Berücksichtigung des Verkaufspreises für eine Eigentumswohnung als Nachweis des niedrigeren Werts nach Bestandskraft des Wertfeststellungsbescheids

Die Änderung eines bestandskräftigen Feststellungsbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt bei einem zeitnahen Verkauf der Wohnung nur in Betracht, wenn die Wohnung schon vor der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung verkauft wurde.
Wird der Kaufvertrag erst nach der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung abgeschlossen, liegt ein nachträglich entstandenes Beweismittel vor, das nicht zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führt.

Der erst nach Eintritt der Bestandskraft der Feststellungsbescheide erfolgte Verkauf der Eigentumswohnung ist kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das die Änderung der Wertfeststellung rechtfertigt.

BFH Urteil vom 17.05.2017n- II R 60/15 BFH/NV 2017, 1299

Sachverhalt:
Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) erhielten im Wege einer Schenkung mit Wirkung zum 7. Juli 2010 als Miteigentümer jeweils zur Hälfte eine Eigentumswohnung.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) stellte mit Bescheiden vom 16. Juni 2011 den Grundbesitzwert für Zwecke der Schenkungsteuer zum 7. Juli 2010 auf 62.183 EUR gesondert fest und rechnete den Wert den Klägerinnen jeweils zur Hälfte zu. Die Feststellungsbescheide sind bestandskräftig.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 27. September 2011 veräußerten die Klägerinnen die ihnen zugewendete Eigentumswohnung und eine der Klägerinnen die ihr allein gehörende, im selben Objekt befindliche gleich große Eigentumswohnung zum Gesamtpreis von 100.000 EUR.

Mit Schreiben vom 21. Mai 2014 beantragten die Klägerinnen, für die zugewendete Eigentumswohnung im Hinblick auf den zeitnah erfolgten Verkauf einen Grundbesitzwert von 50.000 EUR festzustellen und die bestandskräftigen Feststellungsbescheide vom 16. Juni 2011 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern. Das FA lehnte mit Bescheid vom 28. Mai 2014 eine Änderung der Feststellungsbescheide ab, weil die zugewendete Eigentumswohnung erst nach der Feststellung des Grundbesitzwerts veräußert worden und damit keine Tatsache nachträglich bekannt geworden sei. Ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liege ebenfalls nicht vor. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 693 veröffentlichten Urteil ab.
Mit der Revision rügen die Klägerinnen eine Verletzung von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 198 des Bewertungsgesetzes in der für 2010 maßgebenden Fassung (BewG).
Die Klägerinnen beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Ablehnungsbescheid vom 28. Mai 2014 sowie die Einspruchsentscheidung vom 23. Oktober 2014 aufzuheben und die Bescheide vom 16. Juni 2011 über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts zum 7. Juli 2010 dahin zu ändern, dass der Wert der Eigentumswohnung mit 50.000 EUR festgestellt und ihnen jeweils zur Hälfte zugerechnet wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Begründung:

Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen Feststellungsbescheide nicht vorliegen.
Die Feststellungsbescheide sind nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern.

Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu ändern, wenn Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Die Änderungsnorm gilt sinngemäß auch für Feststellungsbescheide (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO).
Ein Beweismittel ist i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nachträglich bekannt geworden, wenn es beim Erlass des zu ändernden Bescheids zwar bereits existierte, aber dem Finanzamt nicht bekannt war. Dagegen scheidet eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei einem nachträglich entstandenen Beweismittel aus.
Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Bewertungsstichtag niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert, so ist dieser Wert anzusetzen (§ 198 Satz 1 BewG). Ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum maßgeblichen Besteuerungsstichtag erzielter Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück kann als Nachweis in diesem Sinne dienen. Zeitnah ist regelmäßig ein Kaufpreis, der auf einem innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Besteuerungszeitpunkt zustande gekommenen Kaufvertrag beruht; zu berücksichtigen kann aber auch ein außerhalb dieses Zeitraums erzielter Kaufpreis sein.

Der zeitnahe Verkauf einer zugewendeten Wohnung ist ein Beweismittel i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, das generell geeignet ist, Rückschlüsse auf den Wert dieser Wohnung zuzulassen. Die Änderung eines bestandskräftigen Feststellungsbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn der Verkauf der Wohnung schon vor der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung stattgefunden hat. In diesem Fall kann der beim Verkauf erzielte Kaufpreis ein nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sein. Wird der Kaufvertrag dagegen erst nach der abschließenden Entscheidung über die Feststellung abgeschlossen, liegt ein nachträglich entstandenes Beweismittel vor, das nicht zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führt.

Der Wert der Eigentumswohnung ist auch keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Wird eine Wohnung nach der Wertfeststellung verkauft und ist der erzielte Verkaufspreis niedriger als der festgestellte Wert, wird der Wert der Wohnung aus dem später abgeschlossenen Kaufvertrag abgeleitet. Schlussfolgerungen aller Art sind jedoch keine Tatsachen i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Als neue Tatsachen können deshalb auch nicht die wertbegründenden Eigenschaften der Wohnung angesehen werden.

Danach sind die bestandskräftigen Bescheide über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts zum 7. Juli 2010 nicht wegen nachträglich bekannt gewordener Beweismittel oder Tatsachen zu ändern. Die Eigentumswohnung ist mit notariell beurkundetem Vertrag vom 27. September 2011 und damit erst nach der Feststellung des

Eine Änderung der Feststellungsbescheide gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO scheidet ebenfalls aus.
Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, wenn ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
Ein rückwirkendes Ereignis liegt vor, wenn der nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhalt sich später anders gestaltet und sich steuerlich in der Weise in die Vergangenheit auswirkt, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Eine andere rechtliche Beurteilung des unverändert bleibenden Sachverhalts genügt insoweit nicht.

Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, also bereits eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen, ist den Normen des materiellen Steuerrechts zu entnehmen. Beweismittel, die ausschließlich dazu dienen, eine steuerrechtlich relevante Tatsache zu belegen, und die als solche keinen Eingang in eine materielle Steuerrechtsnorm gefunden haben, sind selbst dann kein rückwirkendes Ereignis, wenn sie erst nach Bestandskraft eines Bescheids beschafft werden können.
Der im Streitfall erst nach Eintritt der Bestandskraft der Feststellungsbescheide erfolgte Verkauf der Eigentumswohnung ist kein rückwirkendes Ereignis. Der Verkauf und der erzielte Verkaufspreis sind keine materiell-rechtliche Voraussetzung für den Ansatz eines niedrigeren Grundbesitzwerts. § 198 Satz 1 BewG sieht für Grundvermögen zwar den Nachweis eines gemeinen Werts vor, der niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert. Für den Nachweis ist aber –anders als z.B. beim Zuwendungsnachweis für Spenden nach § 50 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung– kein bestimmtes Beweismittel gesetzlich vorgeschrieben. Der Steuerpflichtige kann den Nachweis durch verschiedene Beweismittel führen. Ist die Art des Nachweises nicht als materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzung gesetzlich festgelegt, sind vom Steuerpflichtigen vorgelegte Unterlagen bloße Beweismittel.

Sprachaufenthalte im Ausland als Berufsausbildung

Nicht jeder Auslandsaufenthalt kann als Berufsausbildung anerkannt werden, auch wenn sich dadurch die Kenntnisse der jeweiligen Landessprache verbessern.
Sprachaufenthalte im Ausland können unter besonderen Umständen als Berufsausbildung anerkannt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Erwerb der Fremdsprachenkenntnisse auch der Vorbereitung auf einen für die Zulassung zum Studium erforderlichen Fremdsprachentest dient und dieser nicht dem ausbildungswilligen Kind allein überlassen bleibt. Ausreichend kann insoweit auch ein allgemeinbildender fortlaufender theoretisch-systematischer Unterricht in englischer Sprache sein.

BFH Urteil vom 22.02.2017 – III R 3/16 BFH/NV 2017, 1304

Sachverhalt:

Streitig ist der Kindergeldanspruch für die Monate Oktober 2014 bis Dezember 2014.
Nach dem Erwerb der allgemeinen Hochschulreife nahm P, der im September 1996 geborene Sohn der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), vom September 2014 bis zum Februar 2015 an einem internationalen missionarischen Trainingsprogramm (“missionary training program”) teil. Veranstalter war die Organisation “Youth with a mission – YWAM”, deren Abteilung YWAM Ships ihren Sitz in den USA hat. Der deutschsprachige Zweig von YWAM heißt “Jugend mit einer Mission – JMEM” und versteht sich als internationale Bewegung junger Christen. Ausweislich der Teilnahmebestätigungen der Organisation vom Juli 2014 und vom Dezember 2014 absolvierte P das Programm “Discipleship Training School”, zu Deutsch Jüngerschaftsschule. Auf der Homepage des deutschen Ablegers der Organisation wird das Programm wie folgt beschrieben:
“Die Jüngerschaftsschule (die als 5- oder 6-monatiger Studienkurs bei JMEM angeboten wird) ist ein an der University of the Nations (U of N) registrierter Studienkurs der nach erfolgreichem Abschluss den Teilnehmern folgende Möglichkeiten eröffnet:
– Mitarbeit bei Jugend mit einer Mission, mit Diensten in Entwicklungshilfe, Bildung und Erziehung, Kinder-, Jugend- und Familienarbeit u.a.
– Studium an der U of N, unserer internationalen Universität, verteilt auf allen 6 bewohnten Kontinenten der Erde. Abschlüsse an der U of N sind international anerkannt. Möglich sind A.A. (Associate of Arts) und A.S. (Associate of Science), B.A. (Bachelor of Art) oder B.S. (Bachelor of Science) und verschiedene Masters Programme.
Einem 3-monatigen Schulungsblock in Deutschland folgt ein 2-3-monatiger Aufenthalt in einem anderen Land. Dort werden die Teilnehmer Gelerntes in die Praxis umsetzen lernen und in Projekten vor Ort mitarbeiten, die u.a. folgende Inhalte haben: Kinder- und Jugendarbeit, Familiendienste, Entwicklungshilfe, Gemeindebau und Evangelisation, karitative Dienste & Völkerverständigung.”
Nach dem Stundenplan des für P geltenden Studienkurses wurden vormittags jeweils “Lectures” abgehalten und nachmittags “Work Duties” (insgesamt 50 Stunden einschließlich Arbeitseinsätzen, Leseaufgaben und Lernkontrollen). Für die Teilnahme an diesem Schulungsblock erhielt P 24 Credits und damit die Zugangsvoraussetzung für Bachelor of Arts Studiengänge der University of Nations und einer Mitarbeit bei JMEM.

Nach der Rückkehr aus den USA plante P im Wintersemester 2015 ein Studium der Rechtswissenschaften an der Bucerius Law School (BLS) in Hamburg aufzunehmen. Zur Vorbereitung hierauf absolvierte er von März bis Mai 2015 ein Praktikum in einer Rechtsanwaltskanzlei. Gleichzeitig bewarb er sich bei der Hochschule in Hamburg und erhielt für das Wintersemester 2015/2016 einen Studienplatz. Sein Berufswunsch nach dem Studium ist, als Jurist in einem gemeinnützigen Bereich tätig zu sein.
Mit Bescheid vom 11. September 2014 hob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes für P ab dem Monat Oktober 2014 gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf. P könne nicht mehr berücksichtigt werden, weil er die Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG nicht erfülle. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.

Im Klageverfahren brachte die Klägerin vor, die JMEM sei ein internationales Missionswerk, Mitglied in den Dachverbänden “netzwerk-m” und der Arbeitsgemeinschaft Pfingstlich-Charismatischer Missionen (APCM). Die Jüngerschaftsschule sei Teil des Studienprogramms Bachelor of Arts und damit unmittelbar berufsqualifizierend. Der Abschluss dort sei außerdem Voraussetzung für ein Studium an der University of Nations. Es sei auch strukturiert Wissen mit einem wöchentlichen Unterrichtsprogramm von 50 Stunden (einschließlich Arbeitseinsätzen, Leseaufgaben und Lernkontrollen) vermittelt worden. Im Rahmen dieser Jüngerschaftsschule sollte u.a. der christliche Glauben fundiert, biblisches Wissen vertieft, der Charakter gestärkt und die eigene Persönlichkeit und Begabungen ausgebildet werden. Zu diesem Zweck habe das Studienprogramm allgemeinbildende und zahlreiche theologische Einheiten beinhaltet. Schließlich habe der Aufenthalt des Sohnes auch der Verbesserung seiner englischen Sprachkenntnisse gedient, da der gesamte Unterricht auf Englisch stattgefunden habe. Für den Zugang zur BLS in Hamburg sei ein Sprachtest erforderlich, den P erfolgreich durchgeführt habe.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, für die Annahme einer Berufsausbildung fehle es an einem hinreichenden Zusammenhang mit einem konkret angestrebten Beruf. Vielmehr hätten die Vertiefung des Fundaments des christlichen Glaubens, die Vermittlung biblischen Wissens, die Stärkung des Charakters und der Persönlichkeit der Teilnehmer und das Ausloten ihrer Begabungen im Vordergrund gestanden. Das Programm der Jüngerschaftsschule habe in keiner Weise dem geplanten rechtswissenschaftlichen Studium gedient.
Der Ausbildungscharakter des Auslandsaufenthalts sei auch nicht aufgrund der dabei erreichten Verbesserung der englischen Sprachkenntnisse zu bejahen. Das Kursprogramm habe keinen theoretisch-systematischen Sprachunterricht umfasst, der mit Rücksicht auf seinen Umfang den Schluss auf eine hinreichend gründliche (Sprach-)Ausbildung rechtfertigen würde.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Aufhebungsbescheid der Familienkasse in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Dezember 2014 aufzuheben. Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Begründung:

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Denn die Vorentscheidung verletzt § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. P befand sich entgegen der Auffassung des FG im Streitzeitraum in Berufsausbildung und war daher als Kind der Klägerin nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu berücksichtigen.
Für ein volljähriges Kind besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG –unter weiteren, hier nicht streitigen Voraussetzungen– Anspruch auf Kindergeld, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.

In Berufsausbildung befindet sich, wer “sein Berufsziel” noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des “angestrebten” Berufs geeignet sind, und zwar unabhängig davon, ob die Ausbildungsmaßnahmen in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sind.

Zur Berufsausbildung gehört grundsätzlich auch der Erwerb von Sprachfertigkeiten. Dem Tatbestandsmerkmal “für einen Beruf ausgebildet wird” i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ist allerdings zu entnehmen, dass das Gesetz nicht jeden Auslandsaufenthalt als Berufsausbildung anerkennt, auch wenn sich dadurch die Kenntnisse der jeweiligen Landessprache verbessern. Sprachaufenthalte im Ausland können vielmehr nur dann als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Erwerb der Fremdsprachenkenntnisse einen konkreten Bezug zu dem angestrebten Beruf aufweist und dieser nicht dem ausbildungswilligen Kind allein überlassen bleibt, sondern Ausbildungsinhalt und Ausbildungsziel vorgegeben werden.

In Abgrenzung von längeren Urlauben und sonstigen Auslandsaufenthalten, etwa zur Persönlichkeitsbildung –z.B. zur Verbesserung der Selbstständigkeit oder um andere Länder und Kulturen kennenzulernen–, werden Sprachaufenthalte beispielsweise im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses nach ständiger Rechtsprechung nur dann als Berufsausbildung angesehen, wenn sie von einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet werden, der nach seinem Umfang den Schluss auf eine hinreichend gründliche (Sprach-)Ausbildung rechtfertigt und grundsätzlich mindestens zehn Wochenstunden umfassen muss. Ein Unterschreiten dieser Grenze kann unschädlich sein, wenn mit dem Auslandsaufenthalt ein gutes Ergebnis in einem für die Zulassung zum Studium oder zu einer anderweitigen Ausbildung erforderlichen Fremdsprachentest Zudem kann die fehlende Teilnahme an einem zehnstündigen theoretisch-systematischen Sprachunterricht mit zusätzlichen fremdsprachenfördernden Aktivitäten.
F
este Vorgaben lassen sich für die Auslegung der Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG nicht aufstellen; vielmehr sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls abzuwägen und in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen.

Nach den vorgenannten Grundsätzen stellte die Teilnahme an dem Studienprogramm der Jüngerschaftsschule im englischsprachigen Ausland, die mit einer Verbesserung der Sprachkenntnisse verbunden war, im Streitzeitraum für P eine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG dar.

Bei der Prüfung, ob eine Berufsausbildung vorliegt, sind die konkreten beruflichen Pläne des Kindes zu beachten. Nach den insoweit bindenden Feststellungen des FG beabsichtigte P, nach seinem Auslandsaufenthalt an der BLS zu studieren. Dementsprechend bewarb P sich nach seiner Rückkehr an der BLS. Für die Aufnahme an dieser Universität war die erfolgreiche Teilnahme an einem englischen Sprachtest erforderlich. Angesichts dessen bestand objektiv ein konkreter Bezug zwischen der Verbesserung der Sprachkenntnisse durch einen Auslandsaufenthalt und dem angestrebten Beruf. Bezweckt der Auslandsaufenthalt –wie hier– auch, ein gutes Ergebnis in einem für die Zulassung zum Studium erforderlichen Fremdsprachentest zu erlangen, so kann ein Auslandsaufenthalt schon dann als Berufsausbildung zu qualifizieren sein, selbst wenn ein theoretisch-systematischer Sprachunterricht von zehn Wochenstunden nicht erreicht wird. Diesen Umstand hat das FG nicht berücksichtigt.

Der Erwerb der für den angestrebten Beruf erforderlichen erweiterten Fremdsprachenkenntnisse war auch nicht allein dem ausbildungswilligen P überlassen.
An jedem werktäglichen Vormittag erfolgte eine theoretische Wissensvermittlung (Lectures) in englischer Sprache, die zusammen mit den praktischen Arbeiten (work duties) einschließlich der Lernkontrollen einen von der Schule vorgegebenen Zeitaufwand umfasste. Insoweit unterscheidet sich das Lernprogramm der Jüngerschaftsschule von einem Au-pair-Aufenthalt oder einem Freiwilligendienst im Ausland, der regelmäßig nicht von einer fortlaufenden theoretischen systematischen Wissensvermittlung in der Landessprache begleitet wird. Das Erfordernis eines theoretisch-systematischen Sprachunterrichts ist auch nicht dahin zu verstehen, dass ein spezieller Sprachkurs für Ausländer absolviert werden müsste. Ausreichend ist vielmehr ein allgemeinbildender fortlaufender theoretisch-systematischer Unterricht in englischer Sprache (vgl. Selder, juris PraxisReport Steuerrecht 31/2012 Anm. 3). Im vorliegenden Fall lassen jedenfalls der sachliche und zeitliche Umfang des in englischer Sprache durchgeführten strukturierten Unterrichts und die Lernkontrollen den Schluss auf eine hinreichende qualitative Erweiterung der Fremdsprachenkenntnisse zu.
Soweit das FG zur Begründung seiner Ansicht, das Kursprogramm habe keinen theoretisch-systematischen Sprachunterricht umfasst, der mit Rücksicht auf seinen Umfang den Schluss auf eine hinreichend gründliche Sprachausbildung rechtfertigen würde, auf die Entscheidungen des BFH, lagen diesen Entscheidungen keine vergleichbaren Fallkonstellationen zugrunde. In dem Verfahren ging es um ein Au-pair-Verhältnis. Darüber hinaus war kein konkreter Bezug zwischen der Erweiterung der Sprachkenntnisse und einer sich anschließenden Berufsausbildung oder Berufstätigkeit erkennbar. In der Entscheidung ging es um ein Kind, welches an einem Programm “Work & Travel Australien” teilnahm. Anders als im Streitfall hat sich das Kind während des Auslandsaufenthalts auch keinen planmäßigen Bildungsmaßnahmen unterzogen, die sich anhand objektiv nachvollziehbarer Kriterien von einem gewöhnlichen Aufenthalt abgrenzen ließen.

Nachträgliche Anschaffungskosten einer Beteiligung i.S. des § 17 EStG erfordert eine wirtschaftlichen Belastung

Der Verzicht des Gesellschafters auf seinen Rückzahlungsanspruch aus einem der Kapitalgesellschaft gewährten Darlehen kann nicht als nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung i.S. des § 17 EStG berücksichtigt werden, wenn im Zeitpunkt der Veranlagung feststeht, dass der Gesellschafter daraus nicht wirtschaftlich belastet ist.
An einer wirtschaftlichen Belastung in diesem Sinne fehlt es, wenn der Gesellschafter bei wirtschaftlicher Betrachtung lediglich als Auszahlstelle ein von ihm bei einem Kreditinstitut aufgenommenes Darlehen entsprechend dessen Zweckbindung an die Kapitalgesellschaft weiterleitet und das Vermögen des Gesellschafters durch gleichzeitige, voneinander abhängige Rückzahlungsverzichte des Gesellschafters gegenüber der Kapitalgesellschaft und dem finanzierenden Kreditinstitut gegenüber dem Gesellschafter nicht belastet wird.

BFH Urteil vom 11.04.2017 – IX R 4/16 BFH/NV 2017, 1309

Sachverhalt:

Streitig ist, ob und ggf. in welcher Höhe bei der Ermittlung eines Veräußerungsverlustes nach § 17 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres 2009 (EStG) der Verzicht auf ein Gesellschafterdarlehen und eine verdeckte Einlage als nachträgliche Anschaffungskosten geltend gemacht werden können.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Ehegatten und waren an der im Jahre 1999 gegründeten A-GmbH, die ab dem Jahr 2002 unter dem Namen B-GmbH firmierte, beteiligt; bis zum 31. Dezember 2005 betrug der Anteil des Klägers 75,2 % und der der Klägerin 24,8 %. Im Jahre 2000 wurde die C-GmbH gegründet, an der der Kläger zu 24,8 % und die Klägerin zu 75,2 % beteiligt waren. Die B-GmbH stellte Backwaren her, die sie an die C-GmbH lieferte und die von dieser in mehreren Filialen vertrieben wurden. Die C-GmbH wurde im Jahr 2005 auf die B-GmbH verschmolzen. Am 27. Juni 2006 veräußerte die Klägerin ihre Anteile an der B-GmbH zum Kaufpreis von 25.000 EUR

Mit Vertrag vom 29. August 2001 gewährte der Kläger der B-GmbH ein Darlehen in Höhe von 2 Mio. DM (1.022.583,76 EUR). Zur Finanzierung des Darlehens war mit Datum 24. August 2001 für den Kläger bei der Z-Bank, die in regelmäßigen Geschäftsbeziehungen zu der B-GmbH stand, ein Konto eingerichtet worden. In dem Darlehensvertrag zwischen dem Kläger und der B-GmbH heißt es unter § 1 Nr. 1, der Kläger habe bei der Z-Bank ein Darlehen aufgenommen und stelle diese Mittel seinerseits der Gesellschaft als Gesellschafterdarlehen zur Verfügung. Die Verzinsung des Darlehens richte sich nach den Geschäftsbedingungen, die für das vom Kläger aufgenommene Darlehen gelten, und betrage 6 % (§ 2 Nr. 1). Nach § 2 Nr. 2 des Vertrages werde der vom Kläger mit der Z-Bank abgeschlossene Vertrag ausdrücklich Vertragsbestandteil auch des Darlehensvertrages zwischen dem Kläger und der B-GmbH. Gemäß § 3 Nr. 1 und § 4 des Vertrages richteten sich die Rückzahlung des Darlehens und die Laufzeit nach den Bedingungen des Darlehensvertrages zwischen dem Kläger und der Z-Bank. Unter § 3 Nr. 2 des Vertrages war ein Rangrücktritt vereinbart. Zins- und Tilgungsleistungen sollten in Abkürzung des Zahlungsweges unmittelbar an die Z-Bank erfolgen. Sicherheiten wurden nicht vereinbart. Die Zahlung der Valuta erfolgte von dem Konto des Klägers auf ein Konto der B-GmbH. Mit Datum 18. Januar 2002 bestätigte der Kläger den Rangrücktritt seines Rückzahlungsanspruches aus dem Darlehen.

Zur Finanzierung einer Betriebsverlegung im Jahre 2002 gewährte der Kläger mit Vertrag vom 12. November 2002 der B-GmbH ein weiteres Darlehen. In § 1 Nr. 1 des Vertrages heißt es, der Kläger habe bei der Z-Bank mit Kontovertrag vom 12. November 2002 ein Girokonto mit der Nummer… eingerichtet. Von diesem Konto sollten Investitionsrechnungen der B-GmbH gezahlt werden. Insofern stelle der Kläger der B-GmbH ein in der Höhe variables Darlehen zur Verfügung. Die Höhe des der B-GmbH gewährten Darlehens richte sich nach der jeweiligen Höhe der Inanspruchnahme des Girokontos. Hinsichtlich der Zinsen, Rückzahlungsbedingungen und Laufzeit wurde auf den Kontovertrag vom 12. November 2002 zwischen dem Kläger und der Z-Bank Bezug genommen. Zahlungen sollten unmittelbar auf dieses Konto erfolgen (§ 5 des Vertrages). Auf die Gestellung von Sicherheiten wurde nach § 6 des Vertrages verzichtet.

Mit Vertrag vom 10. Dezember 2004 zwischen dem Bundesland X, der Z-Bank, der B-GmbH und der C-GmbH verpflichtete sich das Land als Bürge aus einer bestehenden Ausfallbürgschaft für Forderungen der Z-Bank gegenüber den Gesellschaften zur Zahlung eines Teilbetrags. Bedingung hierfür war, dass die Z-Bank auf die dem Kläger gewährten Kreditmittel verzichtet und dass der Kläger seinerseits auf seine Gesellschafterdarlehen in gleicher Höhe gegenüber der B-GmbH verzichtet. Dementsprechend erklärte der Kläger unter dem 9. Dezember 2004 gegenüber der B-GmbH seinen Verzicht auf die Forderungen aus den Darlehen in Höhe von insgesamt 1.507.690,76 EUR zuzüglich Zinsen und Gebühren seit dem 1. Juli 2004. Mit Datum 10. Dezember 2004 vereinbarten die Z-Bank und der Kläger ebenfalls einen Forderungsverzicht einschließlich Zinsen und Gebühren seit dem 1. Juli 2004. Die Vereinbarung erfolgte unter der Bedingung, dass der Kläger seine Anteile nicht vor dem 31. Dezember 2024 veräußert bzw. dass die B-GmbH vor dem 31. Dezember 2024 keine Gewinnausschüttungen oder Kapitalrückzahlungen vornimmt. In diesen Fällen sollte die Forderung der Z-Bank gegen den Kläger wieder aufleben. Die seit dem 1. Juli 2004 noch zu berücksichtigenden Zinsen und Gebühren beliefen sich auf 45.616,49 EUR.
Im Jahre 2005 fand bei der C-GmbH, der Vertriebsgesellschaft, eine Außenprüfung für die Jahre 2000 bis 2002 statt. Nach Tz. 2.2 des Berichts der Außenprüfung vom 23. Juni 2005 beschränkte sich der Geschäftsbetrieb der C-GmbH auf die Erfüllung der Dienstleistungen zum Vertrieb der Backwaren in den einzelnen Verkaufsfilialen, die ihr zum Betrieb von der B-GmbH überlassen worden waren. Die C-GmbH sollte ohne eigenen Gewinn wirtschaften, insbesondere sollten Kosteneinsparungen sich nicht bei der C-GmbH auswirken, sondern von ihr an die B-GmbH weitergegeben werden. Der Außenprüfer vertrat die Ansicht, es sei bereits zweifelhaft, ob ein fremder Dritter auf Dauer die entsprechenden Vereinbarungen hingenommen hätte. Unstreitig hätte ein fremder Dritter den Vertrieb der Backwaren nur dann übernommen, wenn ihm nach Abzug aller Kosten noch ein angemessener Gewinn verblieben wäre. Der C-GmbH verbliebe ein angemessener Gewinn, wenn auf die Personalkosten der C-GmbH ein Gewinnzuschlag von 2,5 v.H. erhoben werde. In dieser Höhe ergäben sich verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA). Die Höhe der so ermittelten vGA betrugen für das Jahr 2000 162.045 DM (82.852 EUR), für 2001 133.838 DM (68.430 EUR) und für 2002 97.654 EUR.

Die Kläger erhoben hiergegen Einspruch. Mit Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2014 änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung auf 98.574 EUR und wies den Einspruch im Übrigen zurück. Es führte im Wesentlichen aus, ein Veräußerungsverlust sei hinsichtlich der Darlehensforderungen nicht zu berücksichtigen, weil dem Kläger tatsächlich keine Vermögenseinbuße entstanden sei. Das Darlehen stamme nicht aus dem Vermögen des Klägers, sondern sei tatsächlich von der Z-Bank gewährt worden. Der Kläger sei nie das Risiko eingegangen, dass seine Darlehensforderung ausfallen könne. Die Z-Bank sei aufgrund der schlechten finanziellen Lage der B-GmbH nicht mehr in der Lage gewesen, dieser unmittelbar Darlehen zur Verfügung stellen zu können. Deshalb habe man den Weg gewählt, den Kläger dazwischen zu schalten. Dies ergäbe sich bereits aus der engen Verflechtung der Darlehensverträge. Mit Datum vom 15. Mai 2014 wurde der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr aus nicht streitgegenständlichen Gründen geändert.

Das Finanzgericht (FG) gab der gegen den Einkommensteuerbescheid vom 7. Oktober 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2014 gerichteten Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1776 veröffentlichten Urteil insoweit statt, als der Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG auf 161.478,27 EUR herabgesetzt wurde. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr verletze die Kläger insoweit in ihren Rechten, als nachträgliche Anschaffungskosten in Höhe von 55.000 EUR nicht berücksichtigt worden seien. In dieser Höhe habe der Kläger aufgrund des Besserungsscheins vom 10. Dezember 2004 Zahlungen unmittelbar aus seinem Erlös für die Veräußerung der Anteile an der B-GmbH an die Z-Bank geleistet. Im Übrigen sei der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr jedoch rechtmäßig. Das Gesellschafterdarlehen des Klägers stamme bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht aus dem Vermögen des Gesellschafters selbst, vielmehr werde die Belastung von der finanzierenden Bank getragen. In einem solchen Falle fehle es an einem eigenen Aufwand des Gesellschafters und damit an einer Rechtfertigung dafür, einen derartigen Aufwand als nachträgliche Anschaffungskosten im Rahmen der Ermittlung des Veräußerungsgewinns geltend machen zu können. Ebenso scheide eine Erhöhung der nachträglichen Anschaffungskosten durch verdeckte Einlagen des Klägers in die B-GmbH aus. Es fehle insoweit an einem einlagefähigen Wirtschaftsgut. Die C-GmbH habe gegenüber der B-GmbH eine unentgeltliche Dienstleistung erbracht, indem die C-GmbH die Waren in ihren Filialen durch die bei ihr angestellten Mitarbeiter verkauft habe. Solche Leistungen seien keine bilanzierbaren Wirtschaftsgüter und könnten daher nicht als Einlagen erfasst werden.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 17 EStG, § 39 der Abgabenordnung, §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs).
Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen wurde, und den Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 15. Mai 2014 mit der Maßgabe zu ändern, dass bei der Ermittlung des Veräußerungsverlustes im Rahmen der Einkünfte des Klägers weitere Beträge von 1.498.307,25 EUR und 187.199,87 EUR vor Anwendung des Teileinkünfteverfahrens als nachträgliche Anschaffungskosten zu berücksichtigen sind.

Begründung:

Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids für 2009 vom 15. Mai 2014 dahingehend, dass der Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG auf 161.478 EUR herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat insoweit zutreffend entschieden, dass weder der vom Kläger erklärte Verzicht auf die Rückzahlungsansprüche aus den der B-GmbH gewährten Darlehen noch die vom Kläger geltend gemachten verdeckten Einlagen in die B-GmbH zu nachträglichen Anschaffungskosten führen.
Das Urteil des FG ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben.

Es kann keinen Bestand haben, weil das FG über den nicht mehr wirksamen Einkommensteuerbescheid 2009 vom 7. Oktober 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2014 entschieden hat. Das FA hat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung mit Datum vom 15. Mai 2014 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2009 erlassen. Dem FG-Urteil liegt damit ein in seiner Wirkung suspendierter Bescheid zugrunde.

Die Klage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Das FA hat zu Unrecht –wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist– nachträgliche Anschaffungskosten in Höhe von 55.000 EUR nicht berücksichtigt. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

Nach § 17 Abs. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Verlust aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, wenn der Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft qualifiziert beteiligt war und er die Beteiligung in seinem Privatvermögen hielt. Veräußerungsgewinn i.S. von § 17 Abs. 1 EStG ist gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Veräußerungspreis i.S. der genannten Vorschrift ist der Wert der Gegenleistung, die der Veräußerer durch Abschluss des dinglichen Veräußerungsgeschäfts am maßgebenden Stichtag erlangt.
Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Dazu gehören nach § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB auch die nachträglichen Anschaffungskosten. Zu den nachträglichen Anschaffungskosten einer Beteiligung zählen neben (verdeckten) Einlagen auch nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungs- oder Auflösungskosten sind. Zu in diesem Sinne funktionalem Eigenkapital werden Finanzierungshilfen oder Finanzierungsmaßnahmen, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft in der Krise der Gesellschaft ein Darlehen gewährt (§ 32a Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung a.F.) und diese Finanzierungsmaßnahme eigenkapitalersetzenden Charakter hat.
Ebenso wie Bürgschaftsverpflichtungen, die wegen Zahlungsunfähigkeit des Bürgen im Zeitpunkt der Veranlagung für diesen keine gegenwärtige Belastung darstellen, bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns nach § 17 EStG nicht gewinnmindernd berücksichtigt werden können kann der Verzicht des Gesellschafters auf seine Rückzahlungsansprüche aus den der Kapitalgesellschaft gewährten Darlehen als nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft nicht berücksichtigt werden, wenn im Zeitpunkt der Veranlagung feststeht, dass der Gesellschafter aus dem Ausfall der Darlehen nicht wirtschaftlich belastet ist. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der i.S. des § 17 Abs. 1 EStG an der Kapitalgesellschaft beteiligte Gesellschafter bei wirtschaftlicher Betrachtung lediglich ein von ihm bei einem Kreditinstitut aufgenommenes Darlehen entsprechend seiner Zweckbindung an die Kapitalgesellschaft weiterleitet und durch gleichzeitige, voneinander abhängige Rückzahlungsverzichte des Gesellschafters gegenüber der Kapitalgesellschaft und dem finanzierenden Kreditinstitut gegenüber dem Gesellschafter das Vermögen des Gesellschafters nicht belastet wird. Der Gesellschafter übernimmt wirtschaftlich lediglich die Funktion einer Zahlstelle für das tatsächlich belastete Kreditinstitut, weil das Schicksal des Gesellschafterdarlehens an die Kapitalgesellschaft rechtlich untrennbar mit dem Bankdarlehen an den Gesellschafter verknüpft ist. Beweisanzeichen für eine solche –lediglich formalen Zwecken dienende– Zwischenschaltung des Gesellschafters ist, dass das Kreditinstitut die Beschränkungen des § 18 Satz 1 des Gesetzes über das Kreditwesen (in den Fassungen der Jahre 2001 bzw. 2002 –KWG–), wonach ein Kreditinstitut einen Kredit von insgesamt mehr als 500.000 Deutsche Mark bzw. 250.000 Euro nur gewähren darf, wenn es sich von dem Kreditnehmer die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere durch Vorlage der Jahresabschlüsse, offenlegen lässt, dergestalt umgehen möchte, dass es das Darlehen nicht unmittelbar der Kapitalgesellschaft, sondern ohne Besicherung deren Gesellschafter zur Weiterleitung an die Gesellschaft gewährt.

