Offenbare Unrichtigkeit bei unvollständig ausgefülltem Steuererklärungsvordruck und unvollständigem Beleg

Eine Unrichtigkeit i.S. von § 129 Satz 1 AO ist nur dann offenbar, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig erkennbar ist. Davon ist nicht auszugehen, wenn die einem unvollständig ausgefüllten Steuererklärungsformular beigefügte Bescheinigung einer privaten Rentenversicherung nicht das Vorliegen sämtlicher im Gesetz für den Abzug der Versicherungsbeiträge als Sonderausgaben genannter Voraussetzungen bestätigt.
Anknüpfungspunkte für die Annahme eines groben Verschuldens i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO können sowohl Versäumnisse bei der Erstellung der Steuererklärung als auch bei der Überprüfung des noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheids sein.
BFH Urteil vom 03.08.2016 – X R 20/15 BFH/NV 2017, 437
Sachverhalt:
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte im Streitjahr 2008 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen. In seiner ohne Mitwirkung eines steuerlichen Beraters erstellten, am 9. Juni 2009 bei dem damals für die Veranlagung zuständigen Finanzamt A-Stadt in Papierform eingereichten Einkommensteuererklärung für 2008 nahm er in Zeile 64 des Mantelbogens “Beiträge zu (…) eigenen kapital-gedeckten Rentenversicherungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b EStG) mit Laufzeitbeginn nach dem 31.12.2004” keine Eintragung vor. Allerdings enthielt die der Steuererklärung beigefügte Belegsammlung nach den –vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt –FA–) nicht angegriffenen– Feststellungen der Vorinstanz eine Bescheinigung der X-Versicherung vom 17. Februar 2009, die das Finanzgericht (FG) durch Bezugnahme zum Gegenstand seines Urteils gemacht hat. Die Bescheinigung hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
“Sehr geehrter Herr (…),
wir bescheinigen Ihnen für das Kalenderjahr 2008 folgende Versicherungsbeiträge:
(…) 2.460,00 EUR
Wir bestätigen, dass es sich um als Sonderausgaben abzugsfähige Beiträge zu einem Basisrentenvertrag (…) gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG handelt.
Der Vertrag sieht die Zahlung einer lebenslangen Leibrente vor, die nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahres erbracht wird.
Zu der in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG 2008) für den Sonderausgabenabzug zusätzlich normierten Voraussetzung, wonach “darüber hinaus kein Anspruch auf Auszahlungen” bestehen darf, enthielt die Bescheinigung keine Angaben.
Das Finanzamt A-Stadt setzte die Einkommensteuer des Klägers für das Jahr 2008 mit Bescheid vom 22. Juni 2009 erklärungsgemäß fest. Einen Sonderausgabenabzug gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG 2008 gewährte es nicht, weil der zuständige Bearbeiter nach –vom FA ebenfalls nicht beanstandeter– Überzeugung der Vorinstanz bei “lebensnaher Betrachtung der Verhältnisse des Einzelfalls (…) die vorliegende Bescheinigung der X-Versicherung bei Durchführung der Einkommensteuerveranlagungen 2008 schlicht übersehen” habe. Der Einkommensteuerbescheid wurde bestandskräftig.
Begründung:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
Die Vorentscheidung ist bereits aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben, weil das FG zu Unrecht entschieden hat, im Streitfall gestatte § 129 AO eine Berichtigung des streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheids. Auf die vom FA erhobene Sachaufklärungsrüge kommt es folglich nicht mehr an. Die Sache ist indessen nicht spruchreif. Anhand der vom FG getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht endgültig beurteilen, ob die vom Kläger beantragte Berücksichtigung der Versicherungsbeiträge als Sonderausgaben auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO gestützt werden kann.
Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit (innerhalb der Verjährungsfrist) berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen (§ 129 Satz 2 AO).
Offenbare Unrichtigkeiten i.S. von § 129 AO sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts eine offenbare Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht. Die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO setzt grundsätzlich voraus, dass der offenbare Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist. Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist die Vorschrift aber auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt.
Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlage beurteilt werden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Tatfrage, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang unterliegt.
Die Würdigung des FG, mit der es eine Berichtigung des Einkommensteuerbescheids 2008 dem Grunde nach zugelassen hat, hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Das FG hat in der Nichtberücksichtigung der Beiträge des Klägers zur Basisrenten-Versicherung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG 2008 eine aus dem unvollständig ausgefüllten Mantelbogen übernommene offenbare Unrichtigkeit gesehen, weil die Angaben in der dem FA vorgelegten Bescheinigung der X-Versicherung einen offensichtlichen Widerspruch zu den fehlenden Eintragungen in Zeile 64 des Erklärungsvordrucks begründeten. Somit hat die Vorinstanz hinsichtlich der Offenbarkeit der von ihr angenommenen Unrichtigkeit wesentlich auf den Inhalt der –nach ihrer Überzeugung vom Veranlagungssachbearbeiter “schlicht übersehen(en)”– Versicherungsbescheinigung abgestellt.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Unrichtigkeit hingegen dann offenbar, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist. Bei Anwendung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung auf den Streitfall ist eine Berichtigung des Einkommensteuerbescheids 2008 gemäß § 129 AO nicht möglich.
Da von einer objektivierten Sichtweise auszugehen ist, ist bei dem (fiktiven) unvoreingenommenen Dritten grundsätzlich vom Akteninhalt –Steuererklärung, deren Anlagen sowie die Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr– auszugehen. Dies findet seine Begründung darin, dass eine Anknüpfung an aktenkundige Umstände bei objektiver Betrachtungsweise regelmäßig besonders naheliegt. Im Streitfall bedeutet dies, dass dem unvoreingenommenen Dritten aufgrund der beigefügten Bescheinigung der X-Versicherung deren Inhalte bekannt waren.
