Ablaufhemmung bei Antrag auf unbefristetes Hinausschieben des Beginns der Außenprüfung

Ist ein Antrag auf (befristetes) Hinausschieben des Beginns der Außenprüfung ursächlich für das Hinausschieben des Prüfungsbeginns, entfällt die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 2. Alternative AO nur, wenn die Finanzbehörde nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Eingang des Antrags mit der Prüfung beginnt.

Anders kann dies zu beurteilen sein, wenn der Antrag auf Aufschub des Prüfungsbeginns keine zeitlichen Vorgaben enthält. Ist die Finanzbehörde faktisch daran gehindert, den Prüfungsfall bereits im Zeitpunkt der Antragstellung neu in die Prüfungspläne aufzunehmen, endet die Festsetzungsfrist erst zwei Jahre nach Wegfall des Hinderungsgrundes.

BFH Urteil vom 1.2.2012, I R 18/11

Begründung:

Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist (Feststellungsfrist) mit einer Außenprüfung begonnen oder wird deren Beginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben, so läuft die Festsetzungsfrist für die Steuern (Feststellungsfrist für die Besteuerungsgrundlagen), auf die sich die Außenprüfung erstreckt oder im Fall des Hinausschiebens der Außenprüfung erstrecken sollte, gemäß § 171 Abs. 4 Satz 1 AO u.a. nicht ab, bevor die aufgrund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide (Feststellungsbescheide) unanfechtbar geworden sind.

Soweit § 171 Abs. 4 Satz 1 AO in seiner 2. Alternative dem Antrag des Steuerpflichtigen auf Hinausschieben des Beginns der Außenprüfung (vgl. § 197 Abs. 2 AO) die gleiche Rechtsfolge (Hemmung des Ablaufs der Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist) wie dem Beginn der Außenprüfung zuordnet, gilt dies nur, soweit ein entsprechender Antrag auch ursächlich für das Hinausschieben des Prüfungsbeginns. Dabei ist ohne Bedeutung, ob der Steuerpflichtige gewichtige Gründe für die Verlegung glaubhaft gemacht hat.

Hinsichtlich der erforderlichen Kausalität eines Antrags nach § 171 Abs. 4 Satz 1  2. Alternative AO ist auf den Tag des Antragseingangs abzustellen, welcher der maßgebliche Zeitpunkt für den Eintritt der Ablaufhemmung ist. Da es für den Eintritt der Ablaufhemmung nicht darauf ankommt, ob bzw. inwieweit zu einem dem Tag der Antragstellung nachfolgenden Zeitpunkt in der Sphäre der Finanzverwaltung liegende Gründe nunmehr gleichfalls ursächlich für das Hinausschieben des Beginns einer Außenprüfung sein könnten, ist es ohne Belang, ob ein Antrag auf Prüfungsaufschub befristet oder unbefristet gestellt wird. Entscheidend ist allein, ob bereits im Zeitpunkt der Antragstellung Gründe für den Prüfungsaufschub gegeben sind, die in der Sphäre der Finanzverwaltung liegen und den Eintritt der Ablaufhemmung ausschließen.

Wird der Beginn der Außenprüfung nicht maßgeblich aufgrund des Antrags des Steuerpflichtigen, sondern aufgrund der eigenen Belange der Finanzbehörde bzw. aus innerhalb deren Sphäre liegenden Gründen hinausgeschoben, so läuft die Frist ungeachtet des Antrags ab.

