Nachträgliche Schuldzinsen – wesentliche Beteiligung

Nachträgliche Schuldzinsen – wesentliche Beteiligung

BFH Urteil vom 8.9.2010, VIII R 1/10

Begründung:

Schuldzinsen für die Anschaffung einer im Privatvermögen gehaltenen Beteiligung i.S. von § 17 EStG, die auf Zeiträume nach Veräußerung der Beteiligung oder Auflösung der Gesellschaft entfallen, können ab dem Veranlagungszeitraum 1999 grundsätzlich wie nachträgliche Betriebsausgaben als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abgezogen werden (vgl. Senatsurteile vom 16. März 2010 VIII R 20/08, BFHE 229, 151, BStBl II 2010, 787, VIII R 36/07, BFH/NV 2010, 1795). Seine gegenteilige Rechtsprechung hat der Senat damit aufgegeben.

Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall grundsätzlich vor. Das zur Refinanzierung der Bürgschaftsinanspruchnahme vom Kläger aufgenommene Darlehen hat die Anschaffungskosten der Beteiligung des Klägers an der GmbH erhöht. Die darauf entfallenden Zinsen kann der Kläger deshalb auch nach Löschung der GmbH im Handelsregister als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen abziehen, soweit die Verbindlichkeiten nicht durch den Veräußerungspreis und die Verwertung von zurückbehaltenen aktiven Wirtschaftsgütern hätten getilgt werden können.

BFH zur Besteuerung von Dienstwagen: Zuschlag für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach tatsächlicher Benutzung

Der Senat hält daran fest, dass die Zuschlagsregelung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG einen Korrekturposten zum Werbungskostenabzug darstellt und daher nur insoweit zur Anwendung kommt, wie der Arbeitnehmer den Dienstwagen tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzt hat (Senatsurteile vom 4. April 2008 VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887; VI R 68/05, BFHE 221, 17, BStBl II 2008, 890) .

Die Zuschlagsregelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG hat nicht die Funktion, eine irgendwie geartete zusätzliche private Nutzung des Dienstwagens zu bewerten. Sie bezweckt lediglich einen Ausgleich für abziehbare, tatsächlich aber nicht entstandene Erwerbsaufwendungen.

BFH Urteil vom 22.9.2010, VI R 57/09

Erläuterung:

Wird der geldwerte Vorteil der privaten Nutzung eines Dienstwagens typisierend mit der 1 %-Regelung besteuert, so erhöht sich der so ermittelte Betrag um monatlich 0,03 % des Listenpreises für jeden Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, wenn das Fahrzeug auch dafür genutzt werden kann. Der Bundesfinanzhof (BFH) bestätigte mit drei Urteilen vom 22. September 2010 seine Rechtsprechung vom April 2008, dass nämlich diese 0,03 %-Zuschlagsregelung in § 8 Abs. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur einen Korrekturposten für abziehbare aber nicht entstandene Erwerbsaufwendungen darstellt und sie daher nur dann und insoweit zur Anwendung kommt, wie der Dienstwagen tatsächlich für solche Fahrten genutzt worden war.

In den Urteilen VI R 55/09 und VI R 57/09 hatten die Arbeitnehmer jeweils einen auch für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutzbaren Dienstwagen vom Arbeitgeber zur Verfügung. Während allerdings das Finanzamt auf Grundlage von Nichtanwendungsschreiben die Rechtsprechung des BFH vom April 2008 nicht angewandt und stattdessen als Einnahmen jeweils monatlich 0,03 % des Bruttolistenpreis der Fahrzeuge für jeden Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte angesetzt hatte, berücksichtigte der BFH, wie schon die Vorinstanz, den Zuschlag nur nach der Anzahl der tatsächlich zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durchgeführten Fahrten und gelangten so zu entsprechend geringeren Zuschlägen. Der BFH teilte in seiner Entscheidung VI R 57/09 insbesondere nicht die Auffassung der Finanzverwaltung, dass diese Auslegung die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreite. Entscheidend dafür ist insbesondere, dass die 1 %-Regelung für Arbeitnehmer ohnehin nur in entsprechender Anwendung der für Gewinneinkünfte geltenden Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG gilt, es für diesen Bereich aber keine Zuschlagsregelung sondern nur eine Begrenzung des Betriebsausgabenabzugs gibt. Dann aber entspricht es dem Gleichbehandlungsgebot und dem Gebot der Folgerichtigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auch bei Arbeitnehmern der Zuschlagsregelung lediglich die Funktion beizumessen, den Werbungskostenabzug zu begrenzen. Im Urteil VI R 57/09 entschied der BFH weiter, dass diese Zuschlagsregelung auch nicht formell verfassungswidrig sei, obwohl diese Regelung im Jahressteuergesetz 1996 erst nach Anrufung des Vermittlungsausschusses auf Grundlage der Beschlussempfehlungen dieses Gremiums zustande gekommen war und das dem Verfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen u. a. vorgebracht hatte, dass deshalb eine detaillierte Dokumentation des historischen gesetzgeberischen Willens dazu fehle.

