Zur Umsatzsteuerbefreiung von Subunternehmerleistungen im Bereich der ambulanten Eingliederungshilfe

Leistungen im Bereich der ambulanten Eingliederungshilfe, die eine selbständig tätige Psychologische Beraterin als “sonstige qualifizierte Person” gegenüber zugelassenen Anbietern für hilfsbedürftige Personen erbringt, waren im Jahr 2010 nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k (jetzt: Buchst. l) UStG steuerfrei, wenn diese Leistungen aufgrund eines Hilfeplans vom Träger der Sozialhilfe bewilligt und mittelbar vergütet wurden.

BFH Urteil vom 13.6.2018, XI R 20/16

Begründung:

Das FG hat zu Recht entschieden, dass die von der Klägerin als Subunternehmerin im Rahmen der ambulanten Eingliederungshilfe an die Leistungserbringer B und C ausgeführten Umsätze steuerfrei sind. Dabei ist es zutreffend davon ausgegangen, dass die Steuerfreiheit der im Rahmen der ambulanten Eingliederungshilfe an B und C erbrachten Leistungen aus einer richtlinienkonformen Auslegung von § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG 2009 folgt. Hinsichtlich der verbleibenden an D sowie E ausgeführten Umsätze in Höhe von … EUR und … EUR kommt die Kleinunternehmerregelung zur Anwendung, so dass es die Umsatzsteuer für das Streitjahr zu Recht auf 0 EUR festgesetzt hat.
Die Klägerin war im Streitjahr –was das FG konkludent vorausgesetzt hat und zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht– im Bereich der ambulanten Eingliederungshilfe selbständig tätig. Sie hat als Unternehmerin i.S. von § 2 Abs. 1 UStG steuerbare Leistungen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG im Rahmen ihres Unternehmens ausgeführt.

Zur Umsatzsteuerbefreiung für Umsätze der ambulanten Pflege

Leistungen der sog. 24-Stunden-Pflege von privatrechtlichen Einrichtungen zur ambulanten Pflege waren in den Jahren 2005 und 2006 nur dann umsatzsteuerfrei, wenn im Vorjahr oder im jeweiligen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 % der Pflegefälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind. Diese Einschränkung ist weder unionsrechtswidrig noch verfassungswidrig.

BFH Urteil vom 28.06.2017 – XI R 23/14 BFH/NV 2017, 1561

Sachverhalt:

Streitig ist, ob der Kläger, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionskläger (Kläger) als Organträger die Umsatzsteuer für Umsätze der Z-GmbH (GmbH) auch nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH schuldet, ob die dem Kläger zuzurechnenden Umsätze der GmbH im Bereich der ambulanten Pflege und der Personalgestellung umsatzsteuerfrei sind (Revision) sowie ob in der “Verpachtung” von Teilen eines Patientenstamms eine nicht umsatzsteuerbare Geschäftsveräußerung liegt (Anschlussrevision).
Der Kläger ist Krankenpfleger. Seit 1995 betrieb er als Einzelunternehmer einen ambulanten Pflegedienst in X. Seine Leistungen beruhten auf Verträgen mit Krankenkassen, Pflegekassen und Sozialämtern, wobei er sich zunächst mit ca. fünf angestellten Pflegekräften der klassischen Krankenpflege widmete. Seit Ende der 1990er Jahre kam schwerpunktmäßig die sog. 24-Stunden-Pflege hinzu.
Im Jahr 2003 gründete der Kläger die GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer er war. Sodann übernahm die GmbH den Geschäftsbereich der sog. 24-Stunden-Pflege.
Am 29. Juli 2004 schloss die GmbH mit verschiedenen Pflegekassen, mit Verbänden von Krankenkassen, mit der Bundesknappschaft sowie mit der Stadt Y als Sozialhilfeträger jeweils einen Versorgungsvertrag gemäß § 72 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI). Bereits am 12. August 2003 (im Vorgriff auf diesen Versorgungsvertrag) und am 21. Juni 2005 (auf Basis des Vertrages) hatte die GmbH Vergütungsvereinbarungen mit den Vertragspartnern getroffen. Für die 24-Stunden-Pflege stellte die GmbH den gepflegten Personen entsprechend den getroffenen Vereinbarungen monatlich jeweils 2.750 EUR in Rechnung.
I
n den Jahren 2004 bis 2006 wurde unstreitig die für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. e des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der für die Streitjahre (2005 und 2006) geltenden Fassung (a.F.) erforderliche 40 %-Grenze von der GmbH nicht erreicht.
Mit Wirkung ab dem 1. Februar 2006 “verpachtete” die GmbH an Frau… (W) den aus einer Patientenliste ersichtlichen Patientenstamm. Der “Pachtzins” betrug monatlich inklusive “Mehrwertsteuer” 12.000 EUR; eine Rückübertragung von Verträgen zwischen Patienten und W an die GmbH war ausgeschlossen.
Die Mitarbeiterinnen, die die vom Pachtvertrag betroffenen Patienten pflegten, waren weiter bei der GmbH angestellt, wurden jedoch an W ausgeliehen.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Y vom… November 2006 4 IN…/06 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt E zum Insolvenzverwalter bestellt. Bereits mit Beschluss vom… September 2006 war Rechtsanwalt E zum vorläufigen Insolvenzverwalter der GmbH bestellt worden; Verfügungen der Schuldnerin waren nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Insolvenzordnung –InsO–). Schuldnern der GmbH wurde verboten, an die GmbH zu zahlen. Der vorläufige Insolvenzverwalter wurde ermächtigt, Forderungen der GmbH einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen.

Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) vertrat nach Durchführung einer Außenprüfung die Auffassung, dass der Kläger Organträger der GmbH sei. Das FA war außerdem der Auffassung, dass die Umsätze der GmbH nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. steuerfrei seien, da die nach dieser Vorschrift erforderliche 40 %-Grenze für das jeweilige Vorjahr nicht erreicht worden sei.

Am 17. August 2007 erließ das FA einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2005 und am 4. Dezember 2008 einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2006. Mit Einspruchsentscheidung vom 7. Januar 2009 wies das FA die Einsprüche des Klägers als unbegründet zurück. Im Laufe des Klageverfahrens änderte das FA am 24. März 2011 den Umsatzsteuerbescheid für 2006.
Mit der Klage machte der Kläger geltend:
– die Annahme der Organschaft sei wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Rechtsformneutralität rechtswidrig;
– die ihm zuzurechnenden Umsätze der GmbH seien nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) steuerfrei.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage überwiegend statt. Es führte aus, zwar seien die Umsätze der GmbH für den Zeitraum bis einschließlich August 2006 aufgrund einer bestehenden Organschaft beim Kläger als Organträger zu erfassen. Die Umsätze aus den Pflegeverträgen seien jedoch steuerfrei. Die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. erfülle der Kläger zwar (unstreitig) nicht. Er könne sich aber für die Steuerfreiheit der Umsätze unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG berufen.
Für das Jahr 2005 führe die Steuerfreiheit der Pflegeumsätze zur Stattgabe der Klage in vollem Umfang, da die verbleibenden steuerpflichtigen Umsätze die Kleinunternehmergrenze des § 19 Abs. 1 UStG nicht überschritten.
Für das Jahr 2006 seien nur die Umsätze aus den Pflegeverträgen steuerfrei. Die Umsätze aus dem “Pachtvertrag” seien steuerbar und steuerpflichtig. Der Pachtvertrag stelle keine Geschäftsveräußerung i.S. von § 1 Abs. 1a UStG dar. Im Streitfall sei lediglich ein Teil der Verträge mit pflegebedürftigen Personen übertragen worden. Die Umsätze aus dem “Pachtvertrag” seien auch nicht steuerfrei.

Die Entgelte für die Personalüberlassung an W in Höhe von 23.240,26 EUR seien hingegen gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei. Im Streitfall sei das entleihende Unternehmen der W eine anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter; W habe mit ihren Umsätzen die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. erfüllt.
Das FA verteidigt die angefochtene Vorentscheidung, soweit das FG eine Geschäftsveräußerung verneint hat, und rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Organschaft habe nicht bereits zum Zeitpunkt der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters geendet und die Umsätze des Klägers seien nicht steuerfrei. Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussrevision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen sowie die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung vom 7. Januar 2009, soweit die Umsatzsteuer für 2006 betroffen ist, aufzuheben sowie den Umsatzsteuerbescheid für 2006 vom 24. März 2011 dahin zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2006 auf 1.262,66 EUR festgesetzt wird.Er verteidigt die angefochtene Vorentscheidung, soweit der Klage stattgegeben wurde. Das FG habe festgestellt, dass der Kläger in allen Fällen Zahlungen der Pflegeversicherung erhalten habe. Das Merkmal “ganz oder überwiegend” in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. sei richtlinienwidrig. Die Steuerbefreiung hänge dadurch davon ab, wie wohlhabend die gepflegten Personen seien. Dies verstoße gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, den verfassungsrechtlichen und den unionsrechtlichen Gleichheitssatz sowie den unionsrechtlichen Grundsatz der Effektivität und den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Folgerichtigkeit. Er, der Kläger, trete in Konkurrenz zu freien Wohlfahrtsverbänden, deren Leistungen nach § 4 Nr. 18 UStG steuerfrei seien. Das Urteil des Bundesfinanzhofs sei unzutreffend. Eine rückwirkende Anwendung der Rechtsprechung sei unzulässig. Die Finanzverwaltung habe Pflegeleistungen der Wohlfahrtsverbände nie besteuert, obwohl das Abstandsgebot des § 4 Nr. 18 Buchst. c UStG stets verletzt worden sei. Der Kläger verweist ergänzend auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). Hilfsweise regt er an, dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der Senat sei zur Vorlage verpflichtet.

