Ansatz des Meistgebots als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer

Beim Erwerb einer Eigentumswohnung im Wege der Zwangsversteigerung ist das Meistgebot als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer nicht um die anteilige Instandhaltungsrückstellung zu mindern.

BFH Urteil vom 2.3.2016, II R 27/14

Begründung:

Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Recht entschieden, dass beim Erwerb einer Eigentumswohnung im Wege der Zwangsversteigerung das Meistgebot als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer anzusetzen und dieses nicht um die anteilige Instandhaltungsrückstellung zu mindern ist. Beim Erwerb einer Eigentumswohnung im Wege der Zwangsversteigerung ist das Meistgebot als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer nicht um die anteilige Instandhaltungsrückstellung zu mindern.

Eine ordnungsmäßige, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer entsprechende Verwaltung erfordert nach § 21 Abs. 5 Nr. 4 WEG auch die Ansammlung einer angemessenen Instandhaltungsrückstellung, die zum Verwaltungsvermögen zählt . Die Instandhaltungsrückstellung i.S. des § 21 Abs. 5 Nr. 4 WEG, bei der es sich nicht um eine Rückstellung im bilanztechnischen Sinne handelt, ist die Ansammlung einer angemessenen Geldsumme, die der wirtschaftlichen Absicherung künftig notwendiger Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum dient und die im Wesentlichen durch Beiträge der Wohnungseigentümer angesammelt wird . Sie bleibt bei einem Eigentümerwechsel Vermögen der Wohnungseigentümergemeinschaft . Anders als das Zubehör eines Grundstücks wie etwa Heizöl, Gaststätteninventar oder eine Kücheneinrichtung , geht die (anteilige) Instandhaltungsrückstellung beim Eigentumserwerb durch Zuschlag (§ 90 Abs. 1 ZVG) nicht kraft Gesetzes auf den Ersteher über. Ein für die Grunderwerbsteuer als Rechtsverkehrsteuer typischer Rechtsträgerwechsel findet bezüglich derInstandhaltungsrückstellung nicht statt.

Die Wohnungseigentümer haben keinen Anteil am Verwaltungsvermögen, über den sie verfügen oder in den ihre Gläubiger vollstrecken können (vgl. Palandt/Bassenge, a.a.O., WEG § 10 Rz 38). Eine Zwangsvollstreckung in das Verwaltungsvermögen –und damit auch in die der Wohnungseigentümergemeinschaft gehörende Instandhaltungsrückstellung– ist nur aus einem gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft gerichteten Titel möglich (vgl. BTDrucks 16/887, S. 63). Ein Titel gegen den einzelnen Wohnungseigentümer reicht hierfür nicht aus.

 

Ersetzung des Vorläufigkeitsvermerks in einem Steuerbescheid durch einschränkenden Vorläufigkeitsvermerk in einem späteren Änderungsbescheid

Hat das FA die Steuer unter Bezugnahme auf Gründe i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AO vorläufig festgesetzt, so bleibt der Vorläufigkeitsvermerk bis zu seiner ausdrücklichen Aufhebung wirksam. Eine stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks durch eine Änderungsveranlagung, auch wenn sie auf eine (andere) Korrekturvorschrift gestützt ist, ist ausgeschlossen.

Keine solche –unwirksame– stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks, sondern dessen inhaltlich neue Bestimmung ist gegeben, wenn dem Änderungsbescheid im Verhältnis zum Ursprungsbescheid ein inhaltlich eingeschränkter Vorläufigkeitsvermerk beigefügt wird. Dies gilt auch, wenn ein sowohl auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO als auch auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützter Vorläufigkeitsvermerk im geänderten Bescheid durch einen allein auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk ersetzt wird. Die durch einen solchen Vorläufigkeitsvermerk nicht erfassten Teile eines Änderungsbescheides erwachsen in Bestandskraft, soweit sie nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfrist angefochten werden.

BFH Urteil vom 14.7.2015, VIII R 21/13

Begründung.

Zu Unrecht hat das FG angenommen, die Änderungsbescheide vom 9. August 2010 hätten die mit den vorangegangenen Bescheiden vom 11. März 2010 ausgesprochene Vorläufigkeit der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen unberührt gelassen, so dass die Kläger die Änderung der Einkommensteuerbescheide vom 9. August 2010 unter Ansatz der neu ermittelten Einkünfte aus Kapitalvermögen beanspruchen könnten. Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Steuerfestsetzungen aufheben oder ändern, soweit sie die Steuer vorläufig festgesetzt hat.

Die Voraussetzungen für eine solche vorläufige Steuerfestsetzung enthält § 165 Abs. 1 AO. Danach kommt eine vorläufige Steuerfestsetzung in Betracht, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind (Satz 1 der Vorschrift) oder einer der in Satz 2 der Vorschrift geregelten Tatbestände gegeben ist.  Hat das FA die Steuer –wie im Streitfall mit den Bescheiden vom 11. März 2010– unter Bezugnahme auf Gründe i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AO vorläufig festgesetzt, so bleibt der Vorläufigkeitsvermerk bis zu seiner ausdrücklichen Aufhebung wirksam. Eine stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks durch eine Änderungsveranlagung, auch wenn sie auf eine (andere) Korrekturvorschrift gestützt ist, ist ausgeschlossen.