Kein Abzugsverbot für Teilwertabschreibungen bei Auslandsbeteiligungen im Veranlagungszeitraum 2001

Das Abzugsverbot für Teilwertabschreibungen bei Auslandsbeteiligungen (§ 8b Abs. 3 KStG 1999 i.d.F. des UntStFG) ist im Veranlagungszeitraum 2001 nicht anwendbar.

BFH Urteil vom 22.4.2009, I R 57/06

Erläuterungen:

Hält eine Kapitalgesellschaft Anteile an einer anderen Kapitalgesellschaft, sind gemäß § 8b Abs. 2 und 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zum einen Gewinne aus der Veräußerung dieser Anteile von der Besteuerung freigestellt, zum anderen aber auch jegliche die Substanz betreffende Gewinnminderungen nicht abziehbar. Diese Regelung wurde im Zuge der Systemumstellung auf das sog. Halbeinkünfteverfahren in den Jahren 2001/2002 eingeführt und erfasst anders als die Vorgängerregelung unterschiedslos Auslands- und Inlandsbeteiligungen. Jedoch trat der neugefasste § 8b KStG für Auslandsbeteiligungen regelmäßig früher in Kraft. Dies betraf auch das Abzugsverbot, wodurch sich im Übergangszeitraum im Vergleich zu Inlandsbeteiligungen eine ungünstigere Besteuerung ergeben konnte.

Vor diesem Hintergrund hat der I. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) mit Beschluss vom 4. April 2007 I R 57/06 den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung angerufen. Konkret geht es um Teilwertabschreibungen auf ausländische Aktien zum 31. Dezember 2001, bei denen es sich sämtlich um sog. Streubesitz von jeweils unter 10 % der Anteile handelte. Die Teilwertabschreibungen waren bei der Einkommensermittlung nicht abziehbar. Nach Ansicht des BFH könnte dies gegen die gemeinschaftsrechtlich garantierte Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen.

Keine steuerfreie Heilbehandlung durch Subunternehmer ohne eigenständigen Befähigungsnachweis

Aus einer nach dem SGB V einem Arzt für dessen Heilbehandlungsleistung (Aknebehandlung) geschuldeten Erstattung einer Krankenkasse ergibt sich nicht, dass der vom Arzt eingeschaltete Subunternehmer (Kosmetiker) über die erforderliche berufliche Befähigung zur Durchführung einer Heilbehandlungsmaßnahme i.S. von § 4 Nr. 14 UStG verfügt .

BFH Urteil vom 2.9.2010, V R 47/09

Begründung:

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG nur steuerfrei, wenn sie von Personen erbracht werden, die die [hierfür] erforderlichen "beruflichen Befähigungsnachweise" (EuGH-Urteil vom 10. September 2002 C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833, BFH/NV Beilage 2003, 30 Rdnr. 27) und damit die erforderlichen "beruflichen Qualifikationen" besitzen, damit die Heilbehandlungen unter Berücksichtigung der beruflichen Ausbildung der Behandelnden eine ausreichende Qualität aufweisen.

Zwar ist es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, die arztähnlichen Berufe zu bestimmen, wobei sich das ihnen dabei zustehende Ermessen nicht nur auf die Festlegung der für die Ausübung dieser Berufe erforderlichen Qualifikationen, sondern auch auf die Festlegung der spezifischen Heiltätigkeiten bezieht, die zu diesen Berufen gehören (EuGH-Urteil Solleveld u.a. in Slg. 2006, I-3617, BFH/NV Beilage 2006, 299 Rdnrn. 29 f.). Bei der Ausübung dieses Ermessens muss aber ein Ausschluss einzelner Berufe durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein, die sich auf die beruflichen Qualifikationen des Behandelnden und damit auf Erfordernisse der Qualität der erbrachten Leistungen beziehen.

