Beachtung der “Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns” ist Entscheidung im jeweiligen Einzelfall

Eine Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung, wenn sich ihre Beantwortung in der Entscheidung des konkreten Einzelfalls erschöpft.

Die Frage, was unter der von einem Unternehmer nach § 6a Abs. 4 UStG zu beachtenden "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns" zu verstehen ist, wenn der Gegenstand einer Lieferung tatsächlich nicht in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet wurde, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Denn ob die "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns" beachtet wurde, ist durch eine Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls, ggf. nach Durchführung einer entsprechenden Beweisaufnahme, zu entscheiden.

BFH Beschluss vom 28.09.2009 – XI B 103/08 BFHNV 2010 S. 73 f.

Begründung:

Im Streitfall hält das FA sinngemäß die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, was unter der von einem Unternehmer gemäß § 6a Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes 1999 zu beachtenden "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns" zu verstehen ist, wenn der Gegenstand einer Lieferung tatsächlich nicht in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet wurde.

Dieser Frage kommt entgegen der Auffassung des FA keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie nicht klärungsbedürftig ist. Denn ob die "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns" beachtet wurde, ist durch eine Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls, ggf. nach Durchführung einer entsprechenden Beweisaufnahme, zu entscheiden. Dies erklärt auch, weshalb das FA in der bereits vorliegenden Rechtsprechung keine abstrakten Erörterungen, sondern nur Feststellungen im jeweiligen Einzelfall gefunden hat.

In der Vorinstanz wurde hierzu ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG zweifelsfrei erfüllt und die Lieferung steuerfrei ist, wenn nach § 6 a Abs. 4 Satz 1 UStG eine innergemeinschaftliche Lieferung auch bei fehlenden oder unvollständigen Buch- und Belegnachweisen durchgeführt wurde und der Unternehmer auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns die Falschdeklarierung der vom Abnehmer vorgelegten Nachweise nicht erkennen konnte.

Der Klin komme der Vertrauensschutz nach § 6 a Abs. 4 UStG zugute. Die Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Kaufmanns habe sie nicht verletzt. Die Klin habe die Unrichtigkeit der Verbringungsnachweise nicht erkennen können, zumal die Transportvorgänge ihre Betriebsstätte nicht berührt hätten. Sie habe auch keinen Verdacht schöpfen müssen, zumal sie ihren kaufmännischen Sorgfaltspflichten vollumfänglich nachgekommen sei und sogar die Hausbank der W GmbH kontaktiert habe. Die Klin sei insbesondere nicht gehalten gewesen, bezüglich der Transportvorgänge zusätzliche Nachforschungen anzustellen. Sie habe keinen Anlass zu irgendwelchen Recherchen gehabt. Die Organe der Klin und ihre vermeintlichen Haftpersonen seien vielmehr selbst Opfer von Täuschungshandlungen geworden. Ihr dürfe nicht das Risiko eines steuerunehrlichen Verhaltens ihres Vertragspartners aufgebürdet werden. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 27.09.2007 C-409/04 – Teleos.

 

 

 

 

Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen im Billigkeitsverfahren

Ob die Grundsätze des Vertrauensschutzes die Gewährung der Steuerbefreiung gebieten, obwohl die Voraussetzungen eine Ausfuhrlieferung i.S. des § 6 Abs. 1 UStG nicht erfüllt sind, kann nur im Billigkeitsverfahren entschieden werden.

BFH Beschluss vom 26.03.2009 V B 179/07 BFH NV 2009 S. 1477 ff

Begründung:

"Aus den im Steuerrecht allgemein geltenden Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes ergibt sich, dass die Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung nicht versagt werden darf, wenn der liefernde Unternehmer die Fälschung des Ausfuhrnachweises, den der Abnehmer ihm vorlegt, auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hat erkennen können. Ob die Voraussetzungen hierfür gegeben sind, ist im Erlassverfahren zu prüfen."

Der Senat hat in diesem Urteil u.a. ausgeführt, eine analoge Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG auf Ausfuhrlieferungen komme nicht in Betracht. Ob die Grundsätze des Vertrauensschutzes die Gewährung der Steuerbefreiung geböten, obwohl die Voraussetzungen einer Ausfuhrlieferung i.S. des § 6 Abs. 1 UStG nicht erfüllt seien, könne nur im Billigkeitsverfahren entschieden werden; dem stehe das Gemeinschaftsrecht nicht entgegen

Vertrauensschutz bei Vorsteuerabzug

Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist, dass in der Rechnung die im Zeitpunkt der Rechnungserstellung zutreffende Anschrift des Leistenden angegeben ist.

§ 15 UStG 1999 schützt nicht den guten Glauben an die Erfüllung der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug.

Liegen die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug wegen unzutreffender Rechnungsangaben nicht vor, kommt unter Berücksichtigung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren (§§ 163, 227 AO) in Betracht.

Macht der Steuerpflichtige im Festsetzungsverfahren geltend, ihm sei der Vorsteuerabzug trotz Nichtvorliegens der materiell-rechtlichen Voraussetzungen zu gewähren, ist die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Satz 3 AO regelmäßig mit der Steuerfestsetzung zu verbinden.

BFH Urteil vom 08.10.2008 V R 63/07 BFHNV 2009 S. 1474 ff

Begründung:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen die Angaben im Abrechnungspapier eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung des leistenden Unternehmers ermöglichen. Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer müssen grundsätzlich identisch sein.

Hierfür ist die Angabe der im Zeitpunkt der Rechnungserstellung zutreffenden Anschrift in der Rechnung erforderlich. Denn diese ermöglicht der Finanzverwaltung zu überprüfen, ob tatsächlich der abrechnende Unternehmer den in der Rechnung ausgewiesenen Umsatz ausgeführt hat. Dies gilt auch dann, wenn die Rechnung –wie im Streitfall nach mehreren Änderungen– erst lange Zeit nach der Ausführung der Leistung erstellt worden ist. In diesen Fällen ist die Finanzverwaltung zur leichten und eindeutigen Feststellung des leistenden Unternehmers auf eine aktuelle Adresse angewiesen.

Selbst wenn in Deutschland kein Unternehmenssitz bestanden haben sollte, so hätte in den Rechnungen auch die Angabe eines ausländischen Sitzes genügt.

Gesichtspunkte wie die Berücksichtigung des Vertrauensschutzes aufgrund der besonderen Verhältnisse des Einzelfalles können nach nationalem Recht aber grundsätzlich nicht bei der Steuerfestsetzung nach den gesetzlichen Vorschriften des UStG, sondern nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227 AO Berücksichtigung finden. Macht der Steuerpflichtige Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes im Festsetzungsverfahren geltend, wird die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 Satz 3 AO regelmäßig mit der Steuerfestsetzung zu verbinden sein.

Vertrauensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen und Ausfuhrlieferungen

Nach § 6a Abs. 4 UStG ist eine Lieferung gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte.

 Eine Ausfuhrlieferung ist unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs steuerfrei, wenn der Unternehmen einen Vertrauensschutz auf die Echtheit eines Zollstempels geltend macht, weil er keinen Anlass hatte dessen Gültigkeit zu zweifeln.

Finanzgericht München Urteil vom 24. April 2008 14 K 4628/05- EFG 2009 S. 523ff

 Anmerkung:

In diesem Fall wurde Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH eingelegt.