Die Bescheinigung äußerte sich indes nicht zu allen in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG 2008 für den Sonderausgabenabzug aufgestellten Tatbestandsvoraussetzungen. Es fehlte an Angaben dazu, ob dem Kläger aufgrund des mit der X-Versicherung geschlossenen Vertrags über die Basisrenten-Versicherung neben dem Rentenauszahlungsanspruch weitere (“darüber hinaus”) wie auch immer geartete Auszahlungsansprüche zustanden. Nur wenn dem nicht so gewesen sein sollte, wäre eine Unrichtigkeit des streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheids aufgrund Nichtberücksichtigung der Versicherungsbeiträge als Sonderausgaben für jeden unvoreingenommenen Dritten anhand des Inhalts der Versicherungsbescheinigung klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar gewesen. Dem war hier jedoch nicht so. Vielmehr hätte es in diesem –die Sonderausgabenabzugsberechtigung dem Grunde nach betreffenden– Punkt einer weiteren Sachaufklärung durch das FA bedurft. In einer solchen Situation kann aber nicht mehr davon gesprochen werden, die Unrichtigkeit des betroffenen Verwaltungsaktes sei im genannten Sinne offenbar gewesen. Eine –in Abgrenzung dazu– denklogisch nicht ausgeschlossene, jedoch nach den Umständen des Einzelfalls weder “auf der Hand” liegende noch durchschaubare, eindeutige oder augenfällige Unrichtigkeit gestattet die Vornahme einer Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO gerade nicht.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die X-Versicherung in der genannten Bescheinigung bestätigte, “dass es sich um als Sonderausgaben abzugsfähige Beiträge (…) gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG handelt”. An dieses Vorbringen war das FA gemäß § 88 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 AO nicht gebunden. Dies gilt umso mehr, als in der Bescheinigung im Anschluss die in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b Halbsatz 4 EStG 2008 genannten Negativtatbestandsmerkmale in Spiegelstrichen aufgezählt wurden, wobei in dieser Aufzählung die zuletzt geforderte Abzugsvoraussetzung –“darüber hinaus kein Anspruch auf Auszahlungen”– augenscheinlich fehlte.
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf der Tatsachenebene eingewendet hat, der streitgegenständliche Basisrentenvertrag sei durch das BZSt zertifiziert gewesen, handelt es sich dabei –ungeachtet dessen, dass diese Zertifizierung erst im Jahr 2010, also nach Ausstellung der Versicherungsbescheinigung, erfolgt sein soll– um einen außerhalb der Feststellungen des FG liegenden Umstand. Damit kann er im Revisionsverfahren nicht gehört werden (§ 118 Abs. 2 FGO).
Dies unterscheidet den Streitfall von der Konstellation im Senatsbeschluss, in der die nachträgliche Erfassung von Renteneinkünften keiner weiteren Prüfung durch das FA mehr unterzogen werden musste. Aus dem Rentenbescheid ergaben sich sämtliche für die Besteuerung maßgeblichen Informationen.
Aus der vom Kläger zitierten Entscheidung geht ebenfalls nichts Abweichendes hervor. In jenem Fall waren die bei der Ermittlung der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit geleisteten Umsatzsteuervorauszahlungen bei der Einkommensteuerfestsetzung unberücksichtigt geblieben, obwohl sich diese aus den zeitgleich eingereichten Umsatzsteuererklärungen ergaben und die Umsatzsteuer jeweils erklärungsgemäß vom FA festgesetzt worden war. Demnach war auch dort die Unrichtigkeit (Nichtabzug der gezahlten Vorsteuer als Betriebsausgabe) offenbar i.S. von § 129 Satz 1 AO. Zur Zurückverweisung dieser Sache an die Vorinstanz kam es allein aus prozessualen Gründen, weil die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG nicht ausreichten, um den VIII. Senat in die Lage zu versetzen, die Höhe des Betriebsausgabenabzugs selbst zu bestimmen. Die für ein “Durchentscheiden” i.S. von § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO erforderlichen Tatsachen kann das Revisionsgericht –im Gegensatz zum FG– nicht feststellen.
Auch vorliegend ist die Sache nicht spruchreif. Das FG hat sich –unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung konsequent– nicht mit dem Vorliegen der Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO befasst und dementsprechend auch keine darauf bezogenen spezifischen Feststellungen getroffen. Diese sind nunmehr nachzuholen.
Sollte sich im zweiten Rechtsgang herausstellen, dass dem Kläger aufgrund des Basisrentenvertrags mit der X-Versicherung tatsächlich kein über den Rentenauszahlungsanspruch hinausgehender Auszahlungsanspruch zustand, wird das FG insbesondere aufklären und tatrichterlich bewerten müssen, ob den Kläger am nachträglichen Bekanntwerden dieser –für eine eventuelle Bescheidsänderung letztlich entscheidenden– Tatsache ein grobes Verschulden trifft. Anknüpfungspunkte dieser Verschuldensprüfung können sowohl Versäumnisse bei der Erstellung der Steuererklärung als auch bei der Überprüfung des noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheids sein. Der dabei anzulegende Sorgfaltsmaßstab wird sich u.a. an der Überschaubarkeit der steuerlichen Verhältnisse des Klägers, d.h. dem Umfang und der Komplexität der von ihm sonst im Erklärungsvordruck vorgenommenen Eintragungen, und der –dazu ins Verhältnis zu setzenden– wirtschaftlichen Bedeutung des nicht berücksichtigten Sonderausgabenabzugsbetrags auszurichten haben. Ein die Änderung ausschließendes grobes Verschulden läge danach dann vor, wenn das FG zu der Überzeugung gelangte, der nicht erfolgte Übertrag bzw. die Nichtberücksichtigung der Versicherungsbeiträge im Steuerbescheid hätten sich bereits bei einer nur flüchtigen Kontrolle des Mantelbogens bzw. Steuerbescheids durch den Kläger unschwer feststellen lassen.
Zu dem vom Kläger in diesem Zusammenhang zitierten BFH-Urteil ist abschließend zu bemerken, dass der Begriff des Verschuldens i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei schriftlich und elektronisch gefertigten Steuererklärungen identisch auszulegen ist. Danach ist es im Wesentlichen Tatfrage, ob ein Beteiligter grob fahrlässig gehandelt hat.

