1 %-Regelung gilt nur für tatsächlich zur privaten Nutzung überlassene Dienstwagen

Die Anwendung der 1 %-Regelung setzt voraus, dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer tatsächlich einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen hat .

Der Anscheinsbeweis streitet dafür, dass der Arbeitnehmer einen ihm vom Arbeitgeber zur privaten Nutzung überlassenen Dienstwagen auch tatsächlich privat nutzt, nicht aber dafür, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen hat .

BFH Urteil vom 21.4.2010, VI R 46/08

Begründung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 21. April 2010 VI R 46/08 entschieden, dass die 1 %-Regelung nur gilt, wenn der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer tatsächlich einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlässt. Aus der Bereitstellung eines Fahrzeugs zu betrieblichen Zwecken könne nicht aufgrund eines Anscheinsbeweises darauf geschlossen werden, dass das Fahrzeug vom Arbeitnehmer auch privat genutzt werde.

In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Streitfall betrieb der Kläger eine Apotheke mit Arzneimittelherstellung und etwa 80 Mitarbeitern, darunter auch der Sohn des Klägers, der auch das höchste Gehalt aller Mitarbeiter erhielt. Im Betriebsvermögen befanden sich sechs Kraftfahrzeuge, die für betriebliche Fahrten zur Verfügung standen. Fahrtenbücher wurden nicht geführt. Im Anschluss an eine Lohnsteuerprüfung ging das Finanzamt davon aus, dass der Sohn das teuerste der sechs betrieblichen Kraftfahrzeuge, einen Audi A8 Diesel, auch privat nutze, setzte dies als steuerpflichtigen Sachbezug mit der 1 %-Regelung an und erließ gegen den Kläger einen Lohnsteuerhaftungsbescheid.

Der Kläger machte dagegen vor dem Finanzgericht (FG) im Ergebnis erfolglos geltend, dass die Mitarbeiter und auch sein Sohn die betrieblichen Kraftfahrzeuge nicht privat sondern nur betrieblich genutzt hätten und die Privatnutzung arbeitsvertraglich verboten sei. Das Finanzgericht entschied, dass aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung der Beweis des ersten Anscheins für eine auch private Nutzung des Dienstwagens spreche. Unstreitig habe der Sohn das Fahrzeug dienstlich genutzt. Eine Privatnutzung durch ihn sei daher nicht auszuschließen.

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Im Streitfall seien die Anwendungsvoraussetzungen der 1 %-Regelung, nämlich dass der Arbeitgeber eines der für Betriebszwecke vorgehaltenen Fahrzeuge seinem Sohn zur privaten Nutzung überlassen habe, nicht festgestellt. Stehe eine solche Kraftfahrzeugüberlassung zur privaten Nutzung nicht fest, könne diese fehlende Feststellung nicht durch den Anscheinsbeweis ersetzt werden. Es gebe weder einen Anscheinsbeweis dafür, dass dem Arbeitnehmer ein Dienstwagen aus dem arbeitgebereigenen Fuhrpark zur Verfügung stehe, noch dass der Arbeitnehmer ein solches Fahrzeug unbefugt auch privat nutze.

 

Ernstliche Zweifel an Gewinnrealisierung bei Übertragung eines Wirtschaftsguts zwischen Schwesterpersonengesellschaften

Auch nach Ergehen des BFH-Urteils vom 25. November 2009 I R 72/08 (DStR 2010, 269) ist ernstlich zweifelhaft, ob die Übertragung eines Wirtschaftsguts des Gesamthandsvermögens einer Personengesellschaft auf eine beteiligungsidentische Schwesterpersonengesellschaft zur Aufdeckung stiller Reserven führt.

BFH Beschluss vom 15.4.2010, IV B 105/09

Begründung:

Das FG hat zwar zutreffend ausgeführt, dass § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG die Übertragung zwischen den Gesamthandsvermögen von Schwestergesellschaften nicht regelt.