Keine solche –unwirksame– stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks, sondern dessen inhaltlich neue Bestimmung ist gegeben, wenn dem Änderungsbescheid im Verhältnis zum Ursprungsbescheid ein inhaltlich eingeschränkter Vorläufigkeitsvermerk beigefügt wird. Der Steuerpflichtige muss den in einem Änderungsbescheid enthaltenen –geänderten– Vorläufigkeitsvermerk grundsätzlich so verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist. Dies gilt auch, wenn –wie im Streitfall– ein sowohl auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO als auch auf Satz 2 dieser Vorschrift gestützter Vorläufigkeitsvermerk im geänderten Bescheid durch einen allein auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk ersetzt wird.

Tarifierung eines Lesegeräts für elektronische Bücher.

Tarifierung eines Lesegeräts für elektronische Bücher.

BFH Urteil vom 26.1.2016, VII R 13/13

Begründung.

Lesegeräte für elektronische Bücher – sog. E-Book-Reader wie beispielsweise der „Kindle“ – erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Für Unternehmen, die derartige Geräte verkaufen, ist es deshalb von hohem wirtschaftlichen Interesse, ob diese Geräte zollfrei in die EU eingeführt werden können oder ob ein Zoll bei der Einfuhr zu entrichten ist. Für welche Waren Zoll zu erheben ist, hängt von der Einreihung der jeweiligen Ware in eine der Positionen der sog. Kombinierten Nomenklatur (KN), einer EU-Verordnung, ab. Dort werden Waren mit ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften unter gegliederten Warennummern beschrieben. Jede Ware muss einer dieser Positionen und damit einem bestimmten Zolltarif zugeordnet werden.

Eine Position, die klar und eindeutig einen solchen „E-Book-Reader“ bezeichnet, enthält die KN nicht. Deshalb ist es zwischen der deutschen Zollverwaltung und einem Unternehmen, das solche Geräte, die u.a. auch über eine Wörterbuchfunktion verfügen, einführt, zum Rechtsstreit gekommen. Die Verwaltung will eine Bestätigung ihrer Rechtsauffassung erreichen, wonach diese Geräte in eine KN-Position mit der Beschreibung „Elektrische Maschinen, Apparate und Geräte, mit eigener Funktion, in diesem Kapitel anderweit weder genannt noch inbegriffen“ einzureihen sind, der ein Zollsatz von 3,7% zugeordnet ist. Der Händler will demgegenüber die Einordnung in die Position „Geräte mit Übersetzungs- oder Wörterbuchfunktionen“ und damit Zollfreiheit erreichen.

Der BFH sieht sich zu einer Vorlage an den EuGH – trotz der an sich nach dem Wortlaut eindeutigen Zuordnung zur zollfreien Position – nicht zuletzt deshalb veranlasst, weil E-Book-Reader ohne Wörterbuchfunktion in einer EU-Verordnung ausdrücklich der zollpflichtigen Position zugewiesen werden und die EU-Kommission mitgeteilt hat, es sei nicht gerechtfertigt, die Anwendung dieser Verordnung auf Geräte mit Wörterbuchfunktion zu versagen.

 

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch Erkrankung des Prozessbevollmächtigten

Ein prozessbevollmächtigter steuerlicher Berater (§ 62 Abs. 2 FGO), der die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels bis zum letzten Tag ausschöpft, hat wegen der damit erfahrungsgemäß verbundenen Risiken erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen.

Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist eine vollständige, substantiierte und in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlich, welche die unverschuldete Säumnis belegen sollen. Dazu gehören bei einer plötzlich und unvorhergesehen eingetretenen Erkrankung des Prozessbevollmächtigten nicht nur Angaben zu Art und Schwere der krankheitsbedingten Verhinderung, sondern regelmäßig auch die Darlegung der für diesen Fall getroffenen Notfallvorsorge.

Ist nach den glaubhaft gemachten Tatsachen nicht auszuschließen, dass die Fristversäumnis verschuldet war, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn bei einer Erkrankung am letzten Tag der Rechtsmittelbegründungsfrist (hier: der gemäß § 116 Abs. 3 S. 1 und 4 FGO verlängerten Frist zur Begründung der NZB) keine Angaben zum Bearbeitungsstand der Begründungsschrift gemacht werden.

BFH Beschluss vom 27.07.2015 – X B 107/14 BFH/NV 2015, 1431

Sachverhalt

Die verheirateten Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden in den Streitjahren 1998 bis 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte im Wesentlichen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit sowie aus der Vermietung verschiedener Objekte. Die Klägerin betrieb ein Unternehmen, aus dem sie in den Streitjahren durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte negative gewerbliche Einkünfte erklärte. In Streit stehen diverse, von den Klägern zum Teil erst nachträglich geltend gemachte Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben, die der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) im Anschluss an eine steuerliche Außenprüfung aufgrund der vorgelegten Belege bzw. unter Anwendung der Fremdvergleichsgrundsätze nicht anerkannte. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist erst nach Fristablauf eingegangen.

Begründung:

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht begründet worden ist und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann.

Die (verlängerte) Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde endete mit Ablauf des 20. Oktober 2014 (Montag), § 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4, § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO), §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Die Beschwerdebegründung ging am 24. November 2014 –und damit verspätet– beim BFH ein.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden. Die Kläger haben weder den ihnen obliegenden Darlegungsanforderungen Genüge getan (dazu unter II.2.a) noch die versäumte Rechtshandlung fristgerecht nachgeholt (dazu unter

Nach § 56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei handelt es sich auch bei der nach § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO verlängerten Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde um eine „gesetzliche” Frist, weil sie auf Antrag durch prozessleitende Verfügung nur auf einen verlängerten Zeitraum konkretisiert wird.

Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO ist der Wiedereinsetzungsantrag bei Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und zu begründen. Zur Begründung ist eine vollständige, substantiierte und in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlich, welche die unverschuldete Säumnis belegen sollen. Verschuldet ist die Fristversäumnis, wenn die gebotene und den Umständen nach zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen wurde. Jedes Verschulden –also auch einfache Fahrlässigkeit– schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.

Die Erkrankung eines Prozessbevollmächtigten stellt nach diesen Maßstäben nur dann eine unverschuldete Verhinderung dar, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar auftritt und so schwerwiegend ist, dass es für diesen unzumutbar ist, die Frist einzuhalten oder rechtzeitig einen Vertreter zu bestellen Ein schlüssiger Wiedereinsetzungsantrag erfordert demgemäß auch die Darlegung einer geeigneten Notfallvorsorge, die die Funktionsfähigkeit des Büros auch bei einer unvorhersehbaren Verhinderung gewährleistet. Denn eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ausgeschlossen, wenn die Fristversäumnis auf einem,den Klägern gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigte. Von der Darlegungspflicht umfasst sind außerdem diejenigen Tatsachen, aus denen sich Art und Schwere der Erkrankung des Prozessbevollmächtigten in der Weise ergeben, dass sie die Annahme erlauben, dass es aufgrund der Schwere der Erkrankung unmöglich war, einen fristwahrenden Schriftsatz rechtzeitig einzureichen. Es muss schlüssig dargetan und glaubhaft gemacht werden, dass die konkrete Erkrankung in verfahrensrelevanter Form Einfluss auf die Entschluss-, Urteils- und Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers bzw. seines Prozessbevollmächtigten genommen hat.

Besteht nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit, dass die Fristversäumnis im vorgenannten Sinne verschuldet war, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.So liegt die Sache hier.

Nach dem Vortrag der Kläger ist nicht ausgeschlossen, dass die Fristversäumnis im Streitfall durch zureichende organisatorische Vorkehrungen ihres Prozessbevollmächtigten hätte vermieden werden können. Ein prozessbevollmächtigter steuerlicher Berater (§ 62 Abs. 2 FGO), der die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels bis zum letzten Tag ausschöpft, hat wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss er sich zwar auch in diesem Fall nur dann durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er einen solchen Ausfall realistischerweise vorhersehen kann. Er ist daher selbst dann, wenn er eine Frist bis zum letzten Tag ausschöpfen will, nicht gehalten, für den Fall einer plötzlichen Erkrankung vorsorglich einen Vertreter zu bestellen. Allerdings muss er organisatorisch sicherstellen, dass auch bei einer unvorhergesehenen Erkrankung alle dann noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Fristwahrung ergriffen werden. Der krankheitsbedingte Ausfall des Steuerberaters am –wie hier– letzten Tag der Frist rechtfertigt für sich genommen deshalb eine Wiedereinsetzung noch nicht. Vielmehr fehlt es an einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten nur dann, wenn infolge der Erkrankung weder kurzfristig ein Vertreter eingeschaltet noch ein Fristverlängerungsantrag gestellt oder ähnliche Maßnahmen ergriffen werden konnten.

Dies betrifft –vorbehaltlich der Grenzen des Möglichen und Zumutbaren (s. dazu Toussaint, NJW 2014, 200, 201, mit zahlreichen weiteren Nachweisen)– auch die Begründung von Rechtsmitteln.

Dies lässt sich anhand des Wiedereinsetzungsantrags im Streitfall nicht abschließend beurteilen. Denn nach der allgemein gehaltenen und auch im Folgenden nicht weiter konkretisierten Formulierung „war es mir (…) unmöglich die Begründungsfrist einzuhalten” ist es nicht ausgeschlossen, sondern –im Gegenteil– eher naheliegend, dass die umfangreiche Beschwerdebegründung am letzten Tag der Frist bereits einen Bearbeitungsstand erreicht hatte, der es trotz der Erkrankung des Prozessbevollmächtigten an einer akuten Magen-Darm-Infektion gestattete, den Schriftsatz fristwahrend bei Gericht einzureichen. Nach den Angaben im Wiedereinsetzungsantrag bleibt vollkommen offen, ob beispielsweise nur noch die Reinschrift der im Übrigen bereits fertig gestellten Beschwerdebegründung auszufertigen oder gar alleine noch die Faxversendung des Schriftsatzes an den BFH durch den verantwortlichen Berater oder einen dazu bevollmächtigten Vertreter hätte verfügt werden müssen. Beides hätte nicht nur durch entsprechende organisatorische Maßnahmen (Notfallanweisungen für das Kanzleipersonal; Einschaltung eines Vertreters, wozu im Streitfall ausdrücklich Vollmacht erteilt war) veranlasst werden können, sondern ist der Sache nach ohne Weiteres mit derjenigen Konstellation vergleichbar, dass die Fristversäumnis durch einen (im Fall des § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO ausgeschlossenen) Antrag auf erneute Fristverlängerung zu vermeiden war.

Umgekehrt ergibt sich weder aus dem Wiedereinsetzungsantrag noch aus der –außerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2, Satz 2 FGO liegenden und damit ohnedies unbeachtlichen Replik der Kläger auf die Stellungnahme des FA zur Beschwerdebegründung, dass der erkrankte Prozessbevollmächtigte mit der Bearbeitung der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung bis zum letzten Tag der Frist gewartet hätte bzw. ob und wenn ja, inwieweit die Begründung zu diesem Zeitpunkt noch inhaltlich unvollendet war. Eine gesetzliche Grundlage, diese –dann– unter Umständen nicht mehr durch organisatorische Vorkehrungen zu bereinigende Situation.