Heilung eines nicht ausreichend begründeten Ermessensverwaltungsakts nach Erledigung und vor Einlegung des Einspruchs

Hat sich der Verwaltungsakt vor der Einlegung des Einspruchs durch Zeitablauf oder in sonstiger Weise gemäß § 124 Abs. 2 AO erledigt, ist eine Heilung nach § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO nicht mehr möglich.
Die Anwendung des § 102 Satz 2 FGO ist bei einer nach Erledigung des Verwaltungsakts nur noch in Betracht kommenden Fortsetzungsfeststellungsklage ausgeschlossen.
BFH vom 17.01.2017 VIII R 52/14
Begründung (BFH):
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 17. Januar 2017 VIII R 52/14 entschieden, dass ein nicht ausreichend begründeter (und damit rechtswidriger) Ermessensverwaltungsakt nicht durch das Nachschieben einer Begründung „geheilt“ werden kann, wenn er sich vor der Einlegung des Einspruchs bereits erledigt hat.
Gegenstand des Urteils war die Aufforderung des Finanzamts (FA) an die Kläger, ihre Einkommensteuererklärung abzugeben. Nach den gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder über Steuererklärungsfristen verlängert sich die gesetzliche Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung (31. Mai) bis zum Ende des auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres, wenn die Steuererklärung durch eine Person i.S. der §§ 3 und 4 des Steuerberatungsgesetzes (z.B. einen Steuerberater) angefertigt wird. Allerdings bleibt es dem FA vorbehalten, die Erklärung für einen Zeitpunkt vor Ablauf dieser Frist anzufordern. Es handelt sich hierbei um eine Ermessensentscheidung, die zu begründen ist. (Hinweis: Es geht um die Rechtslage bis 31. Dezember 2017.)
Im Streitfall hatte das FA von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und die Kläger aufgefordert, die Einkommensteuererklärung für 2010 bis zum 31. August 2011 (und damit vorzeitig) einzureichen. Allerdings war aus der formelhaften Begründung, das FA handle „im Interesse“ einer ordnungsgemäßen Durchführung des Besteuerungsverfahrens, nicht erkennbar, aus welchem Grund die Abgabefrist im konkreten Fall verkürzt wurde. Die von einem Steuerberater angefertigte Erklärung ging am 7. Dezember 2011 beim FA ein. Das FA setzte daraufhin einen Verspätungszuschlag in Höhe von 880 € fest.
Der BFH gab den Klägern Recht. Sowohl die Aufforderung zur vorzeitigen Abgabe der Steuererklärung als auch die Festsetzung des Verspätungszuschlags waren rechtswidrig. Zwar hätte der Begründungsmangel nach § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 der Abgabenordnung durch das sog. Nachschieben einer Begründung beseitigt werden können. Eine solche Heilung des Verfahrensmangels kommt jedoch nach Auffassung des BFH nicht mehr in Betracht, wenn sich die Aufforderung zur termingebundenen Abgabe vor der Einlegung eines Einspruchs durch die Abgabe der Steuererklärung bereits erledigt hat. Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Aufforderung war auch der vom FA festgesetzte Verspätungszuschlag rechtswidrig und aufzuheben, da die Kläger die Steuererklärung noch innerhalb der allgemein bis zum 31. Dezember 2011 verlängerten Frist eingereicht hatten.