Nach Eingang eines Antrags des Steuerpflichtigen, der zum Eintritt der Ablaufhemmung i.S. von § 171 Abs. 4 Satz 1  2. Alternative AO führt, verbleibt der Finanzbehörde allerdings nach Auffassung des IV. Senats des BFH (im Urteil in BFHE 229, 20, BStBl II 2011, 7) nicht unbegrenzte Zeit, mit der Außenprüfung zu beginnen. Dies lasse sich einem allgemeinen Rechtsgedanken entnehmen, der in § 171 Abs. 8 Satz 2 AO und auch in § 171 Abs. 10 AO Ausdruck finde. Beide Vorschriften räumten der Finanzbehörde in den Fällen des Wegfalls eines außerhalb ihrer Sphäre eingetretenen Hindernisses eine Zweijahresfrist für ein weiteres Tätigwerden ein. Ab diesem Zeitpunkt könne und dürfe die Finanzbehörde wieder selbst die Initiative zur Bearbeitung des Falles ergreifen und dementsprechend sei die Behörde auch im Hinblick auf § 171 Abs. 4 Satz 1  2. Alternative AO gehalten, mit der Prüfung vor Ablauf von zwei Jahren nach Eingang des Antrags auf Hinausschieben des Prüfungsbeginns zu beginnen, wolle sie den Ablauf der Festsetzungsfrist verhindern.

Dies gilt jedenfalls, wenn ein befristeter Aufschub des Prüfungsbeginns beantragt worden ist. In diesem Fall kommt es nicht in Betracht, die Festsetzungsfrist (Feststellungsfrist) erst nach Ablauf von zwei Jahren seit Ablauf der beantragten Aufschubfrist enden zu lassen. Denn die Finanzbehörde hat bei einem zeitlich befristeten Antrag auf Aufschub des Prüfungsbeginns die Möglichkeit, auf die zeitliche Dauer ihrer Untätigkeit Einfluss zu nehmen. Sie kann bereits bei Eingang des Antrags dafür Sorge tragen, dass die erforderliche (neue) Integration des Prüfungsfalles in die Prüfungspläne erfolgen kann. Der Zeitraum von zwei Jahren ab Antragseingang erscheint hierfür ausreichend bemessen.

Anders kann es sich indessen verhalten, wenn der Antrag auf Aufschub des Prüfungsbeginns keine zeitlichen Vorgaben enthält (so im Ergebnis Nr. 3 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung zu § 171 AO i.d.F. des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 21. Dezember 2010, BStBl I 2011, 2). In diesem Fall kann die Finanzbehörde faktisch daran gehindert sein, den Prüfungsfall bereits im Zeitpunkt der Antragstellung neu in die Prüfungspläne zu integrieren. Dies wird insbesondere der Fall sein, wenn beispielsweise Rechtsbehelfsverfahren betrieben werden und diese Rechtsbehelfsverfahren Prüfungsmaßnahmen betreffen, die mit der gegen den Steuerpflichtigen gerichteten Außenprüfung in hinreichendem sachlichem Zusammenhang stehen. Entsprechend dem Rechtsgedanken, der in § 171 Abs. 8 Satz 2 AO und auch in § 171 Abs. 10 AO seinen Ausdruck gefunden hat, erscheint es in diesem Fall als sachgerecht, die Festsetzungsfrist (Feststellungsfrist) enden zu lassen, nachdem der Hinderungsgrund beseitigt ist und die Finanzbehörde hiervon Kenntnis hat.

Prüfungsanordnung bei atypisch stiller Gesellschaft;

Eine Prüfungsanordnung, die die einheitliche und gesonderte Feststellung des Gewinns einer atypisch stillen Gesellschaft betrifft, ist an den Geschäftsinhaber zu richten.

Eine KG kann als Geschäftsinhaber Inhaltsadressat einer solchen Prüfungsanordnung für ihren Geschäftsbetrieb einschließlich ihrer Beziehungen zu den stillen Gesellschaftern sein. Auch bei Beteiligung einer Vielzahl von stillen Gesellschaftern am gesamten Betrieb des Inhabers des Handelsgewerbes liegen gemeinschaftliche Einkünfte aller Gesellschafter vor, die einheitlich und gesondert festzustellen sind.

Der sachliche Umfang einer Außenprüfung bei einer Personengesellschaft erfasst die steuerlichen Verhältnisse der Gesellschafter insoweit, als diese Verhältnisse für die zu überprüfenden einheitlichen Feststellungen von Bedeutung sind.