 Mit § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG hat sich der Gesetzgeber für eine transparente Besteuerung von Personengesellschaften entschieden. Die Personengesellschaft ist danach Steuerrechtssubjekt bei der Qualifikation und der Ermittlung der Einkünfte. Subjekt der Einkünfteerzielung ist hingegen der Gesellschafter. Aus dem Subjektsteuerprinzip folgt, dass jeder Gesellschafter den auf ihn entfallenden Anteil an den erzielten Einkünften zu versteuern hat. Jedem Gesellschafter ist auch sein Anteil an den stillen Reserven der Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens zuzuordnen.

 Eine Verschiebung stiller Reserven zwischen den Gesellschaftern entspricht nicht dem Subjektsteuerprinzip. Gleichwohl lässt das Gesetz in verschiedenen Fällen zu, dass stille Reserven auf andere Gesellschafter derselben Personengesellschaft übergehen. Dies gilt insbesondere bei Übertragungen von Einzelwirtschaftsgütern in den von § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG geregelten Fällen.

Folgerichtig ist es demgegenüber, wenn ein Steuersubjekt die ihm zuzuordnenden stillen Reserven ungeachtet dessen beibehält, in welchem Betriebsvermögen sich das betreffende Wirtschaftsgut befindet. Diesen Grundsatz regelt systemkonform § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG, der den Ansatz des Buchwerts bei der Überführung zwischen zwei Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen anordnet. Ebenfalls dem System entspricht es dann, wenn § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG die Beibehaltung des Buchwerts bei Überführungen von Wirtschaftsgütern zwischen Einzel- und Sonderbetriebsvermögen bzw. zwischen zwei verschiedenen Sonderbetriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen verlangt.

Angesichts dessen bedürfte es einer besonderen Rechtfertigung dafür, stille Reserven der Besteuerung zu unterwerfen, wenn diese dadurch demselben Steuersubjekt zugeordnet bleiben, dass sie von dem Gesamthandsvermögen einer mitunternehmerischen Personengesellschaft unentgeltlich oder gegen Minderung und Gewährung von Gesellschaftsrechten in das Gesamthandsvermögen einer beteiligungsidentischen anderen mitunternehmerischen Personengesellschaft übertragen werden. Eine derartige Rechtfertigung ist nicht ersichtlich. Es ist auch nicht zu erkennen, dass sich der Gesetzgeber des UntStFG auf einen Rechtfertigungsgrund bezogen hätte. Die Aufdeckung stiller Reserven aufgrund einer derartigen Übertragung würde danach zu einer im Sinne des Folgerichtigkeitsgebots gleichheitswidrigen Besteuerung führen, denn sie kann sich weder auf die gesteigerte Leistungsfähigkeit des Gesellschafters noch auf eine Entstrickung und noch nicht einmal auf die erhöhte Gefahr einer späteren unbemerkten Entstrickung stützen.

 

 

Verwertungsverbot von Prüfungsfeststellungen

Zwar sind an die Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern bei Rechtsanwälten und Steuerberatern unter Berücksichtigung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, des rechtlich geschützten Vertrauensverhältnisses zwischen dem Rechtsanwalt bzw. Steuerberater und dem Mandant sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besondere Anforderungen zu stellen. Eine solche Maßnahme kann aber durch den Ermittlungszweck gerechtfertigt sein.

Dies z.B. dann, wenn es angesichts des begründeten Verdachts einer engen Verschränkung der Tätigkeit des Verdächtigen (Steuerberater und zugleich faktischer Geschäftsführer der Geschäftspartnerin) und der Geschäftspartnerin gerechtfertigt ist, die Ermittlungen auch im Bereich der steuerberatenden Tätigkeit des Verdächtigen auf Umstände zu erstrecken, die einen Bezug zur Geschäftspartnerin haben.

BFH Urteil vom 19.08.2009 –  I R 106/08 BFH NV 2010 S. 5 ff.

Begründung:

Den Verdacht einer Steuerstraftat, mit dem das FA die zeitliche Erweiterung der Prüfungsanordnung begründet hat, konnte das FA aus den im Sichtungsverfahren gemäß § 110 Abs. 3 der Strafprozessordnung (StPO) aus dem Datenbestand der Kanzlei des Y separierten Daten und den sich daraus ergebenden Feststellungen des STRAFA ableiten. Dass auf dieser Grundlage mit ausreichender Wahrscheinlichkeit die Möglichkeit von Steuerstraftaten von X (als Gesellschafter-Geschäftsführerin) bzw. Y (als faktischer Geschäftsführer der Klägerin, der im Rechtsverkehr im Namen der Klägerin gehandelt hat) zum Vorteil der Klägerin bestand, wird von der Klägerin nicht bestritten.

