Keine Mehrmütterorganschaft im Umsatzsteuerrecht

Eine Organgesellschaft kann nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht gleichzeitig in Unternehmen verschiedener Organträger eingegliedert sein.

BFH Urteil vom 30. April 2009 V R 3/08

Erläuterungen

Mit Urteil vom 30. April 2009 V R 30/08 hat der Bundesfinanzhof (BFH) an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, nach der es umsatzsteuerrechtlich nicht möglich ist, eine sog. Mehrmütterorganschaft zu bilden.

Die Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes ermöglicht es, im Umsatzsteuerrecht mehrere Unternehmen zu einem einzigen Steuerpflichtigen zusammenzufassen. Dieser Gruppenbesteuerung kommt als Gestaltungsinstrument große Bedeutung zu, wenn Unternehmen nicht oder nur beschränkt zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Bezieht z.B. eine Bank oder ein Krankenhaus allgemeine Datenverarbeitungs- oder Verwaltungsleistungen von einem fremden Leistungsanbieter, unterliegen diese Leistungen dem Regelsteuersatz, wobei für die Bank oder das Krankenhaus im Regelfall keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug besteht. Ist die Bank oder das Krankenhaus demgegenüber Mehrheitsgesellschafter des Leistungsanbieters, sind die Leistungen unter den weiteren Voraussetzungen der Organschaft als sog. Innenleistung nichtsteuerbar, da Leistender und Leistungsempfänger umsatzsteuerrechtlich als eine Person angesehen werden. Eine Besteuerung der Leistung unterbleibt dann.

Im Streitfall war zu entscheiden, ob ein Leistungsanbieter aufgrund einer sog. Mehrmütterorganschaft gegenüber mehreren Leistungsempfängern gleichzeitig nichtsteuerbare Innenleistungen erbringen kann. Im Rahmen einer derartigen Mehrmütterorganschaft schließen sich mehrere Banken oder Krankenhäuser zur Beherrschung eines Leistungsanbieters zusammen. Wäre die Mehrmütterorganschaft anzuerkennen, würde der Leistungsanbieter gegenüber allen beteiligten Banken oder Krankenhäusern nichtsteuerbare Innenleistungen erbringen.

Entscheidend für die Ablehnung einer umsatzsteuerrechtlichen Mehrmütterorganschaft durch den BFH war, dass die Organschaft zur Bildung eines einzigen Unternehmens führen muss. Damit ist eine Eingliederung eines Leistungsanbieters in die Unternehmen mehrerer Gesellschafter (Banken oder Krankenhäuser) nicht zu vereinbaren.

Lieferung von Kontaktlisten zu ermäßigten Steuersätzen

Umsätze aus dem Verkauf von Listen mit persönlichen Angaben von kontaktsuchenden Personen (sog. Kontaktlisten), die für eine unbestimmte Anzahl von Interessenten hergestellt werden, unterliegen als Lieferungen von Druckerzeugnissen dem ermäßigten Steuersatz.

BFH Urteil vom 13. Mai 2009 XI R 75/07

Erläuterungen:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 13. Mai 2009 XI R 75/07 über die Höhe des Steuersatzes für Umsätze aus dem Verkauf von Listen mit persönlichen Angaben von kontaktsuchenden Personen (sog. Kontaktlisten) entschieden. Sofern diese Listen für eine unbestimmte Anzahl von Interessenten hergestellt werden, handelt es sich um Lieferungen von Druckerzeugnissen, die lediglich dem ermäßigten Steuersatz (7%) unterliegen.