BFH Beschluss vom 03.11.2011 – IV B 62/10 BFHNV 2012 S. 369 f.

 

Willkür- und Schikaneverbot bei Erlass einer Prüfungsanordnung

Weist der konkrete Einzelfall besondere tatsächliche Umstände auf, die darauf hindeuten, dass das Finanzamt bei Erlass einer Prüfungsanordnung sich möglicherweise von nicht zum Gegenstand der Begründung gewordenen sachfremden Erwägungen hat leiten lassen und der Zweck der Prüfung der steuerlichen Verhältnisse in den Hintergrund getreten ist, kann in dem Übergehen eines hierzu gestellten Beweisantrags der Verfahrensmangel ungenügender Sachaufklärung liegen.

Ein Verstoß gegen das Willkür- und Schikaneverbot ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die angeordnete Außenprüfung i.S. von § 193 Abs. 1 AO ein in irgendeiner Weise umsetzbares Ergebnis haben könnte.

Ein die Außenprüfung vorbereitendes Vorlage- und Auskunftsverlangen kann ein Verwaltungsakt und damit Gegenstand einer zulässigen Anfechtungsklage sein.

BFH Urteil vom 28.9.2011, VIII R 8/09

 Begründung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 28. September 2011 VIII R 8/09 entschieden, dass die Anordnung einer Außenprüfung wegen Verstoßes gegen das Willkür- und Schikaneverbot rechtswidrig sein kann.

Der Adressat der Prüfungsanordnung, ein selbständig tätiger Rechtsanwalt hatte detailliert und nachvollziehbar dargelegt, seine steuerlichen Verhältnisse seien seit Jahren unverändert und bekannt. Das Finanzamt habe die Prüfung bei ihm nur angeordnet, weil er einen Beamten der Finanzverwaltung vertrete, der behaupte, vom Vorsteher seines Amts gemobbt worden zu sein. Zwei weitere Mandanten von ihm hätten sich mit entsprechenden Vorwürfen an den Petitionsausschuss gewandt und Erfolg gehabt. Zeitgleich habe die Finanzverwaltung u.a. Außenprüfungen bei den beiden mit den Petitionen befassten Abgeordneten und dem Vorsitzenden des Petitionsausschusses veranlasst. Einspruch und Klage des Rechtsanwalts hatten keinen Erfolg.

Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen. Zwar darf eine Außenprüfung grundsätzlich voraussetzungslos angeordnet werden. Sie muss aber dem Zweck dienen, die steuerlichen Verhältnisse des Geprüften aufzuklären. Lässt sich das Finanzamt von anderen, sachfremden Erwägungen leiten, kann dies gegen das Willkür- und Schikaneverbot verstoßen mit der Folge, dass die Anordnung rechtswidrig ist. Das Finanzgericht muss nun den Sachverhalt weiter aufklären.

Prüfungsunterbrechung zu Beginn der Außenprüfung

Eine Außenprüfung wird nicht i.S.v. § 171 Abs. 4 Satz 2 AO unmittelbar nach ihrem Beginn unterbrochen, wenn die bis zur Unterbrechung vorgenommenen Prüfungshandlungen entweder von erheblichem Gewicht waren oder erste verwertbare Ergebnisse gezeitigt haben. Für Letzteres ist ausreichend, dass an die Ermittlungsergebnisse nach Wiederaufnahme der Prüfung angeknüpft werden kann.

Zur Frage, ob eine überlange Verfahrensdauer zur Verwirkung von Steueransprüchen führen kann.

BFH Beschluss vom 31.08.2011 – IB 9/11 BFHNV 2011 S. 2010

Begründung:

Das FG ist zum einen davon ausgegangen, dass nach der Rechtsprechung des BFH das Merkmal des Beginns der Außenprüfung (§ 171 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AO) zwar bereits mit der ersten ernsthaften und qualifizierten Ermittlungshandlung (z.B. ein informatives Gespräch oder das Verlangen nach Auskünften und Unterlagen) gegeben sei, bei der weiteren Frage jedoch, ob eine Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn unterbrochen worden sei (§ 171 Abs. 4 Satz 2 AO), die vor der Prüfungsunterbrechung vorgenommenen Handlungen zu gewichten seien. Folge hiervon ist, dass eine Außenprüfung nur dann nicht mehr unmittelbar nach Beginn unterbrochen ist, wenn die bis zur Unterbrechung vorgenommenen Prüfungshandlungen entweder bezogen auf den gesamten Prüfungsstoff nach Umfang und zeitlichem Aufwand ein erhebliches Gewicht erreicht oder erste verwertbare Ergebnisse gezeitigt haben. Letzteres bedeutet allerdings nicht, dass die ermittelten Ergebnisse geeignet sein müssen, unmittelbar als Besteuerungsgrundlage Eingang in einen Steuer- oder Feststellungsbescheid zu finden; ausreichend ist vielmehr, dass Ermittlungsergebnisse vorliegen, an die bei der Wiederaufnahme der Prüfung angeknüpft werden kann.

Soweit die Vorinstanz insoweit den Streitfall dahin gewürdigt hat, dass die Prüfung bereits vor der Prüferanfrage 1 (am 22. April 1998) durch informative Gespräche des Prüfers mit den Vertretern der Steuerabteilung begonnen habe und diese Würdigung nicht nur durch die Übergabe einer Excel-Tabelle am 31. März 1998 gestützt werde, sondern zugleich auch erkläre, weshalb der Prüfer bereits am 23./27. April 1998 eine weitere Excel-Tabelle sowie einen Vermerk der A-AG zu dieser Anfrage erhalten habe, ist der Senat an diese tatsächliche Feststellung gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Gleiches gilt für die Würdigung der Vorinstanz, dass bereits die in die Prüferanfrage 1 eingegangenen Feststellungen betreffend die fehlende Abstimmung der bewirkten Gewinnausschüttungen mit den tatsächlichen vEK-Beständen angesichts der hiermit verbundenen erheblichen steuerlichen Auswirkungen als verwertbares Ergebnis zu qualifizieren seien, die eine Prüfungsunterbrechung unmittelbar nach ihrem Beginn (§ 171 Abs. 4 Satz 2 AO; s.o.) ausschlössen.

 

Auslegung einer Prüfungsanordnung

Für die Auslegung öffentlich-rechtlicher Verwaltungsakte zur Bestimmung des Inhaltsadressaten ist Voraussetzung, dass diese auslegungsfähig, d.h. für Dritte erkennbar (objektiv) mehrdeutig und nicht eindeutig sin.

BFH Beschluss vom 10.08.2011 – V B 84/1ß BFHNV 2011 S. 2010

Begründung:

Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage lautet: "Ist eine Prüfungsanordnung, die an eine aufgrund Verschmelzung erloschene GmbH ‘zu Händen des Geschäftsführers’ adressiert ist, mehrdeutig und nicht ohne Weiteres infolge Unbestimmtheit nichtig, wenn die aufnehmende Gesamtrechtsnachfolgerin, eine GmbH & Co. KG, unter dem prägenden Bestandteil der Firma der erloschenen GmbH auftritt und der Geschäftsführer der Komplementärin personenidentisch mit dem Geschäftsführer der erloschenen GmbH ist?"

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist für die Auslegung öffentlich-rechtlicher Verwaltungsakte zur Bestimmung des Inhaltsadressaten Voraussetzung, dass diese auslegungsfähig, d.h. für Dritte erkennbar (objektiv) mehrdeutig und nicht eindeutig sind  Im Streitfall ist die Vorinstanz entgegen der Auffassung der Klägerin von der eindeutigen Bezeichnung der nicht mehr existenten R-GmbH als Inhaltsadressatin der Prüfungsanordnung vom 29. November 2011 ausgegangen und hat diese somit für nicht auslegungsfähig gehalten.