Die Erkenntnisse aus den in der Kanzlei des Y befindlichen Daten konnten vom FA auch im Besteuerungsverfahren der Klägerin herangezogen werden. Ein Verwertungsverbot bestand nicht.

Nach der Rechtsprechung des BFH besteht im Besteuerungsverfahren kein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt worden sind. Jedoch kann ein sog. qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot anzunehmen sein, wenn die Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Steuerpflichtigen verletzt hat. Die auf diese Weise ermittelten Tatsachen sind schlechthin und ohne Ausnahme unverwertbar; der Verstoß kann nicht durch zulässige, erneute Ermittlungsmaßnahmen geheilt werden. Für Einzelheiten wird auf diese Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, Bezug genommen.

Die Voraussetzungen für die Annahme eines qualifizierten materiellen Verwertungsverbots lagen im Streitfall nicht vor. Zwar sind an die Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern bei Rechtsanwälten und Steuerberatern unter Berücksichtigung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, des rechtlich geschützten Vertrauensverhältnisses zwischen dem Rechtsanwalt bzw. Steuerberater und dem Mandant sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besondere Anforderungen zu stellen.

So sind die strafprozessualen Eingriffsgrundlagen einer strengen Begrenzung auf den Ermittlungszweck zu unterwerfen; auf die Ermittlung anderer Lebenssachverhalte und Verhältnisse erstrecken sich die Eingriffsermächtigungen nicht. Gelegentlich einer strafrechtlichen Ermittlung dürfen daher keine Sachverhalte und persönlichen Verhältnisse ausgeforscht werden, die für die Beurteilung der Täterschaft und für die Bemessung der Rechtsfolgen der Tat nicht von Bedeutung sind. Mit dieser strengen Begrenzung sämtlicher Ermittlungen und damit auch der Datenerhebung auf den Zweck der Aufklärung der begangenen Tat erlaubt die Strafprozessordnung die Eingriffe in das Recht an den eigenen Daten grundsätzlich nur in Bezug auf diejenigen Daten, die für die Strafverfolgung im konkreten Anlassfall von Bedeutung sind. Im Übrigen muss der besonderen Eingriffsintensität der Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den darauf vorhandenen Daten Rechnung getragen werden. Damit wird der Zugriff auf der Verschwiegenheitspflicht des Berufsangehörigen unterliegende und damit "geschützte" Daten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt.

Der effektive Schutz der Grundrechte bedarf darüber hinaus einer den sachlichen Erfordernissen entsprechenden Ausgestaltung des Verfahrens. Den Grundrechten der Unbeteiligten und dem Allgemeininteresse dient die Beschränkung des Datenträgerzugriffs auf tatsächlich verfahrensrelevante Daten. Gleichwohl ist die Sicherstellung eines Datenträgers und aller vorhandenen Daten möglich, wenn bei einem im Rahmen des technisch Möglichen und des Vertretbaren beschränkten Durchsuchungsvollzug die relevanten Informationen nicht ausgesondert werden können. Nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, in denen die Beschränkung auf den Ermittlungszweck der Datenträgerbeschlagnahme planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen wird, ist ein Beweisverwertungsverbot als Folge einer fehlerhaften Durchsuchung und Beschlagnahme von Datenträgern und der darauf vorhandenen Daten geboten.

Nach den Feststellungen des FG erfolgte der Zugriff auf die Daten im Rahmen einer rechtmäßigen und im Zeitpunkt der Entscheidung des FA nicht fachgerichtlich angefochtenen Durchsuchungsmaßnahme i.S. des § 102 StPO (allgemein zur Tatbestandswirkung von nicht angefochtenen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen für das Steuerfestsetzungsverfahren. Die Durchsuchung erfolgte wegen eines Sachverhalts (u.a. Umbaumaßnahmen an einem Gebäude), in den die Klägerin als Generalunternehmerin eingeschaltet war und der sich auch auf die Steuerbemessungsgrundlage der Klägerin auswirken konnte (Mietzahlungen), bei den Bauherren X und Y als Verdächtigen.

