, wenn ein Arbeitnehmer bei einem Kunden längerfristig eingesetzt wird. Denn die Beurteilung, ob sich ein Arbeitnehmer in der genannten Weise auf eine bestimmte Tätigkeitsstätte einstellen kann, habe stets aus der Sicht zum Zeitpunkt des Beginns der jeweiligen Tätigkeit ("ex ante") zu erfolgen. Solle ein Arbeitnehmer in der betrieblichen Einrichtung eines Kunden seines Arbeitgebers eingesetzt werden, so sei prägend für diese Sicht des Arbeitnehmers allein das Arbeitsverhältnis und nicht die Vertragsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Kunde. Auf die konkrete Ausgestaltung und die Dauer jener vertraglichen Beziehung könne und müsse sich der Arbeitnehmer typischerweise weder rechtlich noch faktisch mit dem Ergebnis der Minderung der Wegekosten einstellen. Vielmehr sei es gerade Ausdruck des Arbeitsverhältnisses, dass der beim Kunden eingesetzte Arbeitnehmer hinsichtlich des Orts, an dem er seine Arbeitsleistung zu erbringen hat, in besonderer Weise dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliege. Auch bei längerfristigem Einsatz beim Kunden stehe die dortige Tätigkeit unter einem dem Einfluss des Arbeitnehmers entzogenen Vorbehalt, dass die vom Arbeitsverhältnis unabhängige Vertragsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Kunde Bestand hat.

Der Senat ist der Auffassung, dass die geänderte Rechtsprechung des BFH zur regelmäßigen Arbeitsstätte in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG entsprechend auch hinsichtlich der Auslegung des Begriffs der Betriebsstätte in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG anzuwenden ist. Das Erfordernis einer entsprechenden Auslegung ergibt sich insbesondere aus der bereits nach der bisherigen Rechtsprechung zum Betriebsstättenbegriff verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung von Arbeitnehmern und Unternehmern in Bezug auf den Abzug von Fahrtkosten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeits- bzw. Betriebsstätte (vgl. BVerfG-Beschluss vom 2.10.1969 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58; so auch Urteile des Finanzgerichts Münster vom 22.3.2013 4 K 4834/10 E, EFG 2013, 839; des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 27.10.2011 3 K 1849/09, EFG 2012, 310).

Ebenso wie ein Arbeitnehmer, der an wechselnden Arbeitsstellen oder in der betrieblichen Einrichtung eines Kunden des Arbeitsgebers eingesetzt ist, kann auch ein in einer betrieblichen Einrichtung eines Kunden tätiger selbstständiger Unternehmer regelmäßig nicht durch Bildung von Fahrgemeinschaften oder die Verlegung seines Wohnsitzes die Fahrtkosten minimieren. Denn auch für ihn ist es –ebenso wie für einem Arbeitnehmer, der in der Einrichtung eines Kunden tätig ist- typischerweise ungewiss, wie lange die vertragliche Beziehung zu seinem Kunden erhalten bleibt, da –soweit nicht ausnahmsweise langfristige Verträge abgeschlossen sind– das Auftragsverhältnis üblicherweise jederzeit kurzfristig beendet werden kann. Insoweit kann auch ein Unternehmer aus der maßgeblichen Sicht zum Zeitpunkt des Beginns der jeweiligen Tätigkeit regelmäßig nicht beurteilen, wie lange seine Tätigkeit in der betrieblichen Einrichtung seines Auftraggebers fortdauern wird. Selbst wenn er –anders als hier der Kläger- lediglich für einen Kunden tätig ist, ist es ihm daher regelmäßig nicht zumutbar, seinen Fahrtaufwand dadurch zu reduzieren, dass er seinen Wohnsitz in die Nähe der betrieblichen Einrichtung des Kunden verlegt. Dies gilt erst recht, wenn ein Unternehmer nicht nur für einen einzigen Kunden in dessen betrieblicher Einrichtung, sondern daneben für weitere Kunden tätig ist.

Im Übrigen spricht auch der in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 EStG enthaltene Verweis, wonach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 insgesamt und nicht nur in Bezug auf seine Rechtsfolgen anzuwenden ist, für eine gleichartige Auslegung beider Vorschriften. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze und der gebotenen Gesamtwürdigung der Umstände des Streitfalls hatte der Kläger im Streitjahr 2009 keine Betriebsstätte im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG in S, sodass die streitigen Fahrtkosten dorthin in vollem Umfang als Betriebsausgaben zu berücksichtigen sind.

Es war dem Kläger –ähnlich einem Arbeitnehmer, der in der Einrichtung eines Kunden seines Arbeitgebers tätig ist- nicht möglich und zumutbar, etwa durch Verlegung seines Wohnsitzes seine Fahrtkosten zu minimieren, da er nicht von einer dauerhaften und regelmäßigen Tätigkeit in der betrieblichen Einrichtung der Steuerberaterpraxis in S ausgehen konnte. Gegen eine von vornherein langfristig angelegte Tätigkeitsstätte in S spricht bereits, dass der Kläger lediglich als freier Mitarbeiter für die Steuerberaterpraxis tätig war und Absprachen über die Dauer und die Länge der Zusammenarbeit nicht getroffen waren. Insoweit war das Auftragsverhältnis jederzeit kündbar. Zudem richtete sich der Umfang der Tätigkeit nach dem Arbeitsanfall der Steuerberaterpraxis, sodass der Kläger nicht nur vom Bestehen des Auftragsverhältnisses mit der Steuerberaterpraxis, sondern auch von den nicht in seinem Einflussbereich liegenden weiteren Vertragsverhältnissen zwischen der Steuerberaterpraxis und deren Mandanten abhängig war. Dagegen sind Umstände, nach denen der Kläger von vorneherein von einem über lange Jahre gesichertem Auftragsverhältnis hätte ausgehen können, weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Hiergegen spricht auch, dass der mit der Steuerberaterpraxis erzielte Umsatzanteil nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Klägers von im Streitjahr rund 61% auf im Jahre 2010 unter 45% gesunken ist und sich 2011 noch weiter reduziert hat.