In Bezug auf die Personalgestellung an W macht der Kläger geltend, diese sei unerlaubt erfolgt. Damit bestehe ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher. Der Ausgleich zwischen Verleiher und Entleiher erfolge nach Bereicherungsrecht..

Zur Begründung der Anschlussrevision trägt der Kläger vor, der Pachtvertrag führe zu einer Überleitung der Patienten auf W. Die Arbeitsverhältnisse der Stammbetreuer und der Ersatzkräfte seien ebenfalls auf W übergegangen. Das Personal sei der wertbildende Faktor. Bei der GmbH seien ca. 19 bis 22 Patienten und ca. 20 bis 25 Mitarbeiter verblieben. Dieser Vorgang sei als Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1a UStG anzusehen. Soweit es sich bei diesem Vortrag um neuen Sachvortrag im Revisionsverfahren handele, rüge er die Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das FG.

Begründung:

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Die Klage betreffend 2005 ist abzuweisen und die Umsatzsteuer für 2006 ist unter teilweiser Aufhebung der Einspruchsentscheidung des FA und Abweisung der Klage im Übrigen insoweit niedriger festzusetzen, als die Umsätze der GmbH ab Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen nicht mehr dem Kläger als Organträger zuzurechnen sind.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die organisatorische Eingliederung der GmbH in das Unternehmen des Klägers mit der Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens über deren Vermögen entfallen ist.

Der V. Senat des BFH hat entschieden, dass die organisatorische Eingliederung endet, wenn das Insolvenzgericht für die Organgesellschaft einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und zugleich gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO anordnet, dass Verfügungen nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind.
Dem schließt sich der erkennende Senat jedenfalls für den hier vorliegenden Fall an, dass der Insolvenzverwalter zum Forderungseinzug ermächtigt wird; denn dann kann der Organträger –hier der Kläger– eine abweichende Willensbildung bei der Organgesellschaft insoweit nicht mehr verhindern. Das FA ist dieser Beurteilung zuletzt nicht mehr entgegengetreten.
Zu Recht stellen beide Beteiligte die Auffassung des FG nicht in Frage, dass die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. in den Streitjahren nicht gegeben waren.

Nach § 4 Nr. 16 UStG a.F. waren in den Streitjahren von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei u.a.
“die mit dem Betrieb… der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn
diese Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden” (was im Streitfall ausscheidet) “oder
bei Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und bei Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind”.
Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Regelung in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG entspricht. Die (in den Streitjahren 2005 und 2006 geltende) Absenkung der ursprünglichen Zwei-Drittel-Grenze auf 40 % erfolgte zur Anpassung an die gesetzliche Neuregelung der Pflegeversicherung, um diese Grenze an die bei Krankenhäusern geltende Mindestgrenze für das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen anzugleichen. Deshalb greift auch der Einwand, der Gesetzgeber habe die Möglichkeiten der
D
ie Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. greift nicht ein. Der Tatbestand ist nicht erfüllt, weil die Pflegekosten nicht “im vorangegangenen Kalenderjahr” in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.
Der Vortrag des Klägers, der Gesetzgeber habe nicht das Problem gesehen, dass nach der Struktur des SGB XI bei der Pflege der Patient Eigenanteile an den Leistungserbringer zahlen müsse, ändert nichts an der gesetzlichen Anordnung.

Im Übrigen belegt der Umstand, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Neufassung des § 4 Nr. 16 UStG zwar zahlreiche “Sozialkriterien” abgeschafft, aber als “Auffangtatbestand” in Buchst. k an der 40 %-Grenze festgehalten und) die Grenze des § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG im Hinblick auf die weitere Verbreitung der Anwendung des Persönlichen Budgets auf 25 % abgesenkt hat, dass er in den dortigen Fällen als “Sozialkriterium” an einer Mindestgrenze festhalten will.

Die Vorentscheidung ist allerdings insgesamt aufzuheben, weil das FG zu Unrecht angenommen hat, die dem Kläger zuzurechnenden Leistungen der GmbH seien nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG, auf den sich der Kläger berufen hat, steuerfrei; denn § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. war in den Streitjahren 2005 und 2006 insoweit nicht unionsrechtswidrig, als er die Steuerbefreiung von der Einhaltung der 40 %-Grenze (im selben Jahr) abhängig gemacht hat.
Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden. Es muss sich nach dem Wortlaut der Richtlinie um eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen handeln (s. dazu b) und der Leistende muss eine Einrichtung des öffentlichen Rechts oder als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt sein.
Das FG hat zwar zutreffend als berufbar angesehen und die Leistungen der sog. 24-Stunden-Pflege zu Recht als eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen beurteilt. Die Annahme des FG, der Kläger sei eine vom Mitgliedstaat Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter, ist aber unzutreffend. Zwar ist der Begriff “Einrichtung” grundsätzlich weit genug, um auch natürliche Personen und private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht.
Nach den EuGH-Urteilen Kügler und Zimmermann die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung aber nicht fest. Vielmehr ist es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann.

