Erstmalige Ermessensausübung in ersetzendem Haftungsbescheid Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens

Ersetzt das Finanzamt während eines Klageverfahrens den mit der Klage angefochtenen Haftungsbescheid durch einen anderen Haftungsbescheid, in dem es erstmals seine Ermessenserwägungen erläutert, so wird dieser Bescheid zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Im weiteren Verlauf jenes Verfahrens sind die nunmehr angestellten Ermessenserwägungen in vollem Umfang zu berücksichtigen.

 BFH Urteil vom 16. Dezember 2008 I R 29/08

 

Keine Schätzung nach § 64 Abs. 5 AO für Überschüsse aus Pfennigbasar

Überschüsse eines gemeinnützigen Vereins aus der Veranstaltung eines Pfennigbasars, auf dem von den Mitgliedern gesammelte gebrauchte Gegenstände verkauft werden, können nicht nach § 64 Abs. 5 AO geschätzt werden.

BFH Urteil vom 11. Februar 2009 I R 73/08

Begründung:

Gemäß § 64 Abs. 5 AO können Überschüsse aus der Verwertung unentgeltlich erworbenen Altmaterials außerhalb einer ständig dafür vorgehaltenen Verkaufsstelle, die der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer unterliegen, in Höhe des branchenüblichen Reingewinns geschätzt werden. Die Anwendung des § 64 Abs. 5 AO setzt voraus, dass die Überschüsse in einem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb einer Körperschaft anfallen.

Bei dem vom Kläger veranstalteten Pfennigbasar handelt es sich um einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (§ 14 AO). Nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) wurden auf dem jährlich durchgeführten Pfennigbasar gebrauchte Gegenstände verkauft, die zuvor von den Mitgliedern des Klägers gesammelt worden waren. Mit der Sammlung und Weiterveräußerung dieser Gegenstände übte der Kläger eine selbständige nachhaltige Tätigkeit aus, durch die er Einnahmen und andere wirtschaftliche Vorteile erzielte und die über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausging.

Der Pfennigbasar diente in seiner Gesamtrichtung nicht der Verwirklichung der satzungsmäßigen gemeinnützigen Zwecke des Klägers, sondern der Beschaffung zusätzlicher Mittel für die hierauf gerichtete Tätigkeit des Klägers. Die Sammlung und Weiterveräußerung der gebrauchten Gegenstände begründet damit keinen Zweckbetrieb i.S. des § 65 AO.

Das FG hat zutreffend angenommen, dass § 64 Abs. 5 AO auf den Pfennigbasar des Klägers nicht anwendbar ist. Im Streitfall hat der Kläger nach den Feststellungen des FG auf dem Pfennigbasar gebrauchte Gegenstände aller Art verkauft, zu denen unter anderem Kleidung, Bücher und Haushaltsgeräte gehörten. Eine Verwertung von Altmaterial liegt nicht vor, wenn es im Rahmen eines Basars oder Flohmarkts zu einem Einzelverkauf gebrauchter Sachen kommt.

Die enge Auslegung des § 64 Abs. 5 AO wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt, aus denen sich eindeutig ergibt, dass der Gesetzgeber die Schätzung nach § 64 Abs. 5 AO nur auf Überschüsse aus Altmaterialsammlungen, nicht aber auf den Einzelverkauf gebrauchter Sachen auf Basaren und Flohmärkten erstrecken wollte

 

 

 

 

Anordnung einer Außenprüfung bei einer aufgelösten Personengesellschaft

Eine aufgelöste zbd zivilrechtlich beemdete Personengesellschaft besteht steuerlich fort bis zur Abwicklung aller Rechtsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Finanzamt.

Bei Beauftragung mit einer Außenprüfung  hat das beauftragte Finanzamt über den gegen die Prüfungsanordnung gerichteten Einspruch zu entscheiden, wenn auch die Prüfungsanordnung von ihm erlassen wurde.

BFH Urteil vom 18.11.2008 – VIII R 40/07 BFHNV 2009 S. 705 ff

 

Einnahmezuschätzung bei Gewinnermittlung nach Einnahmenüberschussrechnung

Die Aufzeichnungen, die einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zugrunde liegen, müssen klar und vollständig sein, dass sie einem sachverständigen Dritten den Umfang der Einkünfte in einem vertretbaren Zeitrahmen plausibel machen.

Bei einem Arzt werden Aufzeichnungen in der Patientenkartei oder auf dem Pc gespeicherten Rechnungsausgänge, die nach Zahlungseingang gelöscht werden, nicht gerecht.

des Saarlandes, Urteil vom 17. Dezember 2008 1 K 2011/04-Nichtzulassungsbeschwerden eingelegt EFG 2009 S. 307 ff.