Die Förderung von Turnierbridge ist für gemeinnützig zu erklären

Aus der Generalklausel des § 52 Abs. 1 AO und einem Vergleich mit dem in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 21 AO genannten Katalogzweck “Schach” ergibt sich, dass auch die Förderung von Turnierbridge für gemeinnützig zu erklären ist.
Eine “entsprechende” Förderung i.S. des § 52 Abs. 2 Satz 2 AO verlangt, dass der Zweck die Allgemeinheit in vergleichbarer Weise fördert wie die in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 25 AO genannten Zwecke.
Erfüllt der von einer Körperschaft verfolgte Zweck die Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 Satz 2 AO, ist er für gemeinnützig zu erklären; ein Ermessen der Verwaltung besteht nicht.
Bei dem Verfahren nach § 52 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AO handelt es sich um ein eigenständiges Verfahren mit Verwaltungsaktqualität.
Kommt ein Landes-Finanzministerium seiner Verpflichtung zur Bestimmung einer Behörde nach § 52 Abs. 2 Satz 3 AO nicht nach, ist das jeweilige Finanzministerium als oberste Finanzbehörde des Landes zuständig.
BFH Urteil vom 09,02,2017 VR 70/14
Begründung (BFH):
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit den Urteilen vom 9. Februar 2017 V R 69/14 und V R 70/14 entschieden, dass ein Anspruch auf Anerkennung der Förderung von Turnierbridge als gemeinnützig besteht, weil Turnierbridge die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet ebenso fördert wie Sport.
Geklagt hatte ein Dachverband von Bridge-Vereinen in der Bundesrepublik Deutschland, der die Interessen des deutschen Bridge auf nationaler und internationaler Ebene vertritt und für die Organisation und Reglementierung des nationalen und internationalen Wettbewerbsbetriebs sowie die Veranstaltung nationaler und internationaler Wettbewerbe zuständig ist.
Wer als gemeinnützig anerkannt ist, ist grundsätzlich von der Körperschaftsteuer befreit. Dabei sind die als gemeinnützig anerkannten Zwecke, zu denen auch Sport gehört, in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 25 der Abgabenordnung (AO) abschließend aufgezählt. Hiervon nicht umfasste Zwecke können aber gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 AO für gemeinnützig erklärt werden, wenn durch sie die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet entsprechend selbstlos gefördert wird.
Zwar ist Turnierbridge kein Sport (BFH-Urteil vom 9. Februar 2017 V R 69/14). Wie Schach, das als Sport gilt, fördert Turnierbridge aber die Allgemeinheit. Deshalb hat der BFH mit Urteil vom 9. Februar 2017 (V R 70/14) das für den Kläger zuständige Landes-Finanzministerium verpflichtet, Turnierbridge als gemeinnützig anzuerkennen.

