Ausländische Kapitaleinkünfte unterliegen nicht dem Progressionsvorbehalt

Ausländische Kapitaleinkünfte eines nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt Steuerpflichtigen unterliegen nicht dem Progressionsvorbehalt. Dies hat das Finanzgericht Münster entschieden.

FG Münster , Urteil vom 07.12.2016 – 11 K 2115/15 E
Begründung:
Der Kläger hatte in den Streitjahren 2011 bis 2013 einen Wohnsitz in Österreich und bezog aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung eine Leibrente. Daneben erzielte er österreichische Kapitalerträge, für die in Österreich Kapitalertragsteuer einbehalten worden war. Das Finanzamt behandelte den Kläger und seine Ehefrau – die Klägerin – gemäß § 1 Abs. 3 EStG antragsgemäß als unbeschränkt steuerpflichtig und veranlagte sie zusammen zur Einkommensteuer. Dabei unterwarf es die österreichischen Kapitaleinkünfte dem Progressionsvorbehalt. Hiergegen wandten die Kläger ein, dass Kapitalerträge, die der Abgeltungsteuer unterliegen, nicht zur Anwendung des Progressionsvorbehalts führen könnten. Das Finanzamt ging demgegenüber davon aus, dass die Kläger bei einem rein inländischen Sachverhalt aufgrund ihres niedrigen persönlichen Steuersatzes eine Günstigerprüfung beantragt hätten, die zu einer Besteuerung der Kapitaleinkünfte nach der tariflichen Einkommensteuer geführt hätte.
Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg. Das FG Münster entschied, dass die österreichischen Kapitaleinkünfte des Klägers nicht dem Progressionsvorbehalt unterliegen. Zum einen handele es sich nicht um nach einem DBA steuerfreie Einkünfte. Das DBA Österreich sei nicht anwendbar, weil der Kläger die Einkünfte aus dem Staat bezogen habe, in dem er auch seinen Wohnsitz hatte, nämlich Österreich.
Zum anderen lägen auch die Voraussetzungen des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG nicht vor. Nach dieser Vorschrift greife der Progressionsvorbehalt zwar für solche Einkünfte ein, die bei Anwendung von § 1 Abs. 3 EStG bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens unberücksichtigt bleiben. Hierbei seien jedoch Kapitaleinkünfte außer Betracht zu lassen. Dies folge aus der gesetzlichen Anordnung (§ 2 ABs. 5b EStG), wonach Kapitaleinkünfte wegen des für sie geltenden einheitlichen Steuersatzes von 25% einem besonderen Besteuerungsregime unterlägen.
Hierfür spreche auch, dass die Regelungen über den Progressionsvorbehalt an die tarifliche Einkommensteuer anknüpfen, die für Kapitaleinkünfte gerade nicht gelte. Die Kläger seien für Zwecke des Progressionsvorbehalts vielmehr so zu stellen, als ob sie die Kapitaleinkünfte im Inland bezogen hätten. In diesem Fall wäre – so der Senat – der Abgeltungsteuersatz anwendbar gewesen, denn ein Ausnahmetatbestand hätte nicht eingegriffen. Insbesondere könne nicht von der Ausübung des Wahlrechts zur Anwendung des tariflichen Einkommensteuersatzes ausgegangen werden, da ein solcher Antrag einer Fiktion nicht zugänglich sei. Im Übrigen hätten die Kläger keinen Progressionsvorteil erlangt, weil die Kapitaleinkünfte in Österreich mit 25% besteuert worden seien. Für die Anwendung des Progressionsvorbehalts bestehe daher kein Bedürfnis.

Progressionsvorbehalt und passive außerordentliche Einkünfte

Negative Einkünfte aus sog. passiven Betriebsstätten sind nach Maßgabe des § 2a Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 und unter Berücksichtigung des sog. Günstigerprinzips auch dann mit dem Gesamtbetrag der positiven Einkünfte aus passiven Betriebsstätten zu verrechnen, wenn es sich hierbei um außerordentliche Einkünfte handelt. Angesichts des (prinzipiellen) Vorrangs von § 2a EStG 2002 gegenüber § 32b EStG ergibt sich aus der Fünftelregelung des § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 nichts anderes.

