Reinvestitionsfrist und Anforderungen an Investitionsabsicht

Nach Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung ist die Reinvestition innerhalb von vier Wirtschaftsjahren nach der Bildung der Rücklage auszuführen. Bei der beabsichtigten Herstellung eines neuen funktionsgleichen Gebäudes beträgt die Frist sechs Wirtschaftsjahre. Soweit das Ersatzwirtschaftsgut bis zum Ablauf der Frist nicht angeschafft oder hergestellt worden ist, ist die Rücklage bei Fristablauf gewinnerhöhend aufzulösen (Abweichung von R 35 EStR a.F.).

Es wird widerleglich vermutet, dass die bei Bildung der Rücklage nachgewiesene Investitionsabsicht bis zum Fristablauf fortbesteht. Wird festgestellt, dass die Investitionsabsicht vor Ablauf der Reinvestitionsfrist aufgegeben worden ist, ist die Rücklage für Ersatzbeschaffung im Zeitpunkt der Aufgabe der Absicht aufzulösen.

BFH Urteil vom 12.1.2012, IV R 4/09

Begründung:

Nach den von der Rechtsprechung entwickelten und von der Finanzverwaltung in R 35 EStR a.F. (jetzt R 6.6 EStR 2008) übernommenen Grundsätzen zur sog. Rücklage für Ersatzbeschaffung kann eine Gewinnrealisierung durch Aufdeckung stiller Reserven vermieden werden, wenn ein Wirtschaftsgut aufgrund höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und alsbald ein funktionsgleiches Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird. Bei der Rücklage für Ersatzbeschaffung handelt es sich um ein inzwischen gewohnheitsrechtlich anerkanntes Rechtsinstitut, dem der Gedanke zugrunde liegt, dass die für die ausgeschiedenen Wirtschaftsgüter erlangten Beträge ungeschmälert einer Ersatzbeschaffung zur Verfügung stehen sollen, was nicht möglich wäre, wenn sie zum Teil besteuert würden. 

Zweck der Anerkennung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung und deren Übertragung auf ein Ersatzwirtschaftsgut ist danach nicht allein, die als unbillig empfundene Besteuerung eines Gewinns, der durch die zwangsweise Aufdeckung stiller Reserven entsteht, zu vermeiden; vielmehr soll es dem Steuerpflichtigen ermöglicht werden, die erlangte Entschädigung ungeschmälert zur Wiederbeschaffung des Ersatzwirtschaftsguts zu verwenden.

Die Bildung der Rücklage bewirkt, dass der durch die Ersatzforderung bzw. Ersatzleistung realisierte Gewinn neutralisiert wird. Ihre Bildung setzt aber voraus, dass die Absicht zur Ersatzbeschaffung besteht; andernfalls bleibt es bei der Gewinnerhöhung. Der Steuerpflichtige hat das Bestehen der Ersatzbeschaffungsabsicht darzulegen und nachzuweisen. Ein bilanzierender Steuerpflichtiger dokumentiert diese Absicht bereits durch die ordnungsgemäße Bildung der Rücklage in seiner Bilanz. Ein darüber hinausgehender Nachweis oder eine Glaubhaftmachung der Reinvestitionsabsicht wird für die erstmalige Bildung der Rücklage nicht verlangt, solange dem Steuerpflichtigen die Vornahme der Investition objektiv möglich ist.

Die Rücklage für Ersatzbeschaffung muss gewinnerhöhend aufgelöst werden, wenn die Absicht der Ersatzbeschaffung aufgegeben wird. Sie ist außerdem aufzulösen, wenn die Reinvestition nicht innerhalb einer bestimmten Frist durchgeführt wird.

Nach Auffassung der Finanzverwaltung beträgt die angemessene Reinvestitionsfrist bei Ausscheiden eines Grundstücks oder Gebäudes aus dem Betriebsvermögen zwei Jahre; die Frist soll im Einzelfall angemessen verlängert werden können, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass die Ersatzbeschaffung noch ernstlich geplant und zu erwarten sei, aber aus besonderen Gründen noch nicht habe durchgeführt werden können (R 35 Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStR a.F.). Dieser Auffassung schließt sich der Senat nicht an. Er hält es aus Vereinfachungsgründen und zur Verwirklichung eines gleichmäßigen und vorhersehbaren Gesetzesvollzugs für angebracht, die Frage nach einer angemessenen Reinvestitionsfrist unter Berücksichtigung des in § 6b Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG allgemein zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens zu beantworten. Zu einer solchen Konkretisierung des von ihr entwickelten Rechtsinstituts der Rücklage für Ersatzbeschaffung ist die Rechtsprechung befugt.

