EuGH-Vorlage zur Umsatzbesteuerung bei einer Geschäftsveräußerung im Ganzen

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Liegt eine "Übertragung" eines Gesamtvermögens i.S. von Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG vor, wenn ein Unternehmer den Warenbestand und die Geschäftsausstattung seines Einzelhandelsgeschäfts an einen Erwerber übereignet und ihm das in seinem Eigentum stehende Ladenlokal lediglich vermietet ?

Kommt es dabei darauf an, ob das Ladenlokal durch einen auf lange Dauer abgeschlossenen Mietvertrag zur Nutzung überlassen wurde oder ob der Mietvertrag auf unbestimmte Zeit läuft und von beiden Parteien kurzfristig kündbar ist ?

BFH Entscheidung vom 14.7.2010, XI R 27/08

Erläuterungen:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat durch Beschluss vom 14. Juli 2010 XI R 27/08 dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Fragen zu den Voraussetzungen der nicht der Umsatzsteuer unterliegenden Geschäftsveräußerung im Ganzen vorgelegt. Die Fragen betreffen Fälle, in denen Warenbestand und Geschäftsausstattung veräußert, die Geschäftsräume aber nur an den Erwerber vermietet werden.

Nach § 1 Abs. 1a des Umsatzsteuergesetzes unterliegen die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen nicht der Umsatzsteuer. Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird. Der erwerbende Unternehmer tritt an die Stelle des Veräußerers.

Diese Ausnahmevorschrift hat ihre unionsrechtliche Grundlage in Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt Art. 19 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie 2006/112/EG). Danach können die Mitgliedstaaten die Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen.

Im Streitfall hatte die Klägerin ein Einzelhandelsgeschäft mit Sportartikeln in einem in ihrem Eigentum stehenden Ladenlokal betrieben. Später veräußerte sie den Warenbestand und die Geschäftsausstattung an eine GmbH, der sie das Ladenlokal auf unbestimmte Zeit vermietete. Der Mietvertrag über das Ladenlokal konnte von jeder Partei spätestens am dritten Werktag eines Kalendervierteljahres zum Ablauf des folgenden Kalendervierteljahres gekündigt werden. Die Klägerin wies in ihrer Rechnung an die GmbH über die Veräußerung des Warenbestands und der Geschäftsausstattung keine Umsatzsteuer aus und unterwarf den Vorgang nicht der Umsatzsteuer, weil sie von einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen ausging. Dagegen setzte das Finanzamt Umsatzsteuer gegen die Klägerin fest.

Da die Klägerin das Ladenlokal der GmbH nicht ebenfalls veräußert, sondern lediglich vermietet hatte, bestehen nach Auffassung des BFH Zweifel, ob in einem derartigen Fall von einer "Übertragung" eines Gesamtvermögens i. S. von Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG ausgegangen werden kann. Diese Frage hat der BFH dem zur Auslegung des Unionsrechts zuständigen EuGH vorgelegt.

Für den Fall, dass im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG die Vermietung des Ladenlokals zu berücksichtigen ist, hat der BFH dem EuGH die weitere Frage vorgelegt, ob es dabei darauf ankommt, ob das Ladenlokal durch einen auf lange Dauer abgeschlossenen Mietvertrag zur Nutzung überlassen wurde oder ob der Mietvertrag –wie im Streitfall– auf unbestimmte Zeit läuft und von beiden Parteien kurzfristig kündbar ist.

Diese Frage ist ebenfalls unionsrechtlich nicht geklärt. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH kann eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung auch dann vorliegen, wenn einzelne wesentliche Betriebsgrundlagen nicht mitübereignet worden sind. Voraussetzung ist aber, dass sie dem Unternehmer langfristig zur Nutzung überlassen werden und eine dauerhafte Fortführung des Unternehmens durch den Übernehmer gewährleistet ist.

 

 

 

Geschäftsveräußerung im Ganzen

Der bloße Kundenstamm ist kein hinreichendes Ganzes, das die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht, so dass seine Übertragung für eine nach § 1 Abs. 1a UStG nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung nicht ausreicht.

BFH Beschluss vom 11.11.2009 VB 46/09 BFH NV 2010 S. 479f.

Begründung:

Danach kommt es für die Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG darauf an, ob die übertragenen Vermögensgegenstände die Fortsetzung einer bisher durch den Veräußerer ausgeübten Tätigkeit ermöglichen, wofür maßgeblich ist, ob die übertragenen Vermögensgegenstände ein hinreichendes Ganzes bilden, um die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung die Art der übertragenen Vermögensgegenstände und der Grad der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit zwischen den vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten zu berücksichtigen.

Der Erwerber kann den von ihm erworbenen Geschäftsbetrieb danach aus z.B. betriebswirtschaftlichen oder kaufmännischen Gründen in seinem Zuschnitt ändern oder modernisieren. Die Wesentlichkeit einzelner Betriebsgrundlagen und die Möglichkeit zur Unternehmensfortführung ohne großen finanziellen Aufwand stellen dabei keine eigenständigen Voraussetzungen für die Geschäftsveräußerung dar, sondern sind im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, aus der sich ergibt, ob das übertragene Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht.

Das Gericht hat sich diese Grundsätze in seinem Urteil zu eigen gemacht und im Rahmen der nach der BFH-Rechtsprechung maßgeblichen Gesamtwürdigung entschieden, dass durch die bloße Übertragung des Kundenstammes kein hinreichendes Ganzes übergegangen sei, um den bisherigen Produktionsbetrieb einer Bäckerei fortzuführen. Dass die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag an den Produktionsanlagen des Verkäufers kein Interesse hatte, sondern mit dem erworbenen Kundenstamm die eigenen, bereits vorhandenen Produktionsanlagen auslasten wollte, erklärt zwar die Beschränkung des Erwerbsvorgangs auf den Kundenstamm, führt jedoch nicht dazu, die bloße Übertragung des Kundenstammes als Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG anzusehen. Das FG konnte im Rahmen der ihm obliegenden Gesamtwürdigung davon ausgehen, dass der Kundenstamm als einzig übertragener Unternehmensgegenstand eines vom Veräußerer geführten Bäckereibetriebes kein hinreichendes Ganzes darstellte, das die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht. Über die Frage, ob eine Geschäftsveräußerung vorläge, wenn sich die unternehmerische Tätigkeit auf die Verpachtung eines Kundenstammes beschränkt, und der Pachtvertrag unter Fortführung des Pachtverhältnisses mit dem Pächter fortgeführt wird, könnte der Senat nach den Verhältnissen des Streitfalls nicht entscheiden.

Betriebsveräußerung im Ganzen auch bei Rückbehaltung von Wirtschaftsgütern möglich

Eine Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1a UStG liegt auch vor, wenn einzelne wesentliche Betriebsgrundlagen nicht mitübereignet worden sind, sofern sie dem Übernehmer langfristig zur Nutzung überlassen werden und eine dauerhafte Fortführung des Unternehmens oder des gesondert geführten Betriebes durch den Übernehmer gewährleistet ist (BFH Urteil vom 4. Juli 2002 V R 10/01).