Werden Bereitschaftsdienste pauschal zusätzlich zum Grundlohn ohne Rücksicht darauf vergütet, ob die Tätigkeit an einem Samstag oder einem Sonntag erbracht wird, handelt es sich nicht um steuerfreie Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit i.S. des § 3b Abs. 1 EStG.
BFH Urteil vom 29.11.2016 – VI R 61/14 BFH/NV 2017, 663
Sachverhalt:
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt Fachkliniken in der Rechtsform einer GmbH. Seit den 1990er Jahren bezahlte sie Vergütungen für ärztlichen Bereitschaftsdienst. Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung für die Jahre 1996 bis 1999 wurde festgestellt, dass die Assistenzärzte für den Bereitschaftsdienst an Samstagen für die Zeit von 13:00 Uhr bis 20:00 Uhr einen Zuschlag erhielten, der während dieser Zeit nicht nach § 3b des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei behandelt werden könne. In der darauffolgenden Lohnsteuer-Außenprüfung wurde die Handhabung der Vergütungen für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit nicht beanstandet.
Der Manteltarifvertrag (MTV) vom 1. April 2000 enthält zum ärztlichen Bereitschaftsdienst in § 8 Nr. 1 Buchst. a ebenso wie der MTV vom 28. März 2006 in § 12 Nr. 1 folgende Regelung:
“Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich auf Anforderung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer, vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen (Bereitschaftsdienst). Der Arbeitgeber darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt.”
Der Entgelttarifvertrag der Klägerin lautet auszugsweise wie folgt:
“§ 5 Mehrarbeitsvergütung/Zeitzuschläge
…
2. Für Arbeiten zu folgenden Zeiten werden folgende Zuschläge pro Stunde bezahlt:
a) für Nachtarbeit 1,43 EUR
b) für Arbeiten an Samstagen 7,15 EUR
c) für Arbeiten an Sonntagen/vor dem 1. Weihnachtsfeiertag ab 12:00 Uhr/vor dem Neujahrstag ab 12:00 Uhr 7,67 EUR
d) für Arbeiten an Feiertagen 8,69 EUR.
§ 6 Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft
Der Bereitschaftsdienst und die Rufbereitschaft werden pauschal vergütet. Die Beträge ergeben sich aus folgender Tabelle:
Werktag Samstag/Sonntag/Feiertag
Ärztlicher Bereitschaftsdienst 135,85 EUR 202,98 EUR
Technische Rufbereitschaft 35,79 EUR 71,58 EUR.”
In den Arbeitsverträgen mit den Ärzten vereinbarte die Klägerin bezüglich der Arbeitszeit Folgendes:
“Die durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit richtet sich jeweils nach § 6 des Manteltarifvertrages (MTV), sie beträgt zur Zeit ausschließlich der Pausen… Wochenstunden und wird im Einzelnen durch den Dienstplan bzw. entsprechende Dienstanweisung geregelt.
Zudem ist Bereitschaftsdienst zu leisten. Dieser wird ebenfalls im Dienstplan festgelegt und dauert von montags bis freitags vom Ende der regulären Arbeitszeit bis zum Beginn der regulären Arbeitszeit am Folgetag. An Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen dauert der Bereitschaftsdienst jeweils 24 Stunden.”
Als Folge dieser Regelungen wurden die in § 5 des Entgelttarifvertrags unter Ziffer 2 aufgeführten Zuschläge an Ärzte nicht ausbezahlt, da Nachtarbeit, Arbeit an Samstagen, Sonn- und Feiertagen unter den Bereitschaftsdienst sowie dessen in § 6 geregelte Vergütung fielen. Für die Bereitschaftsdienstzahlungen war es irrelevant, ob bzw. wie viele Einsätze während dieser Zeit zu leisten waren.
In den Entgeltabrechnungen der Ärzte wurden die Bereitschaftsdienstzahlungen auf einen Stundensatz von 5,66 EUR/Werktag (WT) und 8,46 EUR/Samstag (Sa), Sonntag (So) und Feiertag (FT) umgerechnet und zusammen mit der Anzahl der jeweils geleisteten Stunden verschiedenen Lohnarten zugeordnet. Dabei wurden folgende Lohnarten als steuerfrei behandelt:
525 BD an WT (25 %) 5,66
526 BD an WT (40 %) 5,66
527 BD an So (40 %) 8,46
528 BD an So in WT (90 %) 5,66
529 BD an FT in WT (165 %) 5,66
531 BD an Sa (25 %) 8,46
533 BD an So (50 %) 8,46
534 BD an So (75 %) 8,46
536 BD an FT (125 %) 8,46
Im Lohnsteuer-Außenprüfungsbericht für den Zeitraum 1. August 2003 bis 30. November 2007 wurde die gezahlte Pauschale als Grundlohn für die Zeit des Bereitschaftsdienstes behandelt, der noch der Lohnsteuer zu unterwerfen sei. Die Klägerin habe die Pauschale in einen Stundensatz umgerechnet und diesen Stundenlohn sodann zu Unrecht als steuerfreien Zuschlag behandelt.