Klärung der Höhe des Verlustrücktrags im Rücktragsjahr

Unabhängig von dem Änderungsrahmen des § 177 Abs. 1 AO ist über die Höhe des Verlustrücktragsvolumens im Rücktragsjahr zu entscheiden.
BFH Beschluss vom 09.02,2017-X B 49/16
Sachverhalt:
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielte im Streitjahr 2010 gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Zimmerei. Da er seine Einkommensteuererklärung zunächst nicht einreichte, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) die Besteuerungsgrundlagen. Diese Einkommensteuerfestsetzung wurde bestandskräftig.
Aufgrund eines Verlustrücktrags aus dem Jahr 2011 in das Streitjahr in Höhe von 17.047 EUR setzte das FA die Einkommensteuer im Änderungsbescheid vom 14. April 2014 auf 1.780 EUR herab.
Nach einer steuerlichen Außenprüfung verringerte das FA den Verlustrücktrag auf 9.659 EUR und erhöhte die Einkommensteuerfestsetzung auf 3.882 EUR. Im sich hieran anschließenden Einspruchsverfahren reichte der Kläger seine Einkommensteuererklärung nach und begehrte die Berücksichtigung des dort angegebenen Gewinns sowie der von ihm erklärten Vorsorgeaufwendungen. Außerdem verlangte er die Berücksichtigung des Verlustrücktrags aus dem Jahr 2011 in der ursprünglichen Höhe.
Begründung:
Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
Ausweislich des Tatbestands des FG-Urteils (dort S. 2) hat sich der Kläger neben der Berücksichtigung eines Verlustrücktrags aus dem Jahr 2011 in einer solchen Höhe, dass sich eine Einkommensteuerfestsetzung auf 0 EUR ergebe, auch (ausdrücklich) gegen die Erhöhung des Gewinns aus Gewerbebetrieb um den hinzugeschätzten Kassenfehlbetrag gewandt. Zu diesem Klagegegenstand schweigt das FG-Urteil. Soweit es auf den Verlustrücktrag aus dem Jahr 2011 eingeht, erläutert das FG nur, warum § 10d Abs. 1 Satz 3 EStG einen höheren Verlustrücktrag, wie vom Kläger begehrt, hier nicht möglich mache und verweist insoweit auf den Änderungsrahmen nach § 177 Abs. 1 AO. Bezugnahmen auf andere FG-Entscheidungen zwischen den Beteiligten oder die Einspruchsentscheidung hinsichtlich der Höhe der Kassendifferenzen in den Folgejahren enthält das FG-Urteil nicht.
Ein Eingehen auf die Höhe der Gewinnschätzung im Streitjahr wäre aber erforderlich gewesen, um dem Kläger so nicht nur die Möglichkeit zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Hinzuschätzung zu geben, sondern es ihm auch zu ermöglichen das Volumen seines Verlustrücktrags zu bestimmen. Denn anders als im Fall eines Verlustvortrags wird über den nach § 10d Abs. 1 EStG als Verlustrücktrag abgezogenen Betrag nicht im Feststellungsverfahren nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG entschieden, das (erstmals) im Jahr der Verlustentstehung durchzuführen ist, sondern im Rahmen der Entscheidung zur Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte des Rücktragsjahres.
Eine Entscheidung im Verlustrücktragsjahr über die nach § 10d Abs. 1 EStG als Verlustrücktrag “abgezogenen… Beträge” als Grundlage der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs im Verlustentstehungsjahr gemäß § 10d Abs. 4 EStG setzt eine Entscheidung zur Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte des Rücktragsjahres voraus. Diese Größe bestimmt einerseits das Maximalvolumen für den Verlustrücktrag, ist andererseits aber zugleich Grundlage für die Ausübung des den Feststellungsbescheid des Verlustentstehungsjahres betreffenden Antrags gemäß § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG, vom Verlustrücktrag im konkreten Streitfall (teilweise) abzusehen. Diese Entscheidung, die aus dem Verlustfeststellungsbescheid des Verlustentstehungsjahres nicht abzuleiten ist und –umgekehrt– auch nicht selbst mit Grundlagenwirkung i.S. des § 171 Abs. 10 AO für diesen Feststellungsbescheid des Verlustentstehungsjahres ausgestattet ist, begründet eine Beschwer des Steuerpflichtigen. Denn im Rücktragsjahr ist nicht über die Höhe des (hier: in 2011) entstandenen Verlusts, sondern verbindlich darüber zu entscheiden, in welcher Höhe mit Blick auf die in diesem Veranlagungszeitraum verwirklichten Besteuerungsmerkmale ein Verlustrücktrag in Betracht kommt; diese Entscheidung über die Höhe der “abgezogenen… Beträge” geht als Berechnungsgrundlage in den Feststellungsbescheid des Verlustentstehungsjahres ein, ohne dort selbständig anfechtbare Besteuerungsgrundlage zu sein.
Vorliegend war also im Rahmen der streitigen Einkommensteuerfestsetzung über die Höhe des Verlustrücktrags zu entscheiden. Eine solche Entscheidung setzte voraus, dass sich das FG über die Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte Klarheit verschaffte. Insoweit musste es über die Höhe der Gewinnschätzung entscheiden, unabhängig von dem Änderungsrahmen des § 177 Abs. 1 AO. Dies musste das FG in den Entscheidungsgründen den Beteiligten darlegen und erläutern.

Ausnahmsweise Zulässigkeit der Klage gegen sog. Nullbescheid

Nach der Neukonzeption des Verhältnisses zwischen Steuerfestsetzung und Verlustfeststellung durch das Jahressteuergesetz 2010 kann der Steuerpflichtige gegebenenfalls auch gegen die Festsetzung der Körperschaftsteuer auf 0 EUR klagen, wenn der Festsetzung ein aus seiner Sicht zu hoher Gesamtbetrag der Einkünfte zugrunde liegt, der zur Feststellung eines zu niedrigen Verlustvortrags führt.
Zu den bei ausländischen Körperschaften nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG als gewerblich fingierten Einkünften aus Vermietung und Verpachtung oder Veräußerung inländischen Grundbesitzes gehört nicht der Ertrag aus einem gläubigerseitigen Verzicht auf die Rückzahlung eines Darlehens, mit dem die Körperschaft den Erwerb der Immobilie finanziert hatte.
BFH Urteil vom 7.12.2016, I R 76/14

Keine Berichtigungsmöglichkeit bei fehlerhafter Eintragung von Beiträgen an Versorgungswerke