Nach diesen Maßstäben hat das FG zu Recht entschieden, dass der vom Kläger erklärte Verzicht auf die Rückzahlungsansprüche aus den der B-GmbH gewährten Darlehen bei ihm zu keiner wirtschaftlichen Belastung und damit nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten führten.

Nach den den Senat bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) des FG hat die Z-Bank bestätigt, dass das dem Kläger von der Z-Bank gewährte Darlehen zweckgebunden war und dieser lediglich den Darlehensbetrag an die B-GmbH weitergeleitet hat. Die Darlehensverträge zwischen dem Kreditinstitut und dem Kläger sowie diesem und der B-GmbH waren rechtlich und wirtschaftlich untrennbar miteinander verknüpft, indem das Gesellschafterdarlehen ausdrücklich auf das dem Kläger gewährte Darlehen Bezug nimmt und dessen Vertragsbedingungen zum Gegenstand des der B-GmbH gewährten Gesellschafterdarlehens macht. Keiner der beiden Darlehensverträge hätte unabhängig von dem anderen Bestand gehabt. Zudem haben die Z-Bank und der Kläger auf ihre jeweiligen Rückforderungsansprüche in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang verzichtet. Der Verzicht des Klägers auf die Rückzahlungsansprüche aus den Gesellschafterdarlehen war Bedingung dafür, dass die Z-Bank ihrerseits auf ihre Darlehensrückzahlungsansprüche verzichtete. Ferner tragen die Kläger selbst vor, dass die Z-Bank, die von dem unternehmerischen Konzept der B-GmbH überzeugt war, sich lediglich wegen § 18 KWG gehindert sah, der B-GmbH weitere Kredite zu gewähren. Daraus ergibt sich, dass der Kläger lediglich zur Umgehung der Beschränkungen des § 18 KWG zwischengeschaltet war, ohne durch den Ausfall der Gesellschafterdarlehen selbst wirtschaftlich belastet zu sein. Dies wird zudem durch die fehlende Besicherung des dem Kläger gewährten Darlehens bestätigt.
Das FG hat darüber hinaus zutreffend erkannt, dass nachträgliche Anschaffungskosten in Höhe von 55.000 EUR zu berücksichtigen sind. Denn in dieser Höhe hat der Kläger aufgrund des Besserungsscheins vom 10. Dezember 2004 durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Zahlungen an die Z-Bank geleistet.
Das FG hat zudem zu Recht entschieden, dass eine Erhöhung der nachträglichen Anschaffungskosten aus verdeckten Einlagen des Klägers in die B-GmbH mangels eines bilanzierungsfähigen Vermögensvorteils ausscheidet.
Eine verdeckte Einlage liegt vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person der Kapitalgesellschaft einen einlagefähigen Vermögensvorteil gegenleistungslos oder verbilligt zuwendet und dies durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, d.h., wenn ein Nichtgesellschafter bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns der Gesellschaft den Vermögensvorteil nicht eingeräumt hätte. Als verdeckte Einlagen sind nur Wirtschaftsgüter geeignet, die das Vermögen der Kapitalgesellschaft vermehrt haben, sei es durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens. Ein einlagefähiger Vermögensvorteil ist nicht gegeben, wenn der Gesellschaft lediglich Nutzungsvorteile gewährt werden. Die verdeckten Einlagen sind von den betrieblich veranlassten Vorgängen zu unterscheiden.

Anders als die Kläger meinen, fehlt es im Streitfall an einem für eine verdeckte Einlage erforderlichen einlagefähigen Vermögensvorteil. Aus den vom FG festgestellten Tatsachen ergibt sich, dass die Produktion in der B-GmbH verblieb und lediglich der Vertrieb der hergestellten Waren ab 1. Mai 2000 in die C-GmbH ausgegliedert worden ist. Die B-GmbH überließ der C-GmbH die Filialen einschließlich des gesamten Inventars zur Nutzung, behielt sich aber die gesamte warenwirtschaftliche Steuerung der Filialen vor. Die Vertriebsgesellschaft handelte wie eine Verkaufsagentur und erhielt als Entgelt eine Provision auf den von der B-GmbH empfohlenen Verkaufspreis der Waren in Höhe von rd. 35 %. Die C-GmbH erbrachte daher gegenüber der B-GmbH lediglich Dienstleistungen im Vertrieb. Unbeschadet dessen, dass das FG über den betrieblich veranlassten Leistungsaustausch zwischen der B- und der C-GmbH hinaus unter Zugrundelegung des Fremdvergleichsmaßstabs keinen der B-GmbH zugewendeten Vermögensvorteil festgestellt hat, können die dargestellten Vertriebsdienstleistungen nicht Gegenstand einer Einlage bei der den Vorteil empfangenden Gesellschaft sein. Sie erhöhen daher nicht die Anschaffungskosten des Klägers für seine Beteiligung an der B-GmbH.

Soweit die Kläger vortragen, Gegenstand der vertraglichen Beziehungen zwischen der B- und der C-GmbH seien Warenlieferungen gewesen, also die Leistung bilanzierbarer und damit einlagefähiger Wirtschaftsgüter, ist dem nicht zu folgen, weil die B-GmbH gegenüber der C-GmbH ein nicht trennbares Bündel von Leistungen (z.B. die Zur-Verfügung-Stellung der Filialen, des jeweiligen Inventars, der jeweiligen Kundenstämme, ihrer Marktkenntnisse und ihres Know-hows, die Lieferung der Backwaren usw.) erbracht hat und die C-GmbH lediglich als Verkaufsagentur fungierte.
Vor diesem Hintergrund ist der vom FA ermittelte Veräußerungsgewinn i.S. des § 17 EStG in Höhe von 324.130,45 EUR unter Berücksichtigung der nachträglichen Anschaffungskosten von 55.000 EUR auf 269.130,45 EUR und nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens auf 161.478,27 EUR herabzusetzen.
Die Ermittlung und Berechnung des festzusetzenden Einkommensteuerbetrags nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO).

Steuerliche Behandlung der Einkünfte des Geschäftsführers einer luxemburgischen S.a.r.l.

Ob der Geschäftsführer einer luxemburgischen S.a.r.l. als Arbeitnehmer i.S. des § 1 LStDV oder als Selbständiger i.S. der §§ 15, 18 EStG anzusehen ist, ist anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Merkmale nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Die Beteiligung des Geschäftsführers an der S.a.r.l. ist ein solches Einzelmerkmal, das im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist.

“Gehaltszahlungen” an den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer einer S.a.r.l. sind regelmäßig als Einkünfte aus Kapitalvermögen (vGA) zu qualifizieren, wenn den Zahlungen keine klaren, eindeutigen und im Vorhinein abgeschlossenen Vereinbarungen zugrunde liegen. In einem solchen Fall ist zu prüfen, ob Deutschland als dem Wohnsitzstaat des Gesellschafter-Geschäftsführers das Besteuerungsrecht an den Zahlungen gemäß Art. 13 Abs. 1 DBA-Luxemburg 1958/1973 (Dividendenartikel) zusteht.

BFH Urteil vom 29.03.2017 – I R 48/16 BFH/NV 2017, 1316

Sachverhalt:

Der getrennt zur Einkommensteuer veranlagte Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren zunächst Mitgesellschafter-Geschäftsführer und ab dem Jahr 2003 Alleingesellschafter-Geschäftsführer der D S.a.r.l. (D), einer der deutschen GmbH vergleichbaren luxemburgischen Kapitalgesellschaft, die ihren Sitz in wechselnden Luxemburger Gemeinden hatte. Die Firma D erbrachte im Wesentlichen Dachdecker- und Zimmermannsarbeiten in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) und im Großherzogtum Luxemburg (Luxemburg). Auch der Kläger war als Geschäftsführer in beiden Staaten tätig. In A-Stadt (Deutschland) hatte die Firma D zwei Hallen mit Freiflächen angemietet. Dort befanden sich ein Büro mit Kopierer, Regalen, Bauunterlagen u.ä., ein Aufenthaltsraum sowie Flächen für Maschinen und Hölzer. Die Hölzer wurden dort u.a. auch zugeschnitten.

Ein schriftlicher Anstellungsvertrag zwischen der Firma D und dem Kläger existierte nicht. Letzterer bezog ein festes Gehalt, das zu festen Terminen auf dessen Konto überwiesen wurde. Daneben erhielt er regelmäßig Gratifikationen. Die darauf entfallende Steuer wurde an die zuständige Luxemburger Finanzbehörde abgeführt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) qualifizierte die vom Kläger empfangenen Zahlungen als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit. Er schätzte den auf die Tätigkeit in Luxemburg entfallenden Teil des Arbeitslohns auf 60 % und stellte ihn unter Progressionsvorbehalt aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 23. August 1958 (BGBl II 1959, 1270, BStBl I 1959, 1023) i.d.F. des Ergänzungsprotokolls vom 15. Juni 1973 (BGBl II 1978, 111, BStBl I 1978, 73) –DBA-Luxemburg 1958/1973– von der deutschen Steuer frei. Den übrigen Teil des Arbeitslohns unterwarf das FA in den angegriffenen Einkommensteuerbescheiden der deutschen Besteuerung. Die dagegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz folgte in dem angegriffenen Urteil vom 15. Juni 2016 1 K 1944/13 (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2016, 1429) im Wesentlichen dem tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen des FA. Im Termin zur mündlichen Verhandlung beim FG war für den Kläger –wie zuvor von dessen Prozessvertreter angekündigt– niemand erschienen.
Mit der Revision beantragt der Kläger, das angegriffene FG-Urteil sowie die Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Juli 2013 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Begründung:
Die Revision ist begründet, das FG-Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

Das FG ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach dem Gesamtbild der Verhältnisse als Arbeitnehmer anzusehen sei, er deshalb in den Streitjahren Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren jeweils geltenden Fassung (EStG) erzielt und das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte gemäß Art. 10 DBA-Luxemburg 1958/1973 Deutschland zugestanden habe, soweit die Tätigkeit im Inland ausgeübt worden sei. Hierbei hat das FG allerdings der Tatsache, dass der Kläger im Streitzeitraum zunächst zu 50 %, später zu 100 % an der Firma D beteiligt war, von Rechts wegen keine Bedeutung beigemessen. Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Nach § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung –LStDV– (i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG), die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) den Arbeitnehmerbegriff zutreffend auslegen, liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn der Angestellte (Beschäftigte) dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, dass der Arbeitnehmerbegriff sich nicht durch Aufzählung feststehender Merkmale abschließend bestimmen lässt. Das Gesetz bedient sich nicht eines tatbestandlich scharf umrissenen Begriffs. Es handelt sich vielmehr um einen offenen Typusbegriff, der nur durch eine größere und unbestimmte Zahl von Merkmalen beschrieben werden kann. Die Frage, ob jemand eine Tätigkeit selbständig oder nichtselbständig ausübt, ist deshalb anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Merkmale nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Diese Merkmale sind im konkreten Einzelfall zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Beides obliegt in erster Linie den Finanzgerichten als Tatsacheninstanz. Die im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar

Nach diesen Grundsätzen kann das angegriffene FG-Urteil keinen Bestand haben. Das FG durfte dem Umstand, dass der Kläger als Geschäftsführer zugleich auch an der Firma D beteiligt war, nicht von vornherein jede rechtliche Relevanz absprechen. Vielmehr ist die Beteiligung des Steuerpflichtigen eines von vielen Indizien, die im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind. Als ein Einzelmerkmal von vielen kommt dem Umstand der Mehrheitsbeteiligung allerdings auch nicht die Bedeutung zu, dass bei einer Mehrheitsbeteiligung regelmäßig von einer selbständigen Tätigkeit des Geschäftsführers auszugehen wäre.

Im Unterschied zum FG kann der Senat weder der Rechtsprechung des VI. Senats des BFH entnehmen, dass der Beteiligung des Geschäftsführers an der Gesellschaft keinerlei Indizwirkung zukommt. Noch versteht er das Urteil so, dass eine Mehrheitsbeteiligung regelmäßig –also das Ergebnis vorprägend– die Arbeitnehmereigenschaft ausschließt. Nach dieser Entscheidung “kann die Beteiligungsquote im Rahmen der steuerlichen Beurteilung zumindest als Indiz herangezogen werden”. Die weiteren Ausführungen (“GmbH-Gesellschafter sind regelmäßig Selbständige, wenn sie zugleich Geschäftsführer der Gesellschaft sind und mindestens 50 v.H. des Stammkapitals innehaben.”) beziehen sich ausdrücklich auf das Sozialversicherungsrecht. Nach der Rechtsprechung des VI. Senats ist es für die Frage, ob ein Gesellschafter-Geschäftsführer als Arbeitnehmer zu beurteilen ist, –lediglich– “nicht entscheidend”, in welchem Verhältnis der Geschäftsführer an der Kapitalgesellschaft beteiligt ist. Beide Urteile stimmen damit darin überein, dass einer Mehrheitsbeteiligung keine ausschlaggebende, sondern lediglich eine indizielle Bedeutung zukommt. Im Übrigen kommen die zahlreichen anderen Kriterien zum Tragen, wie etwa die –trotz der Mehrheitsbeteiligung gegebene– Weisungsgebundenheit und eine –im konkreten Fall gegebene– Eingliederung in die betriebliche Organisation, die den Gesellschafter-Geschäftsführer regelmäßig zum Arbeitnehmer i.S. des § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 LStDV machen.

Die Sache ist hiernach nicht spruchreif. Die erforderliche Gesamtwürdigung ist vom FG vorzunehmen. Allerdings könnte sich eine solche Abwägung erübrigen, wenn, was das FG im zweiten Rechtsgang gleichfalls zu prüfen haben wird, die streitigen Einkünfte als solche aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zu qualifizieren sein sollten. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen ist fraglich, ob die “vertraglichen Zahlungsgrundlagen” zwischen dem Kläger als beherrschendem Gesellschafter und der Firma D steuerlich anzuerkennen sind, insbesondere, ob sie dem formellen Fremdvergleich genügen (vgl. z.B. Gosch KStG, 3. Aufl., § 8 Rz 318 ff. und 796 ff.). Sollten die “Gehaltszahlungen” als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) zu erfassen sein, wäre weiter zu prüfen, ob und inwieweit Deutschland als Wohnsitzstaat das Besteuerungsrecht für die Zahlungen gemäß Art. 13 Abs. 1 DBA-Luxemburg 1958/1973 zusteht (vgl. Siegers in Wassermeyer, Luxemburg Art. 13, Stand bis Ergänzungslieferung 124, Rz 45).

Verluste aus der Veräußerung einer fondsgebundenen Lebensversicherung

Die mit der Abgeltungsteuer als Schedule eingeführten Besonderheiten der Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) bedingen eine tatsächliche Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht. Sie gilt auch hinsichtlich von Verlusten aus der Veräußerung einer Lebensversicherung.