Dem steht der von den Klägern zum Beleg ihrer gegenläufigen Auffassung herangezogene BFH-Beschluss icht entgegen. Denn sie haben weder Umstände dargetan noch glaubhaft gemacht, aus denen sich ergibt, dass die dort beurteilte Konstellation –Versäumung der Klagefrist in eigener Sache aufgrund akuter, zu Bettlägerigkeit führender Nierenkolik eines im Übrigen nur beratend tätigen Rechtsanwalts– mit dem Streitfall vergleichbar wäre. Dies wäre aber notwendig gewesen, da der BFH in diesem Beschluss zwischen den organisatorischen Anforderungen an eine Büroorganisation für den Fall einer Erkrankung des Berufsträgers, der in eigener Sache tätig ist, und der notwendigen Organisation eines Berufsträgers in fremden Rechtsangelegenheiten differenziert hat.

BFH billigt Luftverkehrsteuer

Die Luftverkehrsteuer ist nicht nur nach nationalem Recht, sondern auch nach Art. 1 RL 2008/118/EG keine Verbrauchsteuer. Etwaige Verstöße der im LuftVStG geregelten Begünstigungen gegen das unionsrechtliche Beihilfeverbot (Art. 107 Abs. 1 AEUV) oder der Verpflichtung zur Bestellung eines steuerlichen Beauftragten gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) bzw. das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) führen nicht zur Aufhebung eines Luftverkehrsteuerbescheids.

BFH Urteil vom 1.12.2015, VII R 55/13

Begründung:

Luftverkehrsunternehmen wie z.B. Fluggesellschaften können sich gegen die Luftverkehrsteuer nicht auf das Unionsrecht berufen, wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 1. Dezember 2015 VII R 55/13 entschieden hat.

Das Luftverkehrsteuergesetz (LuftVStG) besteuert den gewerblichen Passagierluftverkehr seit 2011 (Gesetz vom 9. Dezember 2010, BGBl I, 1885). Das LuftVStG ist zwar nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2014 1 BvF 3/11 verfassungsgemäß. Fraglich blieb allerdings, ob das LuftVStG gegen das Recht der Europäischen Union (Unionsrecht) verstößt, wie eine Fluggesellschaft geltend machte.

Der BFH verneint einen rechtserheblichen Verstoß gegen das Unionsrecht, da es sich bei der Luftverkehrsteuer nicht um eine unionsrechtlich harmonisierte Verbrauchsteuer handelt. Es fehle an einer direkten Proportionalität zwischen Luftverkehrsteuer und Kraftstoffverbrauch. Die Luftverkehrssteuer werde nicht auf den Verbrauch von Flugturbinenkraftstoff erhoben. Besteuerungsgegenstand sei vielmehr der Abflug eines Fluggasts mit einem Flugzeug. Zwar bemesse sich die Steuer nach der Entfernung zum Zielort und damit nach einem Kriterium, das auch für den Kraftstoffverbrauch maßgeblich sei. Dieser Zusammenhang reiche aber für die Annahme einer Verbrauchsteuer nicht aus, da der Kraftstoffverbrauch je Fluggast von weiteren Faktoren wie Flugzeugtyp und Auslastung des Flugzeugs abhänge. Nach dem Urteil des BFH können sich Fluggesellschaften gegen die Besteuerung nach dem LuftVStG auch nicht auf das unionsrechtliche Beihilfeverbot berufen. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Beschränkung der Steuer auf den Passagierluftverkehr oder einzelne Befreiungstatbestände des LuftVStG gegen das Beihilfeverbot verstößt.

Da der BFH die unionsrechtliche Rechtslage als eindeutig ansieht und er zudem auch Verstöße gegen internationale Luftverkehrsabkommen verneint, werden sich die Luftfahrtunternehmen und deren Passagiere dauerhaft auf die Luftverkehrsteuer einstellen müssen. Die Einnahmen aus der Luftverkehrsteuer beliefen sich nach Angaben des Bundesministeriums der Finanzen in 2015 auf ca. 1 Mrd. €.

Steueransprüche verjähren nicht am Wochenende

Fällt das Ende der Festsetzungsfrist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, endet sie erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags (2. Januar des Folgejahres).

Der Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG ist ein Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO.

BFH Urteil vom 20.1.2016, VI R 14/15

Begründung:

Fällt das Jahresende auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Samstag, endet die Festsetzungsfrist für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erst mit Ablauf des nächstfolgenden Werktags, wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 20. Januar 2016 VI R 14/15 entschieden hat.

Im Streitfall beantragte ein Arbeitnehmer für 2007 die sog. Antragsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Antrag ist innerhalb der sog. Festsetzungsfrist zu stellen. Diese Frist beginnt mit Ablauf des Jahres der Steuerentstehung und beträgt vier Jahre. Der Antrag ging im konkreten Fall beim Finanzamt (FA) erst am 2. Januar 2012 ein. FA und Finanzgericht (FG) sahen dies als verspätet an, da die Festsetzungsfrist bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2011 geendet habe.