In dem vom BFH entschiedenen Streitfall bot eine Gesellschaft für Partnervermittlung mittels Zeitungsannoncen eine für Damen kostenlose Partnervermittlung an. Diese trugen in einen Aufnahmebogen ihre Adresse und Telefonnummer sowie Angaben zur Person (Alter, Größe, Figur, Haarfarbe, Augenfarbe, Familienstand, Kinder) ein und konkretisierten ihre Wünsche hinsichtlich der gesuchten Herren. Nachdem die Partnervermittlung die angegebene Telefonnummer überprüft und Bewerbungen mit finanziellen Interessen oder unseriösen Angaben aussortiert hatte, bereitete sie die aus den Aufnahmebögen gewonnenen Informationen drucktechnisch auf und erstellte hieraus eine immer wieder aktualisierte Kontaktliste. Das Finanzamt und das Finanzgericht gingen davon aus, dass der wirtschaftliche Gehalt der Leistung in der Verschaffung von Kontaktmöglichkeiten bestehe und die aus dem Verkauf erzielten Umsätze daher dem Regelsteuersatz unterliegen.

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und entschied, dass es sich um die Lieferung von Druckerzeugnissen handelt, für die der ermäßigte Steuersatz gilt. Entscheidungserheblich war dabei, dass die Kontaktlisten (nach Postleitzahlen geordnet) Adressen, Telefonnummern und persönliche Angaben von kontaktwilligen Damen aus dem gesamten Bundesgebiet enthielten und somit nicht auf die individuellen Wünsche des jeweiligen Interessenten zugeschnitten waren.

Annahme eines Leistungsaustausches bei Zahlungen aus öffentlichen Kassen

Bei Zahlungen aus öffentlichen Kassen kann es an einem Leistungsaustausch fehlen, wenn die Zahlung lediglich der Förderung der Tätigkeit des Empfängers allgemein, aus strukturpolitischen, volkswirtschaftlichen oder allgemeinpolitischen Gründen dient und nicht der Gegenwert für eine Leistung des Zahlungsempfängers an den Geldgeber ist.

Bei Leistungen, zu denen sich die Vertragsparteien in einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet haben, liegt grundsätzlich ein Leistungsaustausch vor.

Für die Steuerbarkeit einer Leistung ist nicht entscheidend, ob sie letztlich im öffentlichen Interesse liegt. Ein Interesse der Allgemeinheit, das dem Handeln jeder öffentlich-rechtlichen Körperschaft innewohnt, schließt die Identifizierbarkeit des Leistungsempfängers nicht aus. Entscheidend ist nur, ob ein individueller Leistungsempfänger vorhanden ist, der aus der Leistung einen konkreten Vorteil zieht.

BFH Urteil vom 18. Dezember 2008 V R 38/06

Begründung:

Sowohl bei den "Zuschüssen für das Stadtfest" als auch bei den "Zuschüssen für den Kläger als Institution" hat es sich um Entgelte für steuerpflichtige Leistungen des Klägers gehandelt, weil ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Zahlungen der Stadt S und den Leistungen des Klägers bestand.

Die Stadt S hat für die Zahlungen als identifizierbarer Leistungsempfänger einen Vorteil erhalten. Bei der Ausrichtung eines Stadtfestes handelt es sich um eine konkrete Aufgabe, die mit einer Vielzahl logistischer und organisatorischer Aufgabenstellungen einhergeht. Hätte die Stadt S die Zahlungen nicht an den Kläger geleistet, sondern die Durchführung von Stadtfesten bei einem anderen mit der Organisation von Großveranstaltungen befassten gewerblichen Unternehmer eingekauft, wäre hierin eine der Stadt S als identifizierbarem Leistungsempfänger zurechenbare Organisationsleistung zu sehen.

Unerheblich ist, dass die Durchführung der Feste im Einzelnen dem Kläger oblegen hat und er inhaltlich keinen Bindungen unterworfen gewesen ist. Denn nach den Umständen des Einzelfalles kann es gerade zum Wesen einer konkreten Leistung gehören, dass der Auftraggeber dem Auftragnehmer neben der Umsetzung eigener Vorstellungen auch in der Wahl der einzusetzenden Mittel freie Hand lässt und das Entgelt gerade auch für das Entwickeln eigener Ideen gezahlt wird.