Der Ermittlungszweck konnte es angesichts des begründeten Verdachts einer engen Verschränkung der Tätigkeit des Y als Steuerberater und zugleich faktischer Geschäftsführer der Klägerin rechtfertigen, die Ermittlungen auch im Bereich der steuerberatenden Tätigkeit des Verdächtigen auf Umstände zu erstrecken, die einen Bezug zur Klägerin hatten. Insoweit konnten auch Daten bzw. Unterlagen zu Grundstücksgeschäften der Klägerin mit (anderen) Mandanten des Y in die Prüfung einbezogen werden. Nur diese Daten wurden anlässlich der Sichtung des "gespiegelten" Gesamtdatenbestandes (§ 100 Abs. 3 Satz 2 StPO) der Kanzlei des Y separiert und einer weiteren Überprüfung unterworfen, die dann zu Erkenntnissen über eine besondere Gestaltung der Grundstücksgeschäfte zum Vorteil des jeweiligen Mandanten und des Y und zum Nachteil der Klägerin geführt hat (§ 97 Abs. 2 Satz 3 StPO). Weitere Ermittlungen im Zusammenhang mit der steuerberatenden Berufstätigkeit des Y erfolgten nach den Feststellungen des FG nicht. Auf dieser Grundlage muss nicht entschieden werden, ob sich ein Drittbetroffener auf eine möglicherweise bestehende teilweise Rechtswidrigkeit einer strafprozessualen Ermittlungsmaßnahme berufen kann, wenn die Maßnahme ihm gegenüber rechtmäßig, weiteren Personen gegenüber möglicherweise aber unrechtmäßig ist.

Im Streitfall besteht auch kein Anlass, dem Schutz der Berater- bzw. Mandantenbeziehung zwischen Y und der Klägerin in einer Abwägung ein besonderes Gewicht beizumessen. Y hat nach den damaligen Verdachtsmomenten vor der Durchsuchung die –von ihm zusammen mit X durch Anteilsbesitz und Geschäftsführung beherrschte– Klägerin als Instrument eigener Geschäftsinteressen eingesetzt und in Gestalt von besonderen Mietvereinbarungen zum Nachteil der Klägerin gehandelt. Wenn damit gerade die Geschäftsbeziehung zwischen Y und der Klägerin Zielpunkt der einschlägigen Ermittlungen war, kann die Klägerin schon nicht als "drittbetroffene Mandantin" des Adressaten der Durchsuchungsmaßnahme angesehen werden, die einen besonderen Schutz vor einem übermäßigen Datenzugriff bei ihrem Steuerberater geltend machen könnte.

Einleitung eines Steuerstrafverfahrens steht Durchführung einer Außenprüfung nicht entgegen

Die nach § 193 Abs. 1 AO angeordnete Außenprüfung (Betriebsprüfung) steht in keinem rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang mit der gleichzeitig angeordneten Außenprüfung nach § 193 Abs. 2 Nr. 1 AO (Lohnsteueraußenprüfung).

Die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens hindert weder die Durchführung einer Außenprüfung noch die Erweiterung des Prüfungszeitraums einer bereits angeordneten Außenprüfung.

Das Verhältnis von Steuer- und Strafverfahren ist abschließend in § 393 AO geregelt.

BFH Beschluss vom 27.07.2009 –  IV B 90/08 BFHNV 2010 S. 4 f.

 

Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern

Gläubiger i.S. des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO ist der wirtschaftliche Eigentümer einer Forderung, Empfänger derjenige, dem der in einer Betriebsausgabe enthaltene wirtschaftliche Wert vom Steuerpflichtigen übertragen wurde. Beide Begriffe stehen gleichrangig nebeneinander.

BFH Beschluss vom 21.07.2009 –  IX B 55/09  BFH NV 2010 S. 3 ff

Kroatische d.o.o. als Adressat einer Prüfungsanordnung

Es ist höchstrichterlich geklärt, dass das FA berechtigt ist, Prüfungsanordnungen an eine nach ausländischem Recht gegründete Kapitalgesellschaft unter dem Namen und in der Form zu richten, die sie sich selbst im Geschäftsverkehr beimisst.

