Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

Voraussetzung einer Schätzung ist die Gewissheit, dass überhaupt ein steuerlich bedeutsamer Sachverhalt vorliegt. Bestehen daran Zweifel, können diese nicht im Wege einer Schätzung behoben werden.

BFH Beschluss vom 10.02.2015-VB 87/14 BFH/NV 2015, 662

Sachverhalt

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine am 11. Juli 2008 gegründete Kapitalgesellschaft britischen Rechts in der Rechtsform einer Private Company Limited by Shares (C-Ltd.). Für das Streitjahr 2008 gab sie trotz Aufforderung weder Umsatzsteuer-Voranmeldungen noch eine Jahressteuererklärung ab.

Hierauf schätzte das Finanzamt durch den Umsatzsteuerbescheid 2008 vom 8. November 2012 die Besteuerungsgrundlagen und gab diesen Herrn X als Direktor der C-Ltd. bekannt. Ihren dagegen eingelegten Einspruch begründete die Klägerin damit, dass sie in 2008 keine Niederlassung in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) unterhalten und dort auch keine Geschäftstätigkeit entfaltet habe.

Entscheidungen

Die Klägerin hat nicht nur im Einspruchsverfahren, sondern auch im finanzgerichtlichen Verfahren vorgebracht, sie habe in 2008 weder eine Niederlassung unterhalten noch eine Geschäftstätigkeit im Inland entfaltet; dies ergebe sich nicht zuletzt aus dem vorgelegten Jahresabschluss 2009. Die Berücksichtigung dieses übergangengen Sachvortrags führt –auch nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG– zu einer anderen, der Klägerin günstigen Entscheidung.

Das Urteil des FG enthält keinerlei Ausführungen zu diesem Vorbringen, sodass offen bleibt, aufgrund welcher Tatsachen es davon ausgeht, dass die Klägerin im Streitjahr 2008 tatsächlich eine Geschäftstätigkeit im Inland ausgeübt und hieraus umsatzsteuerpflichtige Umsätze erzielt hat.

Die C-Ltd. wurde zwar unstrittig am 11. Juli 2008 gegründet, hieraus folgt aber nicht zwangsläufig, dass sie ihre Geschäftstätigkeit bereits im Juli 2008 aufgenommen und Umsätze erzielt hat. Dies gilt umso mehr, als der bei der Gründung eingetragene Direktor der C-Ltd. (Herr X) vor deren Gründung bereits eine A-Ltd. gegründet und betrieben hatte. Da diese für das Jahr 2008 eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung abgegeben hat, ist es selbst nach Ansicht des FA möglich, dass die erzielten Umsätze dort erklärt und versteuert wurden.

Die Zweifel am Vorliegen einer Geschäftstätigkeit der Klägerin mit steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen können nicht im Wege einer Schätzung (§ 162 der Abgabenordnung –AO–) behoben werden.

Bei einer Schätzung wird von der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes ausgegangen. Nur hinsichtlich einzelner Besteuerungsgrundlagen liegen Ungewissheiten spezifischer Art (wie z.B. die Höhe der Umsätze) vor, die einer Beseitigung durch Schätzung zugänglich. Voraussetzung einer Schätzung ist somit die Gewissheit, dass überhaupt ein steuerlich bedeutsamer Sachverhalt vorliegt. Hieran fehlt es im Streitfall, da keinerlei Tatsachen für das Vorliegen steuerpflichtiger Ausgangsumsätze der Klägerin im Streitjahr

Auf den Nachweis des Vorliegens eines umsatzsteuerlich bedeutsamen Sachverhalts kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn der Steuerpflichtige trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgibt. Nach § 162 Abs. 2 Satz 1 AO ist zwar insbesondere dann zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert. Abgesehen davon, dass dieses Schätzungsgebot nach den Ausführungen unter II.1.b bb nicht qualitative, sondern nur quantitative Besteuerungsmerkmale betrifft, hat die Klägerin dahingehend Angaben gemacht, dass sie im Streitjahr noch keine Geschäftstätigkeit entfaltet habe; zu

Der Senat kann offen lassen, ob es sich bei dem Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO überhaupt um eine Verfahrensvorschrift handelt, auf die gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung verzichtet werden kann. Jedenfalls liegt in der bloßen Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung kein Verzicht auf die Einhaltung von Verfahrensvorschriften. Auch wenn die Klägerin ihre besondere Prozessverantwortung wahrgenommen und an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hätte, hätte sie erst aus dem Urteil erfahren, dass sich das FG mit ihrem Vorbringen nicht auseinandergesetzt hat.

Da das Urteil bereits aufgrund des Verfahrensfehlers keinen Bestand haben kann, bedarf es keines Eingehens auf das weitere Vorbringen der Klägerin. Von einer weiteren Begründung wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO, der auch für den Beschluss nach § 116 Abs. 6 FGO gilt, abgesehen.

Der Senat hält es für sachgerecht, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, da im Streitfall von einer Revisionsentscheidung keine weitere rechtliche Klärung zu erwarten ist. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und der Rechtsstreit insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen..