Zeitpunkt des Zuflusses des geldwerten Vorteils bei Aktien

Der gemeine Wert nicht börsennotierter Aktien lässt sich nicht i.S. des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG aus Verkäufen ableiten, wenn nach den Veräußerungen aber noch vor dem Bewertungsstichtag weitere objektive Umstände hinzutreten, die dafür sprechen, dass diese Verkäufe nicht mehr den gemeinen Wert der Aktien repräsentieren, und es an objektiven Maßstäben für Zu- und Abschläge fehlt, um von den festgestellten Verkaufspreisen der Aktien auf deren gemeinen Wert zum Bewertungsstichtag schließen zu können.

BFH Urteil vom 29.7.2010, VI R 30/07

Begründung:

Zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG gehört auch der Vorteil aus der verbilligten Überlassung von Aktien, wenn der Vorteil dem Arbeitnehmer "für" seine Arbeitsleistung gewährt wird. Die Anwendung dieser Grundsätze war zwischen den Beteiligten zu Recht ebenso wenig streitig wie die Würdigung des FG, dass der Aktienerwerb des Klägers auf Grundlage der Kapitalerhöhung vom 30. April 1999 durch das Dienstverhältnis veranlasst war. Zutreffend hat das FG insoweit gewürdigt, dass nur neun Mitarbeiter in gehobener Position zum Bezug der Aktien berechtigt gewesen waren, die Mitarbeiter zu vergleichsweise niedrigen Gehältern zur A. AG gewechselt waren und einen Teil ihrer Vergütung über das mit der Kapitalerhöhung verbundene Beteiligungsprogramm erhalten sollten.

Zu Unrecht ging das FG allerdings bei der Bewertung des Vorteils allein von den sechs vor dem 2. März 1999 erfolgten Aktienverkäufen aus. Es ließ dabei insbesondere den selbst festgestellten und bei der Beurteilung und Würdigung des Veranlassungszusammenhangs zwischen der Zeichnungsberechtigung und dem Arbeitsverhältnis auch berücksichtigten Umstand außer Betracht, dass der zeichnungsberechtigte Kläger einen Teil seiner Vergütung über das mit der Kapitalerhöhung verbundene Beteiligungsprogramm hatte erhalten sollen und die mit der Durchführung der Kapitalerhöhung beauftragten Beteiligten dabei von deutlich höheren Bewertungen ausgegangen waren.

Bewertungsstichtag ist der Zeitpunkt, zu dem dem Arbeitnehmer der Vorteil zufließt. Liegt der Vorteil darin, dass der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber im Rahmen einer Kapitalerhöhung verbilligt Aktien erhält, fließt der Vorteil nicht schon dann zu, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den verbilligten Erwerb im Rahmen der Kapitalerhöhung zusagt, sondern erst, wenn der Arbeitnehmer auch die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Aktien erlangt. Denn das Innehaben von Ansprüchen oder Rechten begründet regelmäßig noch keinen Zufluss von Einnahmen. Der Zufluss ist grundsätzlich erst mit der Erfüllung des Anspruchs gegeben. Arbeitslohn fließt nicht bereits mit der wirksamen Zusage, sondern erst in dem Zeitpunkt zu, in dem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das wirtschaftliche Eigentum verschafft. Dem entspricht es, wenn der erkennende Senat den Zufluss eines geldwerten Vorteils nicht bereits in der Einräumung eines Optionsrechts gegen den Arbeitgeber, sondern erst nach Ausübung der Option mit dem preisgünstigen Erwerb der Aktien selbst annimmt, weil der für den Zufluss von Arbeitslohn maßgebliche geldwerte Vorteil in Form eines auf die Aktien gewährten Preisnachlasses auch erst mit der Ausübung der Option in das wirtschaftliche Eigentum des Arbeitnehmers gelangt.

Im Streitfall floss dem Kläger der Vorteil im Zeitpunkt der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung am 21. Mai 1999 zu. Denn nach § 189 des Aktiengesetzes (AktG) ist mit der Eintragung der Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals das Grundkapital erhöht. Die neuen Mitgliedsrechte entstehen kraft Gesetzes zum Zeitpunkt der Eintragung; der Zeichner wird, ohne dass es eines besonderen Aktes bedarf, Aktionär der Gesellschaft. Mit der Verschaffung der Aktien und der damit verbundenen aktienrechtlichen Mitgliedschafts- und Statusrechte erfüllt sich der arbeitsrechtliche Anspruch des Klägers auf verbilligte Überlassung der Aktien.

Der gemeine Wert der noch nicht börsennotierten Aktien ist gemäß § 11 Abs. 2 BewG in der im Streitjahr geltenden Fassung zu ermitteln. Danach ist der gemeine Wert von Aktien grundsätzlich aus Verkäufen abzuleiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen. Lässt sich so der gemeine Wert der Aktien nicht feststellen, ist er nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen. § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG regelt das Rangverhältnis der beiden Methoden der Ermittlung des gemeinen Werts in der Weise, dass der gemeine Wert vorrangig aus der Wertbestätigung am Markt abzuleiten ist, also von dem Preis, der bei einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr.