BFH Urteil vom 14.03.2017 – VIII R 38/15 BFH/NV 2017, 1366

Sachverhalt:

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr (2009) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war Versicherungsnehmer einer vom 1. September 1999 bis zum 1. September 2011 laufenden fondsgebundenen Lebensversicherung. Versicherte Person war seine Ehefrau, die Klägerin. Die Versicherungssumme im Todesfall betrug 320.250 DM (163.741,22 EUR). Im Erlebensfall sollte das Deckungskapital, d.h. der Wert der gutgeschriebenen Fondsanteile, fällig werden. Am 1. März 2009 verkaufte der Kläger seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an die Klägerin. Der am 2. Juni 2009 fällige Kaufpreis betrug 67.517,92 EUR und entsprach dem Wert des Deckungskapitals zum 28. Februar 2009. Mit Vertrag vom 5. Juni 2009 gewährte der Kläger seiner Ehefrau ein zinsloses Darlehen in Höhe des Kaufpreises. Dieses Darlehen war am 31. Dezember 2011 in einer Summe zurückzuzahlen.
Da der Kläger zum Zeitpunkt des Verkaufs die auf 60 Monate beschränkten Beiträge in Höhe von insgesamt 222.396 DM (113.709,27 EUR) vollständig gezahlt hatte, ergab sich für ihn ein Veräußerungsverlust in Höhe von 46.198 EUR. Diesen Verlust machte er in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) erkannte den Verlust aus der Veräußerung der Lebensversicherung wegen Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 der Abgabenordnung) nicht an. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) urteilte, eine Berücksichtigung des Veräußerungsverlusts bei den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG scheitere zwar nicht an den Grundsätzen zur Anerkennung von Vereinbarungen zwischen nahen Angehörigen, aber an der fehlenden Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers. Unter Berücksichtigung der Gesetzeshistorie des § 20 EStG und des zum 1. Januar 2009 eingetretenen Systemwechsels bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften habe der Kläger weder zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrags im Jahr 1999 noch zum Zeitpunkt der Veräußerung der Versicherungsansprüche im Streitjahr die Absicht gehabt, steuerpflichtige Einkünfte zu erzielen. Für den Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrags werde dies bereits durch die tatsächlich gewählte Vertragsgestaltung indiziert, da die Laufzeit des Vertrags (zwölf Jahre) und die Dauer der Beitragszahlung (fünf Jahre) unter Berücksichtigung von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung (EStG a.F.) gerade auf die Vermeidung steuerlich relevanter Einkünfte aus Kapitalvermögen ausgerichtet gewesen sei. Seit dem 1. Januar 2009 würden gemäß § 20 Abs. 2 EStG zwar auch Veräußerungsvorgänge und damit die Vermögenssphäre in die Besteuerung einbezogen, so dass unter weiterer Berücksichtigung des beschränkten und pauschalisierten Werbungskostenabzugs gemäß § 20 Abs. 9 EStG von einer typisierten Einkünfteerzielungsabsicht auszugehen sei. Dies könne aber frühestens ab dem Zeitpunkt der Gesetzesänderung in die Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht einbezogen werden. Außerdem könne die typisierte Einkünfteerzielungsabsicht nicht für vor dem 1. Januar 2009 geschlossene Versicherungsverträge gelten. Vielmehr sei im Streitfall zu berücksichtigen, dass der Kläger lediglich seinen Verlust habe begrenzen wollen. Ein steuerlich relevanter Überschuss sei –auch theoretisch– nicht mehr möglich gewesen. Insofern könne der Rechtsgedanke herangezogen werden, der für die Zuordnung eines Wirtschaftsguts zum gewillkürten Betriebsvermögen entwickelt worden sei und eine solche Zuordnung ausschließe, wenn zum Zeitpunkt der Einlage die Entstehung eines Verlusts feststehe. Die Gründe sind in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 377 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision machen die Kläger geltend, dass es für die Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht) allein auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankomme. Dabei seien auch nicht steuerbare Einnahmen einzubeziehen, so dass die Einkünfteerzielungsabsicht im Streitfall gegeben sei. Auch wenn der Senat dieser Auffassung nicht folgen sollte, könne daraus für den Streitfall kein Fehlen der Einkünfteerzielungsabsicht abgeleitet werden. Im Streitfall entfalle die Steuerpflicht erst nach Ablauf von zwölf Jahren. Dies könne mit der Spekulationsfrist für private Veräußerungsgeschäfte i.S. des § 23 Abs. 1 EStG verglichen werden, bei denen typisierend von einer Einkünfteerzielungsabsicht auszugehen sei. Zudem werde der überwiegende Teil der Kapitallebensversicherungen vorzeitig gekündigt. Schließlich hätte ein Veräußerungsgewinn aufgrund der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2009 der Besteuerung unterlegen. Dem entsprechend müssten aber auch Verluste als negative Einkünfte berücksichtigt werden. Anderenfalls käme es zu einem Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip. Aus der Begründung des Finanzausschusses zur Anwendungsregelung des § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG (BTDrucks 16/5491, S. 21) folge, dass der Veräußerungsgewinn –und damit auch der Veräußerungsverlust– aus der vollen Differenz zwischen dem Veräußerungserlös und den bis zum Zeitpunkt der Veräußerung entrichteten Beiträgen zu ermitteln sei.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Mai 2013 dahin zu ändern, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen des Klägers ein Verlust aus der Veräußerung der Lebensversicherung in Höhe von 46.198 EUR anerkannt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es folgt der Begründung des FG und weist ergänzend darauf hin, dass der Verlust des eingesetzten Kapitals nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage der privaten Vermögensebene zuzurechnen gewesen sei, da sich die Besteuerung grundsätzlich auf die rechnungsmäßigen und außerrechnungsmäßigen Zinsen aus den Sparanteilen beschränkt habe (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG a.F.). Die Veräußerung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an die Klägerin innerhalb von zwölf Jahren nach Vertragsschluss könne auch unter Berücksichtigung des § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG nicht zu einer Verlagerung von Veräußerungsverlusten in die steuerlich relevante Ertragsebene führen. Vielmehr müsse die Formulierung “sofern” in § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG im Sinne von “soweit” ausgelegt werden, um einen Gleichlauf mit dem Rückkauf zu erreichen.

Begründng:

Die Revision der Kläger ist begründet. Die Vorentscheidung des FG wird aufgehoben und der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Mai 2013 dahin geändert, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen des Klägers ein Verlust aus der Veräußerung der Lebensversicherung in Höhe von 46.198 EUR anerkannt wird (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

Die Vorentscheidung widerspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Die Nichtberücksichtigung des Verlusts des Klägers aus der Veräußerung der Ansprüche aus der fondsgebundenen Lebensversicherung wegen fehlender Einkünfteerzielungsabsicht verstößt gegen § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG; sie ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.
Das FG geht zutreffend davon aus, dass für die Veräußerung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag gemäß § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG (mittlerweile § 52 Abs. 28 Satz 14 EStG n.F.) im Streitfall § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 EStG i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 (UntStRefG 2008) vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912) anwendbar ist. Denn der zweite Halbsatz des § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG dehnt die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 EStG auch auf die Veräußerung der Ansprüche aus vor dem 1. Januar 2005 abgeschlossenen Alt-Verträgen aus, “sofern bei einem Rückkauf zum Veräußerungszeitpunkt die Erträge nach § 20 Absatz 1 Nummer 6 in der am 31. Dezember 2004 geltenden Fassung steuerpflichtig wären”.

Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Ein Rückkauf der fondsgebundenen Lebensversicherung des Klägers zum Veräußerungszeitpunkt im Jahr 2009 wäre nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage steuerpflichtig gewesen. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG a.F., der über Satz 5 der Vorschrift auch für fondsgebundene Lebensversicherungen galt, sah grundsätzlich eine Steuerpflicht für rechnungsmäßige und außerrechnungsmäßige Zinsen aus den Sparanteilen vor. Zwar machte Satz 2 hiervon eine Ausnahme. Die Voraussetzungen dieser Steuerbefreiung wären im Streitfall jedoch nicht erfüllt, da der Verkauf im Jahr 2009 und damit vor Ablauf der Mindestlaufzeit von zwölf Jahren nach Vertragsschluss stattfand.
Die Formulierung “sofern” in § 52a Abs. 10 Satz 5 Halbsatz 2 EStG kann nicht einschränkend im Sinne von “soweit” ausgelegt werden.

Nach der Stellungnahme des Bundesrats vom 11. Mai 2007 (BRDrucks 220/07, S. 17, zurückgehend auf die Empfehlungen der Ausschüsse vom 30. April 2007, BRDrucks 220/1/07, S. 25 f.) ist der zweite Halbsatz des § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG eingefügt worden, um sicherzustellen, dass die Erträge aus vor dem 1. Januar 2005 geschlossenen Alt-Verträgen, “die nach derzeitigem Recht steuerpflichtig wären, auch nach dem 01.01.2009 zu steuerpflichtigen Einkünften führen”, d.h. die streitige Anwendungsregelung zielte primär auf die Zinsen aus den Sparanteilen, die bereits nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG a.F. steuerpflichtig waren. Darüber hinaus verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, zur Vermeidung einer Besteuerungslücke eine Gleichbehandlung des Veräußerungsfalls mit dem Erlebensfall und dem Rückkauf zu erreichen (vgl. hierzu BTDrucks 16/5491, S. 21), für die § 52 Abs. 36 Satz 5 EStG (mittlerweile § 52 Abs. 28 Satz 5 EStG n.F.) weiterhin die Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG a.F. und damit abweichend zu § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 4 EStG lediglich die Besteuerung der Zinsen aus den Sparanteilen vorsieht (vgl. auch Rengier, Der Betrieb 2007, 1771, 1775).
Daraus kann aber nicht auf eine einschränkende Auslegung des § 52a Abs. 10 Satz 5 Halbsatz 2 EStG geschlossen werden. Denn diese Zielvorstellungen des Gesetzgebers haben keinen Ausdruck im Gesetz gefunden. Vielmehr regelt der eindeutige Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 5 Halbsatz 2 EStG die uneingeschränkte Anwendbarkeit des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 EStG, sofern –wie im Streitfall– der Rückkauf im Veräußerungszeitpunkt nach dem EStG a.F. steuerpflichtig gewesen wäre. Auf den Umfang dieser Steuerpflicht kommt es nicht an. Dies entspricht auch der Begründung des Finanzausschusses zur endgültigen Fassung des § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG, in der von einer Besteuerung des vollen Veräußerungsgewinns “in Höhe des Unterschieds zwischen dem Veräußerungserlös und den bis zum Zeitpunkt der Veräußerung entrichteten Beiträgen” (BTDrucks 16/5491, S. 21) ausgegangen wird, d.h. keine Beschränkung auf die im Fall des Rückkaufs steuerpflichtigen Bestandteile erfolgt.
Der Kläger hat durch die Veräußerung der Ansprüche aus der fondsgebundenen Lebensversicherung die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 EStG erfüllt. Gemäß § 20 Abs. 4 EStG ergibt sich daraus ein Verlust in Höhe von 46.198 EUR.

Das FG durfte die steuerliche Anerkennung dieses Verlusts nicht wegen fehlender Einkünfteerzielungsabsicht versagen.
Das Vorliegen einer Einkünfteerzielungsabsicht ist auch bei Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 EStG grundsätzlich zu prüfen und für jede einzelne Kapitalanlage getrennt zu beurteilen. Das Erfordernis der Einkünfteerzielungsabsicht gilt grundsätzlich für alle Einkunftsarten, allerdings unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Besonderheiten hinsichtlich der Einkünfteermittlung.
Die durch das UntStRefG 2008 mit der Abgeltungsteuer als Schedule eingeführten Besonderheiten der Einkünfte aus Kapitalvermögen bedingen eine tatsächliche (widerlegbare) Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht. So sollten mit der Abgeltungsteuer in § 20 EStG umfassend alle in Betracht kommenden Kapitalanlagen erfasst werden, insbesondere auch realisierte Wertsteigerungen des Kapitalstamms (§ 20 Abs. 2 EStG). Hinzu kommen die Einschränkungen des objektiven Nettoprinzips durch das Werbungskostenabzugsverbot gemäß § 20 Abs. 9 EStG und die Verlustabzugsbeschränkungen gemäß § 20 Abs. 6 EStG. Zudem entscheiden Währungspolitik und Aktienkurs über den Ertrag aus Zinsen und Dividenden.

Im Streitfall fehlen relevante Anhaltspunkte für eine Widerlegung der Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich um den Verkauf eines Alt-Vertrages handelt, bei dem die Zwölf-Jahresfrist nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG a.F. vor Einführung des Alterseinkünftegesetzes vom 5. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1427) noch nicht abgelaufen war und deshalb ein Rückkauf zu steuerpflichtigen Zinsen aus den Sparanteilen geführt hätte. Ein Verkauf war dagegen erst nach dem 31. Dezember 2008 mit Einführung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 EStG durch das UntStRefG 2008 in Form des Unterschiedsbetrags zwischen Einnahmen und Anschaffungskosten/entrichteten Beiträgen steuerbar.

Mit dieser –den relevanten Steuertatbestand erst verwirklichenden– Veräußerung hat der Kläger seine ursprüngliche Investitionsplanung geändert. Dass er damit seinen Verlust minimieren wollte, rechtfertigt ebenso wenig die Widerlegung der Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht wie das bloße Vorliegen eines Verlusts. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 EStG regelt auch den Verlustfall. Dabei liegt es gerade in der wirtschaftlichen Typik der Einkünfte aus Kapitalvermögen, dass der Anleger auf eine negative Entwicklung einer Anlage nur dadurch reagieren kann, dass er sie durch eine andere austauscht, d.h. sich von ihr trennt. Unter welchen Umständen ggf. das Festhalten an einer Anlage, die keinerlei positive Entwicklung mehr nehmen kann, die Widerlegung der Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht rechtfertigen könnte, kann vorliegend dahinstehen. Die Veräußerung im Streitfall jedenfalls erfolgte nicht unter Umständen, die eine Widerlegung rechtfertigen könnten.
Hinsichtlich der Grundsätze über die Anerkennung von Verträgen zwischen nahen Angehörigen ist der Senat an die tatsächliche Würdigung des FG gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).

Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung nach der ICSI-Methode als außergewöhnliche Belastungen

Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung können nicht als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG abgezogen werden, wenn die Behandlung nach inländischen Maßstäben nicht mit dem ESchG oder anderen Gesetzen vereinbar ist.

Ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG liegt nicht vor, wenn zwar mehr als drei Eizellen befruchtet werden, aber lediglich ein oder zwei entwicklungsfähige Embryonen zum Zwecke der Übertragung entstehen sollen und der Behandlung eine vorherige sorgfältige individuelle Prognose zugrunde liegt (sog. deutscher Mittelweg).

BFH Urteil vom 17.05.2017 – VI R 34/15 BFH/NV 2017, 1371

Sachverhalt:

Streitig ist die Abziehbarkeit von Aufwendungen für künstliche Befruchtungen als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) leidet an einer sog. Subfertilität aufgrund einer Spermienanomalie. Im Streitjahr (2010) wurden bei der Ehefrau (E) des Klägers, mit der er damals noch nicht verheiratet war, im Wege der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) mehrere Versuche unternommen, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Auf diese Weise wurden zunächst vier, dann sieben Eizellen befruchtet. Nach Durchführung der sog. Blastozystenkultur (extrakorporale Kultur während der ersten vier bis sechs Tage nach Vornahmen der ICSI) wurden E die jeweils verbliebenen zwei Embryonen eingesetzt. Die Behandlung fand in einer Klinik in X (Österreich) statt.
In seiner Einkommensteuererklärung für 2010 machte der Kläger für die Behandlung angefallene Kosten in Höhe von 17.261,62 EUR als außergewöhnliche Belastungen geltend. Bei den Aufwendungen handelte es sich um an die spätere Ehefrau des Klägers gerichtete Rechnungen der “IVF… ” sowie auf diese ausgestellte Apothekenrezepte.
Im Einkommensteuerbescheid für 2010 lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) die Berücksichtigung der Aufwendungen ab. Gegen den Bescheid legte der Kläger Einspruch ein.
Mit Schreiben vom 27. November 2012 teilte das FA dem Kläger mit, es könnten Kosten für eine In-vitro-Fertilisation außergewöhnliche Belastungen sein, wenn die Maßnahmen in Übereinstimmung mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnungen vorgenommen worden seien. Es werde daher eine Bescheinigung der Klinik oder der Krankenkasse benötigt, dass die durchgeführten Maßnahmen mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnungen nach deutschem Recht übereinstimmten. Dies beziehe sich insbesondere auf das deutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG).
Daraufhin übersandte der Kläger dem FA eine Stellungnahme der Klinik. Darin war u.a. ausgeführt, es könne nicht bestätigt werden, dass der Wortlaut des deutschen ESchG im Sinne der “Dreier-Regel” eingehalten worden sei.

Mit Einspruchsentscheidung vom 29. April 2013 wies das FA den Einspruch des Klägers zurück. Die Klage hatte keinen Erfolg. Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) Baden-Württemberg vom 28. April 2015 8 K 1792/13 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 22. Juli 2011 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 29. April 2013 dahingehend zu ändern, dass die mit der reproduktionsmedizinischen Behandlung im Zusammenhang stehenden Aufwendungen in Höhe von 17.261,63 EUR als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Begründung:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten –ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung– dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel erbracht werden, die Krankheit erträglich zu machen.

Im Hinblick auf die für den Abzug nach § 33 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit wird nicht danach unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen oder medizinisch erforderliche Hilfsmittel der Heilung dienen oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollen. Deshalb werden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern nur “umgangen” oder kompensiert wird. Dementsprechend erkennt der BFH in ständiger Rechtsprechung Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen wird.

Voraussetzung ist allerdings weiter, dass die den Aufwendungen zugrunde liegende Behandlung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang steht. Denn eine nach nationalem Recht verbotene Behandlung kann keinen zwangsläufigen Aufwand i.S. des § 33 Abs. 1 EStG begründen. Vielmehr ist von den Steuerpflichtigen zu erwarten, dass sie gesetzliche Verbote beachten. Aufwendungen für nach objektiv-rechtlichen Maßstäben verbotene Behandlungsmaßnahmen sind selbst dann nicht zwangsläufig, wenn sie nicht straf- oder bußgeldbewehrt sind Als außergewöhnliche Belastungen sind daher Kosten für eine künstliche Befruchtung nur zu berücksichtigen, wenn die aufwandsbegründende Behandlung insbesondere nicht gegen das ESchG verstößt und –wie bereits unter b) ausgeführt–mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte im Einklang steht.

Das FG hat seiner Entscheidung zwar diesen Rechtsmaßstab zugrunde gelegt. Es hat aber zu Unrecht angenommen, § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG verbiete, mehr als drei Eizellen zu befruchten, ferner widerspreche die streitige ICSI den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte. Das Urteil des FG ist daher aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Denn anhand der Feststellungen des FG lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob die vorgenommenen Behandlungen insbesondere den Vorgaben des ESchG entsprechen.
Das FG hat allerdings zutreffend die erhebliche Einschränkung der Fertilität des Klägers als Krankheit und die ICSI grundsätzlich als die erforderliche medizinische Heilbehandlung beurteilt, um eine Schwangerschaft herbeizuführen.