Dem ist der BFH entgegengetreten. Der Kläger habe den gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG erforderlichen Antrag rechtzeitig gestellt. Zwar verjähre die Einkommensteuer 2007 eigentlich mit Ablauf des Jahres 2011. Als Besonderheit sei aber zu berücksichtigen, dass das Jahresende 2011 auf einen Samstag gefallen sei. In einem solchen Fall trete Verjährung nicht mit Ablauf des 31. Dezember, sondern nach § 108 Abs. 3 der Abgabenordnung erst mit Ablauf des nächsten Werktages und damit am 2. Januar 2012 ein. Folglich sei der Kläger –entgegen der Auffassung von FA und FG– für 2007 zur Einkommensteuer zu veranlagen.

Die Entscheidung des BFH ist auch für die Verjährung zum Jahresende 2016 von Bedeutung, da der 31. Dezember 2016 auf einen Samstag fällt.

Bindungswirkung eines Ablehnungsbescheides für Kindergeld

Die Bindungswirkung eines bestandskräftigen, die Gewährung von Kindergeld ablehnenden Bescheids erstreckt sich auf die Zeit bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe (Festhalten an bisheriger BFH-Rechtsprechung).

BFH Urteil vom 21.10.2015-VIR 35/14 BFH/NV 2016, 178

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bezog Kindergeld für ihre Tochter … (M). M beendete im Juli 2012 die Schulausbildung und suchte einen Studien- oder Ausbildungsplatz. Mit Bescheid vom 29. Januar 2013 hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung ab Dezember 2012 auf, weil M’s Ausbildungswilligkeit nach Mitteilung der Berufsberatung nur bis November 2012 nachgewiesen sei. Der Klägerin wurde allerdings anheimgestellt, den beigefügten Vordruck mit weiteren Nachweisen (Bewerbungen, Ablehnungsschreiben, Eigenbemühungen um einen Ausbildungsplatz) bei der Familienkasse einzureichen.

Die Klägerin beantragte Anfang Juli 2013 erneut Kindergeld für M und legte dazu die Studienbescheinigung einer Hochschule vor, nach der M ab dem Wintersemester 2013/14 ein Studium absolvieren werde. Die Familienkasse setzte mit Bescheid vom 29. August 2013 Kindergeld für März 2013 bis Mai 2013 fest. Die Klägerin sei erst nach Ablauf der Einspruchsfrist gegen den Aufhebungsbescheid vom 29. Januar 2013 ihren Mitwirkungspflichten nachgekommen. Eine Änderung für die Vergangenheit könne nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) nicht mehr erfolgen. Kindergeld könne frühestens ab dem Monat erneut festgesetzt werden, der dem Monat der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids folge. Dieser Ablehnungsbescheid vom 29. Januar 2013 gelte am 3. Tag nach Postaufgabe als bekanntgegeben, also am 1. Februar 2013. Die Bindungswirkung des bestandskräftigen Ablehnungsbescheids reiche daher bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe, hier also bis Ende Februar 2013.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Denn die Familienkasse hat es zu Recht abgelehnt, Kindergeld für den Monat Februar 2013 zu gewähren, weil der streitigen Kindergeldfestsetzung der am 1. Februar 2013 bekannt gegebene bestandskräftige Bescheid vom 29. Januar 2013 entgegensteht.

Begründung:

Es entspricht der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhof (BFH), dass sich die Bindungswirkung eines bestandskräftigen, die Gewährung von Kindergeld ablehnenden Bescheids auf die Zeit bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe erstreckt. Dementsprechend kann auf einen danach gestellten weiteren Antrag Kindergeld rückwirkend nur ab dem auf die Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids folgenden Monat bewilligt werden.

Die Auffassung, dass sich die Bindungswirkung eines Kindergeld ablehnenden oder aufhebenden Bescheids bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe erstreckt, entspricht der ganz überwiegenden Kommentarliteratur.

Der erkennende Senat hat diese Auffassung in seinen insbesondere auf den Regelungsgehalt des Ablehnungsbescheids gestützt. Der Verwaltungsakt trifft eine Regelung auf Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Bescheiderteilung. Daraus schloss der Senat und nachfolgend die seitdem ständige Rechtsprechung des BFH, dass sich der Verwaltungsakt in der Regelung des Anspruchs auf Kindergeld für den bis dahin abgelaufenen Zeitraum erschöpft und dementsprechend die Bindungswirkung des Bescheids sich auf die Zeit bis zum Ende des Monats, in dem er bekannt gegeben wurde, beschränkt.

) Die Beschränkung auf die Zeit bis zum Ende des Monats, in dem ein Ablehnungsbescheid bekannt gegeben wird, bedeutet zugleich, dass die Bindungswirkung des Bescheids auch bis zum Ende des Monats reicht. Denn die Festsetzung von Kindergeld ist ein teilbarer Verwaltungsakt. Dies ergibt sich aus dem nach § 66 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltenden Monatsprinzip, nach dem Kindergeld für jeden Monat gezahlt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Die Festsetzung umfasst somit einen Anspruch für jeden Monat; daher kann sie für einzelne Monate aufgehoben oder geändert werden und für andere Monate unverändert bestehen bleiben; das entspricht ebenfalls der ständigen Rechtsprechung.

Dieses Monatsprinzip ist Teil der Regelung des Ablehnungsbescheids (Regelungsgehalt), das aus der materiell-rechtlichen Grundlage des Kindergeldanspruchs folgt. Denn Kindergeld wird nicht tageweise, nicht wochenweise, sondern monatsweise gezahlt, nämlich nach § 66 Abs. 2 EStG monatlich vom Beginn des Monats an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, und bis zu dem Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen. Zahlungszeitraum und Anspruchszeitraum stimmen überein, der Leistungszeitraum ist der Monat. Auf Grundlage dieses durch das materielle Recht vorgegebenen Monatsprinzips entscheidet deshalb der ablehnende Bescheid über das Kindergeld dahingehend, dass bis einschließlich dem Monat, in dem der Ablehnungsbescheid bekannt gegeben wird, kein Kindergeldanspruch besteht. An dieser Rechtsauffassung hält der erkennende Senat fest.