Dabei haben die nationalen Behörden im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte die für die Anerkennung maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu diesen gehört u.a. die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit. Es kommt dabei auch nicht darauf an, ob die Kosten im konkreten Fall tatsächlich übernommen worden sind, sondern es reicht aus, dass sie übernehmbar sind..
Der nationale Gesetzgeber hat die Anerkennung in den Streitjahren von der Einhaltung der sog. 40 %-Grenze abhängig gemacht (s.o. II.2.). Der EuGH hat im Rahmen der Prüfung, ob es Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und/oder Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG dem nationalen Gesetzgeber erlauben, die Steuerbefreiung der Leistungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen davon abhängig zu machen, dass bei diesen Einrichtungen “im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind”, in seinem Urteil Zimmermann dazu –abstrakt und losgelöst von den Gegebenheiten des dortigen Streitfalls– ausgeführt:

“37. Entsprechend ist das Erfordernis einer wie im Ausgangsverfahren auf zwei Drittel der Fälle festgesetzten Schwelle für die Zwecke der Anwendung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie zu beurteilen. Durch das Erfordernis einer solchen Schwelle wird nämlich auf ähnliche Weise dem Bedürfnis entsprochen, bei der Anwendung dieser Vorschrift den sozialen Charakter von Einrichtungen anzuerkennen. Ebenso überschreitet ein Mitgliedstaat das ihm nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie zustehende Ermessen grundsätzlich nicht dadurch, dass er auch im Zusammenhang mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bedingung verlangt, dass die Kosten für die betreffenden Leistungen der ambulanten Pflege ganz oder zum überwiegenden Teil von den gesetzlichen Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgern übernommen worden sein müssen.”

Unter Anlegung dieser Maßstäbe hat Deutschland bei der Ausgestaltung der Anerkennung i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG die Grenzen des ihm zustehenden Ermessens zwar insoweit nicht beachtet, als es bezüglich der Einhaltung der 40 %-Grenze auf das vorangegangene Kalenderjahr abgestellt hat. Der EuGH hat aber die frühere Zwei-Drittel-Grenze des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. sowie die dort normierte Bedingung, dass die Kosten für die betreffenden Leistungen der ambulanten Pflege ganz oder zum überwiegenden Teil von den gesetzlichen Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgern übernommen worden sein müssen, gebilligt Dass es dort um einen anderen Sachverhalt ging, ändert an der rechtlichen Aussage des EuGH nichts.
Der Senat hat deshalb entsprechende gesetzliche Grenzen in ständiger Rechtsprechung nur insoweit als mit dem Unionsrecht unvereinbar beanstandet, als bei der Prüfung der Grenze auf die Umsätze des Vorjahres zurückgegriffen wird, und im Übrigen unbeanstandet gelassen

Die 40 %-Grenze des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. erreicht der Kläger auch dann nicht, wenn man entsprechend seinem Vorbringen jeweils auf die Umsätze des laufenden Kalenderjahres –und nicht auf die Umsätze des jeweiligen Vorjahres– abstellt.

Die Einwendungen des Klägers gegen diese Beurteilung greifen nicht durch.

Der Hinweis des Klägers auf den Grundsatz der Effektivität, zum Ausdruck komme, beachtet nicht, dass der EuGH in Rz 37 dieses Urteils nicht davon ausgeht, dass die seinerzeit vom EuGH zu beurteilende (und von ihm nicht beanstandete) Zwei-Drittel-Grenze des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. dieser Steuerbefreiung grundsätzlich ihre Wirkung nähme.
Die nachfolgenden Ausführungen in Rz 40 f. beziehen sich lediglich auf das Erfordernis, insoweit “ausschließlich auf das vorangegangene Kalenderjahr abzustellen” (s. Rz 38) und verlangen lediglich:
“Folglich ist es erforderlichenfalls Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob in den Situationen, in denen von Beginn der betreffenden Tätigkeiten an der ‘soziale Charakter’ im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie nach der in Randnr. 31 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung anzuerkennen wäre, die Pflicht, ausschließlich auf das vorangegangene Kalenderjahr abzustellen, zur Folge hat, dass hinsichtlich des ersten Kalenderjahrs dieser Tätigkeiten oder sogar ihrer ersten beiden Kalenderjahre die Anerkennung des ‘sozialen Charakters’ des betreffenden Leistungserbringers im Sinne dieser Vorschrift automatisch und zwangsläufig ausgeschlossen ist.”
Darum geht es vorliegend nicht. Die Gründung der GmbH erfolgte im Jahr 2003. Streitjahre sind die Jahre 2005 und 2006.