Für die Steuerbarkeit einer Leistung ist weiter nicht entscheidend, ob sie letztlich im öffentlichen Interesse liegt. Ein Interesse der Allgemeinheit, das dem Handeln jeder Körperschaft innewohnt, schließt die Identifizierbarkeit des Leistungsempfängers nicht aus. Entscheidend ist vielmehr, dass ein individueller Leistungsempfänger vorhanden ist, der aus der Leistung einen konkreten Vorteil zieht.

Die Leistungen des Klägers beruhen auch auf einem Rechtsverhältnis, nämlich dem jeweiligen Zuwendungsbescheid der Stadt S. Dass dieses Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur war, ist unerheblich. Nicht entscheidend ist, ob die Zahlung auf einen Haushaltsbeschluss der Stadt S zurückzuführen ist. Denn für die Frage, ob zwischen Leistung und Gegenleistung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, ist ohne Bedeutung, dass die öffentlich-rechtliche Körperschaft die Mittel nicht frei oder nur auf der Grundlage eines entsprechenden Haushaltsbeschlusses vergeben darf. Durch Letzteren wird lediglich die interne Befugnis zur Mittelverwendung geregelt. Ob die durch einen Haushaltsbeschluss gedeckte Ausgabe mit einer steuerbaren Gegenleistung in Zusammenhang steht, ergibt sich nicht aus der haushaltsrechtlichen Erlaubnis zur Ausgabe, sondern aus dem Grund der Zahlung. Soweit in Abschn. 150 Abs. 8 der Umsatzsteuer-Richtlinien geregelt ist, dass in Zuwendungen aus öffentlichen Kassen, die ausschließlich auf der Grundlage des Haushaltsrechts vergeben werden, "grundsätzlich echte Zuschüsse" zu sehen seien, schließt sich der Senat dem nicht an

 

Erlass von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer bei unrichtigen Endrechnungen

Eine aufgrund unzutreffenden Steuerausweises in einer Rechnung gemäß § 14 Abs. 2 UStG entstandene nicht entrichtete Steuer ist gemäß § 233a AO zu verzinsen. Die aufgrund des Steuerausweises entstandene Umsatzsteuerschuld besteht bis zur ohne Rückwirkung eintretenden Berichtigung des Steuerbetrags.

Eine rückwirkende Berichtigung unzutreffend ausgewiesener Steuer widerspricht dem Regelungszweck des § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG. Für eine sachliche Unbilligkeit der Verzinsung von derartigen Umsatzsteuernachforderungen ist deshalb kein Anhaltspunkt ersichtlich.

Eine ermessenslenkende Billigkeitsregelung der Verwaltung, wonach Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sind, wenn ein Unternehmer eine unrichtige Endrechnung, die eine Steuerschuld nach § 14 Abs. 2 UStG auslöst, in einem auf das Kalenderjahr der ursprünglichen Rechnungserteilung folgenden Kalenderjahr nach Aufdeckung seines Fehlers sogleich berichtigt hat, bindet die Gerichte nicht.

BFH Urteil vom 19. März 2009 V R 48/07

 

Erstattung der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung bei widerrufener Dauerfristverlängerung

Wird die Dauerfristverlängerung für die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen widerrufen und die Sondervorauszahlung auf die Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum, für den die Fristverlängerung gilt, angerechnet, ist der insoweit nicht verbrauchte Betrag der Sondervorauszahlung nicht zu erstatten, sondern mit der Jahressteuer zu verrechnen. Nur soweit die Sondervorauszahlung auch durch diese Verrechnung nicht verbraucht ist, entsteht ein Erstattungsanspruch.

 BFH Urteil vom 16. Dezember 2008 VII R 17/08

 

Partyservice

Dienstleistungen und Vorgänge, die nicht notwendig mit der Vermarktung von Lebensmitteln verbunden sind, sind kennzeichnend für eine Bewirtungstätigkeit.

Nicht notwendig mit der Vermarktung von Lebensmitteln verbunden ist deren Zubereitung zu einem bestimmten Zeitpunkt in einen verzehrfertigen Gegenstand.