Festsetzung eines Verzögerungsgeldes im Rahmen einer Außenprüfung

Kommt ein Steuerpflichtiger einer Aufforderung des Finanzamts zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i.S. von § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer angemessenen Frist nicht nach, kann ein Verzögerungsgeld gem. § 146 Abs. 2b AO verhängt werde.

BFH Beschluss vom 28.06.2011 – X B 37/11 BFHNV 2011 S.1833

Begründung:

Nach der Regelung des § 146 Abs. 2b AO kann ein Verzögerungsgeld von 2.500 EUR bis 250.000 EUR festgesetzt werden, wenn ein Steuerpflichtiger der Aufforderung zur Rückverlagerung seiner elektronischen Buchführung oder seinen Pflichten nach § 146 Abs. 2a Satz 4 AO, zur Einräumung des Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 AO, zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist nach Bekanntgabe durch die zuständige Finanzbehörde nicht nachkommt oder er seine elektronische Buchführung ohne Bewilligung der zuständigen Finanzbehörde ins Ausland verlagert.

Über diesen direkten Normzusammenhang hinaus kann nach dem zuvor dargelegten Wortlaut ein Verzögerungsgeld aber auch dann verhängt werden, wenn ein Steuerpflichtiger einer Aufforderung des Finanzamtes zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i.S. von § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer angemessenen Frist nicht nachkommt.

Es erscheint zwar systematisch missglückt, die Regelung des Verzögerungsgeldes, wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten bei einer Außenprüfung mit einem Verzögerungsgeld im Zusammenhang mit anderen Verpflichtungen zu verbinden. Sie hätte, worauf Drüen in Tipke/Kruse (Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 146 AO Rz 51) zutreffend hinweist, besser in § 200 AO verortet werden sollen. Angesichts des eindeutigen Wortlauts kann aber allein aus der unzureichenden systematischen Verortung nicht darauf geschlossen werden, ein Verzögerungsgeld dürfe nur im Zusammenhang mit einer ohne Bewilligung der Finanzbehörde erfolgten Verlagerung der Buchführung ins Ausland oder einer unterbliebenen Rückverlagerung der Buchführung aus dem Ausland festgesetzt werden (so aber Drüen in Tipke/ Kruse, a.a.O.). Dieses Normverständnis wird durch die Gesetzesbegründung gestützt. Danach soll das Verzögerungsgeld im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten gleichermaßen gelten, um eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die ihre Bücher und sonstigen Aufzeichnungen im Ausland führen, gegenüber solchen Steuerpflichtigen, die dies im Inland tun, zu vermeiden (vgl. BTDrucks 16/10189, S. 81). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob eine Erstreckung des Verzögerungsgeldes auch auf Fälle sonstiger Mitwirkungsverletzungen aus Gründen der Gleichbehandlung überhaupt erforderlich gewesen wäre.

Der Tatbestand des § 146 Abs. 2b AO ist vorliegend erfüllt. Die Außenprüfung gegenüber dem Antragsteller wurde mit Bescheid vom 9. September 2008 angeordnet und sollte Mitte/Ende September 2008 beginnen. Der Antragsteller hat die Prüfungsanordnung nicht angefochten. Auf seinen Wunsch hin wurde der Prüfungsbeginn jedoch mehrmals verschoben. Schließlich sollte sie am 8. März 2010 beginnen.

Das FA durfte deshalb den Antragsteller auffordern, die für die Prüfung erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Dies geschah mit Schreiben vom 23. Oktober 2008, dem Antragsteller zusätzlich in Kopie ausgehändigt am 14. November 2008, und mit einem nahezu wörtlich identischen Schreiben vom 7. Januar 2010. Die noch im Januar 2010 eingeräumte Frist zur Vorlage der Unterlagen bis 1. März 2010 bzw. letztlich bis 8. März 2010 war angemessen.

