Doppelte Haushaltsführung eines Alleinstehenden

Doppelte Haushaltsführung eines Alleinstehenden

BFH Beschluss vom 12.6.2012, VI B 73/12

Begründung:

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich auch für einen alleinstehenden Arbeitnehmer; auch er kann einen doppelten Haushalt führen.

Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt. Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer ist entscheidend, dass er sich in dem Haushalt, im Wesentlichen nur unterbrochen durch die arbeits- und urlaubsbedingte Abwesenheit, aufhält; denn allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist noch nicht als Unterhalten eines Hausstands zu bewerten. Ebenfalls wird ein eigener Hausstand nicht unterhalten, wenn der Arbeitnehmer die Haushaltsführung nicht zumindest mitbestimmt, sondern nur in einen fremden Haushalt als Gast eingegliedert ist. Dann liegt keine eigene Haushaltsführung vor. Insbesondere dann, wenn dem Arbeitnehmer die Wohnung unentgeltlich überlassen wird, ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer einen eigenen Hausstand unterhält oder in einen fremden eingegliedert ist. Dabei hat der Senat aber dem Merkmal der Entgeltlichkeit lediglicheine gewichtige Indizfunktion beigemessen, ohne die Entgeltlichkeit indessen als unerlässliche Voraussetzung (conditio sine qua non) zu betrachten. Dies gilt sowohl für die Überlassung der Wohnung selbst als auch für die Kostentragung im Übrigen . Die Frage, ob der alleinstehende Arbeitnehmer einen eigenen Hausstand unterhält oder aber nur in einen fremden eingegliedert ist, entscheidet sich unter Einbeziehung und Gewichtung aller tatsächlichen Verhältnisse im Rahmen einer den Finanzgerichten als Tatsacheninstanz obliegenden Gesamtwürdigung.

Leistungsort bei Schadensregulierung und Rückwirkung der Rechnungsberichtigung

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Leistungen eines inländischen Schadensregulierers im Inland steuerbar sind und nicht dem Empfängerortprinzip des § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG unterliegen.

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der Vorsteuerabzug aus einer zunächst fehlerhaften Rechnung auch dann versagt werden kann, wenn diese Rechnung später berichtigt wird, sofern das zunächst erteilte Dokument die Mindestanforderungen an eine Rechnung erfüllt und daher Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält.

BFH Beschluss vom 20.7.2012, V B 82/11

Begründung:

Nach § 3a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Nr. 3 UStG in seiner in den Streitjahren geltenden Fassung wurden die sonstigen Leistungen aus der Tätigkeit als Rechtsanwalt, Patentanwalt, Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer, Sachverständiger, Ingenieur, Aufsichtsratsmitglied, Dolmetscher und Übersetzer sowie ähnliche Leistungen anderer Unternehmer, insbesondere die rechtliche, wirtschaftliche und technische Beratung dort ausgeführt, wo der Empfänger sein Unternehmen betreibt. § 3a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Nr. 3 UStG ist entsprechend dem ihm unionsrechtlich zugrunde liegenden Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) auszulegen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 V R 20/11, juris). Danach gilt als Ort der Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstiger ähnlicher Leistungen sowie der Datenverarbeitung und der Überlassung von Informationen der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat.

Danach entsprechen z.B. die Leistungen eines Testamentsvollstreckers nicht denen eines Rechtsanwalts. Denn während die Leistungen des Rechtsanwalts vor allem der Rechtspflege dienen, sind die Leistungen der Testamentsvollstrecker wirtschaftlicher Art und dienen der Bewertung und Verteilung des Vermögens des Erblassers sowie dem Schutz dieses Vermögens und der Fruchtziehung aus diesem (EuGH-Urteil Kommission/ Deutschland in Slg. 2007, I-10609 Rdnr. 39).

Im Streitfall bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass eine von § 3a Abs. 1 UStG abweichende Leistungsart nach § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG aufgrund einer Ähnlichkeit mit einer Rechtsanwaltsleistung nicht in Betracht kommt. Denn die Rechtsanwaltsleistung wird durch das Handeln zur Rechtspflege geprägt, während die Leistungen der Antragstellerin bei der Schadensregulierung –ähnlich einer Testamentsvollstreckung– eher wirtschaftlicher Art sind, dem Vermögensschutz der Versicherung dienen und insoweit Vermögensbetreuungscharakter haben.