BFH Urteil vom 18. Dezember 2008 V R 55/06

Begründung:

Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt einen Party-Service. Zusätzlich zur Lieferung von Speisen gehört zu ihrem Leistungsangebot die Überlassung von Geschirr und Besteck; hierfür berechnet sie gesondert ein Entgelt. Nur ein Teil der Kunden macht von diesem Angebot Gebrauch.

Geschirr und Besteck überlassen, wird dieses anschließend nach Abholung beim Kunden von der Klägerin gereinigt. Im Anschluss an eine Außenprüfung vertrat das FA zu diesem Sachverhalt die Auffassung, es handele sich um eine einheitliche Leistung, die als sonstige Leistung zu qualifizieren und mit dem Regelsteuersatz zu besteuern sei.

Davon ausgehend hat der BFH bereits entschieden, dass sonstige Leistungen vorliegen: – wenn ein Unternehmer zusätzlich zur Lieferung von Speisen und Getränken auch Geschirr, Besteck sowie Tische, Sitzgelegenheiten, Zelte und Dekorationsmaterial zur Verfügung stellt – wenn ein Mahlzeitendienst Mittagessen auf eigenem Geschirr an Einzelabnehmer in deren Wohnung ausgibt und das Geschirr endreinigt – wenn ein Menü-Service warme Mittagessen an Schüler ausgibt und nach dem Essen die Tische und das Geschirr abräumt und reinigt – wenn Kunden eines Imbisswagens ihre Speisen unter Benutzung von Tischen, Stühlen und Bänken der Standnachbarn verzehren konnten

Denn danach geht die Abgabe der Speisen an die Kunden der Klägerin mit einer Reihe von Dienstleistungen einher, die sich von den Vorgängen unterscheiden, die notwendig mit der Lieferung von Lebensmitteln verbunden sind: Die Klägerin hat die Speisen verzehrfertig zubereitet, an den von ihren Kunden genannten Ort zur vereinbarten Zeit verbracht und ihren Kunden zusätzlich Geschirr und Besteck überlassen sowie dieses wieder abgeholt und gereinigt. Dies reicht für die Annahme einer sonstigen Leistung aus.

Anforderungen an die Erbringung eines Ausfuhrnachweises in Beförderungsfällen

Zum Nachweis einer Ausfuhrlieferung reichen die in § 6 Abs. 4 Satz 2 UStG i.V.m. § 9 UStDV genannten Nachweise grundsätzlich aus. Etwas anderes gilt nur, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Nachweise vorliegen.

BFH Urteil vom 31. Juli 2008 V R 21/06

Begründung:

Eine Ausfuhrlieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. a UStG) liegt gemäß § 6 Abs. 1 UStG vor, "… wenn bei einer Lieferung 1. der Unternehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3, befördert oder versendet hat und ein ausländischer Abnehmer ist oder 2. der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3, befördert oder versendet hat und ein ausländischer Abnehmer ist oder 3. der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in die in § 1 Abs. 3 bezeichneten Gebiete befördert oder versendet hat und der Abnehmer

a) ein Unternehmer ist, der den Gegenstand für sein Unternehmen erworben hat, oder

b) ein ausländischer Abnehmer, aber kein Unternehmer, ist und der Gegenstand in das übrige Drittlandsgebiet gelangt …".

Gemäß § 8 Abs. 1 UStDV muss der Unternehmer bei Ausfuhrlieferungen durch Belege nachweisen, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet befördert oder versendet hat. Diese Voraussetzungen müssen sich aus den Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben. Gemäß § 9 Abs. 1 UStDV soll der Unternehmer in den Fällen, in denen er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet befördert hat (Beförderungsfälle), den Ausfuhrnachweis regelmäßig durch einen Beleg führen, der Folgendes enthält: 1. den Namen und die Anschrift des Unternehmers, 2. die handelsübliche Bezeichnung und die Menge des ausgeführten Gegenstandes, 3. den Ort und den Tag der Ausfuhr, 4. eine Ausfuhrbestätigung der den Ausgang des Gegenstandes aus dem Gemeinschaftsgebiet überwachenden Grenzzollstelle eines Mitgliedstaates.

