Zur inhaltlichen Bestimmtheit eines Steuerbescheids im Erbfall

Ein Steuerbescheid, mit dem das Finanzamt einen Miterben für die Steuerschuld des vor Durchführung der Einkommensteuerveranlagung verstorbenen Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt, muss den Erfordernissen des § 157 AO genügen. Die Bezeichnung des Miterben als „Rechtsnachfolger” des Erblassers in diesem Kontext kann unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zur Bestimmung des Steuerschuldners genügen.

BFH Urteil vom 27.10.2015 – VIII R 59/13 BFH/NV 2016, 726

Sachverhalt:

Streitig ist, ob die gegenüber dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erfolgte Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2005 nichtig ist. Der Kläger ist Steuerberater und Erbe des am 6. April 2006 verstorbenen J.H. Ausweislich des Erbscheins vom 21. März 2007 wurde J.H. von G.P., B.S. und N.P. zu jeweils 1/9 sowie von F.T. und dem Kläger zu jeweils 1/3 beerbt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) erließ am 27. März 2007 einen auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhenden, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid 2005, den er an „Herrn RA C. … als Nachlasspfleger für Herrn J.H.” bekannt gab. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

Begründung:

Der Einkommensteueränderungsbescheid vom 1. Februar 2010 war nicht wegen mangelnder Bestimmtheit des Inhaltsadressaten nichtig. Ein Steuerbescheid muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 119 Abs. 1 der Abgabenordnung –AO–). Dazu muss er angeben, wer die Steuer schuldet (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO). Lässt ein Bescheid den Schuldner nicht erkennen oder bezeichnet er ihn so ungenau, dass Verwechslungen nicht ausgeschlossen sind, kann er wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nicht befolgt werden und ist unwirksam.

Auch ein Steuerbescheid, mit dem ein Erbe als Gesamtrechtsnachfolger für die Steuerschuld des vor Durchführung der Einkommensteuerveranlagung verstorbenen Steuerpflichtigen in Anspruch genommen werden soll, muss angeben, wer die Steuer schuldet. Steuerschuldner in diesem Sinne ist in solchen Fällen der Gesamtrechtsnachfolger. Dieser ist (noch) hinreichend bezeichnet, wenn der Bescheid als Adressaten der Steuerfestsetzung den Rechtsvorgänger zu Händen des Rechtsnachfolgers als Erben ausweist.

Wurde der Erblasser von mehreren Personen beerbt und sind diese deshalb Gesamtschuldner, so steht es dem FA frei, ob es sämtliche Miterben in einem nach § 155 Abs. 3 AO zusammengefassten Bescheid heranziehen will. Gibt das FA einen Steuerbescheid im Wege der Einzelbekanntgabe bekannt, so ist nur der betreffende Erbe in der geschilderten Weise als Steuerschuldner zu bezeichnen. Denn nur ihm gegenüber dient dieser Bescheid als Grundlage der Steuererhebung (§ 218 Abs. 1 AO). Ein Hinweis auf die Inanspruchnahme anderer Gesamtschuldner ist nicht erforderlich.

Welchen Regelungsgehalt ein Verwaltungsakt hat, ist über den bloßen Wortlaut hinaus im Wege der Auslegung zu ermitteln). Maßgebend für die Auslegung eines Verwaltungsakts ist der objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Empfänger nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Es kommt grundsätzlich nicht darauf an, was die Finanzbehörde erklären wollte oder wie ein außenstehender Dritter den Verwaltungsakt auffassen konnte. Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus deren Sphäre nicht benachteiligt werden.

Nach diesen Grundsätzen ist der Einkommensteueränderungsbescheid vom 1. Februar 2010 –entgegen der Auffassung des FG– nicht nichtig, denn wer Inhaltsadressat und Schuldner der Steuer ist, ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit.Die in dem Bescheid vom 1. Februar 2010 verwendete Bezeichnung des Klägers als „Rechtsnachfolger des verstorbenen J.H.” ist nicht –wie das FG meint– eindeutig falsch, sondern zutreffend. Der Kläger ist Rechtsnachfolger des verstorbenen J.H. Dass er als Erbe Gesamtrechtsnachfolger des J.H. geworden ist (vgl. § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), ändert an der Richtigkeit der Bezeichnung „Rechtsnachfolger” nichts. Als Oberbegriff ist diese Bezeichnung möglicherweise weniger präzise als die Bezeichnung „Gesamtrechtsnachfolger”, sie ist jedoch nicht falsch, und zwar auch nicht unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger einer von mehreren Gesamtrechtsnachfolgern nach dem verstorbenen J.H. war.

Der Kläger konnte aus der Bezeichnung „Rechtsnachfolger” nach dem verstorbenen J.H. mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass er als Erbe für die Steuerverbindlichkeiten des J.H. herangezogen werden sollte (vgl. § 45 AO). Ein Hinweis auf die Inanspruchnahme der weiteren Erben –d.h. anderer Gesamtschuldner– war nicht erforderlich. Der an den Kläger gerichtete Bescheid vom 1. Februar 2010 ist auch nicht deshalb unbestimmt, weil die übrigen Miterben nicht namentlich benannt waren. Denn ungeachtet dieses Umstandes ergab sich für den Kläger –wie dargelegt– seine Steuerschuldnerschaft als Rechtsnachfolger des J.H. mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Inhalt des Bescheides.

Auch der Umstand, dass das FA am 1. Februar 2010 gegenüber den Miterben einen inhaltsgleichen Bescheid erlassen hat, ohne dessen Verhältnis zu dem an den Kläger gerichteten Bescheid klarzustellen, führt nicht zur Nichtigkeit. Es liegen nicht zwei verschiedene Versionen einer Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr vor, deren Verhältnis zueinander unklar oder widersprüchlich ist. Vielmehr existiert eine Steuerfestsetzung vom 1. Februar 2010, die im Wege der Einzelbekanntgabe einerseits an den Kläger und andererseits an die übrigen Miterben übermittelt worden ist.