Aus dem Tatbestandsmerkmal "ableiten" in § 11 Abs. 2 BewG folgt indessen nicht, dass der gemeine Wert zwingend mit den tatsächlich vorliegenden Kaufpreisen übereinstimmen muss und die Kaufpreise –auch wenn im gewöhnlichen Geschäftsverkehr und unter drittüblichen Bedingungen zustande gekommen– unbesehen und pauschal der Wertfindung zugrunde zu legen sind. Ableiten bedeutet vielmehr, dass der tatsächlich erzielte Kaufpreis als Ausdruck des gemeinen Wertes zu ändern ist, wenn Umstände vorliegen, die eine Änderung gebieten. Solche zu berücksichtigende Umstände hatte der BFH etwa angenommen, wenn nur Kurswerte für Vorzugsaktien vorlagen, aber Stammaktien zu bewerten waren, wenn eine Minderheitsbeteiligung nach dem Verkaufspreis für eine Mehrheitsbeteiligung zu bewerten war, oder wenn die Kapitalgesellschaft eigene Anteile hält. Liegen solche besonderen Umstände vor, sind nach der vorgenannten Rechtsprechung des BFH die festgestellten und weniger als ein Jahr zurückliegenden Verkaufspreise nicht unbesehen als gemeiner Wert zu übernehmen, sondern Ausgangspunkt des zu schätzenden gemeinen Wertes. Grundlage der Schätzung sind in diesen Fällen die festgestellten Veräußerungspreise, die durch schätzweise zu ermittelnde Zu- und Abschläge unter Berücksichtigung der besonderen Umstände zu bestimmen sind.

Der gemeine Wert nicht börsennotierter Aktien lässt sich allerdings auch dann nicht i.S. des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG aus Verkäufen ableiten, wenn nach den im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erfolgten Veräußerungen aber noch vor dem Bewertungsstichtag weitere objektive Umstände hinzutreten, die dafür sprechen, dass diese Verkäufe nicht mehr den gemeinen Wert der Aktien zum Bewertungsstichtag repräsentieren, und es an objektiven Maßstäben für Zu- und Abschläge fehlt, um von den festgestellten Verkaufspreisen der Aktien auf deren gemeinen Wert schließen zu können. In diesem Fall lässt sich aus den zuvor erfolgten Verkäufen innerhalb des Jahreszeitraums ebenso wenig der gemeine Wert der Aktien zum streitigen Zeitpunkt ableiten, wie aus Verkäufen, die mehr als ein Jahr zurückliegen, um entsprechend dem Grundsatz des § 11 Abs. 2 Satz 2  1. Alternative BewG von den festgestellten Verkaufspreisen auf den gemeinen Wert als Ausdruck der Wertbestätigung am Markt schließen zu können.

In diesem Fall kommt § 11 Abs. 2 Satz 2  2. Alternative BewG zur Anwendung. Der gemeine Wert der Anteile ist dann unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen. So liegt der Fall hier. Auch im Streitfall liegen besondere Umstände vor, die es nicht gestatten, den gemeinen Wert der Aktien zum Stichtag der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung aus zuvor erfolgten Verkäufen abzuleiten. Diese besonderen Umstände bestehen darin, dass der Arbeitgeber des Klägers und die mit der Steuerung und Platzierung der Emission als verantwortliche Konsortialführerin beauftragte Bank (C) von einer Bewertung der Anteile ausgegangen waren, die deutlich, nämlich um mehr als 800 % von den zuvor erzielten Verkaufspreisen abwich. Die Bank legte sowohl bei der Präsentation des Börsengangs am 6. März 1999 als auch bei ihrer Bestellung als Konsortialführerin am 22. April 1999 nicht mehr einen Unternehmenswert in Höhe von 22 bis 30 Mio. DM, sondern einen solchen zwischen 130 und 180 Mio. DM zugrunde und präsentierte diese Werte auch Dritten, insbesondere künftigen Anlegern am Kapitalmarkt.

Darüber hinaus vereinbarten der Kläger und sein Arbeitgeber auch vor dem für die Zuwendung des Vorteils entscheidenden Stichtag eine relativ geringe laufende Lohnzahlung, aber eine hohe Wertzuwendung in Form von Aktien im Rahmen der Kapitalerhöhung und machten dies zur Geschäftsgrundlage ihres Arbeitsverhältnisses. Denn der Kläger und sein Arbeitgeber gingen nach den insoweit nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des FG übereinstimmend davon aus, dass der Kläger als zeichnungsberechtigter Arbeitnehmer einen Teil seiner Vergütung durch das mit der Kapitalerhöhung verbundene Beteiligungsprogramm erhalten sollte.