Nach den Feststellungen des Gerichts hat der Kläger Nachweise über die Ausfuhr, die diesen Anforderungen entsprechen, erbracht. Das genügt jedenfalls dann, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der vorgelegten Nachweise bestehen. Das FA sieht zu Unrecht eine Verletzung von § 6 Abs. 1 UStG darin, dass der Kläger die in Abschn. 135 Abs. 9 Nr. 1 UStR 2000 genannten Nachweise nicht beigebracht hat. Bei der Regelung in Abschn. 135 Abs. 9 UStR 2000 handelt es sich nicht um die Festsetzung einer Bedingung durch den Mitgliedstaat, sondern lediglich um eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, die der gleichmäßigen Auslegung und Anwendung des Gesetzes dient. Ob die an einer Verwaltungsvorschrift ausgerichtete Auslegung oder Anwendung des Gesetzes richtig ist, unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch die Gerichte, die nicht an derartige Verwaltungsvorschriften gebunden sind.

EuGH-Vorlage zur Umsatzsteuerpflicht von sonstigen Glücksspielen mit Geldeinsatz

Ist Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112/EG dahin auszulegen, dass den Mitgliedstaaten eine Regelung gestattet ist, nach der nur bestimmte (Renn-)Wetten und Lotterien von der Steuer befreit und sämtliche “sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz” von der Steuerbefreiung ausgenommen sind?

BFH Beschluss vom 17. Dezember 2008 XI R 79/07

Erläuterung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 17. Dezember 2008 XI R 79/07 dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob es mit Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MWStSystRL) vereinbar ist, dass nach deutschem Recht nur bestimmte Wetten und Lotterien von der Umsatzsteuer befreit und sämtliche “sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz” von der Steuerbefreiung ausgenommen sind.
Die Mitgliedstaaten sind nach dem Gemeinschaftsrecht gehalten, Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz von der Umsatzsteuer zu befreien. Sie können jedoch Bedingungen und Beschränkungen für die Steuerbefreiung festlegen. Nach dem vom deutschen Gesetzgeber mit Wirkung vom 6. Mai 2006 neu geregelten § 4 Nr. 9 Buchst b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sind nur bestimmte unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallende Umsätze (Rennwetten und öffentlich veranstaltete Lotterien, Ausspielungen und Oddset-Wetten) von der Umsatzsteuer befreit. Die Mehrzahl der Glücksspiele einschließlich der im vorliegenden Streitfall zu beurteilenden Spiele an Geldspielautomaten ist danach umsatzsteuerpflichtig. Deshalb war bereits im Gesetzgebungsverfahren zur Neufassung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG umstritten, ob dies mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts im Einklang steht.
Im Gegensatz zur Vorinstanz hat der BFH Zweifel, ob der deutsche Gesetzgeber den ihm durch das Gemeinschaftsrecht eingeräumten Spielraum bei der Neuregelung des § 4 Nr. 9 Buchst b UStG eingehalten hat.

Rückwirkender Wechsel von der Istbesteuerung zur Sollbesteuerung

Ein rückwirkender Wechsel von der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG) zur Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (§ 16 UStG) ist bis zur formellen Bestandskraft der jeweiligen Jahressteuerfestsetzung zulässig.