Der Senat kann demgegenüber nicht entscheiden, ob eine Vollziehungsaussetzung für das Streitjahr 2007 insoweit in Betracht kommt, als das FA den Vorsteuerabzug mit der Begründung versagt hat, der Antragstellerin seien für die von ihr bezogenen Leistungen unvollständige oder unrichtige Rechnungen ausgestellt worden und einer erst späteren Rechnungsberichtigung komme keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Rechnungserteilung zu. Insoweit war der Beschluss des FG aufzuheben und die Sache an das FG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.

Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG setzt die Ausübung des Vorsteuerabzugs voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Die Regelung beruht unionsrechtlich auf Art. 17 Abs. 2 Buchst. a und Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG sowie in den Streitjahren 2007 und 2008 auf Art. 168 Buchst. a und Art. 178 Buchst. a MwStSystRL.

 

Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Rechnungsberichtigung mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung erfolgen kann, ist das Urteil des EuGH vom 15. Juli 2010 C-368/09, Pannon Gép (Slg. 2010, I-7467) zu berücksichtigen. Nach dem EuGH-Urteil Pannon Gép in Slg. 2010, I-7467 steht das Unionsrecht "einer nationalen Regelung oder Praxis entgegen, nach der die nationalen Behörden einem Steuerpflichtigen das Recht, den für ihm erbrachte Dienstleistungen geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuerbetrag von der von ihm geschuldeten Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzuziehen, mit der Begründung absprechen, dass die ursprüngliche Rechnung, die zum Zeitpunkt der Vornahme des Vorsteuerabzugs in seinem Besitz war, ein falsches Datum des Abschlusses der Dienstleistung aufgewiesen habe und dass die später berichtigte Rechnung und die die ursprüngliche Rechnung aufhebende Gutschrift nicht fortlaufend nummeriert gewesen seien (…), wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind und der Steuerpflichtige der betreffenden Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnung zugeleitet hat, in der das zutreffende Datum des Abschlusses der genannten Dienstleistung vermerkt war, auch wenn diese Rechnung und die die ursprüngliche Rechnung aufhebende Gutschrift keine fortlaufende Nummerierung aufweisen".

Ob sich hieraus eine Rückwirkung für den Fall der Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung ergibt, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und finanzgerichtlich sowie im Schrifttum umstritten.

Demgegenüber kann das EuGH-Urteil Pannon Gép in Slg. 2010, I-7467 unter Berücksichtigung des dieser Rechtssache zugrunde liegenden Sachverhalts auch dahingehend zu verstehen sein, dass das FA nicht berechtigt ist, den in dieser Rechtssache streitigen Vorsteuerabzug für das Jahr 2007 durch einen in 2009 ergangenen Nachforderungsbescheid zu versagen, wenn dem FA im Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheides eine bereits in 2008 erfolgte Rechnungsberichtigung vorliegt.

Ob einer Rechnungsberichtigung unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils Pannon Gép in Slg. 2010, I-7467 Rückwirkung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zukommen kann, hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung offengelassen (BFH-Urteil vom 2. September 2010 V R 55/09, BFHE 231, 332, BStBl II 2011, 235, unter II.5.). Diese Frage ist auch im Streitfall, der ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes betrifft, nicht abschließend zu entscheiden.

 

 

Bilanzkorrektur nach dem Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs bei fehlerhafter Aktivierung eines abnutzbaren Wirtschaftsguts des Anlagevermögens

Wurden die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines abnutzbaren Wirtschaftsguts des Anlagevermögens in einem bestandskräftig veranlagten Jahr nur unvollständig aktiviert, führt der Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs zu einer erfolgswirksamen Nachaktivierung im ersten verfahrensrechtlich noch offenen Jahr.   

Im Fall der fehlerhaften Aktivierung eines Wirtschaftsguts ist die BFH-Rechtsprechung zur Korrektur überhöhter AfA-Sätze nicht einschlägig.   

Bei einer Teilbetriebsveräußerung muss keine Schlussbilanz aufgestellt werden; der Veräußerungsgewinn ist –ggf. im Rahmen einer Schätzung– unter Berücksichtigung der Grundsätze der §§ 4 und 5 EStG zu ermitteln.

BFH Urteil vom 9.5.2012, X R 38/10

Begründung:

Der begünstigte Veräußerungsgewinn ist vom laufenden Gewinn des Gesamtbetriebs abzugrenzen, ohne dass bei einer Teilbetriebsveräußerung eine Schlussbilanz aufzustellen ist. Der Wert des Betriebsvermögens ist nach den Grundsätzen der §§ 4 Abs. 1, 5 EStG auf den Zeitpunkt der Veräußerung zu schätzen (unten 1.). Der Ablösungsbetrag im Jahr 1998 war als Teil der Herstellungskosten der Mietereinbauten zu aktivieren (unten 2.). Die fehlerhafte Nichtaktivierung des Ablösungsbetrags kann nach dem Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs entsprechend nachgeholt werden (unten 3.).

 

Als Herstellungskosten nach § 5 EStG i.V.m. § 255 Abs. 2 HGB sind Ablöseverpflichtungen, die in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Herstellung eines Gebäudes anfallen, zu aktivieren . Das FG hat zutreffend ausgeführt, dass der Ablösungsbetrag für die Kfz-Stellplätze im engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit den Baumaßnahmen am Mietgrundstück stand, so dass er bei den Herstellungskosten der Mietereinbauten hätte aktiviert werden müssen.

Nach dem Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs müssen Bilanzen für Zwecke der Veranlagung und der Gewinnfeststellung grundsätzlich im Fehlerjahr und in den Folgejahren berichtigt werden. Ist eine solche Berichtigung jedoch nicht mehr möglich, weil die Feststellungs- oder Steuerbescheide bereits formell und materiell bestandskräftig sind, ist die erfolgswirksame Korrektur in der Schlussbilanz des ersten Jahres nachzuholen, in der sie mit steuerlicher Wirkung möglich ist. Diese Grundsätze sind ebenso zu beachten, wenn bei einer Teilbetriebsveräußerung auch ohne Erstellung einer Schlussbilanz der Veräußerungsgewinn zu ermitteln ist.

Der Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs gilt nicht ausnahmslos; er kann sowohl unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben als auch dann durchbrochen werden, wenn der fehlerhafte Bilanzansatz (bestandskräftig) in den Vorjahren ohne Auswirkung auf die Höhe der festgesetzten Steuern geblieben ist.

Typische Fälle von erfolgswirksamen Gewinnkorrekturen aufgrund des formellen Bilanzenzusammenhangs sind hingegen nach der Rechtsprechung des BFH u.a. versehentlich nicht oder falsch in der Bilanz ausgewiesene Forderungen, teilweise nicht aktiviertes Vorratsvermögen oder zu Unrecht passivierte Darlehensschulden.

Haftung für Umsatzsteuer – Voraussetzungen der Inanspruchnahme für einen Umsatzsteuerrückforderungsanspruch

 Die Haftungsinanspruchnahme für einen Umsatzsteuerrückforderungsanspruch wegen (angeblich) materiell-rechtlich zu Unrecht festgesetzter und ausgezahlter negativer Umsatzsteuer (Vorsteuerüberschüsse) setzt voraus, dass aufgrund der formellen Bescheidlage (Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung) beim Steuerpflichtigen (Primärschuldner) festgestellt wurde, dass der Umsatzsteuererstattungsanspruch bzw. Vergütungsanspruch nicht bestanden hat.

Es genügt nicht, dass materiell-rechtlich kein Anspruch auf Festsetzung der negativen Umsatzsteuer und die Auszahlung des Überschusses bestand. Die Steuerfestsetzung gegenüber dem Steuerpflichtigen (Primärschuldner) muss zunächst entsprechend der materiellen Rechtslage korrigiert werden.

BFH Urteil vom 14.3.2012, XI R 6/10

Begründung:

Es kann dahingestellt bleiben, ob das FA die negative Umsatzsteuer zu Unrecht an die GmbH gezahlt hat. Denn solange die den Zahlungen zugrunde liegenden Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide –wie im Streitfall– Geltung haben, ist weder ein Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO) noch ein etwaiger Haftungsanspruch (§ 191 Abs. 1 Satz 1 AO) durchsetzbar.

Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner),-wie der Geschäftsführer einer GmbH unter den Voraussetzungen der §§ 34, 69 AO, kann nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Dies gilt auch für die Haftung für einen Erstattungsanspruch i.S. des § 37 Abs. 2 AO.

Ist eine Steuer oder eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 AO gegen den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrages. Für die Finanzverwaltung ergibt sich aus dieser Vorschrift ein öffentlich-rechtlicher Rückforderungsanspruch, wenn der Rechtsgrund für eine Steuererstattung von Anfang an fehlt oder später weggefallen ist.

Keine steuerfreie Kreditgewährung bei echter Factoring-Leistung

Kauft ein Unternehmer Honorarforderungen von Ärzten gegen ihre Patienten unter Übernahme des Ausfallrisikos (sog. echtes Factoring) gegen sofortige Zahlung des vereinbarten Kaufpreises, liegt auch dann keine steuerfreie Kreditgewährung des Unternehmers (Factors) an die Ärzte vor, wenn der Unternehmer in der zugrunde liegenden Kaufpreisvereinbarung und in den Abrechnungen neben den Factoringgebühren getrennt einen sog. pauschalen Vorfinanzierungszins ausweist.

BFH Urteil vom 15.5.2012, XI R 28/10

Begründung:

Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der Antrag der Klägerin auf Erlass eines Umsatzsteueränderungsbescheids für das Streitjahr 2004 nach § 164 Abs. 2 AO dahingehend, dass neben den umsatzsteuerpflichtigen echten Factoring-Leistungen eigenständige nach § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG umsatzsteuerfreie Kreditgewährungen berücksichtigt werden, zu Recht abgelehnt wurde. Denn die Klägerin hat vorliegend den Ärzten keine Kredite gewährt. Die Klägerin erbrachte mit dem Erwerb und der Einziehung von Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos umsatzsteuerbare Leistungen an die Ärzte.

Die Voraussetzungen für eine steuerbare Leistung gegen Entgelt i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG und Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) sind beim echten Factoring erfüllt, wenn im Zusammenhang mit der Abtretung von Forderungen der Factor den sog. Anschlusskunden (hier: den jeweiligen Arzt) von der Einziehung der Forderungen sowie von dem Risiko ihrer Nichterfüllung entlastet und hierfür eine Vergütung erhält.

Dagegen erbringt ein Unternehmer, der auf eigenes Risiko sog. zahlungsgestörte Forderungen (s. dazu BMF-Schreiben in BStBl I 2004, 737, IV Tz 12; Abschn. 18 Abs. 12 Satz 5 ff. UStR 2008; Abschn. 2.4. Abs. 7 und 8 UStAE) zu einem unter ihrem Nennwert liegenden Preis kauft, keine entgeltliche Leistung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG und Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG, wenn die Differenz zwischen dem Nennwert dieser Forderungen und deren Kaufpreis den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der betreffenden Forderungen zum Zeitpunkt ihrer Übertragung widerspiegelt.

Die Klägerin hat von den Ärzten keine zahlungsgestörten Forderungen erworben. Denn vorliegend ging es nach den Feststellungen des FG "insbesondere um Honorarforderungen der Ärzte, die gegenüber in aller Regel solventen Versicherten bestanden und demzufolge ein Ausfallrisiko allenfalls als gering anzusehen war" (Urteil, S. 11). In dem Fall, der den Urteilen des EuGH in UR 2011, 933, DStR 2011, 2093 und des BFH in BFHE 236, 250, DStR 2012, 513 zugrunde liegt, gingen die Parteien des Kaufvertrages dagegen davon aus, dass der voraussichtlich realisierbare Teil der Forderungen "aufgrund der erheblichen Zahlungsstörungen" (nur) bei 57,8 % des Nennwerts lag.

 

Verbindliche Bestellung der wesentlichen Betriebsgrundlagen zur Geltendmachung des Investitionsabzugsbetrags bei neugegründeten Betrieben nicht zwingend

Im zeitlichen Anwendungsbereich des § 7g EStG in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912) setzt der Nachweis der Investitionsabsicht auch bei noch in Gründung befindlichen Betrieben nicht zwingend eine verbindliche Bestellung des anzuschaffenden Wirtschaftsguts noch im Wirtschaftsjahr der Geltendmachung des Investitionsabzugsbetrags voraus.

Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über den Finanzierungszusammenhang stehen der Gewährung eines Investitionsabzugsbetrags auch dann nicht entgegen, wenn der Steuerpflichtige ihn nicht bereits in der ursprünglichen Steuererklärung, sondern erst in einem Nachtrag zur Steuererklärung geltend macht.

BFH Urteil vom 20.6.2012, X R 42/11

Begründung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 20. Juni 2012 X R 42/11 die Nachweispflichten für Betriebsgründer, die einen Investitionsabzugsbetrag geltend machen wollen, erleichtert.

Kleine und mittelgroße Betriebe können unter den Voraussetzungen des § 7g des Einkommensteuergesetzes (EStG) eine Investitionsförderung erhalten. Diese besteht darin, dass der Betriebsinhaber bereits vor der tatsächlichen Durchführung der Investition einen Teil der künftigen Abschreibungen steuerlich geltend machen kann. Hierdurch ergibt sich eine frühzeitige steuerliche Entlastung, die die Finanzierung der Investition erleichtern soll. Bis zur Änderung des § 7g EStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007 geschah dies in Form der „Ansparabschreibung“, seither durch einen „Investitionsabzugsbetrag“.

Nach dem Gesetzeswortlaut ist jeweils erforderlich, dass der Steuerpflichtige die Investition „voraussichtlich“ tätigen wird. Dies ist bei Betrieben, deren Gründung noch nicht abgeschlossen ist, nur schwer überprüfbar. Daher hatte der BFH zur früheren Fassung des § 7g EStG entschieden, dass die Geltendmachung der Ansparabschreibung in solchen Fällen eine verbindliche Bestellung der wesentlichen Betriebsgrundlagen voraussetze. Die Finanzverwaltung wollte diese Rechtsprechung auch auf den heute geltenden Investitionsabzugsbetrag übertragen.

Dem ist der BFH nunmehr entgegen getreten. Zwar ist bei noch in Gründung befindlichen Betrieben eine strenge Prüfung der Investitionsabsicht erforderlich. Der Steuerpflichtige hat im Anwendungsbereich der Neufassung des § 7g EStG jedoch die Möglichkeit, diese Voraussetzung auch durch andere Indizien als ausschließlich die Vorlage einer verbindlichen Bestellung nachzuweisen. Für die bis 2007 geltende Ansparabschreibung bleibt die bisherige Rechtsprechung hingegen unverändert.

Die Entscheidung ist von besonderer Bedeutung für Betreiber von Photovoltaikanlagen. Diese können die Investitionsförderung beanspruchen, wenn sie die Anlage am 31. Dezember des Vorjahres zwar noch nicht verbindlich bestellt hatten, die spätere Durchführung der Investition aber aus anderen Gründen bereits absehbar war.

Vom Erblasser herrührende Steuerschulden für das Todesjahr als Nachlassverbindlichkeiten

Die auf den Erben entsprechend seiner Erbquote entfallenden Abschlusszahlungen für die vom Erblasser herrührende Einkommensteuer des Todesjahres, einschließlich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag, sind als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig (Änderung der Rechtsprechung).

Bei einer Zusammenveranlagung von im selben Jahr verstorbenen Ehegatten sind Abschlusszahlungen für das Todesjahr analog § 270 AO aufzuteilen und als Nachlassverbindlichkeiten beim jeweiligen Erwerb von Todes wegen abzugsfähig.

BFH Urteil vom 4.7.2012, II R 15/11

Begründung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat durch Urteil vom 4. Juli 2012 II R 15/11 entschieden, dass die vom Erben in seiner Eigenschaft als Gesamtrechtsnachfolger zu leistende, noch vom Erblasser herrührende Einkommensteuer-Abschlusszahlung für das Todesjahr als Nachlassverbindlichkeit gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 des Erbschaftsteuergesetzes abzugsfähig ist.

Im Streitfall war die Klägerin neben ihrer Schwester Miterbin ihrer Eltern geworden. Die Eltern waren beide kurz nacheinander im Kalenderjahr 2004 verstorben. Für den Einkommensteuer-Veranlagungszeitraum 2004 waren von den Erbinnen als Gesamtrechtsnachfolger ihrer Eltern nach Anrechnung der von den verstorbenen Eltern entrichteten Vorauszahlungen erhebliche Nachzahlungen zu entrichten.

Nach Ansicht des BFH gehören zu den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten nicht nur die Steuerschulden, die zum Zeitpunkt des Erbfalls (Todeszeitpunkt) in der Person des Erblassers bereits rechtlich entstanden waren, sondern auch solche Steuerverbindlichkeiten, die der Erblasser als Steuerpflichtiger durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet hat und die erst mit dem Ablauf des Todesjahres entstehen. Dies gelte in Übereinstimmung mit der zivilrechtliche Rechtsprechung, wonach sich aus dem Begriff "herrühren" ergibt, dass die Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht voll wirksam entstanden sein müssen. Entscheidend für den Abzug der Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten ist, dass der Erblasser in eigener Person und nicht etwa der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger steuerrelevante Tatbestände verwirklicht hat und deshalb "für den Erblasser" als Steuerpflichtigen eine Steuer entsteht.

Das Urteil hat weit über den entschiedenen Einzelfall hinaus praktische Bedeutung. Durch den Abzug der Einkommensteuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten hat die Einkommensteuer für das Todesjahr unmittelbare Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Erbschaftsteuer. Im Falle der Zusammenveranlagung von Eheleuten, von denen ein Ehepartner im Laufe des Jahres verstirbt, ist, so der BFH, entsprechend § 270 der Abgabenordnung zu ermitteln, inwieweit die Einkommensteuernachzahlung auf den Erblasser, d.h. auf den vorverstorbenen Ehegatten entfällt.

 

Sicherheitsüberprüfung der Bediensteten als Voraussetzung für AEO-Status

Die Erteilung eines AEO-Zertifikats "Zollrechtliche Vereinfachungen/Sicherheit" darf von der Bedingung abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller in sicherheitsrelevanten Bereichen tätige Bedienstete einer Sicherheitsüberprüfung anhand der sog. Terrorismuslisten der Anhänge der VO (EG) Nr. 2580/2001 und der VO (EG) Nr. 881/2002 unterzieht.

BFH Urteil vom 19.6.2012, VII R 43/11

Begründung (BFH)

Mit Urteil vom 19. Juni 2012 VII R 43/11 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, die Erteilung eines sog. AEO-Zertifikats "Zollrechtliche Vereinfachungen/Sicherheit" dürfe von der Bedingung abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller seine in sicherheitsrelevanten Bereichen tätigen Bediensteten einer Sicherheitsüberprüfung anhand der sog. Terrorismuslisten unterzieht.

Im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik hat die Europäische Union (EU) Verordnungen zur Bekämpfung des Terrorismus erlassen. Danach ist es (u.a.) verboten, Personen, die mit dem Al-Qaida-Netzwerk oder den Taliban in Verbindung stehen und die in den Anhängen dieser Verordnungen (sog. Terrorismuslisten) namentlich aufgeführt sind, Gelder oder andere finanzielle Vermögenswerte direkt oder indirekt zur Verfügung zu stellen.

Seit Januar 2008 können in der EU ansässige, im grenzüberschreitenden Warenverkehr tätige Unternehmen den Status des "Zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten" (Authorised Economic Operator -AEO-) beantragen. Dieser Status, der besonders zuverlässigen und vertrauenswürdigen Unternehmen verliehen wird, berechtigt zu Vergünstigungen bei sicherheitsrelevanten Zollkontrollen sowie zur Inanspruchnahme bestimmter Vereinfachungen bei der Abwicklung und Bewilligung von Zollverfahren.

In dem vom BFH entschiedenen Fall hatte ein Unternehmen die Erteilung eines bestimmten AEO-Zertifikats beantragt, welches (u.a.) voraussetzt, dass künftig in sicherheitsrelevanten Bereichen tätige Bedienstete einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen und regelmäßig Hintergrundüberprüfungen vorgenommen werden. Das Hauptzollamt hatte die Erteilung dieses Zertifikats mit der Begründung abgelehnt, das betreffende Unternehmen überprüfe seine in sicherheitsrelevanten Bereichen tätigen Bediensteten nicht anhand der sog. Terrorismuslisten und deshalb nicht in ausreichendem Umfang.

Der BFH urteilte, das Hauptzollamt dürfe die Erteilung des begehrten Zertifikats von solchen Kontrollen des Personals abhängig machen. Die Prüfung, ob Bedienstete des klagende Unternehmens in den sog. Terrorismuslisten geführt werden, verstoße weder gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen noch verlange eine solche Bedingung für die Erteilung des AEO-Zertifikats Unzumutbares vom Unternehmen oder seinen Bediensteten.


„Praxisgebühr“ nicht als Sonderausgabe abziehbar

Zuzahlungen nach § 28 Abs. 4 SGB V (sog. "Praxisgebühren") sind keine Beiträge zu Krankenversicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a EStG, sondern eine Form der Selbstbeteiligung.