Entgegen der Auffassung des FG spricht dagegen nicht, dass –wie etwa im Streitfall– im weiteren Verlauf des Monats, gegebenenfalls sogar am letzten Tag, ein Kindergeldtatbestand neu hätte verwirklicht und damit ein erneuter Kindergeldanspruch hätte begründet werden können. Denn es ist gerade die Rechtsfolge des Monatsprinzips, dass jedenfalls bezogen auf den Monat, auf den sich der bestandskräftige Ablehnungsbescheid noch erstreckt, die Verwirklichung eines neuen Kindergeldanspruchs unerheblich ist. Entgegen der Auffassung des FG entspricht dies auch dem Regelungsgehalt eines Ablehnungsbescheids. Denn der Bescheid verneint einen Kindergeldanspruch nicht nur bis zum Tage der Zeichnung des Bescheids, sondern –entsprechend dem Monatsprinzip– für den ganzen Monat.

Der Einwand des FG, dass unter Umständen das Kind am letzten Tag einer möglichen Einspruchsfrist einen Kindergeldtatbestand verwirklichen könnte und dann der Kindergeldberechtigte im Ergebnis kaum noch Zeit habe, diesen Umstand zu erfahren und durch Einspruch gegenüber der Familienkasse geltend zu machen, ist nach Auffassung des Senats nicht geeignet, das gegenteilige Ergebnis zu begründen. Die Familienkasse wendet insoweit zutreffend ein, dass solche einen Kindergeldanspruch begründenden Umstände regelmäßig vorhersehbar sind, weil sie typischerweise von den Willensentscheidungen der Beteiligten abhängen. Das bestätigen gerade die tatsächlichen Geschehnisse im hier gegebenen Streitfall. Denn der Kindergeldanspruch für Februar 2013 scheiterte daran, dass die Klägerin nach Erhalt des Ablehnungsbescheids vom 29. Januar 2013 entgegen der Anregung der Familienkasse innerhalb der Einspruchsfrist gerade keine aussagekräftigen Unterlagen dazu vorlegte, dass ihre Tochter um einen Ausbildungsplatz bemüht sei. Schließlich verkennt die tagesbezogene Betrachtungsweise, die eine Bindungswirkung eines bestandskräftigen Ablehnungsbescheids grundsätzlich nur bis zum Tag seiner Bekanntgabe annimmt, die ambivalente Wirkung des Monatsprinzips. Denn nach § 66 Abs. 2 EStG wird Kindergeld von Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Dies bedeutet, dass das Kindergeld sowohl im ersten Monat als auch im letzten Monat seines Bezugs mit dem vollen Monatsbetrag gezahlt wird, selbst wenn jeweils an nur einem einzigen Tag die Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld vorliegen. Folge der tagesgenauen Betrachtungsweise wäre dann gegebenenfalls, dass auch in solchen Fällen das Kindergeld nur anteilig, nämlich taggenau, gezahlt wird.

Schließlich lässt sich auch nicht mit dem Hinweis, dass der Wortlaut des § 70 Abs. 2 EStG es gestatte, einen neuen kindergeldrechtlich erheblichen Sachverhalt zu berücksichtigen, die Kindergeldgewährung für den Monat Februar 2013 rechtfertigen. Denn § 70 Abs. 2 EStG gilt nicht für Bescheide, mit denen –wie im hier gegebenen Streitfall– eine Kindergeldfestsetzung abgelehnt oder aufgehoben wird. Dies entnimmt die ständige Rechtsprechung des BFH in Übereinstimmung mit der Kommentarliteratur dem Regelungszweck des § 70 EStG, der ausweislich der Gesetzesbegründung verhindern soll, die Familienkasse an eine fehlerhaft erkannte Kindergeldfestsetzung zu binden.

Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze entfaltet der im Streitfall nach den bindenden Feststellungen des FG am 1. Februar 2013 bekannt gegebene Aufhebungsbescheid eine Bindungswirkung, die der von der Klägerin begehrten Neufestsetzung des Kindergelds für den Monat Februar 2013 entgegensteht.

Im Weiteren ist es zwischen den Beteiligten auch nicht streitig, dass der Bescheid nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO hatte geändert werden können, weil die Klägerin am nachträglichen Bekanntwerden neuer Tatsachen und Beweismittel ein grobes Verschulden trifft. Denn sie hat die für eine Ausbildungswilligkeit ihrer Tochter sprechenden Umstände nicht rechtzeitig vorgebracht.

Billigkeitserlass von Zinsen

Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinshöhe von 0,5 % für jeden Monat betreffen die Rechtsmäßigkeit der Zinsfestsetzung und sind daher vorrangig im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Zinsfestsetzung und nicht im Erlassverfahren geltend zu machen.

Eine rechtlich unzutreffende, aber bestandskräftige Festsetzung von Steuern oder steuerlichen Nebenleistungen kann nach ständiger BFH-Rechtsprechung grundsätzlich nicht durch einen Billigkeitserweis aus sachlichen Gründen nachträglich korrigiert werden.

BFH Beschluss vom 30.09.2015 – IB 62/14

Sachverhalt:

Im Zuge einer Außenprüfung erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) u.a. Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag, die Gewerbesteuer und Zinsen zur Gewerbesteuer für die Streitjahre 2004 bis 2006. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, legte Einspruch ein und beantragte außerdem den Erlass der Zinsen zur Gewerbesteuer gemäß § 227 der Abgabenordnung. Auch gegen die Ablehnung ihres Erlassantrags ging die Klägerin vor.

Das FA wies die Einsprüche hinsichtlich der Zinsfestsetzung und der Erlassablehnung ab.

Begründung:

Die Beschwerde ist –bei erheblichen Bedenken hinsichtlich ihrer Zulässigkeit– jedenfalls unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).

Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen haben keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung. Sie sind entweder geklärt (fehlende Klärungsbedürftigkeit) oder in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärbar (fehlende Klärungsfähigkeit).

Die Fragen, „ob die Höhe der Verzinsung nach § 238 AO einer Korrektur, die im Rahmen eines Erlasses … gem. § 227 AO zu erfolgen hat”, „ob die Zinshöhe von 0,5 % für jeden Monat bei dem niedrigen Zinsniveau verfassungsgemäß ist” und –sinngemäß–ob das verfassungsrechtliche Übermaßverbot eine Obergrenze für die Zinsfestsetzung gebietet, wenn mit der typisierten Verzinsung ein wirtschaftlicher Erfolg in Gestalt eines erzielbaren Zinsvorteils fingiert wird, den es angesichts der Niedrigzinsphase nicht gibt, sind in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärbar. Die Fragen betreffen die Verfassungsmäßigkeit der einfach-rechtlichen Grundlagen und damit die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung. Sie sind damit vorrangig im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Zinsfestsetzung und nicht im Erlassverfahren geltend zu machen. Ausweislich der Gründe des angegriffenen Urteils ist die Zinsfestsetzung im Streitfall allerdings in Bestandskraft erwachsen. Eine rechtlich unzutreffende, aber bestandskräftige Festsetzung von Steuern oder steuerlichen Nebenleistungen kann nach ständiger BFH-Rechtsprechung grundsätzlich nicht durch einen Billigkeitserweis aus sachlichen Gründen nachträglich korrigiert werden. Dass im Streitfall der Ausnahmefall einer offensichtlich und eindeutig unrichtigen Steuer- bzw. Zinsfestsetzung vorliegt und Rechtsbehelfe nicht oder nicht in zumutbarer Weise eingelegt werden konnten ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Frage, ob „im Fall einer überlangen Dauer einer steuerlichen Außenprüfung eine Korrektur der Zinsfestsetzung nach § 233a (AO) im Wege des Erlasses zu erfolgen” hat, ist in der Rechtsprechung des BFH hinreichend in dem Sinne rechtsgrundsätzlich geklärt, dass der Hinweis auf eine verzögerte Bearbeitung des Steuerfalls grundsätzlich nicht geeignet ist, eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu begründen. Ob in einem bestimmten Einzelfall davon Ausnahmen zu machen sind, hängt von den konkreten Lebensumständen dieses Falles ab. Allgemeine Aussagen von grundsätzlicher Bedeutung können dann aber regelmäßig nicht getroffen werden und eine Revisionszulassung scheidet aus. Im Übrigen sind die allgemeinen Rechtsgrundsätze, nach denen ein Billigkeitserlass von Zinsen in Betracht kommt, durch eine Vielzahl von Entscheidungen des BFH hinreichend geklärt. Ein neuerlicher Klärungsbedarf wird von der Klägerin nicht aufgezeigt.

Die Erfüllung der Mittelvorsorgepflicht setzt Kenntnis der voraussichtlichen Entstehung von Steuerverbindlichkeiten voraus

Die Frage, ob für eine Kapitalgesellschaft auch dann eine Mittelvorsorgepflicht besteht, wenn ihr im Zeitpunkt der Entstehung einer Steuerforderung weder deren Höhe noch deren Grund bekannt gewesen ist, kommt keine Klärungsbedürftigkeit zu.

Die Pflicht eines GmbH-Geschäftsführers, finanzielle Mittel zur Entrichtung geschuldeter Steuern bereitzuhalten, besteht unabhängig von der Fälligkeit der Steuern. Allerdings setzt sie voraus, dass dem gesetzlichen Vertreter überhaupt Umstände bekannt sind, die auf eine bevorstehende Entstehung von Steuern schließen lassen.

BFH Beschluss vom 11.11.2015 – VII B 74/15

Sachverhalt:

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war bis … Dezember 2008 und erneut ab dem … Oktober 2009 Geschäftsführer einer GmbH, die persönlich haftende Gesellschafterin und Geschäftsführerin einer GmbH & Co. KG (KG) war. Am 5. November 2009 wurden für die KG für die Monate Mai bis Juli und September 2009 korrigierte Voranmeldungen abgegeben. Für den Monat Oktober 2009 wurde am 10. November 2009 erstmalig eine Voranmeldung abgegeben. Die fälligen Beträge wurden von der KG nicht entrichtet. Nachdem die KG am 23. November 2009 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt hatte, wurde am 26. November 2009 eine vorläufige Insolvenzverwalterin bestellt. Im Februar 2010 wurde das Insolvenzverfahren über die Vermögen der KG und der GmbH eröffnet.