Entgegen der Auffassung des FG verbieten die Berufsordnungen der Ärzte jedoch bei einer ICSI nicht, mehr als drei Eizellen zu befruchten.Die von den Landesärztekammern erlassenen Berufsordnungen legen fest, dass bei speziellen medizinischen Maßnahmen oder Verfahren, die ethische Probleme aufwerfen und zu denen die Ärztekammer Richtlinien zur Indikationsstellung und zur Ausführung als Bestandteil der Berufsordnung festgelegt hat, die Ärztinnen und Ärzte diese zu beachten haben. Dies gilt auch für die sog. Richtlinie zur assistierten Reproduktion. Die Landesärztekammern haben bis auf den Freistaat Bayern sowie die Länder Berlin und Brandenburg auf der Grundlage der (Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion der Bundesärztekammer –Novelle 2006– (Muster-RL) –Deutsches Ärzteblatt 2006, 1392– eigene Richtlinien zur assistierten Reproduktion erlassen. Zusätzlich enthält die Muster-RL einen Kommentar, der nicht verbindlich ist und den lediglich einige Landesärztekammern übernommen haben.

Nach 5.1 der in die Richtlinien der Landesärztekammern übernommenen Muster-RL ist Ziel der Sterilitätstherapie die Herbeiführung einer Einlingsschwangerschaft, da diese das geringste Risiko für Mutter und Kind darstellt. Daher sei es bei Patientinnen unter 38 Jahren zu empfehlen, im ersten oder zweiten ICSI-Versuch nur zwei Embryonen zu transferieren. Nach 3.1.2 der Muster-RL dürfen maximal drei Embryonen einzeitig auf die Mutter übertragen werden. Nach den Feststellungen des FG wurden der späteren Ehefrau des Klägers jeweils zwei Embryonen eingesetzt. Zwar ist in der Kommentierung zu 3.1.2 der Muster-RL u.a. ausgeführt, dass § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG es verbiete, mehr Eizellen zu befruchten, als einer Frau während eines Zyklus übertragen werden sollen, weshalb es nicht zulässig sei, mehr als drei Eizellen zu befruchten. Diese Ausführungen sind jedoch nicht verbindlich und in die Richtlinien der Landesärztekammern auch nicht übernommen worden. Mithin ist die Schlussfolgerung des FG, eine Befruchtung von mehr als drei Eizellen stehe nicht mit den Richtlinien der Berufsordnung für Ärzte im Einklang, nicht zutreffend.
Auch § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG steht der Befruchtung von mehr als drei Eizellen nicht entgegen. Die Vorschrift erlaubt dem Arzt vielmehr, so viele Eizellen zu befruchten, wie nach seiner Beurteilung unter Berücksichtigung des individuellen Prognoseprofils der Patientin und des Paares erforderlich sind, um einerseits entwicklungsfähige, für den Transfer vorgesehene Embryonen zu erhalten und andererseits höhergradige Mehrlingsschwangerschaften zu verhindern (sog. deutscher Mittelweg).

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 ESchG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer es unternimmt, innerhalb eines Zyklus mehr als drei Embryonen auf eine Frau zu übertragen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen. Während § 1 Abs. 1 Nr. 3 ESchG die Entstehung von höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften unterbinden will (Günther in Günther/ Taupitz/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, 2. Aufl., § 1 Abs. 1 Nr. 5, Rz 6), bezweckt § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG, das Entstehen überzähliger Embryonen sowie eine künstliche Befruchtung “auf Vorrat” zu verhindern.
Der Wortlaut der Vorschrift legt die Zahl der Eizellen, die höchstens befruchtet werden dürfen, nicht fest. Verboten ist vielmehr nur, mehr Eizellen zu befruchten, als “innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen”. Da nicht Eizellen, sondern nur Embryonen übertragen werden, legt der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG die Auslegung nahe, dass diejenige Anzahl von Eizellen befruchtet werden darf, aus der sich voraussichtlich so viele Embryonen entwickeln werden, wie innerhalb eines Zyklus der Frau übertragen werden dürfen (Khosravi, Die Strafbarkeit nach dem Embryonenschutzgesetz und Stammzellengesetz, 2017, S. 52; Frommel/Thaler, Frauenarzt, 2015, S. 14 f.; Frommel, J.Reproduktionsmed.Endokrinol. 2007, S. 27 f.). Wäre eine starre Begrenzung auf die Zahl drei nicht nur hinsichtlich der Befruchtung von Eizellen beabsichtigt gewesen, so hätte dies der Gesetzgeber nicht nur in § 1 Abs. 1 Nr. 3 ESchG, sondern auch in § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG aufnehmen können. Dies hat er nicht getan, obwohl die SPD-Fraktion im Gesetzgebungsverfahren einen Änderungsantrag eingebracht hatte, nach dem es unter Strafe gestellt werden sollte, bei einer Frau mehr als drei befruchtungsfähige Eizellen zu gewinnen, zu befruchten und auf sie zu übertragen (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 11/8057, S. 14). Die Ablehnung dieses Vorschlags lässt den Schluss zu, dass die Zahl der Eizellen, die innerhalb eines Zyklus befruchtet werden dürfen, gerade nicht ziffernmäßig beschränkt werden sollte, sondern die Regelung nur verhindern soll, dass bewusst mehr entwicklungsfähige Embryonen erzeugt werden, als innerhalb eines Zyklus auf die Frau übertragen werden dürfen. Hierfür spricht überdies, dass der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren zum ESchG der Auffassung war, dass nur 80 % der Befruchtungsversuche erfolgreich abgeschlossen werden könnten (BTDrucks 11/5460, S. 9). Er ging demnach selbst davon aus, dass es zur Gewinnung von drei transferfähigen Embryonen der Befruchtung von mehr als drei Eizellen bedurfte.

Der Zweck des § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG steht dieser Auslegung nicht entgegen. Die Vorschrift soll –wie ausgeführt– dem Entstehen “überzähliger” Embryonen entgegenwirken, die nicht innerhalb eines Zyklus auf die Frau übertragen werden können, von der die befruchteten Eizellen stammen; ferner will die Vorschrift eine künstliche Befruchtung “auf Vorrat” verhindern. Die Festlegung auf eine jeweils gleiche Anzahl von Eizellen in § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG einerseits und Embryonen in § 1 Abs. 1 Nr. 3 ESchG andererseits wäre nur sinnvoll, wenn aus jeder Eizelle letztlich auch ein transferierbarer Embryo entstünde (so auch Staatsanwaltschaft München I, Verfügung vom 24. Juli 2014 124 Js 202366/13, Zeitschrift für Medizinstrafrecht –medstra– 2015, 64). Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr reifen altersabhängig durchschnittlich nur 20 % bis 30 % der Eizellen im Vorkernstadium überhaupt zu Blastozysten heran und nur diese haben überhaupt ein realistisches Potenzial auf die Entstehung einer Schwangerschaft (Ziller, gynkongress 2016, 9). Legte man § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG dahin aus, dass nur jeweils drei Eizellen befruchtet werden dürften (so Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG Rz 8), wären die Erfolgschancen im Hinblick auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft derartig gering, dass eine erfolgsversprechende Behandlung nicht mehr gewährleistet wäre.

Für die Verwirklichung des Tatbestands des § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG (“sollen”) kommt es damit entscheidend darauf an, welchen Zweck der behandelnde Arzt mit der gewählten Vorgehensweise verfolgt Beabsichtigt er das Entstehen von lediglich ein bis zwei entwicklungsfähigen Embryonen zum Zwecke der Übertragung, so widerspricht die Behandlung selbst dann nicht den Vorgaben des ESchG, wenn trotz sorgfältiger Prognose und individuell angepasster Vorgehensweise im Einzelfall unbeabsichtigt mehr entwicklungsfähige Embryonen entstehen sollten. Damit ist der sog. deutsche Mittelweg mit den Regelungen des ESchG vereinbar, wenn anhand der individuell maßgeblichen Parameter (z.B. Alter, Gewicht, Vorerkrankungen) aufgrund einer sorgfältigen und individuellen Prognose so viele Eizellen befruchtet werden, dass voraussichtlich ein oder zwei entwicklungsfähige Embryonen entstehen, die dann übertragen werden sollen.

Das FG hat –von seinem Standpunkt aus zu Recht– bisher nicht geprüft, ob die aufwandsbegründenden Behandlungen dem sog. deutschen Mittelweg entsprechen. Der Senat kann dies anhand der Feststellungen der Vorentscheidung nicht entscheiden. Hinsichtlich des ersten Behandlungsversuchs unter Verwendung von vier befruchteten Eizellen bestehen für den Senat nach vorstehenden Ausführungen grundsätzlich keine Zweifel. Ob dies auch für den zweiten Behandlungsversuch unter Verwendung von sieben Embryonen zutrifft, ist aufgrund einer individuellen Prognose zum Zeitpunkt der Befruchtung der Eizellen zu entscheiden. Insoweit wird das FG die erforderlichen Feststellungen im zweiten Rechtsgang mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens nachholen.
Ergibt sich danach, dass die Behandlungen im Einklang mit dem ESchG stehen, steht einem Abzug als außergewöhnliche Belastungen nicht entgegen, dass die für die Behandlung gestellten Rechnungen an die spätere Ehefrau des Klägers gerichtet waren. Die Aufwendungen dienten dazu, eine Fertilitätsstörung des Klägers auszugleichen, und waren als insgesamt auf dieses Krankheitsbild abgestimmte Heilbehandlung darauf gerichtet, die Störung zu überwinden und die Krankheit zu lindern als untrennbare Einheit zu sehen. Mithin sind auch die spätere Ehefrau betreffende Behandlungsmaßnahmen Aufwendungen zur Behandlung einer Krankheit des Klägers, die dieser als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd geltend machen kann, soweit er sie –wie im Streitfall– getragen hat.

Abweichende Steuerfestsetzung bei außergewöhnlichen Belastungen

Aufwendungen i.S. des § 33 Abs. 1 EStG sind grundsätzlich in dem Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen, in dem der Steuerpflichtige sie geleistet hat.
Eine abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO ist atypischen Ausnahmefällen vorbehalten. Sie kommt nicht bereits dann in Betracht, wenn sich Aufwendungen im Veranlagungszeitraum der Verausgabung nicht in vollem Umfang steuermindernd ausgewirkt haben.

BFH Beschluss vom 12.07.2017 – VI R 36/15 BFH/NV 2017, 1380

Sachverhalt:

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet und werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Die im Jahr 2004 geborene Tochter der Kläger ist schwer- und mehrfachbehindert. Sie wird im Elternhaus gepflegt und betreut.

Der Gesamtbetrag der Einkünfte der Kläger betrug im Jahr 2010 XXX.XXX EUR, im Jahr 2011 XXX.XXX EUR, im Jahr 2012 XXX.XXX EUR und im Jahr 2013 XXX.XXX EUR.
Im Jahr 2011 bauten die Kläger ihr Haus für insgesamt 165.981 EUR behindertengerecht um. Sie errichteten angrenzend an das Wohnzimmer im Erdgeschoss und das darüber liegende Schlafzimmer einen 2-geschossigen Anbau mit einer Fläche von insgesamt ca. 27 qm und einem integrierten Lastenaufzug. In den beiden Räumen des Anbaus befinden sich der Zugang zum Lastenaufzug, ein mobiler Lifter, Rollstühle und Therapiegeräte sowie Regale und Schränke zur Aufbewahrung sonstiger für die Pflege benötigter Gegenstände. Der im Obergeschoss an den Anbau angrenzende Raum dient als Pflegezimmer und ist mit einem Spezialbett sowie einer Spezialbadewanne ausgestattet. Die Pflegeversicherung erstattete einen Betrag in Höhe von 2.557 EUR. Die Kläger bezahlten sämtliche mit dem Umbau zusammenhängenden Rechnungen im Jahr 2011.

In ihrer Einkommensteuererklärung für 2011 machten die Kläger Umbaukosten in Höhe von 60.000 EUR als außergewöhnliche Belastungen geltend und beantragten, den Restbetrag auf die folgenden beiden Veranlagungszeiträume zu verteilen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) führte die Einkommensteuerveranlagung erklärungsgemäß durch und setzte die Einkommensteuer für 2011 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 der Abgabenordnung –AO–) auf 10.329 EUR fest. Wegen der außergewöhnlichen Belastungen wurde eine abgekürzte Außenprüfung durchgeführt. Der Prüfer berücksichtigte die Aufwendungen für die Errichtung des Anbaus, des behindertengerechten Bades und des Lastenaufzugs als außergewöhnliche Belastungen. Die Aufwendungen für die Neuanlage von Terrasse und Garten in Höhe von 25.368 EUR erkannte er zu 1/3 als außergewöhnliche Belastungen an. Im Anschluss an die Außenprüfung erging ein Einkommensteueränderungsbescheid für 2011, in dem außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 149.069 EUR berücksichtigt wurden. Die Einkommensteuer wurde mit 0 EUR festgesetzt; der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben. Eine Verteilung der Aufwendungen auf mehrere Jahre lehnte das FA ab.

Gegen den Änderungsbescheid sowie die Ablehnung der Verteilung der Aufwendungen auf mehrere Jahre im Wege einer abweichenden Festsetzung aus Billigkeitsgründen legten die Kläger Einspruch ein. Am 12. April 2013 erging ein Teilabhilfebescheid, in dem weitere im Verlauf des Einspruchsverfahrens geltend gemachte Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen anerkannt und die bereits anerkannten Umbaukosten um die Erstattung in Höhe von 2.557 EUR auf 146.512 EUR vermindert wurden. Das Einspruchsverfahren wegen Einkommensteuer 2012 wurde bis zur Entscheidung über den Antrag auf abweichende Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen ausgesetzt. Mit Einspruchsentscheidung vom 30. April 2013 wies das FA den Einspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf abweichende Festsetzung der Einkommensteuer aus Billigkeitsgründen als unbegründet zurück.

Mit der Klage begehrten die Kläger, das FA zu verpflichten, die Einkommensteuer 2011, 2012 und 2013 aus Billigkeitsgründen in Höhe der Beträge festzusetzen, die sich bei gleichmäßiger Verteilung der Umbaukosten ergäben, hilfsweise, die Umbaukosten zu gleichen Teilen in den Jahren 2010 und 2011 als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1207 veröffentlichten Gründen als unbegründet ab.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die Kläger beantragen, das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 23. April 2015 3 K 1750/13 aufzuheben und das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 22. Oktober 2012 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2013 zu verpflichten, die Einkommensteuer für 2011, 2012 und 2013 in Höhe der Beträge festzusetzen, die sich ergeben, wenn die im Einkommensteuerbescheid 2011 berücksichtigten Umbaukosten zu gleichen Teilen in 2011 bis 2013 berücksichtigt werden; hilfsweise, das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 22. Oktober 2012 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2013 zu verpflichten, die außergewöhnlichen Belastungen in 2010 und 2011 zu berücksichtigen; höchst hilfsweise, das FA zu verpflichten, über den Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Begründung:
D
ie Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Revision der Kläger ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat die Voraussetzungen für eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO) zu Recht verneint.

Nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden (§ 163 Abs. 1 Satz 2 AO).
Die Entscheidung über einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden. Die Unbilligkeit kann sich aus persönlichen oder sachlichen Gründen ergeben.
Dass ein Fall der persönlichen Unbilligkeit vorliegt, wurde von den Klägern weder geltend gemacht noch ist dies sonst ersichtlich.

2. Im Streitfall liegt auch keine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen vor.
a) Bei der Entscheidung über eine sachliche Billigkeitsmaßnahme ist auf den Einzelfall abzustellen. Sie ist atypischen Ausnahmefällen vorbehalten. Billigkeitsmaßnahmen dienen der Anpassung des steuerrechtlichen Ergebnisses an die Besonderheiten des Einzelfalls, um Rechtsfolgen auszugleichen, die das Ziel der typisierenden gesetzlichen Vorschrift verfehlen und deshalb ungerecht erscheinen. Sie gleichen Härten aus, die der steuerrechtlichen Wertentscheidung des Gesetzgebers nicht entsprechen und damit zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führen Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer vor allem dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwider läuft. Unbeachtet bleiben müssen hingegen grundsätzlich solche Erwägungen, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt. Auch dürfen Billigkeitsmaßnahmen nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen

Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt keine Billigkeitsmaßnahme
Bei Heranziehung dieser Grundsätze ist das FA ermessensfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nicht in Betracht kommt. Denn im Streitfall widerspricht die vorgenommene Besteuerung nicht den Wertungen des Gesetzes.

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes –EStG–) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind.

§ 11 Abs. 2 EStG ist auch auf außergewöhnliche Belastungen anwendbar (. Aufwendungen i.S. des § 33 Abs. 1 EStG sind danach grundsätzlich in dem Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen, in dem der Steuerpflichtige sie geleistet hat Dies gilt unabhängig davon, ob sie aus eigenen oder fremden Mitteln bestritten werden Auch fremdfinanzierte Aufwendungen, die als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen sind, können nur im Jahr des tatsächlichen Abflusses, also der Verwendung der Darlehensmittel, berücksichtigt werden.
Wirken sich außergewöhnliche Belastungen in dem Veranlagungszeitraum, in dem sie geleistet werden, mangels eines hinreichenden Gesamtbetrags der Einkünfte nicht aus, sieht das Gesetz keine Möglichkeit vor, den restlichen Betrag in einen anderen Veranlagungszeitraum zu übertragen oder ähnlich der Regelung in § 82b der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) auf mehrere Veranlagungszeiträume zu verteilen. § 10d EStG gilt nur für Einkünfte, nicht aber für außergewöhnliche Belastungen oder Sonderausgaben. Ebenso fehlt eine § 7 EStG oder § 82b EStDV vergleichbare Regelung in § 33 EStG. Eine Gesetzeslücke, die eine analoge Anwendung des § 7 EStG, § 82b EStDV oder § 10d EStG nahelegen würde, liegt nicht vor. Aus der gesetzlichen Reihenfolge in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG, wonach negative Einkünfte vorrangig vor den Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen in den vorangegangenen Veranlagungszeitraum rückgetragen werden, lässt sich im Gegenteil im Einklang mit dem Gesetzeswortlaut in § 33 EStG der Grundsatz ableiten, dass derjenige, der keine positiven Einkünfte erzielt, auch keine privaten Aufwendungen abziehen kann, und zwar sowohl intra- als auch interperiodisch.