“Letzte Ermittlungen” im Rahmen der Außenprüfung

Letzte Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung setzen Maßnahmen des Prüfers oder des FA voraus, die darauf gerichtet sind, bisher noch nicht bekannte Sachverhaltselemente festzustellen, etwa indem der Prüfer Unterlagen anfordert, den Steuerpflichtigen in irgendeiner Weise zur Mitwirkung auffordert oder vom Steuerpflichtigen nachgereichte Unterlagen auswertet.

Es ist erforderlich, dass der Zeitpunkt der letzten Ermittlungshandlungen im Interesse der verjährungsrechtlichen Rechtssicherheit eindeutig feststeht.

BFH Urteil vom 28.06.2011 VIII R 6/09 BFHNV 2011 S. 1830

Begründung:

Gemäß § 171 Abs. 4 Satz 3 AO endet die Festsetzungsfrist spätestens, wenn seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Schlussbesprechung stattgefunden hat, oder, wenn sie unterblieben ist, seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die letzten Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung stattgefunden haben, die in § 169 Abs. 2 AO genannten Fristen verstrichen sind; eine Ablaufhemmung nach anderen Vorschriften bleibt unberührt.

Was unter "letzten Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung" im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen ist, bedarf im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls ist nach dem Wortsinn der Vorschrift ein Zusammenhang mit der Außenprüfung erforderlich. Deshalb reicht der bloße Blick in die beim Finanzamt vorhandenen Akten nicht aus; er steht dem Finanzamt jederzeit offen, ohne dass es einer Außenprüfung bedürfte. Ferner handelt es sich auch dann nicht um Ermittlungen im Sinne dieser Vorschrift, wenn bereits ermittelte Tatsachen lediglich einer erneuten rechtlichen Würdigung unterzogen werden. Letzte Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung setzen vielmehr Maßnahmen des Prüfers oder des Finanzamts voraus, die darauf gerichtet sind, bisher noch nicht bekannte Sachverhaltselemente festzustellen, etwa indem der Prüfer Unterlagen anfordert, den Steuerpflichtigen in irgendeiner anderen Weise zur Mitwirkung auffordert oder vom Steuerpflichtigen nachgereichte Unterlagen auswertet. Aufgrund der systematischen Parallele zur Durchführung einer Schlussbesprechung, die ebenfalls nach dieser Vorschrift die Festsetzungsfrist neu in Gang setzt, ist ferner erforderlich, dass der Zeitpunkt der letzten Ermittlungshandlungen im Interesse der verjährungsrechtlichen Rechtssicherheit eindeutig feststeht. Notfalls ist er vom Finanzamt nachzuweisen.

Aus dem Umstand allein, dass die Prüferin in ihrem Ergänzungsbericht vom 18. September 2000 Ausführungen gemacht hat, die inhaltlich über die Ausführungen im ersten Bericht hinausgehen, kann nicht geschlossen werden, dass noch bis in das Jahr 2000 letzte Ermittlungen i.S. von § 171 Abs. 4 Satz 3 AO stattgefunden haben. Zum einen hat das FG nicht festgestellt, welche Ermittlungshandlungen wann stattgefunden haben sollen. Zum andern lässt sich aus der Gegenüberstellung der beiden Berichte aber auch der Sache nach nicht darauf schließen, dass überhaupt Ermittlungen stattgefunden haben. Unstreitig hat die Prüferin vor Ort nach dem 25. Juni 1998 keine Ermittlungen mehr durchgeführt. Aus den Akten ergibt sich nicht, dass sie Unterlagen von den Klägern angefordert oder die Kläger zur Mitwirkung in irgendeiner Weise aufgefordert hat. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Kläger bis dahin fehlende Unterlagen oder Belege im Einwendungsverfahren nachgereicht hätten, die das FA ausgewertet haben könnte. Soweit das FG aus der Gegenüberstellung der beiden Prüfungsberichte zu gegenteiligen Schlussfolgerungen gekommen ist, ist der Bundesfinanzhof daran nicht gebunden.