BFH Urteil vom 25.11.2014 – I R 84/13 BFH/NV 2015, 664

Sachverhalt:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde –zwischenzeitlich bestandskräftig– für das Streitjahr (2002) mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist nur noch der im Zuge des Einspruchs ergangene Änderungsbescheid vom 20. Mai 2008, mit dem auf den 31. Dezember 2002 die negativen passiven Einkünfte, soweit sie aus US-amerikanischen Betriebsstätten stammen und nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern von der Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) steuerbefreit sind, auf 0 EUR festgestellt wurden (§ 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 5 i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes 2002.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist nicht begründet. Das FA hat die verbleibenden negativen Einkünfte zu Recht mit 0 EUR festgestellt. Die negativen (passiven) Einkünfte des Klägers aus seinen US-amerikanischen Betriebsstätten sind mit dem Gesamtbetrag seiner dort erzielten positiven Einkünfte einschließlich der darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte zu verrechnen.

Nach § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002 dürfen negative Einkünfte aus einer in einem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätte, die –wie im Streitfall– nicht die Aktivitätserfordernisse des § 2a Abs. 2 EStG 2002 erfüllt, nur mit positiven Einkünften (der jeweils selben Art) aus demselben Staat (hier: USA) ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG 2002 abgezogen werden. Vielmehr mindern sie gemäß § 2a Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 die positiven Einkünfte derselben Art, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus demselben Staat bezieht (hier: in den USA belegene Betriebsstätten). Die am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibenden negativen Einkünfte sind gemäß § 2a Abs. 1 Satz 5 EStG 2002 gesondert festzustellen; § 10d Abs. 4 EStG 2002 gilt hierbei sinngemäß.

Zwischen den Beteiligten besteht ferner zu Recht Einigkeit darüber, dass die nach Berücksichtigung der Abzugsbegrenzungen des § 2a Abs. 1 und 2 EStG 2002 verbleibenden negativen Einkünfte auch dann gegenüber dem Steuerpflichtigen gemäß § 2a Abs. 1 Satz 5 EStG 2002 gesondert festzustellen sind, wenn die in Frage stehenden (positiven oder negativen) Einkünfte nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 und 2 i.V.m. Art. 7 DBA-USA 1989 steuerbefreit sind und nur in den sog. Progressionsvorbehalt (d.h. die Höhe des Einkommensteuersatzes) nach § 32b EStG 2002 Eingang finden. Zwar ordnet § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 zur Berechnung dieses besonderen Einkommensteuersatzes im Wege der sog. Hinzurechnungsmethode an, dass das nach § 32a Abs. 1 EStG 2002 zu versteuernde Einkommen um die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung befreiten Einkünfte (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002) vermehrt oder vermindert wird, und hierbei die darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte mit einem Fünftel zu berücksichtigen sind. Gleichwohl erübrigt sich hierdurch nicht die Durchführung des Feststellungsverfahrens gemäß § 2a Abs. 1 Satz 5 EStG 2002, weil § 2a EStG 2002 –auch nach Übergang von dem Prinzip der früheren Schattenveranlagung zur heutigen Hinzurechnungsmethode– die Ermittlung der Einkünfte „bereits im Vorfeld” regelt und deshalb die nach dieser Vorschrift zu beachtenden Verlustverwertungsbeschränkungen auch bei den für Zwecke des Progressionsvorbehalts anzusetzenden Einkünften zu berücksichtigen sind. Demnach sind –wie im Streitfall geschehen– die nach § 2a Abs. 1 EStG 2002 verbleibenden negativen Einkünfte auch für Zwecke des Progressionsvorbehalts festzustellen. Der Kläger ist durch die Feststellung dieser Einkünfte auf den 31. Dezember 2002 in Höhe von 0 EUR auch beschwert, da die Feststellung nach § 2a Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 i.V.m. § 10d Abs. 4 Satz 2 EStG 2002 Bindungswirkung für die Feststellung auf das Ende des folgenden Veranlagungszeitraums entfaltet.