Streitfall hat sich nicht der gesamte Betrag, den die Kläger für den Umbau des Hauses aufgewendet haben, ausgewirkt, weil den Ausgaben im Jahr ihrer Verausgabung ein zu geringer Gesamtbetrag der Einkünfte gegenüberstand. Dies ist Folge der Entscheidung des Gesetzgebers für das in § 11 Abs. 2 EStG normierte Abflussprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung sowie dem Umstand, dass das Einkommensteuergesetz eine Verteilungsregel in andere Veranlagungszeiträume in einem solchen Fall nicht vorsieht.
Ein den gesetzlichen Wertungen widersprechendes Ergebnis ist darin nicht zu erblicken. Die Steuerunerheblichkeit von den Gesamtbetrag der Einkünfte überschreitenden außergewöhnlichen Belastungen ist vielmehr der einkommensteuerlichen Systematik, insbesondere der in § 2 EStG vorgegebenen Ermittlung des zu versteuernden Einkommens, geschuldet und kann daher in der Regel eine hiervon abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nicht rechtfertigen.

Nach diesen Rechtsgrundsätzen ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Denn das FA hat mit seiner Entscheidung über eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen die gesetzlichen Grenzen des Ermessens weder überschritten noch hat es von dem ihm eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Es hat auch nicht angenommen, ihm stehe eine Ermessensbefugnis nicht zu. Vielmehr hat das FA –ungeachtet der Vorgabe in R 33.4 der Einkommensteuer-Richtlinien 2012– eine eigenständige Ermessensentscheidung getroffen und sich mit den einschlägigen Rechtsgrundlagen auseinandergesetzt. An Anhaltspunkten für das Vorliegen von atypischen Besonderheiten, die ausnahmsweise eine abweichende Steuerfestsetzung aus rechtfertigen, fehlt es im Streitfall. Insbesondere stellt die Tatsache, dass die Aufwendungen durch einen Kredit finanziert wurden, keine Besonderheit dar, die eine Verteilung auf mehrere Jahre rechtfertigt. Vielmehr bleibt es auch bei kreditfinanzierten außergewöhnlichen Belastungen beim Abzug im Zeitpunkt der Verausgabung

Besteuerung der Abfindung für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch

Die Besteuerung der Abfindung, die ein künftiger gesetzlicher Erbe an einen anderen Erben für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch zahlt, richtet sich nach der zwischen den Erben maßgebenden Steuerklasse (Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung). Vorerwerbe vom künftigen Erblasser sind nicht zu berücksichtigen.

BFH Urteil vom 10.05.2017 – II R 25/15, BFH/NV 2017, 1391

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) verzichtete durch notariell beurkundeten Erbschaftsvertrag vom 14. Februar 2006 gegenüber seinen drei Brüdern für den Fall, dass er durch letztwillige Verfügung von der Erbfolge seiner Mutter (M) ausgeschlossen sein sollte, auf die Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs einschließlich etwaiger Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen eine von den Brüdern jeweils zu zahlende Abfindung in Höhe von 150.000 EUR.
Nachdem der Bundesfinanzhof entschieden hatte, dass die Zahlung der Abfindungen an den Kläger nicht als Schenkung der M an diesen, sondern als drei freigebige Zuwendungen der Brüder an den Kläger getrennt zu besteuern sind, setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) für die Zuwendung eines Bruders (K) mit Bescheid vom 19. Februar 2014 gegen den Kläger Schenkungsteuer in Höhe von 28.405 EUR fest. Dabei berücksichtigte das FA die Abfindung abzüglich anteiliger Kosten der Schenkung in Höhe von 520 EUR. Dem Erwerb rechnete es Vorerwerbe (Schenkungen) von M aus dem Jahr 2002 in Höhe von 1.056.232 EUR hinzu. Hinsichtlich des Freibetrags (205.000 EUR gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der im Jahr 2006 geltenden Fassung –ErbStG–) und des Steuersatzes (19 % nach § 19 Abs. 1 ErbStG) ging das FA von der im Verhältnis des Klägers zu M geltenden Steuerklasse I Nr. 2 (§ 15 Abs. 1 ErbStG) aus. Für die Vorschenkungen zog es einen Steuerbetrag von 161.728 EUR ab.

Das Finanzgericht (FG) setzte die Schenkungsteuer auf 10.810 EUR herab. Vorerwerbe nach M rechnete es nicht hinzu. Entsprechend dem Antrag des Klägers berücksichtigte es einen Freibetrag i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG in Höhe von 51.200 EUR. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1108 veröffentlicht.

Begründung:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Änderung des Schenkungsteuerbescheids vom 19. Februar 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. August 2014 dahingehend, dass die Schenkungsteuer auf 23.647 EUR festgesetzt wird (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zwar zutreffend angenommen, dass die Vorerwerbe von M bei der Berechnung der Steuer nicht zu berücksichtigen sind. Entgegen der Auffassung des FG ist aber die im Verhältnis des Klägers zu K gemäß § 15 Abs. 1 ErbStG geltende Steuerklasse II maßgebend.
Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Eine freigebige Zuwendung setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass die Leistung zu einer Bereicherung des Bedachten auf Kosten des Zuwendenden führt und die Zuwendung objektiv unentgeltlich ist, und in subjektiver Hinsicht den Willen des Zuwendenden zur Freigebigkeit
Schließen künftige gesetzliche Erben einen Vertrag gemäß § 311b Abs. 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs –BGB– (früher § 312 Abs. 2 BGB), wonach der eine auf seine künftigen Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegen Zahlung eines Geldbetrags verzichtet, stellt die Zahlung eine freigebige Zuwendung des Zahlenden i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG dar. Da die Abfindung in einem solchen Fall aus dem Vermögen des künftigen gesetzlichen Erben geleistet wird, liegt eine freigebige Zuwendung von diesem und nicht eine freigebige Zuwendung des künftigen Erblassers an den Empfänger der Abfindung vor

Im Hinblick auf die anzuwendende Steuerklasse führte der BFH in seiner bisherigen Rechtsprechung aus, diese richte sich nicht nach dem Verhältnis des Zuwendungsempfängers (Verzich-tenden) zum Zahlenden, sondern zum künftigen Erblasser. Der Verzicht auf Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegenüber einem anderen gesetzlichen Erben sollte hinsichtlich der Steuerklasse vor Eintritt des Erbfalls nicht anders behandelt werden als nach Eintritt des Erbfalls, bei dem der Verzicht auf die noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsansprüche gegen Abfindung gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG nach der Steuerklasse zu bestimmen ist, die im Verhältnis zum Erblasser. Zudem sollte es für die anwendbare Steuerklasse keinen Unterschied machen, ob der Verzicht mit dem künftigen Erblasser oder dem anderen gesetzlichen Erben vereinbart wird. Es sollte stets das Verhältnis des Verzichtenden zum künftigen Erblasser zu Grunde gelegt werden.
Nach nochmaliger Überprüfung hält der BFH an dieser Rechtsprechung zur Bestimmung der Steuerklasse nicht mehr fest. Der Streitfall zeigt, dass eine steuerrechtliche Gleichbehandlung des vor und nach dem Erbfall erklärten Verzichts auf Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegenüber anderen gesetzlichen Er-ben nicht möglich ist.
Die vom FA verwendete Berechnungsmethode, die bei mehreren Zahlungsverpflichteten den im Verhältnis zum Erblasser maßgebenden Freibetrag bei jeder Abfindung des Verzichtenden berücksichtigt, kann wegen der Vervielfachung des Freibetrags zu einer erheblichen schenkungsteuerrechtlichen Besserstellung des vor dem Erbfall vereinbarten Pflichtteilsverzichts führen. So wären im Streitfall –bei der vom Kläger begehrten Nichtberücksichtigung der Vorerwerbe von der künftigen Erblasserin M– die von seinen Brüdern gezahlten Abfindungen von jeweils 150.000 EUR geringer als der Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG von jeweils 205.000 EUR. Schenkungsteuer würde nicht anfallen. Demgegenüber würden die Abfindungen bei einem nach Eintritt des Erbfalls vereinbarten Pflichtteilsverzicht gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 4 Alternative 1 ErbStG als von M zugewendet gelten mit der Folge, dass der Freibetrag von 205.000 EUR nur einmal anzusetzen wäre; für die Abfindungen wäre, soweit sie zusammen 205.000 EUR übersteigen, Erbschaftsteuer festzusetzen.

Eine Aufteilung des im Verhältnis zum Erblasser maßgebenden Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG auf die jeweiligen freigebigen Zuwendungen der zur Abfindungszahlung verpflichteten gesetzlichen Erben kann ebenfalls nicht gewährleisten, dass beim Erwerber eine unabhängig vom Zeitpunkt des Pflichtteilsverzichts gleichmäßige Steuerbelastung eintritt. Denn auch hier sind die Abfindungen, die andere gesetzliche Erben leisten, bei einem Pflichtteilsverzicht vor dem Erbfall als freigebige Zuwendungen der anderen gesetzlichen Erben nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zu besteuern, während bei einem Pflichtteilsverzicht nach dem Erbfall insoweit ein Erwerb von Todes wegen vom Erblasser nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG vorliegt. Wegen der progressiven Steuersätze könnte diese Berechnungsmethode eine im Ergebnis gleiche Steuerbelastung allenfalls zufällig erreichen.
Vorerwerbe des Verzichtenden vom künftigen Erblasser können darüber hinaus nur berücksichtigt werden, wenn ein Erwerb vom Erblasser zu besteuern ist, also bei einem nach dessen Tod mit den anderen gesetzlichen Erben vereinbarten Pflichtteilsverzicht gegen Abfindung. § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG betrifft lediglich innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile. Vom künftigen Erblasser angefallene Vermögensvorteile können daher bei der Besteuerung der Abfindung, die von künftigen gesetzlichen Erben für den vor dem Ableben des Erblassers vereinbarten Pflichtteilsverzicht gezahlt wird, nicht als Vorerwerb berücksichtigt werden. Aus der nach der bisherigen Rechtsprechung gegebenen Anwendbarkeit der Steuerklasse I lässt sich kein vom klaren Wortlaut des § 14 Abs. 1 ErbStG abweichendes Ergebnis ableiten.

Für die Besteuerung des Erwerbs eines gesetzlichen Erben von einem anderen gesetzlichen Erben aufgrund Verzichts auf künftige Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegen Zahlung eines Geldbetrags ist nach den allgemeinen Regeln das Verhältnis des Verzichtenden zu dem anderen gesetzlichen Erben maßgebend. Die Steuerklasse (§ 15 ErbStG) und somit der Freibetrag (§ 16 Abs. 1 ErbStG) sowie der Steuersatz (§ 19 ErbStG) richten sich nach diesem Verhältnis. Vorerwerbe von dem künftigen Erblasser sind nicht nach § 14 ErbStG für die Besteuerung dem Erwerb hinzuzurechnen, weil der Verzichtende die Abfindung nicht vom künftigen Erblasser, sondern von dem anderen gesetzlichen Erben erhält. Es fehlt an der von § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG vorausgesetzten Personengleichheit.
Nach diesen Grundsätzen ist dem Erwerb des Klägers nach § 15 Abs. 1 ErbStG die Steuerklasse II nach seinem Verhältnis zu seinem Bruder K zu Grunde zu legen. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG bleibt der Erwerb in Höhe von 10.300 EUR steuerfrei. Vorerwerbe von M sind dem Erwerb nicht hinzuzurechnen.

Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass die Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtsprechung zur Anwendung der Steuerklasse I unter den Aspekten des Vertrauensschutzes oder der Rechtssicherheit geboten war.

Auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung konnte er nicht davon ausgehen, dass für die Besteuerung die für ihn günstige Steuerklasse I mit dem entsprechenden Freibetrag (§ 16 Abs. 1 ErbStG) und dem maßgebenden Steuersatz (§ 19 ErbStG) zur Anwendung komme, Vorerwerbe von M dem Erwerb aber nicht hinzuzurechnen seien. Intention der bisherigen Rechtsprechung des BFH war, den Verzicht vor und nach dem Erbfall steuerrechtlich gleich zu behandeln (vgl. oben unter II.1.b); wie die Besteuerung im Einzelnen zu erfolgen habe, wurde offen gelassen. Hätte man im Streitfall nach dem Verhältnis des Klägers zu M die Steuerklasse I, den entsprechenden Freibetrag von 205.000 EUR und einen Steuersatz von 19 % angewendet sowie dem Erwerb die Vorerwerbe von M hinzugerechnet, hätte sich eine Steuerfestsetzung in Höhe von 28.405 EUR ergeben (vgl. Bescheid des FA vom 19. Februar 2014). Diese liegt über der durch die Revisionsentscheidung festgesetzten Steuer in Höhe von 23.647 EUR und wäre somit für den Kläger nachteilig. Aus diesem Grund ist die Entscheidung im Streitfall nicht an den Grundsätzen zum Vertrauensschutz zu messen, die der BFH für eine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung aufgestellt hat.

Zum Vorsteuerabzug einer Gemeinde aus den Herstellungskosten einer Sporthalle

Eine Gemeinde ist zum teilweisen Vorsteuerabzug aus den Herstellungskosten einer Sporthalle, die sie (auch) Vereinen gegen eine nicht kostendeckende Nutzungspauschale überlässt, berechtigt, wenn die Prüfung aller Umstände ergibt, dass der für eine wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen Nutzungsüberlassung und Entgelt nicht gelöst ist.
Bei einer defizitären Leistungstätigkeit von Gemeinden im Rahmen der Daseinsvorsorge ist die Mindestbemessungsgrundlage des § 10 Abs. 5 UStG grundsätzlich nicht (entsprechend) anwendbar.

BFH Urteil von 28.06.2017 – XI R 12/15 BFH/NV 2017, 1400

Sachverhalt:

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Stadt, errichtete von 2010 bis 2014 eine Sporthalle mit angrenzender Gaststätte. Die Herstellungskosten der Sporthalle betrugen brutto… EUR.
Die vier Hallenteile umfassende Sporthalle sollte nach ihrer Fertigstellung für Zwecke des Schulsports genutzt werden. Zudem beabsichtige die Klägerin, die Sporthalle daneben auch an Vereine für Zwecke des Erwachsenensports zu überlassen.

Die Klägerin hat die Überlassung aller ihrer Sport- und Mehrzweckhallen in einer Entgeltordnung vom 14. Dezember 2005 geregelt. Danach erhebt die Klägerin für die Inanspruchnahme von Sport- und Mehrzweckhallen für den Übungs-, Trainings- und Schulungsbetrieb im Erwachsenensport –was auch für die Überlassung der hier in Rede stehenden Sporthalle an Vereine gilt– zur teilweisen Deckung der Betriebskosten eine Nutzungspauschale in Höhe von 1,50 EUR je Stunde und Hallenteil. Die Nutzungspauschale wird auf Grundlage der jeweils mit den Vereinen privatrechtlich vereinbarten Hallenbuchung (Belegungspläne) berechnet. Die Abrechnung erfolgt zweimal jährlich im Voraus. Für allgemeine Veranstaltungen der Vereine werden dagegen 0,25 EUR/qm, für kommerzielle Veranstaltungen allgemeiner Art (Veranstaltung von Wirtschaft, Handel und Verkehr) 1 EUR/qm und für kommerzielle Veranstaltungen besonderer Art (Tanz-, Show- und ähnliche Veranstaltungen von Privatpersonen oder privaten Interessengruppen) 2 EUR/qm sowie Zuschläge für Sonderleistungen und Nebenkosten erhoben.

Nach Angaben der Klägerin wird bei der Überlassung der den Streitfall betreffenden Sporthalle an Vereine ein Kostendeckungsgrad von 12,03 % erzielt.
Die Überlassung der Sporthalle an Vereine entspricht –was zwischen den Beteiligten nicht mehr im Streit steht– einem zeitlichen Nutzungsanteil von 14,29 %.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) lehnte den von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuerabzug aus den Herstellungskosten der Sporthalle –soweit er anteilig auf die Überlassung der Sporthalle an die Vereine entfiel– in den Umsatzsteuerbescheiden für 2010 bis 2012 (Streitjahre) ab. Die Einsprüche der Klägerin blieben erfolglos.
Die Klage, mit der die Klägerin (zuletzt) den Abzug weiterer Vorsteuerbeträge in Höhe von… EUR (2010),… EUR (2011) und… EUR (2012) begehrte, hatte Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte in seinem Urteil im Wesentlichen aus, die Klägerin habe in den Streitjahren beabsichtigt, durch die künftige Überlassung der Sporthalle auf privatrechtlicher Grundlage gegen Entgelt eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben.