Ebenso wenig greift der Einwand durch, die Leistungen der unter § 4 Nr. 18 UStG fallenden Personen seien unter anderen Voraussetzungen steuerfrei, was gegen den Grundsatz der Neutralität und den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Dies trifft nicht zu. Denn nach der neueren Rechtsprechung des BFH kommt § 4 Nr. 18 UStG nur eine durch den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 16 UStG begrenzte Wirkung zu; die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 UStG geht dem § 4 Nr. 18 UStG vor, wenn die betreffenden Leistungen im Falle ihrer Ausführung durch privatrechtliche Einrichtungen mit Gewinnstreben ihrer Art nach von § 4 Nr. 16 UStG umfasst werden könnten. Daran hält der Senat trotz der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geäußerten Einwände fest.

Soweit der Kläger im Laufe des Verfahrens vor dem FG geltend gemacht hat, dass die Finanzverwaltung in der Praxis solche Leistungen bei Personen i.S. des § 4 Nr. 18 UStG nicht besteuere, und auch vorgebracht hat, das Abstandsgebot des § 4 Nr. 18 Buchst. c UStG sei nicht eingehalten, hat das FG dies nicht festgestellt.
Die nicht vorhandenen Feststellungen des FG zu dieser Frage erfordern –anders als der Kläger meint– keine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur weiteren Sachverhaltsaufklärung: Denn eine unzutreffende (Nicht-)Besteuerung eines Konkurrenten kann (nur) mit der Konkurrentenklage geltend gemacht. Diese ist –entgegen der Auffassung des Klägers– nicht unzumutbar.
Gegen eine rückwirkende Anwendung dieser neueren BFH-Rechtsprechung bestehen –anders als der Kläger meint– keine grundsätzlichen Bedenken.
Die auch vom FG geteilte Ansicht des Klägers, die Anerkennung dürfe nicht davon abhängig gemacht werden, dass die Kosten “überwiegend” von den gesetzlichen Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgern übernommen worden sind, widerspricht Rz 37 des EuGH-Urteils Zimmermann.

Dass Deutschland grundsätzlich berechtigt ist, die Steuerbefreiung davon abhängig zu machen, dass die Kosten “überwiegend” von den gesetzlichen Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgern übernommen worden sind, ergibt sich –wie dargelegt– eindeutig aus Rz 37 des EuGH-Urteils Zimmermann (EU:C:2012:716, UR 2013, 35).
Derartige “Sozialgrenzen” sind auch –entgegen der Auffassung des Klägers– nicht verfassungswidrig.
Das vom Kläger ergänzend angeführte Gebot der Folgerichtigkeit betrifft zum einen das Ertragsteuerrecht und ist überdies durch die Beschränkung der Steuerbefreiung auf die vom Mitgliedstaat Deutschland anerkannten Einrichtungen nicht verletzt.

Ob es angesichts der vom Kläger hervorgehobenen Teilfinanzierung der Kosten der sog. 24-Stunden-Pflege rechtspolitisch wünschenswert erscheinen könnte, weitere Personen in den Kreis der vom Mitgliedstaat anerkannten Einrichtungen der ambulanten Pflege einzubeziehen, hat die Rechtsprechung nicht zu entscheiden.
Diese Gestellung von Personal ist umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig, weil sie keine mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit eng verbundene Dienstleistung ist. Die Einwendungen des Klägers, es liege eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung an W i.S. des Gesetzes zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) vor, das AÜG fingiere den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf W als Entleiherin und es bestünden zivilrechtliche Ansprüche der W gegen den Kläger auf Grundlage des Bereicherungsrechts, greifen nicht durch.
Das Umsatzsteuerrecht knüpft an tatsächliche Leistungsvorgänge an, ohne auf ein ggf. bestehendes gesetzliches Verbot oder die zivilrechtliche Wirksamkeit der zugrunde liegenden Verträge (§ 41 Abs. 1 Satz 1 AO) abzustellen; daher gebieten die Regelungen des AÜG keine hiervon abweichende umsatzsteuerrechtliche Beurteilung.
Die Anschlussrevision des Klägers ist unbegründet; sie ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht das Vorliegen einer nicht umsatzsteuerbaren Geschäftsveräußerung i.S. von § 1 Abs. 1a UStG verneint.

Der Senat legt die Anschlussrevision des Klägers dahingehend aus, dass sie sich nur auf das Streitjahr 2006 bezieht. Der Kläger hat zwar unter dem Betreff “wegen Umsatzsteuer 2005 und 2006” beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, aber hinzugefügt, “soweit der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2006″… “nach dem Tenor zu I Satz 2 zu einer Festsetzung in Höhe von”… “führt, den Bescheid insoweit abzuändern und mit 1.262,66 EUR festzusetzen”. In Bezug auf das Jahr 2005 hat er keinen Sachantrag gestellt.
Die so verstandene Anschlussrevision ist zulässig (§ 155 FGO i.V.m. § 554 der Zivilprozessordnung), aber unbegründet. Das FG hat zu Recht in Bezug auf den Pachtvertrag mit W vom 31. Januar 2006 das Vorliegen einer Geschäftsveräußerung i.S. von § 1 Abs. 1a
Voraussetzung für das Vorliegen einer Geschäftsveräußerung ist gemäß § 1 Abs. 1a Satz 2 UStG, dass ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird.