Dem FG ist ferner darin zuzustimmen, dass über die mit § 2a Abs. 1 EStG 2002 verbundenen Rechtsfolgen und damit auch über die Frage der Verrechnung der Einkünfte im Rahmen der gesonderten Feststellung nach § 2a Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 EStG 2002 zu entscheiden ist. Soweit dieser Streitfrage in Fällen der Beteiligung mehrerer im Inland einkommen- oder körperschaftsteuerpflichtigen Personen an (aus- oder inländischen) Personengesellschaften die einheitlich und gesonderten Feststellungen gemäß § 180 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 der Abgabenordnung bezüglich Art, Herkunft und Höhe der von § 2a EStG 2002 betroffenen Einkünfte zugrunde zu legen, ist dem nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz im Streitfall entsprochen worden. Demgemäß besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit über die im anhängigen Verfahren in den Verrechnungskreis des § 2a EStG 2002 einzustellenden negativen und positiven Einkünfte.

Das FG hat schließlich auch in der Sache zu Recht angenommen, dass die negativen Einkünfte des Klägers mit dem Gesamtbetrag seiner Einkünfte aus US-amerikanischen (passiven) Betriebsstätten zu verrechnen und hiervon die im Zusammenhang mit der Beteiligung an der T erzielten außerordentlichen Einkünfte nicht auszunehmen sind.

Dies folgt bereits daraus, dass § 2a EStG 2002 die Ermittlung der Einkünfte eigenständig und gegenüber § 32b EStG 2002 vorrangig regelt und der in § 2a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 4 EStG 2002 angeordnete Verlustausgleich sowohl nach seinem unmissverständlichen Wortlaut als auch nach seinem Zweck, Fehlentwicklungen im Bereich der Verlustverwertung zu begegnen, keinerlei Anhalt dafür gibt, die aus passiven Betriebsstätten i.S. von § 2a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 erzielten Verluste nicht mit den außerordentlichen Einkünften derselben Art zu verrechnen.

Soweit der Kläger hiergegen einwendet, dass nach dem Wortlaut des § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 die außerordentlichen Einkünfte für Zwecke des Progressionsvorhalts nur zu einem Fünftel anzusetzen seien, kann diese Erwägung bereits aus systematischen Gründen, nämlich mit Rücksicht auf die gegenüber § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 vorrangige Einkünfteermittlung nach den Grundsätzen des § 2a Abs. 1 EStG 2002, nicht durchgreifen. Aber selbst dann, wenn man eine Modifikation der Verlustverwertungsregeln des § 2a EStG 2002 für möglich erachten wollte, ist mit Rücksicht auf die im Streitfall zu entscheidende Frage, ob die außerordentlichen Einkünfte zur Bestimmung des Einkommensteuersatzes zunächst mit negativen Einkünften auszugleichen sind, für eine solche korrigierende Gesetzesauslegung keine Veranlassung ersichtlich.

Zum einen unterwirft § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerbefreiten außerordentlichen Einkünfte (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002) nicht isoliert zu einem Fünftel dem Progressionsvorbehalt, sondern ordnet –so der Wortlaut der Vorschrift– diese Rechtsfolge im Hinblick auf die in den nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002 steuerbefreiten Einkünften „enthaltenen außerordentlichen Einkünfte” an. Diese Gesetzesformulierung lässt zumindest auch die Deutung zu, dass die Fünftelregelung nur für den nach vorheriger Verrechnung mit den laufenden negativen Betriebsstätteneinkünften verbleibenden Teil der außerordentlichen Einkünfte zum Tragen kommt. Zum anderen steht nur letzteres Gesetzesverständnis im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers. Die durch das Steuersenkungsgesetz eingeführte Fünftelregelung will einerseits dem Umstand Rechnung tragen, dass auch außerordentliche Einkünfte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen erhöhen; andererseits sollte ihre nur teilweise Berücksichtigung eine nicht sachgerecht erachtete übermäßige Progressionsverschärfung verhindern; die Vorschrift ist nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich an die Fünftelung der außerordentlichen im Inland steuerpflichtigen Einkünfte in § 34 Abs. 1 EStG 2002 angeglichen worden.