§ 6b Abs. 1 EStG eröffnet die Möglichkeit, die bei der Veräußerung bestimmter Anlagegüter aufgedeckten stillen Reserven auf ein im Wirtschaftsjahr der Veräußerung angeschafftes oder hergestelltes Ersatzwirtschaftsgut zu übertragen. Nach § 6b Abs. 3 EStG kann der Steuerpflichtige die stillen Reserven auch auf ein später angeschafftes oder hergestelltes Wirtschaftsgut übertragen, indem er im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine gewinnmindernde Rücklage bildet und diese im Reinvestitionsjahr gegen Minderung der Anschaffungs- und Herstellungskosten auflöst. Hierfür sieht § 6b Abs. 3 Satz 2 EStG eine Frist von vier Wirtschaftsjahren vor. Diese Frist verlängert sich nach § 6b Abs. 3 Satz 3 EStG bei neu hergestellten Gebäuden auf sechs Jahre, wenn mit deren Herstellung vor dem Schluss des vierten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahres begonnen worden ist. Eine darüber hinausgehende Verlängerungsmöglichkeit sieht § 6b EStG nicht vor.

§ 6b EStG dient einem der Rücklage für Ersatzbeschaffung vergleichbaren Zweck. Die Vorschrift soll steuerliche Hindernisse für die Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens abbauen, die im Unternehmen nicht mehr benötigt werden und deren Veräußerung betriebswirtschaftlich geboten und volkswirtschaftlich wünschenswert wäre. Insoweit soll sie die Veräußerung dieser Wirtschaftsgüter begünstigen und damit eine sinnvolle Anpassung der Unternehmen an strukturelle Veränderungen ermöglichen. Indem die anlässlich solcher Veräußerungen frei werdenden stillen Reserven auf Reinvestitionsgüter übertragen werden können, kommt es zur vorläufigen Freistellung des Veräußerungsgewinns von der Einkommensbesteuerung, was dem Betrieb Mittel für dringend erforderliche Investitionsvorhaben verschafft.

Vor diesem Hintergrund wird die Zweckbindung von Veräußerungsgewinn einerseits und Reinvestitionsmaßnahme andererseits bei Bildung der Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG dadurch hergestellt, dass sie nach Ablauf der Reinvestitionsfrist von vier Jahren aufzulösen ist, wenn bis zu diesem Zeitpunkt ein Reinvestitionsgut nicht angeschafft oder hergestellt oder bei Gebäuden mit der Herstellung noch nicht begonnen worden ist.

Der Senat hält es deshalb für angebracht, für die Bemessung einer angemessenen Reinvestitionsfrist an den in § 6b Abs. 3 EStG zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken anzuknüpfen. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, in Fällen der Ersatzbeschaffung nach R 35 EStR a.F. eine kürzere Investitionsfrist vorzusehen, als sie von § 6b Abs. 3 EStG geregelt wird. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass von § 6b EStG privilegierte geplante Reinvestitionsmaßnahmen regelmäßig längerfristig vorbereitet werden, während die Ersatzbeschaffung eines Wirtschaftsguts wegen seines Untergangs aufgrund höherer Gewalt den Steuerpflichtigen unvorbereitet trifft und eine Reinvestition deshalb mindestens denselben Zeitbedarf auslöst.

Vor diesem Hintergrund bemisst der Senat die Reinvestitionsfrist entsprechend dem Rechtsgedanken des § 6b Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG auf einen Zeitraum von vier Wirtschaftsjahren nach der Bildung der Rücklage. Für die Herstellung eines neuen –im Bereich der Rücklage für Ersatzbeschaffung funktionsgleichen Gebäudes beträgt die Reinvestitionsfrist sechs Jahre. Auf einen bestimmten Herstellungsbeginn kommt es dabei im Unterschied zur Regelung in § 6b Abs. 3 Satz 3 EStG nicht an, weil die Bildung der Rücklage für Ersatzbeschaffung bereits  den Nachweis der Investitionsabsicht erfordert und die Umsetzung dieser Absicht regelmäßig zu einem frühzeitigen Herstellungsbeginn führen wird. Eine über diese Fristen hinausgehende Möglichkeit zur Fristverlängerung im Einzelfall besteht nicht.

Während des Laufs der Reinvestitionsfrist bedarf es keiner ständigen Überprüfung, ob die ursprünglich festgestellte Investitionsabsicht noch fortbesteht. Der Fortbestand der Absicht wird widerleglich vermutet. Bestehen im Einzelfall Anhaltspunkte für eine Aufgabe der Investitionsabsicht, hat das FA diese darzulegen und ggf. nachzuweisen.