Diese Vorschrift beruhte in den Streitjahren 2005 und 2006 unionsrechtlich auf Art. 5 Abs. 8 und Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG. Nach Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten die Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen. Gemäß Art. 6 Abs. 5 gilt Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG “unter den gleichen Voraussetzungen für Dienstleistungen”.

Im Streitfall scheidet in Bezug auf den Pachtvertrag eine Geschäftsveräußerung schon deshalb aus, weil –worauf das FA zu Recht hingewiesen hat– ein Patientenstamm “verpachtet” worden ist. Werden keine Gegenstände “übereignet” oder in eine Gesellschaft eingebracht, fehlt es an einer Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1a Satz 2 UStG.
Außerdem hätte der Kläger bei anderer Sichtweise nach den tatsächlichen Feststellungen des FG nur die Verträge mit bestimmten im Rahmen der sog. 24-Stunden-Pflege betreuten Personen und damit kein Teil- oder Gesamtvermögen auf W übertragen. Es wären danach, wovon das FG im Rahmen der ihm obliegenden Gesamtwürdigung (§ 118 Abs. 2 FGO) zu Recht ausgegangen ist, nur einzelne zum Betrieb eines ambulanten Pflegedienstes notwendige Verträge vom Kläger auf W übertragen worden. Das reicht nicht aus. Ein oder mehrere Kunden, Vertragspartner oder Mandanten sind kein “gesondert geführter Betriebsteil” oder “Teilvermögen”.

Aus dem EuGH-Urteil Schriever ergibt sich schon deshalb nichts anderes, weil danach zwar die Übertragung der nicht verpachteten Gegenstände eine Geschäftsveräußerung sein kann. Die Verpachtung selbst bleibt jedoch steuerbar.

Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid für 2006 ist dahingehend zu ändern, dass der Kläger nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH nicht mehr Organträger der GmbH ist und daher die auf die Umsätze der GmbH entfallende Umsatzsteuer ab diesem Zeitpunkt nicht mehr schuldet. Die Höhe der nicht zu berücksichtigenden Umsatzsteuer (20.009,22 EUR Umsatzsteuer – 1.743,18 EUR Vorsteuer = 18.265,94 EUR) ist nicht streitig. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
Die Übertragung der Berechnung der festzusetzenden Umsatzsteuer für 2006 auf das FA beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.

Umsatzsteuerbefreiung für Laborleistungen

Unter die Umsatzsteuerbefreiung für eine heilberufliche Tätigkeit i.S.d. § 4 Nr. 14 Buchstabe a) UStG fallen auch medizinische Labortests, die auf Anordnung von Ärzten und Heilpraktikern durchgeführt werden.

FG Niedersachsen Urteil vom 03.09.2015, 16 K 340/12

Zur Umsatzsteuerbefreiung für heilpädagogisches Reiten

Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG setzt voraus, dass der Berufsträger eine arztähnliche berufliche Qualifikation besitzt (hier verneint für heilpädagogisches Reiten durch eine Dipl. Sozialarbeiterin).

Die Kostenerstattung im Einzelfall ist keine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter i.S.d. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g Richtlinie 77/388/EWG.

BFH Beschluss vom 26.01.2012 V R 52/10 BFHNV 2012 Seite 817

Begründung:

Das Finanzgericht (FG) hat zu Recht eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) für heilpädagogisches Reiten verneint, weil die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), anders als in dem vom Bundesfinanzhof (BFH) entschiedenen Fall, der die von einer Physiotherapeutin (Katalogberuf nach § 4 Nr. 14 UStG) durchgeführte Hippotherapie betraf, über keine arztähnliche Berufsqualifikation verfügte. Die Mitberücksichtigung der Berufsqualifikation neben der Art der Tätigkeit verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, wie der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ausdrücklich entschieden hat.  

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH  hat das FG auch zutreffend entschieden, dass sich die Klägerin nicht auf die Steuerbefreiung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG berufen kann, weil ihr hierfür jedenfalls die erforderliche Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter fehlt. Eine derartige Anerkennung kann sich z.B. aus der Zugehörigkeit zu einem Verband der freien Wohlfahrtspflege ergeben oder daraus, dass der Leistende die begünstigten Leistungen aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit Trägern der Sozialversicherung erbracht hat.

Diese Voraussetzungen liegen jedoch nach den verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen des FG nicht vor. Die nachträgliche Kostenübernahme nach Einzelfallprüfung genügt nicht, da bereits im Zeitpunkt der Leistung feststehen muss, ob die Leistungen steuerbefreit sind oder nicht. Zur Feststellung der vertraglichen Beziehungen mit den Sozialversicherungsträgern hat das FG nicht seine Aufklärungspflicht verletzt, denn es hat die Klägerin mehrfach vergeblich zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert, aus denen sich ergibt, dass die Klägerin aufgrund von Verträgen z.B. mit Sozialversicherungsträgern oder Gemeinden tätig geworden ist.