Berücksichtigt man deshalb, dass die außerordentlichen Einkünfte in die nach § 34 Abs. 1 EStG 2002 begünstigte Besteuerung nur insoweit Eingang finden, als sie „im zu versteuernden Einkommen enthalten sind”, und sie deshalb nach dem sog. Günstigkeitsprinzip einem Verlustausgleich mit den laufenden negativen Einkünften unterworfen werden, so ist nicht nachvollziehbar, weshalb die entsprechende Verrechnung gemäß § 2a Abs. 1 EStG 2002 (hier: bezüglich Verluste aus passiven steuerbefreiten ausländischen Betriebsstätten mit außerordentlichen Gewinnen derselben Art) dem vom Gesetzgeber mit der Fünftelregelung des § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 verfolgten Anliegen widerstreiten und eine Durchbrechung des Vorrangs der Einkunftsermittlung gemäß § 2a EStG 2002 rechtfertigen sollte. Vielmehr führt umgekehrt die vom Senat vertretene Auffassung dazu, dass –im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers– der Einkommensteuersatz des Klägers entsprechend dem Gedanken der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nach dem positiven Unterschiedsbetrag der von ihm tatsächlich erzielten ausländischen Betriebsstätteneinkünfte ermittelt und dieser Betrag, soweit in ihm noch außerordentliche Einkünfte enthalten sind, zur Vermeidung eines übermäßigen Einflusses auf den Steuersatz nur zu einem Fünftel angesetzt wird.

Nebeneinander von Progressionsvorbehalt und Tarifermäßigung

Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG und Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG sind mit der Folge nebeneinander anwendbar (sog. integrierte Steuerberechnung), dass sich ein negativer Progressionsvorbehalt im Rahmen der Ermittlung des Steuerbetrags nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG wegen des niedrigeren Steuersatzes notwendig steuermindernd auswirkt.

BFH Urteil vom 11.12.2012, IX R 23/11

Begründung:

Die tarifliche Einkommensteuer bemisst sich nach dem zu versteuernden Einkommen, vorbehaltlich u.a. der § 32b und § 34 EStG (§ 32a Abs. 1 Satz 1, Satz 2  1. Satzteil EStG). Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG die auf alle (im Veranlagungszeitraum bezogenen) außerordentlichen Einkünfte (nicht nur auf die Einnahmen) entfallende Einkommensteuer nach der sog. Fünftel-Regelung zu berechnen. Ist –wie im Streitfall– das verbleibende zu versteuernde Einkommen negativ und das zu versteuernde Einkommen positiv, so beträgt die Einkommensteuer gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG das Fünffache der auf ein Fünftel des zu versteuernden Einkommens entfallenden Einkommensteuer.

Hat ein Steuerpflichtiger Arbeitslosengeld bezogen, so ist auf das nach § 32a Abs. 1 zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden (§ 32b Abs. 1 Satz 1 EStG); das ist gemäß § 32b Abs. 2 Satz 1 EStG der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32a Abs. 1 zu versteuernde Einkommen vermehrt oder vermindert wird, und zwar um den Saldo  der Arbeitslosengeld-Leistungen in Höhe von -3.374 EUR.

Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG und Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG sind nebeneinander anwendbar. Bei Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG muss sich wegen seines Zwecks der Abmilderung der Progressionswirkung eine geringere Einkommensteuer ergeben als bei einer Besteuerung der außerordentlichen Einkünfte nach § 32a Abs. 1 EStG; das gilt erst recht, wenn die Tarifermäßigung mit einem negativen Progressionsvorbehalt zusammentrifft, weil sich ein negativer Progressionsvorbehalt im Rahmen der Ermittlung des Steuerbetrags für die außerordentlichen Einkünfte nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG notwendig steuersatzmindernd auswirkt.

 

Zusammentreffen von außerordentlichen Einkünften und dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünften

Hat der Steuerpflichtige neben außerordentlichen Einkünften i.S. von § 34 Abs. 2 EStG auch steuerfreie Einnahmen i.S. von § 32b Abs. 1 EStG bezogen, so sind diese in der Weise in die Berechnung nach § 34 Abs. 1 EStG einzubeziehen, dass sie in voller Höhe dem verbleibenden zu versteuernden Einkommen hinzugerechnet werden.