 

 

Steuerfreiheit von Zuwendungen unter Lebenden bezüglich Familienwohnheimen/Familienheimen

Im Zusammenhang mit Familienwohnheimen/Familienheimen stehende Zuwendungen unter Lebenden sind auch dann nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG steuerfrei, wenn die Ehe bei der Anschaffung oder Herstellung des Objekts noch nicht bestanden hatte .

Zu den Zuwendungen unter Lebenden i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG gehören auch Abfindungen für einen Erbverzicht .

BFH Urteil vom 27.10.2010, II R 37/09

Begründung:

Zuwendungen unter Lebenden, mit denen ein Ehegatte dem anderen Ehegatten Eigentum oder Miteigentum an einem im Inland belegenen, zu eigenen Wohnzwecken genutzten Haus oder einer im Inland belegenen, zu eigenen Wohnzwecken genutzten Eigentumswohnung (Familienwohnheim) verschafft oder den anderen Ehegatten von eingegangenen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Anschaffung oder der Herstellung des Familienwohnheims freistellt, bleiben nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG steuerfrei. Es muss sich dabei nicht um eine freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG handeln. Die Vorschrift gilt vielmehr auch für Abfindungsleistungen für einen Erb- oder Pflichtteilsverzicht, die nach § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG als Schenkungen unter Lebenden gelten. Die Steuerbefreiung bezieht sich nach ihrem Sinn und Zweck nicht nur auf das Haus verstanden als Gebäude, sondern auch auf das Grundstück, dessen wesentlicher Bestandteil es nach § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB ist.

 

 

Niedrigbesteuerung von Tochtergesellschaften ausländischer Versicherungsunternehmen in Irland

Ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Betrieb eines Versicherungsunternehmens im Sinne der Aktivitätsklausel des § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG a.F. kann auch gegeben sein, wenn die ausländische Tochtergesellschaft durch einen Betriebsführungsvertrag ein anderes Unternehmen mit der Ausführung des Versicherungsgeschäfts betraut hat

BFH Urteil vom 13.10.2010, I R 61/09

Begründung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat durch Urteil vom 13. Oktober 2010 I R 61/09 zur Reichweite der sog. Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. des Außensteuergesetzes (AStG) Stellung genommen. Von dieser Besteuerung werden im Inland ansässige Steuerpflichtige getroffen, die sich in einem sog. Niedrigsteuerland als Gesellschafter an einer ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligen, welche als "Zwischengesellschaft" keine oder nur "passive" eigene Aktivität entwickelt und nicht "wirklich" am wirtschaftlichen Geschäftsverkehr teilnimmt. Für diesen Fall werden die Einkünfte der Gesellschaft den Einkünften der inländischen Gesellschafter hinzugerechnet.

"Aktiv" tätig ist die ausländische Kapitalgesellschaft, die ein Versicherungsunternehmen betreibt, nur dann, wenn sie für ihre Geschäfte einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Betrieb unterhält (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG). Der BFH hat entschieden, dass diese Aktivitätsvoraussetzung auch vorliegen kann, wenn die Kapitalgesellschaft durch einen Betriebsführungsvertrag ein anderes, ihr verbundenes Unternehmen mit der Ausführung des Versicherungsgeschäfts betraut.

In dem vom BFH entschiedenen Fall hatte ein deutsches Versicherungsunternehmen eine Tochtergesellschaft (Ltd.) in Irland gegründet, die Rückversicherungsgeschäfte abschloss und daraus beträchtliche Einkünfte erzielte, die in Irland nur mit einem ermäßigten Steuersatz von 10 % zu versteuern waren. Das operative Geschäft überließ die Ltd. über ein "management agreement" allerdings einer von ihr in Irland gegründeten weiteren Kapitalgesellschaft. Trotz dieses "Outsourcing" sah der BFH die Ltd. als hinreichend "aktiv" an; ihre Einkünfte waren der deutschen Muttergesellschaft deswegen nicht hinzuzurechnen.

Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen

Änderungen eines Versorgungsvertrags können nur dann steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie von den Vertragsparteien schriftlich fixiert worden sind .

Werden die auf der Grundlage eines Vermögensübergabevertrags geschuldeten Versorgungsleistungen "willkürlich" ausgesetzt, so dass die Versorgung des Übergebers gefährdet ist, sind die weiteren Zahlungen auch nach Wiederaufnahme der ursprünglich vereinbarten Leistungen nicht als Sonderausgaben abziehbar .

BFH Urteil vom 15.9.2010, X R 13/09

Kein ordnungsgemäß durchgeführter Ergebnisabführungsvertrag

Ein Ergebnisabführungsvertrag ist nicht tatsächlich durchgeführt, wenn der Jahresüberschuss der Organgesellschaft nicht mit einem vororganschaftlichen Verlustvortrag verrechnet, sondern an den Organträger abgeführt wird.

BFH Urteil vom 21.10.2010, IV R 21/07

Begründung:

Verpflichtet sich eine GmbH durch einen Gewinnabführungsvertrag i.S. des § 291 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG), ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist das Einkommen der GmbH (Organgesellschaft) dem Träger des Unternehmens (Organträger) nach § 14 i.V.m. § 17 KStG 1998 zuzurechnen, wenn die Voraussetzungen des § 14 Nrn. 1 bis 5 KStG 1998 erfüllt sind.

Tatsächlich durchgeführt wird ein EAV i.S. des § 14 Nr. 4 Satz 2 KStG 1998, wenn er entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen vollzogen wird, also die nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ermittelten Gewinne tatsächlich vertragsgemäß an den Organträger abgeführt werden.

Nicht als vertragsgemäße Abführung kann es aber angesehen werden, wenn die Organgesellschaft einen höheren als den in § 301 AktG vorgesehenen und im EAV vereinbarten Gewinn an den Organträger abführt. Soweit hierzu im Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten wird, es handele sich bei dem "Vergessen" der Verrechnung mit einem Verlustvortrag um einen geringfügigen und danach unbeachtlichen Verstoß gegen eine Nebenpflicht , kann der Senat sich dieser Auffassung schon dem Grunde nach und damit unabhängig von der Höhe des Verlustvortrags nicht anschließen.

Kein Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie durch vorläufige Steuerfestsetzungen hinsichtlich verfassungsrechtlich ungeklärter Rechtsfragen und Teileinspruchsentscheidungen

Ein Vorläufigkeitsvermerk, der auf § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO und auf die Besteuerungsgrundlage hinweist, hinsichtlich derer die Steuer vorläufig festgesetzt wird, ist inhaltlich nach Grund und Umfang hinreichend bestimmt. Es ist nicht erforderlich, die betragsmäßige Auswirkung der vorläufigen Festsetzung anzugeben und die anhängigen Musterverfahren nach Gericht und Aktenzeichen zu bezeichnen ff. .

Ein solcher Vorläufigkeitsvermerk beschränkt sich nicht auf die zum Zeitpunkt der vorläufigen Festsetzung anhängigen Verfahren. Sind die Verfahren, die der Vorläufigkeit zugrunde liegen, beendet und ist die vorläufige Festsetzung noch nicht für endgültig erklärt, bleibt die Festsetzung vorläufig, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist (§ 171 Abs. 8 Satz 2 AO) wieder ein einschlägiges Verfahren anhängig wird ff.

Eine nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufige Festsetzung kann auch dann geändert werden, wenn der BFH oder das BVerfG eine Norm verfassungskonform auslegt .

Eine nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufige Festsetzung schränkt den verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutz des Steuerpflichtigen nicht ein. Macht er besondere Gründe materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art substantiiert geltend, kann trotz vorläufiger Festsetzung ein Rechtsschutzbedürfnis für ein Einspruchsverfahren und Klageverfahren anzunehmen sein, in dem der Steuerpflichtige ggf. auch vorläufigen Rechtsschutz erlangen kann. Erklärt die Finanzbehörde die vorläufige Festsetzung (ggf. auf Antrag gemäß § 165 Abs. 2 Satz 4 AO) für endgültig oder entfällt ein Vorläufigkeitsvermerk in einem Änderungsbescheid, sind ebenfalls Einspruch und ggf. Klage möglich ff.