Die Hallenüberlassung habe nicht unentgeltlich erfolgen sollen. Ob das Entgelt dem Wert der Leistung entspreche, sei für das Vorliegen eines Leistungsaustauschs unerheblich. Maßgeblich für die Annahme eines Leistungsaustauschs sei lediglich, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung bestehe. Dies sei vorliegend der Fall, da die Nutzungspauschale in Höhe von 1,50 EUR je Stunde und Hallenteil für die Hallenüberlassung, nicht allein für die Betriebskosten erbracht worden sei. Die Gegenleistung sei auch nicht derart von der Hauptleistung abgekoppelt, dass es an der erforderlichen Unmittelbarkeit zwischen Leistung und Gegenleistung fehle (Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union –EuGH– Kommission/Finnland vom 29. Oktober 2009 C-246/08, EU:C:2009:671, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2010, 224). Dies wäre z.B. dann der Fall, wenn die Bemessung des Entgelts vom Vermögen des Leistungsempfängers abhinge und ein Entgelt hierdurch eher den Charakter einer Gebühr erhielte. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da die Gegenleistung in der Anzahl der gebuchten Stunden bestehe und von jedem Verein in gleicher Höhe geleistet werde. Die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs sei auch nicht rechtsmissbräuchlich.

Die Klägerin habe zudem die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht der Verwendung für steuerpflichtige Umsätze bei Leistungsbezug nachweisen können. Die Überlassung von Sportanlagen sei weder nach § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfrei noch stehe im Streitfall eine mögliche Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) dem Vorsteuerabzug der Klägerin entgegen.
Die Aufteilung des Vorsteuerabzugs aus den von der Klägerin zugleich für ihre beabsichtigte wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche Tätigkeit bezogenen Leistungen ergebe sich vorliegend aus der in der mündlichen Verhandlung getroffenen tatsächlichen Verständigung der Beteiligten über die geplanten zeitlichen Nutzungsanteile der Sporthalle. Die Beteiligten hätten anhand der geplanten zeitlichen Nutzungsanteile die Aufteilung des Vorsteuerabzugs vorgenommen und einen objektiv nachvollziehbaren entgeltlichen Anteil von 14,29 % festgestellt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts.Das FG habe den anteiligen Vorsteuerabzug aus den Planungs- und Baukosten der Sporthalle zu Unrecht gewährt. Die beabsichtigte (und ab dem Jahr 2014 erfolgte) Überlassung der Sporthalle an Vereine sei unentgeltlich gewesen. Die Klägerin habe nach ihrer Entgeltordnung vom 14. Dezember 2005 nur ein nicht kostendeckendes, symbolisches Entgelt für die durch die zusätzliche Nutzung der Sporthalle entstehenden Betriebskosten erheben wollen (und später erhoben).
Der von der Klägerin ermittelte Kostendeckungsgrad von 12,03 % sei unzutreffend. Er liege bei 2,07 %; unter Berücksichtigung der die Nutzungspauschale übersteigenden zusätzlichen Verbrauchskosten sogar bei 0 %. Das FA weist auf die EuGH-Urteile Gemeente Borsele vom 12. Mai 2016 C-520/14 hin und sieht sich durch die dortigen Ausführungen in seiner Rechtsansicht bestätigt.
EuGH und BFH verneinten schon bei einer geringen Kostendeckung die wirtschaftliche Tätigkeit einer juristischen Peron des öffentlichen Rechts. Im Übrigen sei die Unmittelbarkeit von Leistung und Gegenleistung vorliegend nur scheinbar, weil es sich bei dem Entgelt, das die Klägerin von den Vereinen habe erheben wollen und später erhoben habe, um ein Steuerungsinstrument für die gleichmäßige Hallenbelegung handele.

Das FA bestreitet mit Schriftsatz vom 17. Mai 2017 erstmals, dass das von der Klägerin erhobene Entgelt für die Überlassung der Sport- und Mehrzweckhallen allgemein üblich und angemessen sei, und rügt insoweit einen Verstoß des FG gegen seine Sachverhaltsermittlungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Klägerin habe außerdem mit der annähernd kostenfreien Überlassung der Sporthalle für Zwecke des Vereinssports in ihrer Gemeinde keine Leistungen “auf einem allgemeinen Markt” erbracht.
Falls dennoch eine wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin angenommen werde, sei die sogenannte Mindestbemessungsgrundlage i.S. des § 10 Abs. 5 UStG entsprechend anzuwenden, weil die Bürger einer Stadt und die ortsansässigen Vereine als “nahestehende Personen” i.S. dieser Vorschrift anzusehen seien.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie verteidigt die Vorentscheidung und legt im Einzelnen dar, dass es sich bei der Überlassung der Sporthalle an Vereine um eine einheitliche (steuerpflichtige) Leistung handele, die entgeltlich habe erbracht werden sollen und erbracht worden sei und die auch unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils Gemeente Borsele (EU:C:2016:334, UR 2016, 520) als eine “wirtschaftliche Tätigkeit” zu qualifizieren sei.

Begründung:

Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin aufgrund ihrer in den Streitjahren objektiv belegten (und sodann verwirklichten) Absicht, die Sporthalle auf privatrechtlicher Grundlage gegen ein geringes Entgelt an Vereine zu überlassen, als Unternehmerin eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat und sie zum anteiligen Vorsteuerabzug aus den zur Errichtung dieser Halle bezogenen mit Mehrwertsteuer belasteten Eingangsleistungen berechtigt ist.

Der Unternehmer kann unter weiteren Voraussetzungen die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG). Das Vorsteuerabzugsrecht gilt auch für den Abzug der geschuldeten oder entrichteten Steuer für Investitionen, die –wie hier– für die Zwecke der noch erst beabsichtigten, das Abzugsrecht eröffnenden Umsätze getätigt werden, unter der Voraussetzung, dass die Erklärung, zu besteuerten Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufnehmen zu wollen, in gutem Glauben abgegeben worden ist und durch objektive Anhaltspunkte belegt wird. Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist u.a. die Steuer für Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG).
Die Klägerin hat als Unternehmerin i.S. von § 2 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 UStG a.F. gehandelt.

Eine juristische Person des öffentlichen Rechts wie die Klägerin war nach dem für die Streitjahre maßgebenden –unionsrechtskonform auszulegenden– § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG a.F. Unternehmer, wenn sie eine wirtschaftliche Tätigkeit auf privatrechtlicher Grundlage ausübte; erfolgte ihre Tätigkeit dagegen –anders als im Streitfall– auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, war sie nur Unternehmer, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.
Die (auch) für die Unternehmereigenschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gemäß Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 MwStSystRL (im nationalen Recht: nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen i.S. von § 2 Abs. 1 UStG) erforderliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit liegt nur vor, wenn –bezogen auf den Streitfall– die Klägerin mit der zunächst beabsichtigten und nachfolgend auch ausgeführten Überlassung der Sporthalle an Vereine entgeltliche Dienstleistungen i.S. von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL (im nationalen Recht: sonstige Leistungen gegen Entgelt i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) erbracht hat.
Eine Dienstleistung wird nur dann “gegen Entgelt” erbracht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet.
Der Umstand, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit zu einem Preis unter oder über dem Selbstkostenpreis ausgeführt wird, ist unerheblich, wenn es darum geht, einen Umsatz als “entgeltlichen Umsatz” zu qualifizieren. Dieser Begriff setzt nämlich lediglich das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen und der Gegenleistung voraus, die der Steuerpflichtige tatsächlich erhalten hat.Maßgeblich ist allein das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen und der

Davon gehen auch beide mit der Umsatzsteuer befassten Senate des BFH in ständiger Rechtsprechung aus. Anhaltspunkte dafür, dass der V. Senat in seinem Urteil in BFHE 256, 557, UR 2017, 302 den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung als Voraussetzung für einen entgeltlichen Umsatz hätte entfallen lassen, sind –anders als das FA meint– nicht ersichtlich. Diese Voraussetzungen hat das FG zutreffend bejaht.

Die (beabsichtigte) Überlassung der Sporthalle an Vereine ist –was nicht im Streit steht– eine sonstige Leistung i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG. Diese Dienstleistung wurde –entgegen der vom FA vertretenen Ansicht– gegen Entgelt erbracht.

Das FG hat zu Recht erkannt, dass der erforderliche unmittelbare Zusammenhang vorliegend bereits durch die jeweils auf die konkrete Hallennutzung bezogenen privatrechtlichen Verträge zwischen der Klägerin einerseits und dem betreffenden Verein andererseits begründet wird. Nach seiner Würdigung des Sachverhalts haben die Vereine die Nutzungspauschale in Höhe von 1,50 EUR je Stunde und Hallenteil erbracht, um die Sporthalle nutzen zu können, nicht –wie das FA meint– nur zur anteiligen Deckung der Betriebskosten. Diese mit Verfahrensrügen nicht angegriffene tatsächliche Würdigung des FG ist verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und verstößt auch nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Sie ist für den BFH als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, selbst wenn die Wertung des FG nicht zwingend, sondern lediglich möglich ist.
Danach sind zwar die Vermietung einer Immobilie und die Lieferung von u.a. Wasser, Elektrizität und Wärme, die diese Vermietung begleiten, grundsätzlich als mehrere unterschiedliche und unabhängige Leistungen anzusehen, die unter Mehrwertsteuergesichtspunkten getrennt zu beurteilen sind. Anders ist es, wenn gewisse Bestandteile des Umsatzes, einschließlich derer, die die wirtschaftliche Grundlage des Vertragsabschlusses bilden, so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Dies trifft auf die Überlassung der Sporthalle an Vereine einschließlich der Sportgeräte, mit denen diese ausgestattet ist, und den durch die zusätzliche Nutzung veranlassten Betriebskosten in Gestalt von Heizung, Wasser- und Stromverbrauch zu.
Der Unmittelbarkeit von Leistung und Gegenleistung stünde ferner nicht entgegen, dass das Entgelt –wie das FA behauptet– (nur) ein “Steuerungsinstrument” für die gleichmäßige Hallenbelegung sei. Denn selbst wenn dem so wäre, würde der erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen der von der Klägerin erbrachten Dienstleistung und der Gegenleistung nicht entfallen.
Dabei ergibt sich aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe, dass nach Auffassung des EuGH allein die von ihm. angesprochene “Asymmetrie” zwischen den Betriebskosten und den als Gegenleistung für die angebotenen Dienstleistungen erhaltenen Beträgen in Gestalt eines Kostendeckungsgrades von 3 % nicht ausreicht, um das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit auszuschließen und die Unternehmereigenschaft zu verneinen. Denn ansonsten wären die nachfolgenden Ausführungen überflüssig.

Der Senat führt aus, eine “Asymmetrie” zwischen den Betriebskosten und den als Gegenleistung für die angebotenen Dienstleistungen erhaltenen Beträgen “deute” darauf hin, dass kein Leistungsentgelt und auch keine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegen. Im Übrigen hat der V. Senat des BFH im vorgenannten Urteil den Gesichtspunkt der Asymmetrie “entsprechend dem EuGH-Urteil Gemeente Borsele” (EU:C:2016:334, UR 2016, 520) lediglich dem FG als Prüfauftrag im zweiten Rechtsgang aufgegeben (Rz 15). Dies spricht gleichfalls dafür, dass auch nach dessen Auffassung allein ein geringer Kostendeckungsgrad eine wirtschaftliche Tätigkeit nicht ausschließt.

Allerdings reicht das Vorliegen einer gegen Entgelt erbrachten Dienstleistung für die Feststellung einer wirtschaftlichen Tätigkeit i.S. von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 MwStSystRL (allein) nicht aus. Daher sind zweitens alle Umstände zu prüfen, unter denen die Tätigkeit erfolgt ist.

Der Vergleich zwischen den Umständen, unter denen der Betreffende die fragliche Dienstleistung erbringt, und den Umständen, unter denen eine derartige Dienstleistung gewöhnlich erbracht wird, kann eine der Methoden darstellen, mit denen geprüft werden kann, ob die betreffende Tätigkeit eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt. Daneben können weitere Gesichtspunkte, wie u.a. die Zahl der Kunden und die Höhe der Einnahmen, bei dieser Prüfung berücksichtigt werden.

Aus einer “Asymmetrie” zwischen den Betriebskosten und den als Gegenleistung für die angebotenen Dienstleistungen erhaltenen Beträgen folgt, dass –wie es der EuGH in seinem die Schülerbeförderung durch eine Gemeinde betreffenden Urteil Gemeente Borsele (EU:C:2016:334, UR 2016, 520, Rz 33) für Beiträge, die nur von einem Drittel der Nutzer gezahlt werden, und einem Kostendeckungsgrad von 3 % angenommen hat– es an einem tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem gezahlten Betrag und der Erbringung der Dienstleistungen fehlt, um den Gegenwert als ein Entgelt für die Dienstleistung und damit diese als eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S. von Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL ansehen zu können Ein solcher Unterschied zwischen den Betriebskosten und den als Gegenleistung für die angebotenen Dienstleistungen erhaltenen Beträgen “deutet darauf hin”, dass der Beitrag eher einer Gebühr als einem Entgelt gleichzusetzen ist
Hinsichtlich der Schülerbeförderung durch eine Gemeinde stellt der EuGH ferner darauf ab, ob die Gemeinde diese Leistungen auf dem allgemeinen Markt für Beförderungsleistungen anbietet oder selbst als Endverbraucher von Beförderungsleistungen in Erscheinung tritt, die sie bei Transportunternehmen, mit denen sie Vertragsbeziehungen hat, erwirbt und die sie den Eltern von Schülern im Rahmen der Daseinsvorsorge zur Verfügung stellt.

Die Gegebenheiten des Streitfalles, unter denen die Überlassung der Sporthalle erfolgen sollte und später erfolgt ist und deren Beurteilung dem nationalen Gericht obliegt stehen nach diesen
Grundsätzen einer wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin i.S. von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 MwStSystRL nicht entgegen.
Die wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil das von ihr erhobene Entgelt nur einen geringen Teil der Kosten deckte. Der Zusammenhang zwischen der erbrachten Leistung und dem zu entrichtenden Gegenwert weist im Streitfall die erforderliche Unmittelbarkeit auf, um diesen Gegenwert als ein Entgelt für diese Dienstleistung und damit diese als eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S. von Art. 9 MwStSystRL ansehen zu können, weil die Leistung am allgemeinen Markt angeboten wird, das Entgelt marktüblich ist und von der tatsächlichen Nutzungsinanspruchnahme abhängt). Es kann deshalb im Streitfall dahinstehen, ob die Kostendeckungsquote –wie die Klägerin meint– bei 12,03 % liegt oder –was der Ansicht des FA entspricht– geringer ist.

Die Klägerin hat, wie schon aus der vom FG in Bezug genommenen Entgeltordnung zur Überlassung von Sport- und Mehrzweckhallen vom 14. Dezember 2005 folgt, auch mit der Überlassung der den Streitfall betreffenden Sporthalle an Vereine eine Leistung auf dem allgemeinen Markt angeboten. Sie tritt –anders als die Gemeinde im EuGH-Urteil Gemeente Borsele nicht nur selbst als Endverbraucher von auf dem allgemeinen Markt erworbenen Leistungen in Erscheinung, die sie im Rahmen der Daseinsvorsorge (ortsansässigen) Vereinen zur Verfügung stellt. Vorliegend hat die Klägerin eine Sporthalle errichtet, um diese neben dem Schulsport an Dritte gegen Entgelt zu überlassen. Insoweit entspricht ihre Tätigkeit nicht dem Bild eines Endverbrauchers, sondern dem eines am Markt teilnehmenden Unternehmers. Da es auf den Zweck der wirtschaftlichen Tätigkeit insoweit nicht ankommt, steht dem nicht entgegen, dass die annähernd kostenfreie Überlassung der Sporthalle vornehmlich Zwecken des Vereinssports (nur) in der Gemeinde dient.

Das von der Klägerin erhobene Entgelt in Höhe von 1,50 EUR je Stunde und Hallenteil ist –wie das FG für den Senat bindend i.S. von § 118 Abs. 2 FGO festgestellt hat– zudem angemessen und für (gemeindeeigene) Mehrzweckhallen allgemein üblich, entspricht der in den Nachbargemeinden durchgeführten Praxis und wird auch von der Gemeindeprüfungsanstalt nicht beanstandet. Die Bedingungen, unter denen die Klägerin ihre Dienstleistung erbringt, unterscheiden sich mithin nicht von denen, unter denen die Tätigkeit der Sporthallenüberlassung von Gemeinden üblicherweise vorgenommen wird.
Soweit das FA erstmals in seinem Schriftsatz vom 17. Mai 2017 die Verfahrensrüge erhebt, das FG habe unter Verletzung der ihm gemäß § 76 Abs. 1 FGO obliegenden Sachverhaltsermittlungspflicht nicht ermittelt, wie sich die Vermietungspraxis von gemeindeeigenen Mehrzweckhallen im Kreis X darstelle, ist diese Rüge bereits wegen ihrer nicht fristgerechten Erhebung unzulässig.
Das Revisionsgericht darf grundsätzlich nur solche Verfahrensrügen berücksichtigen, die innerhalb der –am 17. Mai 2017 bereits abgelaufenen– Revisionsbegründungsfrist in einer den Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO genügenden Weise angebracht werden Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Außerdem ist im Streitfall die von dem jeweiligen Verein zu entrichtende Gegenleistung abhängig von der Anzahl der belegten Stunden und genutzten Hallenteile, so dass es vorliegend –wie schon die Vorentscheidung unter Hinweis auf das (im EuGH-Urteil Gemeente Borsele in Rz 33 zitierte) EuGH-Urteil Kommission/Finnland zutreffend erkannt hat– nicht an der erforderlichen Unmittelbarkeit zwischen Leistung und Gegenleistung fehlt.