BFH Urteil vom 22. September 2009 IX R 93/07

Begründung:

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die Einkommensteuer auf die im zu versteuernden Einkommen enthaltenen außerordentlichen Einkünfte nach der sog. Fünftelregelung zu berechnen. Gemäß § 32b EStG ist das zu versteuernde Einkommen mit einem besonderen Steuersatz zu versteuern, der sich für das zu versteuernde Einkommen zuzüglich bestimmter steuerfreier Einkünfte ergibt.

Die auf die außerordentlichen Einkünfte entfallende Einkommensteuer beträgt nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG das Fünffache des Unterschiedsbetrags zwischen der Einkommensteuer für das um diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich 1/5 dieser Einkünfte.

Die volle Berücksichtigung der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG ist vom Gesetzgeber gewollt. Mit dem Progressionsvorbehalt soll eine Steuerentlastung verhindert werden, die sich daraus ergibt, dass aufgrund des progressiven Tarifverlaufs auf das zu versteuernde Einkommen infolge der Steuerfreiheit der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte ein niedrigerer Steuersatz anzuwenden wäre als bei einer Steuerpflicht dieser Einkünfte. Die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte werden daher bei der Ermittlung des für das zu versteuernde Einkommen maßgeblichen Steuersatzes, nicht aber in das zu versteuernde Einkommen selbst einbezogen.

Die nach § 34 Abs. 1 EStG zu saldierenden Steuerbeträge sind in der Weise zu ermitteln, dass auf das verbleibende zu versteuernde Einkommen bzw. auf das erhöhte verbleibende zu versteuernde Einkommen jeweils die allgemeinen Tarifvorschriften des § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG Anwendung finden. Die Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts beim verbleibenden zu versteuernden Einkommen und beim verbleibenden zu versteuernden Einkommen zuzüglich 1/5 der außerordentlichen Einkünfte führt dazu, dass genau die Progressionswirkung der außerordentlichen Einkünfte im dargelegten Sinne auf 1/5 beschränkt wird. So wird eine zielgenaue Umsetzung der ratio des Progressionsvorbehalts erreicht.

Auch bei einer vollen Berücksichtigung der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden steuerfreien Einkünfte werden diese nicht besteuert. Der Progressionsvorbehalt führt lediglich zu einer Erhöhung der ansonsten begünstigten Besteuerung der außerordentlichen Einkünfte nach § 34 Abs. 1 EStG, dies jedoch entsprechend der gesteigerten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit infolge des Bezugs auch steuerfreier Einkünfte.

§ 7 Abs. 1 Satz 4 EStG regelt lediglich, dass bereits in Anspruch genommene AfA nicht ein weiteres Mal beansprucht werden darf, und begrenzt nicht den Einlagewert auf die Anschaffungs- und Herstellungskosten.

Werbungskosten eines Referendars für Ausbildungsstation in den USA sind bei steuerpflichtigem Arbeitslohn und steuerfreier Tätigkeitsvergütung nur anteilig abziehbar

Aufwendungen eines Referendars für eine Ausbildungsstation in den USA sind nur im Hinblick auf den Anteil, der auf den hierfür bezogenen inländischen Arbeitslohn entfällt, als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen, wenn von der Ausbildungsstation eine steuerfreie Tätigkeitsvergütung gezahlt wird (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a DBA-USA 1989).

Die steuerfreie Tätigkeitsvergütung ist nach Abzug des hierauf entfallenden Anteils der Aufwendungen im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu erfassen.

BFH Urteil vom 11. Februar 2009 I R 25/08

Progressionsvorbehalt bei Krankengeld einer gesetzlichen Krankenversicherung

Das Einkommensteuerrecht in § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst.b bezieht lediglich Krankengeld das von einer gesetzlichen Krankenkasse bezahlt wird, in den Progressionsvorbehalt ein.

In diesem Fall ist es unerheblich, ob der Steuzerpflichtige freiwilliges Mitglied oder Pflichtmitglied der gesetzlichen Krankenkasse ist.