Leitsatz
Wird eine Eintragung in einem Steuererklärungsformular in einer falschen Zeile vorgenommen, so kommt eine offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO nur in Betracht, wenn ein Rechtsfehler ausgeschlossen ist.
Eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheidet aus, wenn dem Steuerpflichtigen grobes Verschulden zuzurechnen ist, sei es bei der Erstellung der Steuererklärung, sei es bei der Prüfung des Steuerbescheids
BFH Urteil vom 26.10.2016 – X R 1/14, BFHNV 2017 S. 257

Begründung:

Das FG hat im Ergebnis zu Recht eine Berichtigung der streitigen Einkommensteuerbescheide nach § 129 AO abgelehnt (unter 1.) und zudem rechtsfehlerfrei entschieden, dass eine Änderung der Bescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht möglich ist.

Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit (innerhalb der Verjährungsfrist) berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen (§ 129 Satz 2 AO).

Offenbare Unrichtigkeiten i.S. von § 129 AO sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts eine offenbare Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht. Die Berichtigungsmöglichkeit gemäß § 129 AO setzt voraus, dass der offenbare Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist. Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist die Vorschrift auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt.

Das FG hat in der Nichtberücksichtigung der Beiträge des Klägers zum Versorgungswerk gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG keine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO gesehen, weil die Unrichtigkeit der Erklärung für den zuständigen Bearbeiter des Finanzamts nur erkennbar gewesen wäre, wenn er entweder beim Kläger nachgefragt hätte, zur Klärung dieser Frage den Erlass des BMF in BStBl I 2007, 262 hinzugezogen hätte oder ihm die Erlasslage sicher bekannt gewesen wäre. Das FG hat damit auf die vermeintliche Kenntnis bzw. fehlende Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters abgestellt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Unrichtigkeit hingegen dann offenbar, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist.

Doch auch bei Zugrundelegung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung ist im Streitfall eine Berichtigung der Einkommensteuerbescheide gemäß § 129 AO unter Berücksichtigung der zugrunde zu legenden Verhältnisse des Einzelfalls nicht möglich.

Einbeziehung geschätzter Einkünfte aus einem Grundlagenbescheid in die Bemessung des Verspätungszuschlags

Es ist in der Rechtsprechung des BFH geklärt, dass bei verspäteter Abgabe einer Einkommensteuererklärung ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden kann, wenn zu den Besteuerungsgrundlagen gesondert und einheitlich festzustellende Einkünfte gehören, für die im Zeitpunkt der Abgabe der Einkommensteuererklärung noch keine Feststellungserklärung abzugeben ist.

Es ist nicht klärungsbedürftig, dass bei der Bemessung der Höhe eines Verspätungszuschlags gemäß § 152 Abs. 2 Satz 2 AO, die u.a. an die festgesetzte Steuer und die Höhe der Abschlusszahlung anknüpft, auch gemäß § 162 Abs. 5 AO geschätzte Einkünfte aus einem noch nicht ergangenen Grundlagenbescheid einbezogen werden können.

BFH Beschluss vom 02.11.2016 – VIII B 17/16 BFHNV 2017 S. 260

Begründung:

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) halten sinngemäß die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob bei Steuerpflichtigen in der Einkommensteuerveranlagung Beteiligungseinkünfte geschätzt festgesetzt werden können und bei verspäteter Abgabe der Einkommensteuererklärung in die Bemessung eines Verspätungszuschlags mit einzubeziehen sind, wenn die Feststellungserklärung für den noch zu erlassenden Grundlagenbescheid noch nicht abzugeben ist und die Beteiligungseinkünfte bei Abgabe der Einkommensteuererklärung nicht bekannt sind.

So hat der BFH zur Befugnis des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt –FA–), einen Verspätungszuschlag festsetzen zu können, geklärt, dass ein Verspätungszuschlag wegen Nichtabgabe einer Einkommensteuererklärung gemäß § 152 der Abgabenordnung (AO) gegenüber dem Steuerpflichtigen festgesetzt werden kann, wenn Feststellungserklärungen für eine Mitunternehmerschaft, der dieser angehört, noch nicht erstellt sind.

Hinsichtlich der Einbeziehung der gemäß §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO geschätzten, weil noch nicht gesondert und einheitlich festzustellenden, Einkünfte des Klägers in die Festsetzung der Steuer und die Bemessung des Verspätungszuschlags gemäß § 152 Abs. 2 AO ist die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage ebenfalls nicht klärungsbedürftig. Sie lässt sich aus dem Gesetz heraus eindeutig beantworten.