Dagegen war nach dem Sachverhalt, der dem EuGH-Urteil Gemeente Borsele zugrunde lag, die Höhe des von den Eltern für die Schülerbeförderung jeweils zu entrichtenden Beitrags unabhängig von der Zahl der täglich zurückgelegten Kilometer, den Selbstkosten pro Fahrt und Schüler oder der Häufigkeit der Fahrten bemessen.
Das FG hat gleichfalls zu Recht erkannt, dass die stundenweise Überlassung von Sportanlagen nicht nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerfrei ist und eine mögliche Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL dem Vorsteuerabzug nicht entgegensteht.
Die –wie hier– entgeltliche Überlassung einer Sporthalle ist grundsätzlich steuerpflichtig; denn die Überlassung von Sportanlagen ist nach der geänderten BFH-Rechtsprechung nicht gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerfrei..

Eine mögliche Steuerfreiheit für “bestimmte, in engem Zusammenhang mit Sport und Körperertüchtigung stehende Dienstleistungen, die Einrichtungen ohne Gewinnstreben an Personen erbringen, die Sport oder Körperertüchtigung ausüben” nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL steht im Streitfall dem Vorsteuerabzug der Klägerin nicht entgegen. Denn diese Steuerbefreiung wird im nationalen Recht gemäß § 4 Nr. 22 Buchst. b UStG nur für sportliche Veranstaltungen umgesetzt. Eine derartige Veranstaltung liegt im Streitfall, bei dem sich die Klägerin nicht auf einen Anwendungsvorrang des Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSyStRL beruft, nicht vor.

Die Klägerin hat –wovon das FG gleichfalls zutreffend ausgegangen ist– ihre Absicht der Verwendung für steuerpflichtige Umsätze bereits bei der Errichtung der Sporthalle in den Jahren 2010 bis 2014 –und damit auch in den Streitjahren 2010 bis 2012– durch objektive Anhaltspunkte belegt. Wie sich aus ihrer Entgeltordnung vom 14. Dezember 2005 ergibt, überlässt sie ihre Sporthallen u.a. an Vereine zum Zwecke des Erwachsenensports gegen eine Nutzungspauschale in Höhe von 1,50 EUR je Stunde und Hallenteil. Die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs durch die Klägerin war auch nicht rechtsmissbräuchlich. Zwar kann der Vorsteuerabzug zur Vermeidung einer missbräuchlichen Praxis versagt werden
Allerdings hat das FG den Streitfall dahingehend gewürdigt, dass die Klägerin keinen Sachverhalt künstlich geschaffen hat, allein um sich einen Steuervorteil zu verschaffen. Diese Würdigung ist auf Grundlage der vom FG getroffenen, nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen, dass die Klägerin aufgrund außersteuerlicher Gesichtspunkte nicht berechtigt war, ein deutlich höheres oder auch den Betriebskosten entsprechendes Entgelt zu erheben, möglich und verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze; sie bindet daher nach § 118 Abs. 2 FGO den Senat..

Die sogenannte Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 UStG ist entgegen der vom FA vertretenen Rechtsauffassung im Streitfall nicht (entsprechend) anzuwenden. Nach § 10 Abs. 5 UStG werden Lieferungen und sonstige Leistungen, die Körperschaften und Personenvereinigungen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), nichtrechtsfähige Personenvereinigungen sowie Gemeinschaften im Rahmen ihres Unternehmens an ihre Anteilseigner, Gesellschafter, Mitglieder, Teilhaber oder diesen nahestehenden Personen sowie Einzelunternehmer an ihnen nahestehende Personen ausführen (Nr. 1) sowie Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer an sein Personal oder dessen Angehörige aufgrund des Dienstverhältnisses ausführt (Nr. 2) nach der Bemessungsgrundlage des § 10 Abs. 4 UStG besteuert, wenn diese Bemessungsgrundlage das vereinbarte Entgelt (§ 10 Abs. 1 UStG) übersteigt.
Der im Streitfall allein in Betracht kommende § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG verweist nur auf Körperschaften und Personenvereinigungen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 KStG. Deshalb ist diese Vorschrift bei unternehmerischer Betätigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts, die in § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG genannt sind, nicht anwendbar, zumal die Nutzer kommunaler Einrichtungen keine “nahestehenden Personen” sind. Auch eine entsprechende Anwendung von § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG scheidet aus.
§ 10 Abs. 5 UStG stellt eine abweichende Sondermaßnahme i.S. des Art. 27 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) –nunmehr Art. 395 Abs. 1 MwStSystRL– dar. Die Vorschrift ist als abweichende nationale Maßnahme zur Verhütung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen eng auszulegen und darf nur angewandt werden, soweit dies hierfür unbedingt erforderlich ist. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.
Das FG hat in Auslegung irreversiblen Landesrechts (vgl. § 118 Abs. 1 FGO) festgestellt, da es sich bei der Sporthalle um eine öffentliche Einrichtung i.S. von § 10 Abs. 2 der Gemeindeordnung Baden-Württemberg im Bereich der Daseinsvorsorge handele, sei die Klägerin verpflichtet, ihren Bürgern und Vereinen den Zugang zu verschaffen; das Entgelt dürfe einen vertretbaren Rahmen nicht überschreiten. Bei einer derartigen defizitären Leistungstätigkeit von Gemeinden ist die Mindestbemessungsgrundlage des § 10 Abs. 5 UStG nicht (entsprechend) anwendbar (vgl. auch Probst in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 10 Rz 403; Lippross, UR 2010, 214, 216 f.); das gilt jedenfalls dann, wenn wie im Streitfall keine Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung oder -umgehung bestehen.

Überdies durfte auch bereits in den Streitjahren 2010 bis 2012 (vor Inkrafttreten der entsprechenden Regelung in § 10 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 UStG) ein Umsatz nicht gemäß § 10 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 UStG bemessen werden, wenn das vereinbarte niedrigere Entgelt –wie nach den bindenden Feststellungen des FG im Streitfall– marktüblich ist

Umfang eines Vorläufigkeitsvermerks

Für die Reichweite eines Vorläufigkeitsvermerks kommt es darauf an, wie der Adressat den materiellen Regelungsgehalt nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte.

BFH Urteil vom 14.09.2017 – IV R 28/14 BFH/NV 2018, 1

Sachverhalt:

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GbR. Sie ermittelte ihren Gewinn im Streitjahr durch Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG). In der Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Gewinnfeststellung) 2008, die sie bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) einreichte, zog die Klägerin einen Investitionsabzugsbetrag nach § 7g EStG für die künftige Anschaffung eines betrieblich genutzten PKW in Höhe von 23.500 EUR ab. Die Klägerin erwarb den PKW am 8. Juni 2009. Das FA erließ am 18. Februar 2010 einen Gewinnfeststellungsbescheid 2008 für die Klägerin entsprechend ihren Angaben in der eingereichten Feststellungserklärung und stellte u.a. unter Berücksichtigung des Investitionsabzugsbetrags laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von… EUR fest. Der Bescheid erging nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 der Abgabenordnung (AO) wegen verfassungsrechtlicher Aspekte betreffend steuerliche Regelungen zu Arbeitszimmern, die Aufwandsentschädigung von Parlamentariern und das Zustandekommen des Haushaltsbegleitgesetzes teilweise vorläufig.

Im Rahmen des Gewinnfeststellungsverfahrens für das Folgejahr 2009 forderte das FA –zunächst erfolglos– Nachweise von der Klägerin dafür an, dass dieser PKW (fast) ausschließlich betrieblich genutzt werde. Am 15. April 2011 änderte das FA die Gewinnfeststellungsbescheide 2008 und 2009 dahingehend, dass der Investitionsabzugsbetrag nun nicht mehr anerkannt wurde.
Begründung:

Das FG hat dem Grunde nach zutreffend entschieden, dass der geänderte Gewinnfeststellungsbescheid 2008 vom 15. April 2011 mangels Einlegung eines Einspruchs bestandskräftig geworden ist (a) und keine Korrekturnorm eingreift, insbesondere keine Änderung wegen vorläufiger Feststellung (b) oder Vorliegens neuer Tatsachen (c) in Betracht kommt.
Der geänderte Gewinnfeststellungsbescheid 2008 vom 15. April 2011 ist bestandskräftig geworden.Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin –anders als bei dem am selben Tag geänderten Gewinnfeststellungsbescheid 2009– gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 2008 vom 15. April 2011 keinen Einspruch eingelegt. Mit dem Vorbringen, ein gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 2009 eingelegter Einspruch habe sich auch gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 2008 gerichtet, kann die Klägerin im Revisionsverfahren nicht gehört werden. Denn diese Behauptung hat sie –wie das FA zutreffend einwendet– erstmals im Revisionsverfahren vorgebracht. Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegen gemäß § 118 Abs. 2 FGO jedoch nur die Tatsachen, die sich aus dem Urteil der Tatsacheninstanz, hier also aus dem Urteil des FG, ergeben.

Das FG hat zu Recht die Änderbarkeit des Gewinnfeststellungsbescheides für 2008 vom 15. April 2011 nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO verneint. Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde eine Steuerfestsetzung aufheben oder ändern, soweit sie die Steuer vorläufig festgesetzt hat. Bei einem Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 AO handelt es sich um eine unselbständige Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt nach § 120 Abs. 1 AO. Die Voraussetzungen einer vorläufigen Steuerfestsetzung sind in § 165 Abs. 1 AO geregelt. Danach kommt eine vorläufige Steuerfestsetzung in Betracht, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind (§ 165 Abs. 1 Satz 1 AO), oder wenn einer der in § 165 Abs. 1 Satz 2 AO geregelten Tatbestände gegeben ist. Die Möglichkeit, einen Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 AO zu setzen, besteht gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO auch für das Verfahren der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen..
§ 165 Abs. 1 Satz 3 AO verlangt in formeller Hinsicht für die Begründung des Vorläufigkeitsvermerks, dass dessen Umfang und Grund anzugeben sind. Diese Angaben dienen dem Rechtsschutzinteresse des Steuerpflichtigen. Er soll wissen, welche Umstände der endgültigen Festsetzung bzw. Feststellung entgegenstehen und hinsichtlich welcher als ungewiss betrachteter Tatsachen (bei § 165 Abs. 1 Satz 1 AO) sich das FA eine weitere Überprüfung vorbehält. Diese Angaben zeigen auch die Grenzen für die endgültige Festsetzung bzw. Feststellung auf.
Die Reichweite eines Vorläufigkeitsvermerks ergibt sich aus seiner Begründung oder ist aus anderen Umständen durch Auslegung zu bestimmen. Entscheidend ist –wie generell bei Verwaltungsakten–, wie der Adressat den materiellen Regelungsgehalt nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte.
Sind die Formulierung des Vorläufigkeitsvermerks und die Erläuterungen in dem Bescheid nicht hinreichend klar, so kann sich die Wirksamkeit des Vermerks auch durch Würdigung der Umstände des Einzelfalls ergeben. Zu prüfen ist dabei, ob der Umfang des Vorläufigkeitsvermerks aus Sicht eines objektiven Empfängers hinreichend erkennbar war.
Bei der Frage, welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, ist der Senat nicht nach § 118 Abs. 2 FGO an die Auslegung durch das FG gebunden. Diese Frage beantwortet das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit und kann ggf. die Auslegung durch das FG korrigieren. Diese Befugnis zur vollständigen eigenen Prüfung durch das Revisionsgericht gilt auch für den Vorläufigkeitsvermerk als unselbständige Nebenbestimmung des

Das FG hat zu Recht angenommen, dass der Gewinnfeststellungsbescheid 2008 vom 15. April 2011 wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Investitionsabzugsbetrags für die Anschaffung eines PKW nicht vorläufig war. Die Klägerin als die Empfängerin des Bescheides konnte aus dem Inhalt des Änderungsbescheides zur Gewinnfeststellung 2008 vom 15. April 2011 nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass die Feststellung hinsichtlich der Frage der (fast) ausschließlichen Nutzung des PKW zu betrieblichen Zwecken i.S. von § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b EStG nur vorläufig sein sollte.
Aus dem Bescheid ergibt sich, dass das FA vorgenommene Änderungen auf zwei rechtliche Grundlagen gestützt hat. Zum Ersten wurden Änderungen nach § 7g Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 2 EStG bei der Gewinnermittlung vorgenommen, zum Zweiten galt ein Vorläufigkeitsvermerk und wurde eine vorläufige Regelung für endgültig erklärt. Diese beiden im Kopf des Bescheides zitierten Rechtsgrundlagen für vorgenommene Änderungen finden sich auch in den Erläuterungen wieder. Die Zuordnung der Erläuterungen zu diesen Grundlagen der Änderungen ist auch hinreichend klar und verständlich. So greifen die Erläuterungen den Aufbau der beiden genannten Rechtsgrundlagen auf. Es wird zunächst erläutert, weshalb Änderungen bei bisher gewährten Investitionsabzugsbeträgen vorgenommen werden. Darauf folgt –auch optisch durch einen eigenen Absatz abgesetzt und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Regelungen über die vorläufige Festsetzung– die Erläuterung des Vorläufigkeitsvermerks – hier wegen des verfassungsgemäßen Zustandekommens des HBeglG 2004. Weiterhin wird erläutert, dass bisher vorläufige Regelungen wegen der Aufwandsentschädigung für Parlamentarier und der Regelungen über Arbeitszimmer nunmehr endgültig sind.

Wenn die Klägerin annimmt, die Regelung, wonach der Bescheid mit Ausnahme der in den Erläuterungen genannten Punkte endgültig sei, bedeute, dass die Ablehnung eines Investitionsabzugsbetrags mangels Nachweises der (fast) ausschließlich betrieblichen Nutzung nunmehr unter einen Vorläufigkeitsvermerk gestellt werde, folgt der Senat dem nicht. Denn dieses Verständnis vermengt die erkennbar voneinander zu trennenden Regelungsabschnitte des Verwaltungsakt, nämlich einerseits die vorgenommene Rückgängigmachung des bisher gewährten Investitionsabzugsbetrags mangels erforderlicher Nachweisführung durch den Steuerpflichtigen, andererseits die Anpassung von Vorläufigkeitsvermerken an geänderte Bedingungen.
Der Verwaltungsakt wäre bei Zugrundelegung des Verständnisses der Klägerin auch nicht mehr verständlich. Denn hätte das FA tatsächlich alle in den Erläuterungen genannten Punkte für vorläufig erklären wollen, die es nicht ausdrücklich für endgültig erklärte, so hätte es in den Erläuterungen keiner ausdrücklichen Begründung der Vorläufigkeit hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Zustandekommens des HBeglG 2004 mehr bedurft.
Weiterhin zeigt die Begründung des FA zur Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrags, dass das FA dort gerade keinen Grund für einen Vorläufigkeitsvermerk sah, sondern eine abschließende Entscheidung als Ergebnis einer Beweiswürdigung treffen wollte.

Die Annahme der Klägerin, die teilweise Endgültigerklärung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO in dem Bescheid vom 15. April 2011 könnte eine Vorläufigkeit hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für den Investitionsabzugsbetrag nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO begründet haben, ist ausgeschlossen. Dies hätte zumindest eine Erwähnung des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO als Rechtsgrundlage für die Vorläufigkeit erfordert. Außerdem kann eine (teilweise) Endgültigerklärung eines Vorläufigkeitsvermerks denklogisch nur dort erfolgen, wo zuvor eine entsprechend vorläufige Regelung nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO bestand. Daran fehlt es jedoch im Streitfall.

Das FG hat zutreffend eine Änderung des Gewinnfeststellungsbescheides 2008 wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel abgelehnt. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat. Nach der Rechtsprechung hat der Steuerpflichtige auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters, dessen er sich zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient, bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten; dabei werden an einen solchen Berater erhöhte Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich der von ihm zu erwartenden Kenntnis und sachgemäßen Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften gestellt.
Ob ein Beteiligter grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die hierzu getroffenen Feststellungen dürfen –abgesehen von zulässigen und begründeten Verfahrensrügen– von dem BFH nur daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen entspricht. Bei Vorliegen ausreichender tatsächlicher Feststellungen ist auch das Revisionsgericht nicht gehindert, selbst zur Annahme eines groben Verschuldens zu gelangen

Bei Anwendung dieser Grundsätze hat das FG in nicht zu beanstandender Weise eine grobe Fahrlässigkeit angenommen. Denn aus dem Gewinnfeststellungsbescheid vom 15. April 2011 ergibt sich hinreichend klar, dass das FA den geltend gemachten Investitionsabzugsbetrag mangels Nachweises einer fast ausschließlich betrieblichen Nutzung des betreffenden PKW ablehnte. Der Eintritt der Bestandskraft hätte durch Einlegung eines Einspruchs verhindert werden müssen. Entgegen der Ansicht der Klägerin bestand auch keine Veranlassung, wegen eines aus diesem Grund bestehenden Vorläufigkeitsvermerks auf die Einlegung eines Einspruchs zu verzichten. Der Gewinnfeststellungsbescheid war insoweit auch nicht unklar. Jedenfalls für einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe musste klar sein, dass die Bildung des Investitionsabzugsbetrags rückgängig gemacht wurde und die maßgebliche Frage der Voraussetzungen eines Investitionsabzugsbetrags nicht zu den Gründen gehörte, deretwegen der Bescheid für vorläufig erklärt wurde.

Da die Begründung der Rückgängigmachung des bisher gewährten Investitionsabzugsbetrags einerseits und die Begründung der in dem Bescheid enthaltenen Vorläufigkeitsvermerke andererseits hinreichend klar erkennbar und nicht missverständlich waren, kann das Verschulden der Klägerin bzw. ihres Vertreters an der Fristversäumnis auch nicht wegen einer eigenen Pflichtverletzung des FA unbeachtlich sein.