Einheitliche Auslegung der Begriffe “Summe der Einkünfte” in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG und § 2 Abs. 3 EStG

Unter der "Summe der Einkünfte" i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ist derjenige Saldo zu verstehen, der nach horizontaler und vertikaler Verrechnung der Einkünfte verbleibt. Versagt das Gesetz –wie in § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG im Falle eines Verlustes aus privaten Veräußerungsgeschäften– die Verrechnung eines Verlustes aus einer Einkunftsart mit Gewinnen bzw. Überschüssen aus anderen Einkunftsarten, fließt dieser Verlust nicht in die "Summe der Einkünfte" ein.

BFH Beschluss vom 26.3.2013, VI R 22/11

Begründung:

Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt. Da die Klägerin den Antrag auf Vornahme einer Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG im Einspruchsverfahren zurückgenommen hat, kommt eine Veranlagung nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen einer Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 EStG vorliegen.

Nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2007 wird eine Veranlagung nur durchgeführt, wenn die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, mehr als 410 EUR beträgt.

Die Einkünfte i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG bestimmen sich nach Grund und Höhe nach Maßgabe der §§ 2 bis 24 EStG. Für den Streitfall bedeutet dies, dass in die Berechnung der Summe der Einkünfte i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG dem Grunde nach auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG einzubeziehen sind (§ 22 Nr. 2 EStG). Einkünfte können grundsätzlich auch vorliegen, wenn die Erwerbsaufwendungen die Einnahmen übersteigen. Da die in die Summe der Einkünfte einzurechnenden Beträge sich nicht nur dem Grunde nach, sondern auch bezüglich ihrer Höhe nach den §§ 2 bis 24 EStG bestimmen, ist für den Ansatz von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften auch § 23 Abs. 3 EStG anzuwenden.

Die Höhe eines Veräußerungsgewinns oder –verlustes errechnet sich danach aus dem Unterschiedsbetrag zwischen Veräußerungspreis einerseits und den Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den Werbungskosten andererseits (§ 23 Abs. 3 Satz 1 EStG). Weiter dürfen nach § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG Verluste nur bis zur Höhe des Gewinns, den der Steuerpflichtige im gleichen Kalenderjahr aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat, ausgeglichen werden. Ein negativer Saldo aus Veräußerungspreis, Anschaffungs- und Werbungskosten i.S. des § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG ist danach im Rahmen der Ermittlung der Summe der Einkünfte eines Streitjahres i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nur anzusetzen, wenn und soweit hierdurch ein Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften ausgeglichen wird. Fehlt es hieran, ist ein Veräußerungsverlust nicht in die Berechnung der Summe der Einkünfte einzubeziehen.

Für diese Auslegung des Begriffs der Summe der Einkünfte i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG spricht auch, dass sie zu einer einheitlichen Auslegung der Begriffe der "Summe der Einkünfte" in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG und § 2 Abs. 3 EStG führt. Unter der "Summe der Einkünfte" i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG und des § 2 Abs. 3 EStG ist derjenige Saldo zu verstehen, der nach horizontaler und vertikaler Verrechnung der Einkünfte verbleibt. Versagt das Gesetz –wie hier in § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG– die Verrechnung eines Verlustes aus einer Einkunftsart mit Gewinnen bzw. Überschüssen aus anderen Einkunftsarten, fließt dieser Verlust nicht in die "Summe der Einkünfte" ein. Dies geschieht erst, wenn und soweit in folgenden Veranlagungszeiträumen eine Verrechnung mit positiven Einkünften zulässig ist. Eine einheitliche Auslegung von Grundbegriffen des Einkommensteuerrechts innerhalb desselben Gesetzes ist geboten, soweit nicht zwingende Gründe eine unterschiedliche Auslegung erfordern.

Im Streitfall erscheint eine von den für das Streitjahr geltenden Vorschriften für die Ermittlung der Summe der Einkünfte abweichende Auslegung des Begriffs der Summe der Einkünfte i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht geboten. Vielmehr fordert der Sinn und Zweck des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG die hier vorgenommene Auslegung. Ziel der nach § 46 Abs. 2 EStG durchzuführenden Veranlagung ist die Herstellung steuerlicher Gleichheit zwischen allen Steuerpflichtigen durch Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer (vgl. BFH-Urteil in BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 1967  1 BvR 679/64, BVerfGE 23, 1, BStBl II 1968, 70). Der mit der Vorschrift angestrebten Steuergerechtigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung widerspräche es, bezöge man einen nach § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG im Streitjahr nicht anzusetzenden Verlust in die Berechnung der Summe der Einkünfte i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ein. Dies würde einem Steuerpflichtigen, der Nebeneinkünfte in erheblicher Höhe bezogen hat, ermöglichen, durch Gegenrechnung eines im Rahmen der Besteuerung des Streitjahres letztlich nicht zu berücksichtigenden Verlustes eine Veranlagung und damit die zutreffende Steuerfestsetzung zu vermeiden.