Soweit in der Rechtsprechung des BFH die Erstattbarkeit der Leistungen durch Sozialversicherungsträger berücksichtigt worden ist, dient dies im Zusammenhang mit der Feststellung der Berufsqualifikation der Gleichbehandlung von heilberuflichen Leistungen an Privatpatienten, die andernfalls nicht von der Steuerbefreiung erfasst würden. Davon zu unterscheiden und damit nicht vergleichbar ist die Frage, ob eine Anerkennung durch den Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter vorliegt.

Das FG hat auch zu Recht entschieden, dass die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 25 Satz 2 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG 2008 (Leistungen, die im vorangegangenen Kalenderjahr zumindest überwiegend durch Träger der Jugendhilfe oder Einrichtungen vergütet wurden) für die Streitjahre 2001 bis 2003 nicht anwendbar ist, da die Neufassung des § 4 Nr. 25 durch Art. 8 Nr. 4 Buchst. d des Jahressteuergesetzes (JStG) 2008 (BGBl I 2007, 3150) gemäß Art. 28 Abs. 4 JStG 2008 erst ab 1. Januar 2008.

Das FG hat auch zutreffend die Steuerbefreiung der Referententätigkeit der Klägerin für das Kuratorium für therapeutisches Reiten nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG abgelehnt, weil die Klägerin die hierfür erforderliche Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde, die auf einen Beruf oder auf eine Prüfung vorbereitet, nicht vorgelegt hat.

 

Ernstliche Zweifel an Umsatzsteuerbefreiung für Umsätze aus der Veranstaltung von Fahrsicherheitstrainings

Ernstliche Zweifel an Umsatzsteuerbefreiung für Umsätze aus der Veranstaltung von Fahrsicherheitstrainings

BFH Beschluss vom 10.7.2012, V B 33/12

Begründung:

Der daraufhin beim Finanzgericht (FG) gestellte Antrag auf AdV hatte keinen Erfolg. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, hinsichtlich der streitbefangenen Umsätze bestünden keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des geänderten Umsatzsteuerbescheides, da der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG nicht hinreichend belegt und nachgewiesen habe. Fahrsicherheitstraining, das die Teilnehmer in der Beherrschung ihres Fahrzeuges in Gefahrensituationen ausbilden soll, sei nicht ohne weiteres als Fortbildung zu beurteilen. Die sichere Beherrschung eines Fahrzeuges in einer Gefahrensituation sei für die Ausübung eines Berufes nicht zwingend erforderlich. Zwar könne ein Fahrsicherheitstraining auch außerhalb der nach dem Berufskraftfahrer-Qualifikationsgesetz erforderlichen Qualifikationen einer beruflichen Fortbildung dienen. Hierfür könne es ausreichen, dass der Teilnehmer an einem solchen Fahrsicherheitstraining aus beruflichen –nicht nur privaten– Gründen auf ein Kraftfahrzeug und dessen Beherrschung in Gefahrensituationen angewiesen sei und dieses hierfür –und nicht nur, um zu seiner regelmäßigen Arbeitsstelle zu gelangen– auch regelmäßig und nicht nur gelegentlich nutze.

Darüber hinaus sei eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG ausgeschlossen, weil der Beschwerdeführer ausweislich seines Jahresabschlusses die streitbefangenen Umsätze weder in seinem ideellen Bereich noch in seinem Zweckbetrieb, sondern in seinem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb erlöst habe. Der Grundgedanke, der § 64 der Abgabenordnung (AO) zugrunde liege, gebiete es, auch dann, wenn ein –im Übrigen gemeinnütziger– Verein Leistungen nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG im Rahmen seines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes ausführe, ihm die Steuervergünstigung nur zuzubilligen, wenn es sich dabei um einen Zweckbetrieb handele. Der Steuerbarkeit der wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe liege der Gedanke zugrunde, die steuerpflichtigen privaten Unternehmen im Wettbewerb nicht zu schädigen; die Wettbewerbsgleichheit solle gewahrt werden. Ein vergleichbarer Gedanke liege auch Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) bzw. nunmehr Art. 134 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) zugrunde. Der Beschwerdeführer stehe mit seinem Fahrsicherheitstraining in einem Wettbewerb zu vergleichbaren Angeboten privater Anbieter oder von Verkehrsclubs. Ihm die Steuerbefreiung zuzubilligen, den anderen Anbietern indes nicht, würde zu einer Verzerrung des Wettbewerbes führen.

Umsatzsteuerbefreiung für Haus-Notruf-Dienste

Ein nicht zu einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege i.S. von § 23 UStDV gehörender Verein kann sich für die Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung für einen Haus-Notruf-Dienst unmittelbar auf die gegenüber § 4 Nr. 18 UStG günstigere Regelung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG berufen.