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nur dann vor, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat.

BFH Beschluss vom 23.09.2009 –  I B 95/09 BFH NV 2010 S. 233

 

Tatsächliche Verständigung

Die abstrakten Grenzen für den Abschluss einer sog. tatsächlichen Verständigung sind in der Rechtsprechung in ausreichendem Maße geklärt; damit ist auch geklärt, dass eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Tatfrage und Rechtsfrage nicht in allen Fällen nach abstrakten Maßstäben im Vorhinein möglich ist. Bei der Anwendung des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass der Tatbestand nach seiner Struktur sowohl bei der Entscheidung "dem Grunde nach" als auch "der Höhe nach" Tatsachenelemente aufweist.

BFH Beschluss vom 31.08.2009 – I B 21/09 BFH NV 2010 S. 163ff.

Wirksamkeit des Vorbehalts der Nachprüfung

Der Vorbehalt der Nachprüfung bleibt trotz Durchführung einer Außenprüfung wirksam, wenn er nicht ausdrücklich aufgehoben wird.

Die in § 173 Abs. 2 AO angeordnete Änderungssperre gilt nur für die in § 173 Abs. 1 AO geregelten Korrekturtatbestände.

BFH Urteil vom 18.08.2009 – X R 8/09 BFH NV 2010 S. 161

Begründung:

Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur durch ausdrückliche Aufhebung. Da das FA entgegen der gesetzlichen Regelung in § 164 Abs. 3 Satz 3 AO nach Abschluss der im Jahr 2004 durchgeführten Außenprüfung den Vorbehaltsvermerk nicht aufgehoben hat, war die mit dieser Nebenbestimmung versehene Steuerfestsetzung vom  nach § 164 Abs. 2 AO in vollem Umfang änderbar hält der erkennende Senat an dieser Rechtsprechung fest. Das Interesse an einer materiell-rechtlich gesetzmäßigen und gleichmäßigen Steuerfestsetzung hat in einem solchen Fall Vorrang vor dem Interesse an einem formal ordnungsgemäßen Verfahren. Diese Auffassung dient im Übrigen auch der Rechtsklarheit, der in Massenverfahren wie dem Besteuerungsverfahren besondere Bedeutung zukommt.

Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut entfaltet der Vorbehaltsvermerk solange Wirkung, wie er nicht ausdrücklich aufgehoben wird oder durch Ablauf der Festsetzungsfrist entfällt. Der Gesetzgeber hat das Problem "Steuerfestsetzung unter Vorbehalt nach Durchführung einer Außenprüfung" gesehen. Anders als bei einer Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel hat er die Änderungsmöglichkeit nach § 164 Abs. 2 AO nicht auf Fälle der Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung beschränkt. Der Gesetzgeber hat sich auch,anders als bei Ablauf der Festsetzungsfrist,nicht dafür entschieden, dass der Vorbehaltsvermerk nach Abschluss einer Außenprüfung automatisch entfällt. Er hat vielmehr der Finanzbehörde aufgegeben, den Vorbehalt der Nachprüfung in diesen Fällen aufzuheben. Hierin liegt nach Auffassung des erkennenden Senats der entscheidende Unterschied.

Vorlagepflichten eines Berufsgeheimnisträgers Rechtsanwalt, Steuerberater im Rahmen einer ihn betreffenden Außenprüfung

Lässt sich der Regelungsgehalt eines Verlangens zur Vorlage von Unterlagen auch nicht durch Auslegung unter Berücksichtigung der dem Adressaten bekannten Umstände hinreichend klar ermitteln, ist das Verlangen rechtswidrig und nicht nach §§ 328 ff. AO vollstreckbar.

Ein Vorlageverlangen ist in der Regel übermäßig und damit rechtswidrig, wenn es sich auf Unterlagen richtet, deren Existenz beim Steuerpflichtigen ihrer Art nach nicht erwartet werden kann.