Geschäftsführerhaftung

Ein gewissenhafter und sorgfältiger Geschäftsführer darf auch bei Einschaltung Dritter nicht blind auf die ordnungsgemäße Erledigung der Buchführungspflichten durch diese vertrauen. Vielmehr bleibt er verpflichtet, sich über die Richtigkeit der buch- und belegmäßigen Erfassung zumindest bei herausgehobenen Geschäftsvorfällen selbst zu informieren.

BFH Beschluss vom 26.11.2008 – V B 210/07 (BFH/NV 2009 S. 362)

Begründung:

In der Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass die Frage, welche Anforderungen an eine haftungsbegründende grobe Fahrlässigkeit eines Geschäftsführers i.S. des § 69 der Abgabenordnung zu stellen sind, nicht allgemein beantwortet werden kann, sondern sich nach den Besonderheiten des einzelnen Falls richtet. Nach der Rechtsprechung des BFH ist zwar generell davon auszugehen, dass der Geschäftsführer einer GmbH, der die Sachkunde eines ihm als zuverlässig bekannten –und als Angehöriger eines rechtsberatenden oder steuerberatenden Berufs befugten– steuerlichen Beraters in Anspruch nimmt, sich auf diesen verlässt und bei gewissenhafter Ausübung seiner Überwachungspflichten keinen Anlass findet, die steuerliche Korrektheit der Arbeit des steuerlichen Beraters in Frage zu stellen, nicht grob fahrlässig handelt.

Allerdings darf der Geschäftsführer nicht blind auf die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung eines für die GmbH tätigen Dritten vertrauen und auf eine Überwachung gänzlich verzichten. Vielmehr muss er sich fortlaufend über den Geschäftsgang unterrichten, so dass ihm Unregelmäßigkeiten nicht über einen längeren Zeitraum verborgen bleiben können. Allein der Umstand, dass eine Gesellschaft von einer Steuerberatungsgesellschaft mangelhaft beraten worden ist, entlastet den Geschäftsführer nicht vom Vorwurf grobfahrlässiger Nichtabführung von Umsatzsteuer, wenn er sich nicht in einem diesen Vorwurf ausschließenden Maße selbst aktiv darum bemüht hat, sich über seine umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten zu informieren.

Welche Überwachungsmaßnahmen von einem Geschäftsführer zu treffen sind, wenn er die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten auf Mitarbeiter überträgt, hängt weitgehend von den Umständen des Einzelfalls ab. Gleiches gilt, wenn ein Geschäftsführer in steuerlichen Angelegenheiten ein –offenbar mangelhaftes– Testat eingeholt hat.

Änderung eines Steuerbescheides nach § 174 Abs. 4 AO

Ein Steuerbescheid kann auch dann nach § 174 Abs. 4 AO geändert werden, wenn die Änderungsmöglichkeit vor Erlass des erstmaligen Steuerbescheids eingetreten ist.

BFH Urteil vom 28. Januar 2009 X R 27/07

Begründung:

Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Durch § 174 AO soll die Finanzbehörde die Möglichkeit erhalten, in bestimmten Fällen der materiellen Richtigkeit Vorrang einzuräumen, indem vermieden wird, dass Steuerfestsetzungen bestehen bleiben, die inhaltlich zueinander im Widerspruch stehen Die Regelung bezweckt den Ausgleich einer zugunsten des Steuerpflichtigen eingetretenen Änderung; derjenige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, muss auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen

Haftung des GmbH Geschäftsführers für Lohnsteuer

Die erforderliche Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem mit der Haftung geltend gemachten Schaden richtet sich wegen des Schadensersatzcharakters der Haftung nach § 69 AO wie bei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen nach der Adäquanztheorie.

Die erfolgreiche Insolvenzanfechtung einer erst nach Fälligkeit abgeführten Lohnsteuer unterbricht den Kausalverlauf zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt jedenfalls dann nicht, wenn der Fälligkeitszeitpunkt vor dem Beginn der Anfechtungsfrist lag.

Die Pflicht zur Begleichung der Steuerschuld der GmbH im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit ist dem Geschäftsführer nach § 34 Abs. 1 AO, § 41a EStG nicht allein zur Vermeidung eines durch eine verspätete Zahlung eintretenden Zinsausfalls auferlegt, sondern soll auch die Erfüllung der Steuerschuld nach den rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit sicherstellen.