BFH Urteil vom 26.11.2008 – X R 59/06 BFH NV 2009 S. 739 ff

 

Krankengeld kann in den Progressionsvorbehalt einbezogen werden

Die Einbeziehung des Krankengeldes, das ein freiwillig in einer gesetzlichen Krankenkasse versicherter Steuerpflichtiger erhält, in den Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG ist verfassungsgemäß.

BFH Urteil vom 26. November 2008 X R 53/06

Erläuterung:
Mit Urteil vom 26. November 2008 X R 53/06 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das von einem freiwillig in einer gesetzlichen Krankenkasse Versicherten bezogene Krankengeld in den Progressionsvorbehalt einbezogen werde.
Nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) werden bestimmte Lohn- und Einkommensersatzleistungen, die ein Steuerpflichtiger erhält, dem Progressionsvorbehalt unterworfen. Der Progressionsvorbehalt bewirkt, dass steuerfreie Ersatzleistungen selbst zwar nicht besteuert werden; sie erhöhen aber die Steuer auf die übrigen Einkünfte, weil sie bei der Berechnung des Steuersatzes für die übrigen steuerpflichtigen Einkünfte berücksichtigt werden.
Zu den in § 32b Abs. 1 EStG genannten Ersatzleistungen gehört auch das Krankengeld, das als steuerfreie Sozialleistung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bezogen wird, d.h. Krankengeld, das eine gesetzliche Krankenkasse auszahlt. Nicht in den Progressionsvorbehalt einbezogen wird dagegen das Krankengeld, das eine private Krankenversicherung ihren Versicherten gewährt.
Die Witwe eines selbstständig tätigen Schornsteinfegers hatte sich mit ihrer Klage gegen die Einbeziehung des Krankengeldes in den Progressionsvorbehalt gewandt, das dieser von seiner gesetzlichen Krankenversicherung bezogen hatte, bei der er freiwillig versichert gewesen war. Ihrer Meinung nach gelte der Progressionsvorbehalt nicht für das Krankengeld, das ein freiwillig Versicherter von seiner Krankenkasse erhalte – unabhängig davon, ob es sich um eine private oder gesetzliche Krankenversicherung handele.
Mit seinem Urteil vom 26. November 2008 hat der BFH entschieden, dass das Krankengeld, welches von einer gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund der Vorschriften des SGB V gezahlt werde, in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen sei. Es komme nicht darauf an, ob der Bezieher des Krankengeldes pflichtversichert oder freiwillig Mitglied der gesetzlichen Krankenkasse geworden sei.
Die gesetzgeberische Entscheidung, nur das Krankengeld einer gesetzlichen Krankenkasse dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen aber nicht auch das Krankengeld einer privaten Krankenversicherung, verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz. Der Gesetzgeber habe zwischen den Krankengeldern der unterschiedlichen Krankenkassen, die Leistungen aus einem Privatversicherungsverhältnis oder auch Leistungen eines öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsverhältnisses sein können, differenzieren dürfen.

Steuerberechnung beim Zusammentreffen von Tarifermäßigung und Progressionsvorbehalt

Unterliegt der Nachzahlungsbetrag sowohl der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG als auch dem negativen Progressionsvorbehalt des § 32b EStG, so ist eine integrierte Steuerberechnung nach dem Günstigkeitsprinzip vorzunehmen. Danach sind die Ermäßigungsvorschriften in der Reihenfolge anzuwenden, die zu einer geringeren Steuerbelastung führt, als dies bei ausschließlicher Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts der Fall wäre.