Aus der Einbeziehung geschätzter Besteuerungsgrundlagen in die festgesetzte Steuer und die Höhe der zu leistenden Schlusszahlung in die Bemessung des Verspätungszuschlags erleiden die Kläger im Übrigen auch nicht zwangsläufig einen endgültigen Nachteil. Knüpft der Verspätungszuschlag maßgeblich auch an die Höhe der Abschlusszahlung an, ist bei einem auf Grundlage des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ergehenden Änderungsbescheid, der zu einer Herabsetzung der Steuerschuld und damit der Abschlusszahlung führt, erneut zu prüfen, in welchem Umfang die für die Festsetzung des Verspätungszuschlags maßgebenden Gesichtspunkte noch gegeben sind, weil sich durch die Herabsetzung der Steuerschuld die für die Ausübung des Ermessens maßgebenden Gesichtspunkte ändern können.

Bestreiten des Zugangszeitpunkts

Es ist höchstrichterlich geklärt und damit nicht mehr von grundsätzlicher Bedeutung, dass nicht jedes beliebige Bestreiten des Zugangszeitpunkts die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 AO außer Kraft setzt, sondern der Empfänger vielmehr substantiiert Tatsachen vortragen muss, die schlüssig auf den verspäteten Zugang hindeuten und damit Zweifel an der Zugangsvermutung begründen.

Dies gilt auch für einen Bevollmächtigten, der seine Akten nur noch elektronisch führt.

BFH Beschluss vom 23.11.2016 – IX B 54/16 BFHNV 2017 S. 264

Begründung:

Es ist höchstrichterlich geklärt und damit nicht mehr von grundsätzlicher Bedeutung, dass nicht jedes beliebige Bestreiten des Zugangszeitpunkts die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) außer Kraft setzt, sondern der Empfänger vielmehr substantiiert Tatsachen vortragen muss, die schlüssig auf den verspäteten Zugang hindeuten und damit Zweifel an der Zugangsvermutung begründen.

Dies gilt auch für einen Bevollmächtigten, der seine Akten nur noch elektronisch führt. Dieser kann seiner Darlegungslast betreffend einer verspäteten Postaufgabe und damit eines verspäteten Posteingangs eines Bescheids oder einer Einspruchsentscheidung in seiner Kanzlei auch dergestalt nachkommen, indem er im Rahmen der ihm obliegenden Beweisvorsorge den dazugehörigen Briefumschlag einscannt und dem Finanzamt oder dem Finanzgericht (FG) den entsprechenden Scanbeleg zukommen lässt.

Zudem hat das FG Zweifel an der Zugangsvermutung nicht allein aufgrund des fehlenden Briefumschlags verneint. Stattdessen hat es sich in seiner Entscheidung umfangreich mit dem Vorbringen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) und den von ihr vorgelegten Unterlagen befasst. Das FG ist nach der Würdigung des Vorbringens der Beteiligten aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu dem Ergebnis gekommen, die Einspruchsentscheidung sei am 6. November 2015 zur Post und am 9. November 2015 bekannt gegeben worden. Soweit sich die Klägerin gegen diese Schlussfolgerung des FG wendet, richtet sich ihr Vorbringen im Wesentlichen gegen die tatsächliche und rechtliche Richtigkeit der Entscheidung. Damit wird die grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht dargelegt.

Tägliches Auszählen einer offenen Ladenkasse

Die Ordnungsmäßigkeit der Kassenbuchführung erfordert bei Bareinnahmen, die mittels einer offenen Ladenkasse erfasst werden, einen täglichen Kassenbericht, der auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens der Bareinnahmen erstellt worden ist. Ein “Zählprotokoll”, in dem die genaue Stückzahl der vorhandenen Geldscheine und -münzen aufgelistet wird, ist nicht erforderlich.

BFH Beschluss vom 16.12.2016 – X B 41/16 BFHNV 2017 S. 310

Begründung:

Die Klägerin hatte E zum Beweis der Tatsache benannt, dass die Einnahmen vollständig auf den Tageseinnahmeblättern erfasst und dem Steuerberater vollständig gemeldet worden waren. Das FG hatte das Unterbleiben der Beweisaufnahme damit begründet, es sei gemäß § 76 Abs. 1 Satz 3 (gemeint wohl: Satz 5) FGO nicht an Beweisanträge gebunden. Die Vernehmung des E erscheine dem FG nicht notwendig. Die Überprüfung der Buchführungsunterlagen habe eindeutig ergeben, dass gerade nicht sämtliche Einnahmen erklärt worden seien.

Zwar hat der BFH entschieden, dass die Benennung von Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft nicht geeignet ist, um einen Beweis zur Höhe des von der Gesellschaft erwirtschafteten Gewinns zu führen. Die Höhe des Gewinns sei vielmehr durch eine geordnete Buchführung, nicht aber durch Aussagen der Gesellschafter nachzuweisen. Vorliegend ist E jedoch nicht lediglich zur Bezeugung der “Höhe des Gewinns” benannt worden. Vielmehr richtete sich der Beweisantrag auf konkrete Tatsachen, wie die vollständige Erfassung der Einnahmen auf den Tageseinnahmeblättern und die vollständige Meldung an den Steuerberater um damit die materielle Richtigkeit der Buchführung zu belegen. Solche Tatsachen sind einem Zeugenbeweis jedenfalls nicht von vornherein unzugänglich.

Die Ordnungsmäßigkeit der Kassenbuchführung erfordert bei Bareinnahmen, die ähnlich einer offenen Ladenkasse erfasst werden, einen täglichen Kassenbericht, der auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens der Bareinnahmen erstellt worden ist. An derartigen Unterlagen fehlte es im Betrieb der Klägerin nach den Feststellungen des FG offensichtlich.

Soweit die vom erkennenden Senat gewählte Formulierung in der Praxis teilweise dahingehend missverstanden wird, dass über den Kassenbericht hinaus ein “Zählprotokoll” gefordert werde, in dem die genaue Stückzahl der vorhandenen Geldscheine und -münzen aufgelistet werde, stellt der Senat klar, dass die dortige Formulierung –die im Übrigen den Begriff “Zählprotokoll” nicht enthält– nicht als Neuorientierung der Rechtsprechung angesehen werden kann. Erforderlich, aber auch ausreichend ist ein Kassenbericht, der auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens erstellt worden ist.

Vertrauensschutz bei einvernehmlicher Streitbeilegung vor dem Finanzgericht

Hebt das FA aufgrund einer mit dem Steuerpflichtigen getroffenen Verständigung über die einvernehmliche Beendigung des Finanzrechtsstreits einen Steuerbescheid in der mündlichen Verhandlung vor dem FG auf und erklärt den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, ist es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Verbot des “venire contra factum proprium”) daran gehindert, erneut einen inhaltsgleichen Steuerbescheid zu erlassen, wenn der Steuerpflichtige in Einhaltung dieser Absprache über einen verfahrensrechtlichen Besitzstand disponiert hat. Letzteres ist der Fall, wenn er seinen Einspruch zurückgenommen und ebenfalls die Hauptsache für erledigt erklärt hat (Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung, s. Urteil vom 29. Oktober 1987 X R 1/80, BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121).
BFH Urteil vom 6.7.2016, X R 57/13
Begründung (BFH):
Ein Finanzamt (FA) verstößt gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn es zunächst aufgrund einer einvernehmlichen Beendigung eines Finanzrechtsstreits den angefochtenen Steuerbescheid zwar aufhebt, im Anschluss daran aber erneut einen inhaltsgleichen Verwaltungsakt erlässt. Nach dem Urteil vom 6. Juli 2016 X R 57/13 des Bundesfinanzhofs (BFH) liegt dann ein Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (“venire contra factum proprium”) vor.
Im Urteilsfall hatte sich das FA mit der Klägerin in einer einen Feststellungsbescheid (Steuerbescheid) betreffenden Finanzstreitsache nach einem entsprechenden Hinweis des Finanzgerichts (FG) zunächst dahingehend verständigt, den in Streit stehenden Änderungsbescheid noch während der mündlichen Verhandlung aufzuheben und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Im Gegenzug nahm die Klägerin ihren Einspruch zurück und erklärte den Rechtsstreit ebenfalls in der Hauptsache für erledigt. Kurze Zeit später erließ das FA einen inhaltsgleichen Änderungsbescheid, den es nunmehr auf eine andere Rechtsgrundlage stützte. Das von der Klägerin erneut angerufene FG hob den Zweitbescheid auf, weil die rechtlichen Voraussetzungen der vom FA beabsichtigten Korrektur des Steuerbescheids im Urteilsfall nicht gegeben gewesen seien.
Der BFH hat die vorinstanzliche Entscheidung im Ergebnis bestätigt. Das FA sei aufgrund seines Verhaltens in der ersten mündlichen Verhandlung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben daran gehindert gewesen, im Nachgang einen inhaltsgleichen Steuerbescheid erneut zu erlassen. Entscheidend hierfür sei die zwischen den Beteiligten getroffene verfahrensbeendende Absprache vor dem FG. Indem das FA danach den ersten Änderungsbescheid mit Zustimmung der Klägerin aufgehoben und den Rechtsstreit ohne jede Einschränkung oder Bedingung für erledigt erklärt habe, sei auf Seiten der Klägerin ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Dieser habe zu einer wirtschaftlichen Disposition der Klägerin geführt, da die Klägerin durch die Rücknahme des Einspruchs und die korrespondierende Erledigungserklärung ihren verfahrensrechtlichen Besitzstand aufgegeben habe. Infolge des zielstrebigen und vorbehaltslosen Hinwirkens des FA auf eine umgehende Beendigung des Finanzgerichtsprozesses “ohne Urteil” habe sie uneingeschränkt darauf vertrauen dürfen, die Finanzbehörde werde sich dazu auch künftig nicht mehr in Widerspruch setzen.
Mit dieser Entscheidung hat der BFH seine Rechtsprechung zum Vertrauensschutz der Steuerpflichtigen auf Fälle der Vereinbarung einer einvernehmlichen Streitbeilegung vor dem FG ausgeweitet.