 

Anordnung einer Außenprüfung auch bei Kleinunternehmern nicht weiter begründungspflichtig

Auch für Veranlagungszeiträume nach Inkrafttreten des Kleinunternehmerförderungsgesetzes vom 31. Juli 2003 (BGBl I 2003, 1550) genügt für Steuerpflichtige, die betriebliche Einkünfte beziehen, für die Begründung der Anordnung einer Außenprüfung weiterhin der bloße Hinweis auf § 193 Abs. 1 AO. Dies gilt auch für Steuerpflichtige, die wegen Unterschreitens der in § 141 AO genannten Grenzen nicht buchführungspflichtig sind.

BFH Beschluss vom 20.06.2911 – X B 234/10 BFHNV 2011 S. 1829

Begründung:

Gewerbetreibende, die aufgrund der Änderung des § 141 AO durch das KleinUntFG nicht mehr buchführungspflichtig sind und daher ihren Gewinn nicht mehr nach § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermitteln müssen, einem Mindestmaß an Aufzeichnungspflichten unterliegen, die aus § 4 Abs. 3 EStG folgen. Die  Finanzbehörden müssen in der Lage sein, Angaben in Steuererklärungen effektiv auf ihre Richtigkeit überprüfen zu können.

Schätzung von Einkünften über die Internetplattform Ebay

Schätzung von Einkünften aus Gewerbebetrieb durch Verkaufsaktivitäten  über die Internetplattform Ebay.

Hierbei ist sowohl die maßgebende Gewinnermittlungsart als auch die Höhe des Wareneinsatzes durch Bestandsvergleich zu schätzen.

FG Niedersachsen Urteil vom 03.08.2011; 10 K 200/09

Begründung:

Der Kläger handelte ab Oktober 2002 mit Schmuck, den er aus den USA importierte und mittels der Internetplattform Ebay anbot. Die Klägerin führte in der Zeit ein Ladengeschäft, in dem sie Flohmarktartikel verkaufte.

Das FA war gemäß § 162 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 Abgabenordnung (AO) berechtigt, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, da der Kläger durch den Ankauf und Weiterverkauf von Waren gewerblich tätig war und insoweit sowohl nach § 22 Umsatzsteuergesetz (UStG) verpflichtet war, die Einnahmen und Ausgaben aufzuzeichnen als auch nach § 143 AO verpflichtet war, den Wareneingang aufzuzeichnen, dieser Verpflichtung jedoch nach den zutreffenden Feststellungen des Prüfers nicht nachgekommen war.

Der Gewinn des Klägers aus Gewerbebetrieb war dabei allerdings nicht, wie geschehen durch Gegenüberstellung der Einnahmen und Ausgaben nach § 4 Abs. 3 Einkommen-steuergesetz (EStG), sondern auf der Basis eines Betriebsvermögensvergleichs nach § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG zu ermitteln. Denn die Gewinnermittlung auf der Basis eines Betriebsvermögensvergleichs nach § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG ist die vorrangige Gewinnermittlungsart bei Einkünften aus Gewerbebetrieb. In Schätzungsfällen muss deshalb eine Schätzung auf dieser Basis erfolgen, es sei denn, es besteht keine Buchführungspflicht und der Steuerpflichtige hat durch die Art der Einrichtung seiner Buchführung oder auf andere Weise eine Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG gewählt und diese Wahl nach außen kenntlich gemacht.

Da der Kläger schon keine Aufzeichnungen geführt hat, nicht einmal eine geordnete, vollständige und zeitlich fortlaufende Belegablage vorweisen konnte, aus der die Wahl der Gewinnermittlungsart Einnahmen-Überschussrechnung hätte entnommen werden können, verbleibt es bei der vorrangigen Gewinnermittlungsart des Betriebsvermögensvergleichs. Ohnehin fehlte es schon deshalb an der Ausübung des Gewinnermittlungswahlrechts, weil dieses denknotwendig einen darauf gerichteten Willen voraussetzt; wer, wie der Kläger, gar keinen Gewinn ermitteln will, hat folglich auch keine Wahl zwischen den Gewinnermittlungsarten getroffen.