Vorlageverweigerungsrechte aus § 104 Abs. 1 AO bestehen auch in der beim Berufsgeheimnisträger (Rechtsanwalt, Steuerberater usw.) selbst stattfindenden Außenprüfung, jedoch kann das FA grundsätzlich die Vorlage der zur Prüfung erforderlich erscheinenden Unterlagen in neutralisierter Form verlangen.

BFH Urteil vom 28. Oktober 2009 VIII R 78/05

Erläuterungen:

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 28. Oktober 2009 VIII R 78/05 entschieden, dass ein Rechtsanwalt und Steuerberater im Rahmen einer ihn persönlich betreffenden Außenprüfung die Vorlage von mandantenbezogenen Unterlagen nicht aufgrund seiner gesetzlichen Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses verweigern darf, wenn das Finanzamt die Unterlagen lediglich in neutralisierter Form verlangt. Eine Außenprüfung ist auch bei Personen zulässig, die kraft Gesetzes Berufsgeheimnisse wahren müssen; ein Rechtsanwalt und Steuerberater muss deshalb grundsätzlich bei der Ermittlung der steuerrelevanten Sachverhalte mitwirken.

Im konkreten Fall hatte die Klage aus anderen Gründen teilweise Erfolg. Aus der Reihe verschiedener Vorlageverlangen des Finanzamts war ein Teil wegen Unbestimmtheit rechtswidrig, ein anderer Teil, weil das FA Unterlagen verlangte, zu deren Erstellung der Kläger gesetzlich nicht verpflichtet und deren Existenz bei ihm auch nicht zu erwarten war.

Hingegen konnte sich der Kläger nicht auf Auskunfts- und Vorlageverweigerungsrechte nach §§ 103, 104 der Abgabenordnung berufen. Solche Verweigerungsrechte bestehen nicht, soweit die vom Finanzamt verlangten Unterlagen (insbesondere Eingangs- und Ausgangsrechnungen, Kontobelege) keine mandantenbezogenen Daten enthalten oder die Namen der Mandanten (z. B. durch Vertretung in Verfahren gegenüber den jeweiligen Finanzämtern) bereits offenbart worden sind.

Im Übrigen bestehen die gesetzlichen Auskunfts- und Vorlageverweigerungsrechte zwar grundsätzlich auch in der bei einem Rechtsanwalt und Steuerberater stattfindenden Außenprüfung. Das Finanzamt darf jedoch mandantenbezogene Unterlagen in neutralisierter Form verlangen, soweit dies für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen erforderlich ist. Es bleibt dann dem Steuerpflichtigen überlassen, in welcher technischen Weise (etwa durch Schwärzen der Namen und Adressen der Mandanten) er für eine Wahrung des beruflichen Geheimhaltungsinteresses sorgt.

Beendigung einer Außenprüfung

Die Zusammenstellung des Prüfungsergebnisses einer Außenprüfung in einem Betriebsprüfungsbericht stellt keine –den Ablauf der Festsetzungsfrist hinausschiebende– letzte Ermittlungshandlung im Rahmen der Außenprüfung nach § 171 Abs. 4 Satz 3 AO dar.

Reicht der Steuerpflichtige nach Zusendung des Betriebsprüfungsberichts eine –ausdrücklich vorbehaltene– Stellungnahme und Unterlagen ein, die zu einem Wiedereintritt in Ermittlungshandlungen führen, erfolgen diese noch im Rahmen der Außenprüfung.

BFH Urteil vom 8. Juli 2009 XI R 64/07

Begründung

Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass im Dezember 1990 mit der Betriebsprüfung begonnen wurde und es im Anschluss hieran zu keiner mehr als sechsmonatigen Unterbrechung kam. Entgegen der Auffassung des FG ist die Zusammenstellung des Prüfungsergebnisses einer Außenprüfung in einem Betriebsprüfungsbericht, den Ablauf der Festsetzungsfrist hinausschiebende, letzte Ermittlung im Rahmen der Außenprüfung. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif, weil noch zu klären ist, ob  der Kläger unter dem 12. August 1994 eine Stellungnahme zum Betriebsprüfungsbericht gegenüber dem FA für Großbetriebsprüfung abgegeben und der Betriebsprüfer daraufhin weitere Ermittlungen durchgeführt hat.

Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen, so läuft die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt oder im Falle der Hinausschiebung der Außenprüfung erstrecken sollte, nicht ab, bevor die aufgrund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind (§ 171 Abs. 4 Satz 1 AO). Das gilt nach Satz 2 dieser Vorschrift jedoch dann nicht, wenn eine Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen wird, die die Finanzbehörde zu vertreten hat.

Nach ständiger Rechtsprechung ist für eine Ablaufhemmung durch den Beginn einer Außenprüfung erforderlich, dass eine förmliche Prüfungsanordnung erlassen wurde und –wenn auch nur stichprobenweise– tatsächlich Prüfungshandlungen für die in der Prüfungsanordnung genannten Steuerarten und Besteuerungszeiträume vorgenommen wurden.

Ob eine Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn unterbrochen wurde, ist grundsätzlich nach den Verhältnissen im Einzelfall zu beurteilen, wobei neben dem zeitlichen Umfang der bereits durchgeführten Prüfungsmaßnahmen alle Umstände hinzuzuziehen sind, die Aufschluss über die Gewichtigkeit der Prüfungshandlungen vor der Unterbrechung geben.

Ein Aktenstudium, das vor dem in der Betriebsprüfungsanordnung genannten Termin des Beginns der Prüfung durchgeführt wurde, gehört noch zu den Prüfungsvorbereitungen. Soweit der BFH das Aktenstudium als Prüfungsbeginn hat ausreichen lassen, lag das Aktenstudium nicht vor dem Termin, der in der Prüfungsanordnung als Prüfungsbeginn genannt war.

Nach dieser Vorschrift endet die aufgrund einer Außenprüfung gehemmte Festsetzungsfrist spätestens, wenn seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Schlussbesprechung stattgefunden hat, oder, wenn sie unterblieben ist, seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die letzten Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung stattgefunden haben, die in § 169 Abs. 2 AO genannten Fristen verstrichen sind.

Nach den gesetzlichen Regelungen folgt, dass unter "Ermittlungen" diejenigen Maßnahmen eines Betriebsprüfers fallen, die auf eine umfassende Überprüfung der Besteuerungsgrundlagen gerichtet sind. Das Erstellen eines Betriebsprüfungsberichts dient nicht der Überprüfung von Besteuerungsgrundlagen, sondern beschränkt sich darauf, das Ergebnis der vorausgehenden Ermittlungen und Überprüfungen darzustellen. Das Erstellen eines Betriebsprüfungsberichts ist daher nicht im Zusammenhang mit den Ermittlungsmaßnahmen des Prüfers in § 200 AO, sondern in § 202 AO geregelt.

Dem Eintritt der Festsetzungsverjährung im Streitfall kann aber entgegenstehen, dass der Prüfer auf Einwendungen des Klägers und wegen nachgereichter Unterlagen weitere Ermittlungen "im Rahmen der Außenprüfung" durchführte. In der Regel wird die Außenprüfung zwar mit der Zusendung des Prüfungsberichts, sodass nach diesem Zeitpunkt stattfindende Ermittlungen nicht mehr im Rahmen der Außenprüfung erfolgen. Etwas anderes kann sich jedoch dann ergeben, wenn Tatsachen vorliegen, die darauf hindeuten, dass aus der maßgeblichen Sichtweise des Betroffenen die Außenprüfung mit der Zusendung des Prüfungsberichts noch nicht abgeschlossen sein sollte.

Ein derartiger Ausnahmefall könnte im Streitfall gegeben sein, weil sich der Kläger laut Tz 5 des Betriebsprüfungsberichts eine Stellungnahme zum Betriebsprüfungsbericht vorbehalten hatte (vgl. § 202 Abs. 2 AO). Sofern er eine derartige Stellungnahme tatsächlich abgegeben und dieser Stellungnahme auch Unterlagen beigefügt hat, die objektiv zur Wiederaufnahme von Ermittlungshandlungen im oben definierten Sinne geeignet waren, kann ein Steuerpflichtiger nicht davon ausgehen, dass mit der Übersendung des Prüfungsberichts die Außenprüfung beendet war..