BFH Urteil vom 10. Dezember 2008 XI R 1/08

Begründung:
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG entsteht die Steuer bei der Berechnung nach vereinnahmten Entgelten zwar mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind. Ein Wechsel bedeutet aber insofern keinen Eingriff in den Besteuerungssachverhalt, als er nicht zur Folge hat, dass dadurch das Vorliegen einer i.S. von § 1 Abs. 1 UStG steuerbaren und steuerpflichtigen Lieferung oder sonstigen Leistung entfallen würde. Ob ein Umsatz überhaupt steuerpflichtig ist und welcher Steuersatz zur Anwendung kommt, richtet sich vielmehr nach den tatsächlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Leistung und ist daher unabhängig vom Zeitpunkt der Entgeltsvereinnahmung.
Unabhängig von der Entstehung der Umsatzsteuer nach vereinbarten Entgelten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG kann ein Antrag auf Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten daher grundsätzlich auch noch im Laufe und selbst nach Ablauf eines Jahres und damit rückwirkend gestellt und genehmigt werden. Wenn aber die nachträgliche bzw. rückwirkende Gestattung der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot bewirkt, muss dies auch für den Verzicht auf die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten gelten. Denn auch dadurch wird nicht in den der Besteuerung zugrunde liegenden Lebenssachverhalt eingegriffen, sondern lediglich die Höhe der Umsatzsteuer im jeweiligen Besteuerungszeitraum verändert.

Reinigung von Kundentoiletten

Reinigung von Kundentoiletten gegen Überlassung der von Nutzern freiwillig gezahlten Beträge als tauschähnlicher Umsatz steuerpflichtig – Aussetzung der Vollziehung – Ermittlungspflicht des Bundesfinanzhofs im Beschwerdeverfahren

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 30.9.2008, XI B 74/08

Begründung:
Im Streitfall hat das FA die Umsatzsteuer bei summarischer Prüfung im Ergebnis zu Recht festgesetzt. Der Senat neigt zu der Auffassung, dass ein Leistungsaustausch zwischen dem Antragsteller und den Betreibern der Kaufhäuser stattgefunden hat und die Bewirtschaftung und Reinigung der Toiletten durch den Antragsteller gegen die Einräumung der Möglichkeit, in den Toilettenräumen die freiwillig gezahlten Nutzungsentgelte oder “Trinkgelder” zu vereinnahmen, ein tauschähnlicher Umsatz ist. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Verträge als “Pachtvertrag” bezeichnet sind.

Nach § 3 Abs. 12 Satz 2 UStG liegt ein tauschähnlicher Umsatz vor, wenn das Entgelt für eine sonstige Leistung in einer Lieferung oder sonstigen Leistung besteht.
Aus allen vorgelegten Verträgen geht hervor, dass der Antragsteller sich zur Reinigung der Toiletten verpflichtet hat, weil die jeweiligen Betreiber der Kaufhäuser ein eigenes Interesse daran haben, ihren Kunden saubere Toiletten zur Verfügung zu stellen. Deshalb hat der Antragsteller mit der Bewirtschaftung und Reinigung der Toiletten gegenüber dem Betreiber des Kaufhauses eine sonstige Leistung (§ 3 Abs. 9 UStG) erbracht und die Toiletten nicht nur im eigenen Interesse gereinigt, um höhere “Trinkgelder” oder freiwillige Nutzungsentgelte zu erzielen. Als Gegenleistung hat ihm der jeweilige Betreiber des Kaufhauses die Möglichkeit eingeräumt, die von den Kunden gezahlten “Trinkgelder” oder freiwillig gezahlten Nutzungsentgelte zu vereinnahmen (vgl. Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 30. Mai 2008 2 U 26/08, juris).

Bemessungsgrundlage für die Reinigungsleistungen des Antragstellers sind die von ihm vereinnahmten freiwilligen Nutzungsentgelte oder “Trinkgelder”. Denn bei tauschähnlichen Umsätzen gilt der Wert jedes Umsatzes als Entgelt für den anderen Umsatz (§ 10 Abs. 2 Satz 2 UStG). Als Entgelt für die Reinigungsleistung des Antragstellers ist danach der Wert der ihm eingeräumten Möglichkeit, die freiwilligen Zahlungen der Toilettennutzer zu vereinnahmen, anzusetzen. Dieser Wert entspricht den tatsächlichen Zahlungen der Toilettennutzer.