Der Zurechnungszusammenhang zwischen einer pflichtwidrig verspäteten Lohnsteuerzahlung und dem eingetretenen Schaden (Steuerausfall) ergibt sich daraus, dass dieser Schaden vom Schutzzweck der verletzten Pflicht zur fristgemäßen Lohnsteuerabführung erfasst wird.

BFH Urteil vom 11. November 2008 VII R 19/08

Begründung:
Der Geschäftsführer hatte in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter der GmbH i.S. von § 34 Abs. 1 AO die Pflicht zur Einbehaltung und fristgerechten Abführung der im Haftungszeitraum von der GmbH angemeldeten Lohnsteuerabzugsbeträge. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG hat der Kläger für die Monate April bis Juni 2003 zwar fristgerecht Lohnsteueranmeldungen abgegeben, zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt aber die angemeldeten Beträge nicht entrichtet. Die in der nicht fristgerechten Entrichtung liegende objektive Pflichtwidrigkeit indiziert den gegenüber dem Kläger zu erhebenden Schuldvorwurf.

Hätte der Kläger die angemeldeten Lohnsteuern bis spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt der Lohnsteuer für Juni 2003 (nach den unbestrittenen Angaben des FA am 15. Juli 2003) gezahlt, wäre es nicht zu dem Steuerausfall beim Fiskus gekommen, denn der Dreimonatszeitraum vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung, in dem nach § 130 Abs. 1 InsO Zahlungen des Schuldners anfechtbar sind (Anfechtungszeitraum), begann erst am 22. Juli 2003.

Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts

Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt kann nach § 130 Abs. 2 AO nur dann zurückgenommen werden, wenn bei seinem Erlass von einem tatsächlich nicht gegebenen Sachverhalt ausgegangen oder das im Zeitpunkt seines Erlasses geltende Recht unrichtig angewandt worden ist; eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage hingegen macht einen ursprünglich rechtmäßigen Verwaltungsakt grundsätzlich nicht i.S. des § 130 AO rechtswidrig, es sei denn, es läge ein Fall steuerrechtlicher Rückwirkung vor.

Eine “nachträglich eingetretene Tatsache” i.S. des § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO kann auch die steuerrechtliche Beurteilung eines Sachverhalts in einem anderen Bescheid sein, der Bindungswirkung für den zu widerrufenden Bescheid hat.

Wird ein Einkommensteuerbescheid geändert, weil die in ihm erfassten Lohnzahlungen wegen Festsetzungsverjährung nicht erfasst werden dürfen, kann die mit dem Einkommensteuerbescheid verbundene Anrechnungsverfügung, welche die auf den Lohn entrichtete Lohnsteuer angerechnet hatte, widerrufen werden.

BFH Urteil vom 9. Dezember 2008 VII R 43/07

Begründung:
Nach Erlass des Einkommensteueränderungsbescheids , in dem die Bezüge des Klägers als Geschäftsführer der GmbH nicht mehr der Besteuerung unterworfen worden sind, ist das FA berechtigt, die von diesen Bezügen von der GmbH einbehaltene und an das FA abgeführte Lohnsteuer nicht mehr gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anzurechnen

Nichtigkeit von Schätzungsbescheiden

Steuerbescheide sind nichtig, wenn das Finanzamt die Grundordnung des Verfahrens so verletzt, dass der Steuerpflichtige nicht von der Verbindlichkeit der festgesetzten Steuer auszugehen kann.

Dieses ist insbesondere dann der Fall, wenn die Schätzung nicht plausibel ist und die Höhe der geschätzten Steuerlast nur als Druckmittel für eine Beschleunigung des Verfahrens verwendet wird.

Finanzgericht München, Urteil vom 4. September 2008 2 K 1865/08 – rechtskräftig, EFG 2009 S. 2 ff.

Begründung:
Die Schätzung des Finanzamt ist nicht nachvollziehbar. Bezogen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen weicht das Schätzungsergebnis krass von den tatsächlichen Verhältnissen ab. Es ist nicht erkennbar, dass das Finanzamt irgendwelche Überlegung zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vorgenommen hat.

Die vorgeschriebene Dokumentation der Schätzung befindet sich in den Akten. Es fhelen Aufzeichnungen über die Höhe der zu erwartenden Umsätze und Gewinne.

Die Schätzung erfolgte nicht mit dem Ziel die tatsächliche Besteuerungsgrundlagen zu erfassen, sondern anhand von willkürlich ermittelten Zahlen sollte der größtmögliche Druck auf den Steuerpflichtigen ausgeübt werden.