Mit der Begründung, der Kläger hafte aufgrund schuldhafter Verletzung der ihm obliegenden steuerlichen Pflichten als gesetzlicher Vertreter der GmbH nach § 191 Abs. 1, § 34 und § 69 der Abgabenordnung (AO) für ausgefallene Umsatzsteuern, nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) den Kläger mit Bescheid vom 20. November 2012 als Haftungsschuldner in Anspruch. Das Einspruchsverfahren führte zu einer Verringerung der Haftungssumme infolge einer Herabsetzung der Tilgungsquote. Die Klage hatte keinen Erfolg.

Begründung:

Die Beschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen. Der von ihr aufgeworfenen Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Zudem werden die behaupteten Verfahrensmängel nicht schlüssig dargelegt, wie dies nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlich ist.

Nach diesen Grundsätzen kommt der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn die Frage, ob für eine Kapitalgesellschaft auch dann eine Mittelvorsorgepflicht besteht, wenn ihr im Zeitpunkt der Entstehung einer Steuerforderung weder deren Höhe noch deren Grund bekannt war, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich und bedarf damit keiner Klärung. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann sich ein gesetzlicher Vertreter bereits vor Fälligkeit einer Steuer der Verletzung seiner Pflicht zur Bereithaltung von Mitteln schuldig machen. Denn von ihm ist zu verlangen, dass er vorausschauend plant und insbesondere in der Krise finanzielle Mittel zur Entrichtung der geschuldeten Steuern bereithält. Vom Eintritt der Fälligkeit der Steuern ist diese Pflicht unabhängig. Sollen die Steuerschulden durch Erteilung einer Einzugsermächtigung beglichen werden, hat der Geschäftsführer einer GmbH dafür Sorge zu tragen, dass von der Einzugsermächtigung auch Gebrauch gemacht werden kann und dass das Konto eine Deckung aufweist.

Im Streitfall beruht die Haftung des Klägers darauf, dass er die im November 2009 fällig gewordenen Umsatzsteuern nicht entrichtet hat. Da die entsprechenden Voranmeldungen am 5. November 2009 und somit während seiner Amtszeit als Geschäftsführer abgegeben worden sind, kann er sich nicht darauf berufen, ihm sei weder Grund noch Höhe der Umsatzsteuerforderungen, für die er nun haftet, bekannt gewesen. Nur in Bezug auf die Tilgungsquote hat das FG darauf hingewiesen, dass die Schätzung des FA nicht zu beanstanden sei, weil der Kläger seiner Pflicht zur Mittelvorsorge –zumindest ab Mitte Oktober 2009– nicht nachgekommen sei. Bei diesem Befund bedarf die Frage keiner Klärung, ob eine Kapitalgesellschaft verpflichtet ist, Mittel für die Begleichung unbekannter Steuerschulden bereitzuhalten. Denn wie bereits ausgeführt, geht es bei der haftungsbegründenden Pflichtverletzung i.S. des § 69 AO nicht um die steuerlichen Pflichten der vom Haftenden vertretenen Gesellschaft, sondern um die persönliche Pflicht des gesetzlichen Vertreters der Gesellschaft. Auch waren im Streitfall die Höhe und der Grund der Forderung in dem für die Haftung entscheidenden Zeitpunkt der Verletzung der dem Kläger obliegenden Entrichtungspflicht bekannt

Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten

Fehler des FG bei der Beurteilung der Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO sind dem materiellen Recht zuzuordnen und können nicht als Verfahrensmangel zur Revisionszulassung BFH/NV 2016, 176 führen.

BFH Beschluss vom 11.11.2015 – I B 51/15 BFH/NV 2016, 176

Sachverhalt:

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind im Inland wohnhafte Eheleute, die in den Streitjahren (1998 bis 2000) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger arbeitete als EDV-Berater für ein Schweizer Unternehmen in der Schweiz. Teile des Honorars ließ er sich auf Konten in Liechtenstein und in der Schweiz auszahlen. Diese Einkünfte versteuerte der Kläger weder in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) noch in der Schweiz. Die auf das inländische Konto des Klägers überwiesenen Honorarteile erklärte der Kläger als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Nachdem die Steuerfahndung die Überweisungen auf die ausländischen Konten aufgedeckt hatte, unterwarf der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) auch jene Zahlungen als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit, für die im Tätigkeitsstaat Schweiz keine feste Einrichtung bestanden habe, der Besteuerung. Die Kläger haben dagegen vorgebracht, die Tätigkeit des Klägers in der Schweiz sei als nichtselbständige Arbeit i.S. von § 19 des Einkommensteuergesetzes zu beurteilen, für die abkommensrechtlich nicht Deutschland, sondern der Schweiz das Besteuerungsrecht zustehe. Die deswegen erhobene Klage blieb jedoch ohne Erfolg.

Begründung:

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Kläger rügen als Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), angesichts des erheblichen Zeitablaufs seit den streitrelevanten Vorgängen habe das FG den Klägern im Rahmen des § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) keine Beweismittelbeschaffungspflicht dafür auferlegen dürfen, dass der von ihnen gestellte Zeuge die für den betreffenden Zeitraum maßgeblichen Unterlagen mitbringe. Der damit gerügte Fehler betrifft indessen nicht eine Regel des Gerichtsverfahrensrechts. Wie bei einer fehlerhaften Beurteilung der Grundsätze über die Verteilung der Beweislast, handelt es sich auch bei einem Fehler bei der Beurteilung der Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO um einen materiell-rechtlichen Fehler, der nur unter den Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 FGO zur Revisionszulassung führen kann. Zu diesen Voraussetzungen haben die Kläger nichts vorgebracht.