Die Sachdienlichkeit der Teileinspruchsentscheidung ist in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar. Ist eine Teileinspruchsentscheidung sachdienlich, entspricht ihr Erlass regelmäßig billigem Ermessen mit der Folge, dass eine weitere Begründung der Ermessensentscheidung nicht erforderlich ist .

Eine Teileinspruchsentscheidung ist auch dann sachdienlich, wenn sie nicht allein auf schnelleren Rechtsschutz im Interesse des Steuerpflichtigen gerichtet ist, sondern dem Interesse der Finanzverwaltung an einer zeitnahen Entscheidung über den entscheidungsreifen Teil eines Einspruchs dient, der ersichtlich nur zu dem Zweck eingelegt wird, die Steuerfestsetzung nicht bestandskräftig werden zu lassen .

In der Teileinspruchsentscheidung wird durch Angabe der betreffenden Besteuerungsgrundlage(n) hinreichend bestimmt, hinsichtlich welcher Teile Bestandskraft nicht eintreten soll .Das JStG 2007 ist verfassungsmäßig zustande gekommen. Trotz der grundsätzlich vorgesehenen drei Beratungen eines Gesetzentwurfs muss eine vom Gesetzentwurf in erster Beratung abweichende Beschlussempfehlung nicht Gegenstand einer erneuten ersten Beratung sein. Ein Verstoß gegen § 81 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags (Frist für die zweite Beratung) führt nicht zur formellen Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes ff.

BFH Urteil vom 30.9.2010, III R 39/08

Erläuterungen:

Hängt die Höhe der festzusetzenden Steuer von der Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht ab und ist diese Rechtsfrage Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder einem obersten Bundesgericht, wird nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30. September 2010 III R 39/08 der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen ausreichend dadurch gewahrt, dass die Steuer insoweit vorläufig festgesetzt wird. Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen wird nach diesem Urteil des BFH auch nicht dadurch in verfassungswidriger Weise eingeschränkt, dass die Finanzbehörde auf einen Einspruch des Steuerpflichtigen gegen die Steuerfestsetzung vorab über entscheidungsreife Teile seines Einspruchs entscheidet.

Wird eine Steuer hinsichtlich eines solchen Musterverfahrens nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) vorläufig festgesetzt, kann der Steuerpflichtige Einspruch und ggf. Klage erheben, wenn er besondere Gründe substantiiert geltend macht. In einem solchen Verfahren kann der Steuerpflichtige auch jederzeit vorläufigen Rechtsschutz beantragen und bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 361 AO bzw. des § 69 der Finanzgerichtsordnung erhalten.

Ein Vorläufigkeitsvermerk, der auf § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO und auf die Besteuerungsgrundlage hinweist, hinsichtlich derer die Steuer vorläufig festgesetzt wird, ist inhaltlich nach Grund und Umfang hinreichend bestimmt und damit wirksam. Insbesondere ist es nicht erforderlich, die betragsmäßige Auswirkung der vorläufigen Festsetzung anzugeben und die anhängigen Musterverfahren nach Gericht und Aktenzeichen zu bezeichnen.

Auch die im Streitfall erlassene sog. Teileinspruchsentscheidung hält der BFH für rechtmäßig. Durch das Jahressteuergesetz 2007, das nach Ansicht des BFH verfassungsmäßig zustande gekommen ist, wurde § 367 Abs. 2a AO eingefügt, der die Finanzbehörde berechtigt, bei Sachdienlichkeit vorab über Teile des Einspruchs zu entscheiden. Anders als der Kläger sieht der BFH eine Teileinspruchsentscheidung auch dann als sachdienlich an, wenn sie nicht allein auf schnelleren Rechtsschutz im Interesse des Steuerpflichtigen gerichtet ist, sondern dem Interesse der Finanzverwaltung an einer zeitnahen Entscheidung über den entscheidungsreifen Teil eines Einspruchs dient, der ersichtlich nur zu dem Zweck eingelegt wird, die Steuerfestsetzung nicht bestandskräftig werden zu lassen. Der in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes garantierte Rechtsschutz gebietet es nicht, Einspruchsverfahren möglichst lange offen zu halten, damit der Steuerpflichtige an künftigen Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu derzeit nicht streitigen Rechtsfragen teilhaben kann.