Da die Schätzung auf Basis eines Betriebsvermögensvergleichs vorzunehmen ist, sind auch die Warenbestände zum Anfang und zum Ende des Geschäftsjahrs (Schätzungsjahrs) zu berücksichtigen, die indes mangels Buchführung nicht festgehalten und daher zu schätzen sind. Aus Vereinfachungsgründen schätzt der Senat lediglich die Bestands-veränderung, die für die Ermittlung des Gewinns von Bedeutung ist.

Auffälligkeiten beim “Chi-Test” allein kein Grund, die Buchführung zu beanstanden.

Auffälligkeiten bei dem sogenannten Chi-Test berechtigen nicht die Buchführung zu beanstanden und damit zur Schätzung eines höheren Umsatzes/Gewinns zu gelangen, wenn sonst keine weiteren Mängel der Buchführung gegeben sind.

FG Rheinland-Pfalz Urteil vom 24. August 2011 (Az.: 2 K 1277/10)

Begründung:

Mit dem sog. „Chi.Quadrat-Test“ werden Verteilungseigenschaften einer statistischen Grundgesamtheit untersucht. Er stellt eine Methode dar, bei der empirisch festgestellte und theoretisch erwartete Häufigkeiten verglichen werden und fußt auf dem Grundgedanken, dass derjenige, der bei seinen Einnahmen unzutreffende Werte in das Kassenbuch/die Kassenberichte eingibt, unbewusst eine Vorliebe für gewisse Lieblingszahlen hat und diese entsprechend häufiger verwendet.

m Streitfall fand im Friseursalon der Klägerin für 2005 bis 2007 eine steuerliche Außenprüfung statt. Der Prüfer, bzw. das Finanzamt (FA) bemängelte, dass die Kassenbücher in Form von Excel-Tabellen geführt worden seien. Die gesetzlich geforderte Unveränderbarkeit der Kassenbucheintragungen sei nicht gewährleistet. Die Klägerin habe nicht darlegen und dokumentieren können, dass das betreffende Kassenprogramm Manipulationen und nachträgliche Änderungen nicht zulasse. Die im Rahmen der Prüfung erstellte Strukturanalyse und der darin enthaltene „Chi-Test“ hätten eine 100%-ige Manipulationswahrscheinlichkeit ergeben. Dem Prüfer folgend erhöhte das Finanzamt FA die erklärten Umsatzerlöse um jährlich 3.000.- €, was auch entsprechende Gewinnerhöhungen zur Folge hatte.

Das FG Rheinland-Pfalz führte u.a. aus, das FA hätte nicht dem ihm obliegenden Nachweis erbracht, dass das eingesetzte Kassenprogramm Manipulationen ermögliche. Entgegen der Ansicht des Prüfers und des FA sei es nämlich nicht Sache der Klägerin, “darzulegen bzw. zu dokumentieren“, dass das betreffende Kassenprogramm Manipulationen und Änderungen nicht zulasse. Der Nachweis einer Manipulationsmöglichkeit obliege vielmehr dem FA. Die vom FA behauptete „Manipulationswahrscheinlichkeit von 100%“ auf Grund des vom Prüfer durchgeführten „Chi-Quadrat-Test“ könne nicht zu einer Zuschätzungsbefugnis führen. Der Test allein sei jedenfalls nicht geeignet, Beweise dafür zu erbringen, dass die Buchführung nicht ordnungsgemäß sei, abgesehen davon, dass er bei einem Friseursalon, bei dem – wie hier – für die Leistungen ausschließlich volle bzw. halbe Euro- Beträge berechnet würden, ungeeignet erscheine. Ausgehend von der Preisliste des Friseursalons ergebe sich, dass naturgemäß die Zahl 0 wie auch die Zahlen 1, 4, 5 überdimensional häufig auftreten müssten (z.B Föhnfrisur: 15.- €; Färben: 25.- € bzw. 46,50 €; Föhnen 40,50 €).

Die Revision wurde nicht zugelassen, das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig geworden.