BFH Urteil vom 18.7.2012, X R 41/11

Begründung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 18. Juli 2012 X R 41/11 entschieden, dass die Zuzahlungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung nach § 28 Abs. 4 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch, die sog. „Praxisgebühren“, nicht als Sonderausgaben abgezogen werden können.

Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) können Steuerpflichtige "Beiträge zu Krankenversicherungen" als Sonderausgaben abziehen. Darunter fallen jedoch nur solche Ausgaben, die zumindest im Zusammenhang mit der Erlangung des Versicherungsschutzes stehen, also letztlich der Vorsorge dienen.

Bei der „Praxisgebühr“ ist dies nicht der Fall, da der Versicherungsschutz in der Gesetzlichen Krankenversicherung unabhängig von der Zahlung der „Praxisgebühr“ gewährt wird. Sie stellt vielmehr eine Form der Selbstbeteiligung der Versicherten an ihren Krankheitskosten dar.

Ob „Praxisgebühren“ als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Abs. 1 EStG in Form von Krankheitskosten geltend gemacht werden können, konnte der BFH offenlassen. Im Streitfall wurde die dem Kläger zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) nicht erreicht. Die Zahlungen hätten sich schon aus diesem Grund bei ihm steuerlich nicht auswirken können.

Betriebsausgabenabzug für auf eine in der Wohnung eingerichtete PC-Ecke entfallende Aufwendungen

Betriebsausgabenabzug für auf eine in der Wohnung eingerichtete PC-Ecke entfallende Aufwendungen.

BFH Beschluss vom 2.7.2012, III B 243/11

Begründung:

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielte in den Streitjahren u.a. Einkünfte aus einer freiberuflichen Tätigkeit als Unternehmensberater. Bei seiner Gewinnermittlung berücksichtigte er u.a. anteilige Mietaufwendungen als Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer. Nach zunächst erklärungsgemäßer Veranlagung führte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) eine Betriebsprüfung durch. In deren Verlauf besichtigte der Prüfer die Wohnung des Klägers und traf nähere Feststellungen zur teilweisen betrieblichen Nutzung des Wohnzimmers.

"Dabei wurde festgestellt, dass der große, im Erdgeschoss genutzte Raum in einer Ecke mit einem Schreibtisch und Büroregalen ausgestattet war. Dieser Teil des Raumes war durch ein Regal von dem anderen Teil des Raumes abgetrennt … . Nach der Auffassung des Senats erscheint im zu entscheidenden Fall eine hälftige Aufteilung sachgerecht. Nach dem – im Anschluss an die mündliche Verhandlung unstreitigen – Vortrag des Klägers im Hinblick auf die konkrete Nutzung des Arbeitszimmers entspricht eine hälftige betriebliche Nutzung den tatsächlichen Gegebenheiten."

Hingegen konnte das FG in der angegriffenen Entscheidung den Umfang der betrieblichen Nutzung des Wohnzimmers weder in räumlicher noch in zeitlicher Hinsicht zu seiner Überzeugung feststellen. Vielmehr hat es darauf abgestellt, dass es im Falle des Zutreffens der Feststellungen der Betriebsprüfung zum räumlichen Umfang der betrieblichen Nutzung an verwertbaren Angaben des Klägers zum zeitlichen Umfang der Nutzung des Esstischbereichs fehle und der verbleibende "PC-Ecken"-Bereich für sich genommen keine wesentliche betriebliche Nutzung des Raumes begründe. Des Weiteren hat das FG –nachdem die Feststellungen des Betriebsprüfers in der mündlichen Verhandlung bestritten wurden– für den Fall der nur privaten Nutzung des Essbereichs und der "PC-Ecke" keine Trennung zwischen privat und betrieblich genutztem Bereich und keine flächenmäßige Begrenzung des betrieblich genutzten Bereiches mehr feststellen können. Anders als in der Divergenzentscheidung kam das FG somit nicht zur Überzeugung, dass eine hälftige betriebliche Nutzung des Raumes den tatsächlichen Gegebenheiten entsprochen habe.

Im vorliegenden Fall ist das FG aber gerade davon ausgegangen, dass es trotz Ortsbegehung durch das FA wegen widersprüchlicher Angaben und mangelnder Mitwirkung des Klägers den räumlichen und zeitlichen Umfang der betrieblichen Nutzung des Wohnraums nicht feststellen konnte und sich die geltend gemachten Aufwendungen daher gerade nicht als abgrenzbarer Teil der gesamten Aufwendungen feststellen ließen.