Für die im Rahmen eines notärztlichen Transportdienstes und eines Menüservice erbrachten Leistungen gilt die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehene Steuerbefreiung nicht.

BFH Urteil vom 1.12.2010, XI R 46/08

Erläuterung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 1. Dezember 2010 XI R 46/08 entschieden, dass die im Rahmen eines Haus-Notruf-Dienstes erbrachten Leistungen eines Vereins, der nicht zu einem anerkannten Verband der Wohlfahrtspflege gehört, von der Umsatzsteuer befreit sind. Die Leistungen eines Menüservices des Vereins sind dagegen nicht steuerfrei.

In dem vom BFH entschiedenen Streitfall ist der Kläger ein eingetragener Verein für Rettungsdienste, Krankentransporte und soziale Hilfsdienste, der nach seinem Satzungszweck Alte, Kranke, Behinderte und sozial Hilfsbedürftige unterstützt. Er unterhielt in den Streitjahren mehrere entsprechende Einrichtungen (u.a. Rettungsdienst, Haus-Notruf-Dienst, Menüservice). Das Finanzamt war der Meinung, dass u.a. die im Zusammenhang mit dem Haus-Notruf-Dienst und dem Menüservice erbrachten Leistungen des Klägers steuerpflichtig sind.

Der BFH war – wie das Finanzgericht (FG) – der Auffassung, dass die Voraussetzungen der in Betracht kommenden nationalen Befreiungsvorschrift nicht erfüllt seien, weil der Kläger kein amtlich anerkannter Verband der freien Wohlfahrtspflege sei; der Kläger könne sich für die Steuerfreiheit der im Rahmen seines Haus-Notruf-Dienstes erbrachten Leistungen aber unmittelbar auf das günstigere Unionsrecht berufen. Diese Steuerbefreiung umfasse jedoch nicht die beim Menüservice ausgeführten Leistungen. Denn bei dem Menüservice handele es sich weder um eine anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter, noch seien die von ihm erbrachten Leistungen eng mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden.

Die Sache wurde an das FG zurückverwiesen, damit dieses nach einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts und ggf. erst nach Ergehen einer – inzwischen für den 10. März 2011 angekündigten – Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Steuersatz bei Abgabe von Speisen und Mahlzeiten entscheidet, ob auf die Leistungen des Menüservices ein ermäßigter Steuersatz oder der Regelsteuersatz anzuwenden ist.

 

 

Umsatzsteuerbefreiung von Leistungen eines Rechenzentrums gegenüber Kreditinstituten

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 12.6.2008, V R 32/06
Begründung:
Mit Urteil vom 12. Juni 2008 V R 32/06 hat sich der Bundesfinanzhof (BFH) zu der für die Bankenpraxis bedeutsamen Frage geäußert, unter welchen Voraussetzungen Dienstleister beim sog. “Outsourcing” gegenüber Banken umsatzsteuerfreie Leistungen erbringen können.
Im Streitfall ging es um die Leistungen eines Rechenzentrums, das für Banken Datenverarbeitungsleistungen erbrachte, die von den Banken insbesondere für Zwecke des steuerfreien Überweisungsverkehrs genutzt wurden.
Dabei verarbeitete das Rechenzentrum Datensätze und nahm Prüfungen vor, die sich auf die Kontodaten des Überweisenden wie z.B. Kontostand oder Kreditlinie, die Kontonummer und den Name des Begünstigten, die Bankleitzahl der Empfängerbank und das Bestehen besonderer Überweisungssperren bezogen. Stand der Überweisung kein Hinderungsgrund entgegen, veranlasste das Rechenzentrum die Abbuchung vom Konto des Überweisenden und die Weiterleitung an die Bank des Begünstigten.

In seinem Urteil betont der BFH die Bedeutung der vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) entwickelten Grundsätze zur Erbringung steuerfreier Leistungen im Banken- und Finanzbereich. Danach könnten steuerfreie Bank- und Finanzdienstleistungen nicht nur durch Banken und Finanzinstitute, sondern auch durch Dienstleister wie z.B. Rechenzentren gegenüber Banken oder Finanzinstituten erbracht werden. Erforderlich sei hierfür, dass die jeweilige Leistung als eigenständiges Ganzes die spezifischen und wesentlichen Funktionen der steuerfreien Bank- oder Finanzdienstleistung erfülle. Das Betreiben eines automatisierten Überweisungssystems könne danach Gegenstand einer steuerfreien Leistung sein.
Gleichwohl hielt der BFH die Leistungen des Rechenzentrums in dem von ihm zu entscheidenden Streitfall für steuerpflichtig, da das Rechenzentrum gegenüber den Banken auch steuerpflichtige Leistungen allgemeiner Art erbracht hatte und der steuerfreie Leistungsbereich nicht hinreichend klar von den unstrittig steuerpflichtigen Leistungen abgegrenzt werden konnte.