Grenzen der Vereinsautonomie bei der Gestaltung der Beitragsordnung eines Lohnsteuerhilfevereins

Eine proportionale Staffelung der Mitgliedsbeiträge eines Lohnsteuerhilfevereins bei Jahreseinnahmen eines Mitglieds von mehr als 50.000 EUR macht aus den Beiträgen keine Entgelte und ist daher nicht unzulässig .

Ein Lohnsteuerhilfeverein kann von der Aufsichtsbehörde nicht verpflichtet werden, in die Beitragsordnung aufzunehmen, dass bei der Beitragsbemessung die dem Verein im Zeitpunkt der Fälligkeit des Beitrags bekannten Verhältnisse des Mitglieds zugrunde gelegt werden .

Es ist nicht unzulässig, in der Beitragsordnung vorzusehen, dass bei neuen Mitgliedern, welche für zwei Jahre Hilfe bei ihrer Steuererklärung erwarten, für die Berechnung des Mitgliedsbeitrags die Einnahmen aus beiden Jahren zusammengerechnet werden .

BFH Urteil vom 26.10.2010, VII R 23/09

Begründung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in dem Urteil vom 26. Oktober 2010 VII R 23/09 die Grenzen der Vereinsautonomie bei der Gestaltung der Beitragsordnung eines Lohnsteuerhilfevereins verdeutlicht. Er hält eine Staffelung der Mitgliedsbeiträge eines solchen Vereins nach den Jahreseinnahmen des Mitglieds ebenso für zulässig wie die Zusammenrechnung zweier Jahreseinnahmen bei solchen neuen Mitgliedern, die für zwei zurückliegende Jahre Hilfe bei ihrer Steuererklärung erwarten.

Das Verfahren betraf eine Verfügung der aufsichtführenden Finanzbehörde, mit welcher dem Verein aufgegeben worden war, seine Beitragssatzung zu ändern und zu ergänzen. Es wurde verlangt, dass der Verein die dort vorgesehene proportionale Staffelung bei Jahreseinnahmen eines Mitglieds von mehr als 50.000 € (5 € zusätzlicher Beitrag pro 5.000 € zusätzliche Einnahmen) und die vorgenannte Zusammenrechnung der Einnahmen zweier Jahre aufgibt; ferner solle er in seiner Beitragssatzung klarstellen, dass für die Beitragsbemessung die bei Fälligkeit des Beitrags im März bekannten Verhältnisse des Mitglieds maßgeblich sind. Als Rechtsgrundlage für dieses Verlangen hatte die Behörde § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Steuerberatungsgesetzes in Anspruch genommen, wonach ein Lohnsteuerhilfeverein neben dem Mitgliedsbeitrag kein besonderes Entgelt für seine Beratungsleistungen erheben darf.

Der BFH hat die Verfügung aufgehoben. Zwar könne die Aufsichtsbehörde einen Lohnsteuerhilfeverein durch Verfügung zu einem rechtmäßigen Handeln anhalten. Die beanstandeten Vorschriften der Beitragssatzung führten jedoch nicht zu einer verdeckten Erhebung eines Entgelts für Beratungsleistungen und lägen folglich innerhalb der Satzungsautonomie, die auch einem Lohnsteuerhilfeverein zustehe. Insbesondere sei nicht zu erkennen, dass dem von dem Verein bei hohen Einnahmen verlangten höheren Beitrag typischerweise umfangreichere oder schwierigere lohnsteuerrechtliche Beratungsleistungen entsprechen. Es sei auch nachvollziehbar, dass der Verein in seiner Beitragsordnung Vorkehrungen dagegen treffen möchte, dass Mitglieder nicht erst bei aufgestautem Beratungsbedarf dem Verein beitreten bzw. dass er in einem solchen Fall zumindest einen gewissen Ausgleich in der Beitragslast herstellen will. Ferner sei es auch sachgemäß, auf die Einnahmen des Vorjahres als Beitragsbemessungsgrundlage abzustellen und die Beitragsfestsetzung ggf. zu ändern, wenn diese dem Verein erst nach dem Fälligkeitszeitpunkt bekannt werden.