Begründung:
Das FA hat zu Recht Lohnsteuer für die Vergütung des Bereitschaftsdienstes nachgefordert, wie das FG zutreffend erkannt hat. Nach § 3b Abs. 1 EStG sind neben dem Grundlohn gewährte Zuschläge steuerfrei, wenn sie für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt werden.
§ 3b Abs. 2 Satz 1 EStG definiert Grundlohn als laufenden Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht. Der laufende Arbeitslohn ist, wie sich aus § 39b EStG ergibt, von sonstigen Bezügen abzugrenzen. Laufender Arbeitslohn ist das dem Arbeitnehmer regelmäßig zufließende Arbeitsentgelt (Monatsgehalt, Wochen- oder Tageslohn, Überstundenvergütung, laufend gezahlte Zulagen oder Zuschläge und geldwerte Vorteile aus regelmäßigen Sachbezügen); er ist in einen Stundenlohn umzurechnen.
Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist weiter, dass die Zuschläge neben dem Grundlohn geleistet werden; sie dürfen nicht Teil einer einheitlichen Entlohnung für die gesamte, auch an Sonn- und Feiertagen oder nachts geleistete Tätigkeit sein. Hierfür ist regelmäßig erforderlich, dass in dem Arbeitsvertrag zwischen der Grundvergütung und den Erschwerniszuschlägen unterschieden und ein Bezug zwischen der zu leistenden Nacht- und Sonntagsarbeit und der Lohnhöhe hergestellt. Die Steuerbefreiung greift zudem nur, wenn die neben dem Grundlohn gewährten Zuschläge für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt worden sind, und setzt grundsätzlich Einzelaufstellungen der tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden an Sonntagen, Feiertagen oder zur Nachtzeit voraus.
Dadurch soll von vornherein gewährleistet werden, dass ausschließlich Zuschläge steuerfrei bleiben, bei denen betragsmäßig genau feststeht, dass sie nur für die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt werden und keine allgemeinen Gegenleistungen für die Arbeitsleistung darstellen. Hieran fehlt es jedoch, wenn die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit lediglich allgemein abgegolten wird, da hierdurch weder eine Zurechnung der Sache nach (tatsächlich geleistete Arbeit während begünstigter Zeiten) noch der Höhe nach (Steuerfreistellung nur nach %-Sätzen des Grundlohns) möglich ist.
Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin im Streitfall neben dem Grundlohn keine Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt. Vielmehr hat sie ausweislich der für den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG die streitigen Zusatzzahlungen allgemein –ohne Ansehung der von den Ärzten im Einzelnen tatsächlich zu den nach § 3b Abs. 2 EStG begünstigten Zeiten geleisteten Arbeitsstunden– gewährt. Aus den geleisteten Bereitschaftsdienstzeiten wurden lediglich im Nachhinein die Stunden zu begünstigten Zeiten herausgerechnet und als steuerfrei behandelt.
Die einzelnen genannten Beträge werden einheitlich für Werktagsdienst einerseits und Samstags-, Sonntags- und Feiertagsarbeit andererseits angegeben. Die streitige Vergütung ist somit Teil einer einheitlichen –erhöhten– Entlohnung für die gesamten Bereitschaftsdienste, die auch die Erschwernisse der Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit entgilt. Bei derartigen Zahlungen handelt es sich nicht um Zuschläge i.S. des § 3b Abs. 1 EStG. Vielmehr haben diese Vergütungen den Charakter einer generell erhöhten Entlohnung.
Dadurch werden gerade nicht die besonderen Erschwernisse und Belastungen finanziell ausgeglichen, die mit Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit verbunden sind, sondern vielmehr die Bereitschaftsdienstzeiten allgemein, d.h. sowohl für Samstage, Sonntage und Feiertage als auch für die Werktage, mit einer Zusatzvergütung bedacht.
Die Klägerin ist ihrer Verpflichtung zur Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer (§ 41a Abs. 1 EStG) in gesetzlicher Höhe nicht nachgekommen. Folglich konnte sie durch den angefochtenen Lohnsteuernachforderungsbescheid gemäß § 155 i.V.m. § 167 Abs. 1 Satz 1 AO in Anspruch genommen werden. Dabei musste das FA, weil es sich um die behördliche Änderung der Steueranmeldung der Klägerin und somit um eine Steuerfestsetzung handelte, kein Entschließungs- und Auswahlermessen ausüben..