BFH Urteil vom 15. November 2007 VI R 66/03

Erläuterung:
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit zwei bereits vor längerer Zeit veröffentlichten und vielfach nachgefragten Entscheidungen dazu Stellung genommen, in welcher Weise die Einkommensteuer zu berechnen ist, wenn die Tarifvorschriften des § 32b des Einkommensteuergesetzes –EStG– (Progressionsvorbehalt) und des § 34 Abs. 1 EStG (Tarifermäßigung) zusammentreffen, z.B. bei Erhalt einer ermäßigt besteuerten Abfindung und nachfolgendem Bezug von steuerfreiem, aber progressionserhöhend wirkenden Arbeitslosengeld. Das EStG sieht für diesen Fall keine eindeutige Berechnungsmethode vor. Der BFH hat sich für eine Berechnungsreihenfolge entschieden, nach der sich die Wirkung der progressionserhöhenden Einkünfte nicht durch die Methode durch Berechnung der Tarifermäßigung verschärft.
Dem Urteil vom 15. November 2007 VI R 66/03 zum negativen Progressionsvorbehalt lag ein Fall zugrunde, in dem dem Kläger nach einem Arbeitsrechtsstreit Lohn für mehrere Jahre nachgezahlt wurde, der der ermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG unterlag. Hiervon wurde ein Teilbetrag unmittelbar an das Arbeitsamt ausgezahlt, da der Kläger während des Arbeitsrechtsstreits zunächst Arbeitslosengeld erhalten hatte und der Lohnanspruch insoweit auf das Arbeitsamt übergegangen war.
Der BFH nahm (entgegen der Vorinstanz) auch in Höhe des an das Arbeitsamt gezahlten Teilbetrags einen ermäßigt zu besteuernden Lohnzufluss beim Kläger an. Gleichzeitig sah er in dieser Zahlung die Rückzahlung des Arbeitslosengeldes durch den Kläger, auf die der negative Progressionsvorbehalt anzuwenden war. Die vom Finanzamt unter Anwendung beider Ermäßigungsvorschriften vorgenommene Steuerberechnung wurde vom BFH verworfen, da sie –entgegen dem Begünstigungszweck der Ermäßigungsvorschriften– zu einer höheren Steuerbelastung führte als die alleinige Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts. Nach der vom BFH angewandten Berechnungsmethode, bei der die Tarifermäßigung –in umgekehrter Reihenfolge zur Steuerberechnung der Finanzverwaltung– zur Ermittlung des besonderen Steuersatzes nach § 32b Abs. 2 EStG berücksichtigt wurde, ergab sich dagegen eine geringere Steuerbelastung.
Das Urteil vom 17. Januar 2008 VI R 44/07 betraf einen Fall, in dem bei der Steuerberechnung neben der Ermäßigungsvorschrift des § 34 Abs. 1 EStG der (positive) Progressionsvorbehalt –gegenläufige– steuererhöhende Wirkung entfaltete. Im Streitfall erhielt die Klägerin ermäßigt zu besteuernden Arbeitslohn für mehrere Jahre und bezog zugleich Arbeitslosengeld, das dem Progressionsvorbehalt unterlag. Da das zu versteuernde Einkommen (zvE) der Klägerin geringer war als der ermäßigt zu besteuernde Arbeitslohn, war die Tarifermäßigung nach der Sondervorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG zu berechnen.
Der BFH bestätigte die von der Vorinstanz angewandte Berechnungsmethode, nach der die Progressionseinkünfte –im Streitfall das Arbeitslosengeld– bei der Steuerberechnung im Rahmen der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG nur insoweit steuererhöhend zu berücksichtigen sind, als sich nach einer Verrechnung mit dem negativen verbleibenden zvE ein positiver Differenzbetrag ergibt. Auf diese Weise wird –im Gegensatz zu einer vollen Berücksichtigung der Progressionseinkünfte– verhindert, dass sich bei Anwendung des Progressionsvorbehalts eine höhere Steuerbelastung ergibt als bei Bezug steuerpflichtiger Einkünfte in Höhe der Progressionseinkünfte.
Die Finanzverwaltung hat sich der vom BFH bestätigten Berechnungsmethode bereits im Jahre 2006 angeschlossen. Anlass hierfür war das Revisionsverfahren XI R 15/02, in dem wie im Streitfall VI R 44/07 über die Steuerberechnung beim Zusammentreffen des § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG mit § 32b EStG gestritten wurde. In diesem Verfahren trat jedoch –ebenso wie in den gleichgelagerten Revisionsverfahren XI R 48/04 und XI R 12/07– eine Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ein, so dass es nicht zu einer Sachentscheidung kam.